Einleitung
Die Geschichte des Stralauer Fischzuges lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Gegründet 1574 als Dorffest für die Fischer in Stralau, einer Halbinsel in der Rummelsburger Bucht der Spree, entwickelte sich der Fischzug Mitte des 19. Jahrhunderts mit bis zu 70.000 Besuchern zu dem beliebtesten Berliner Volksfest. Jedes Jahr am Bartholomäustag, dem 24. August, wurde bei Picknick, Bier und Schnaps, mit Essbuden, Gauklern und Musikern bis in den späten Abend in Stralau gefeiert.
Das Fest wurde 1873 vom Amtsvorsteher von Stralau verboten, da es trotz Polizei- und Militärpräsenz zu Ausschweifungen, Schlägereien und Verwüstungen auf dem Friedhof kam. Bereits in den 1920er-Jahren wurde der Fischzug als ein großer Rummel wieder ins Leben gerufen und in den 1930er-Jahren vom Nationalsozialismus als "deutsches Volksfest" mit Festzügen und Wettkämpfen für propagandistische Zwecke genutzt.
Der Stralauer Fischzug 1932, Festzug in den Straßen Stralaus. (© Bundesarchiv, Bild 102-13766, Foto: Georg Pahl)
Der Stralauer Fischzug 1932, Festzug in den Straßen Stralaus. (© Bundesarchiv, Bild 102-13766, Foto: Georg Pahl)
Im Jahr 1954 sollte – im Kontext der Ost-West-Systemkonkurrenz – der Stralauer Fischzug auch in Ost-Berlin mit großem historischem Festzug, einem Wagenkorso und einer Bootsparade wieder belebt werden. Besonders durch den Standort Berlin und die Bekanntheit des historischen Fischzuges erhielt das Volksfest dabei innen- wie außenpolitische Bedeutung. Hier wollte sich die DDR im Vergleich zur Bundesrepublik als Staat mit kulturvoller Unterhaltung bei Beteiligung der "Werktätigen" präsentieren.
Am Beispiel des Stralauer Fischzuges soll im Folgenden die ideologische Umdeutung sowohl der Geschichte des Festes als auch mancher Elemente der Festgestaltung dargestellt werden. Dabei kann die Verwendung von traditioneller Volkskunst und Folklore in der Kulturpolitik der frühen DDR und deren Veränderungen im Laufe der 1950er-Jahre exemplarisch nachgezeichnet werden. Im zweiten Teil des Textes werden anhand von kurzen Darstellungen die Bemühungen um eine sozialistische Gestaltung des Festes aufgezeigt und deren Scheitern beschrieben, wobei der Widerspruch zwischen den kulturpolitischen Richtlinien und den Vergnügungswünschen der Festbesucher beispielhaft dargelegt werden kann.
Vom historischen Festzug zur sozialistischen Demonstration
Bei seiner Wiederbelebung 1954 wurde das zwei Wochen dauernde Fest vom Magistrat von (Ost-)Berlin organisiert und als Wiedererweckung des "traditionsreichen Berliner Volksfestes"
Die geplante Festgestaltung entsprach der Kulturkonzeption dieser Zeit. 1954 hatte das neu gegründete Ost-Berliner Ministerium für Kultur in einer Programmerklärung den Aufbau einer Volkskultur in der DDR gefordert. Gemeint war damit die Schaffung einer gemeinschaftlichen Kultur, die von Künstlern, Kulturschaffenden sowie Arbeitern und Bauern gemeinsam gestaltet werden sollte. In diesem Zusammenhang sollten die Arbeiterbildung und die "kulturelle Massenarbeit" in den Betrieben gefördert werden.
Der realistische und "vom Volke geschaffene" Charakter der Volkskunst galt zu dieser Zeit als Vorbild für eine sozialistische Kunst und wurde mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung und dem sozialistischen Menschenbild der SED verknüpft.
Die von der SED um 1954 geplante humanistische, fortschrittliche Massenkultur sollte zu jener Zeit auch die "volkstümlichen Werke" als Vorbild nutzen und dabei nun aber die "Wandlungen der neuen Menschen in unserer Arbeiterklasse, der werktätigen Bauernschaft und der Intelligenz" darstellen.
Für die Ausgestaltung der städtischen und dörflichen Feste dieser Zeit wurde besonders die Durchführung historischer Festzüge angeregt. In Zeitschriften zur Volkskunst und bei den Bezirkshäusern und Volkskunstkabinetten, die die Kulturarbeit anleiteten, gab es Hinweisblätter, wie die Umzüge zu gestalten waren: Von der jeweiligen Tradition ausgehend sollte die gesellschaftliche Entwicklung hin zum Sozialismus der marxistischen Geschichtstheorie entsprechend aufgeführt werden.
Auch der seit 1954 wieder durchgeführte Stralauer Fischzug in Berlin sollte mit seinem zur Eröffnung geplanten historischen Festzug diesem Anspruch genügen. Dafür wurden der Aufbau und die Ausgestaltung des Festzuges entsprechend vorbereitet und eindeutig festgelegt. In 22 Bildern mit Pferden, einer Postkutsche und geschmückten Wagen sollte die marxistische Geschichtstheorie anschaulich dargestellt werden. Neben Ratsherren in historischen Kostümen und einem Aufmarsch der verschiedenen Zünfte wurde auch an die Gründung des Stralauer Fischzuges von 1574 als ein Dorffest der Fischer erinnert. Konzipiert war dafür ein Wagen mit der Jahreszahl 1574 und einem Transparent mit der Aufschrift "1. Zinszahlung der Stralauer Fischer an die Kirche". Auf dem Wagen sollten ein Pfarrer und ein Ratsherr sitzen, die den ersten Fang der Fischer entgegennahmen. Als Kontrast dazu sollte dem Wagen eine Fischergruppe mit ihren Arbeitsgeräten zu Fuß folgen. Hinter weiteren Wagen, die Karl Marx, die Revolution von 1848, die Industrialisierung in Stralau, die zwei Weltkriege, die Revolution von 1918, die Enteignung der Betriebseigentümer 1945 und den Neuaufbau Berlins symbolisieren sollten, folgte die Darbietung der volkseigenen Betriebe mit ihren Sport- und Kulturgruppen.
"Nach dem historischen Teil rollt die Neuzeit an den Berlinern vorbei. Unsere volkseigenen Betriebe, allen voran die Stralauer Glashütte, zeigen Ausschnitte aus ihrer jetzigen Produktion. Zwischen den einzelnen Wagen laufen die Bäcker, Fleischer, Bootsbauer, Tischler und andere Handwerker in ihrer Berufsbekleidung. Fünf Kapellen, die sich in den Zug einreihen, sorgen für die richtige Stimmung", berichtete das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland".
Mithilfe der Wagen, der Kostüme und der Bewegung des Zuges sollten die Besucher des Festzuges in die (Heimat-)Geschichte einbezogen werden – was als eine wirksame Form der Agitation gedacht war. In einem Zeitungsartikel zum Festzug von 1955 wurde über diese Praxis der Einbeziehung folgendermaßen berichtet: "[...] mit lautem Tschingderassabum [näherte sich] der kilometerlange Festzug. Vorneweg die Herolde in ihren altertümlichen Trachten, hinterher in bunter Reihenfolge fünf Jahrhunderte Berliner Geschichte. Ein Anachronismus, als mich vom Wagen herunter neugierig ein 'Biedermeier' fragte, wie wohl das Fußball-Länderspiel in Moskau stehe. Friedrichshainer Betriebe vermittelten durch geschmückte Autos ein eindrucksvolles Bild ihrer Produktion, ihrer Aufbauarbeit. [...] Natürlich fehlten auch die Berliner Angler nicht im Festzug. Im Gegensatz zu den alten Stralauer Fischern haben sie keinem Pfarrer und keiner 'Obrigkeit' von ihrem Fang Tribute zu leisten. Bloß schade, daß sich die Kostümierten am Schwanenberg so schnell zurückzogen. Gar mancher oder manche hätte gerne mit einer 'echten Fischerliesel' oder einem wackeren Herold eine Runde gedreht."
Aber nicht nur den Besuchern sollte durch diese Inszenierungsart das marxistische Geschichtsverständnis näher gebracht werden. Vor allem die Bewohner sollten als Teilnehmer mit in die Geschichtsinterpretation eingebunden und damit aktiviert werden. Die Wagengestaltung und die Choreografie des Festzuges wurden von einer Gruppe bildender Künstler entworfen. An der Konzeption beteiligt waren neben dem Magistrat auch die Bezirksämter Friedrichshain und Treptow. Das Märkische Museum von Berlin stellte die Postkutsche und andere Ausstellungsstücke zur Verfügung, und der Kostümverleih der Komischen Oper stattete die Teilnehmer aus. Schließlich wurden auch die Betriebe und Massenorganisationen aufgerufen, sich mit geschmückten Wagen an dem Festzug zu beteiligen.
Allerdings gaben die Auswertungsberichte des Stadtbezirks zum historischen Festzug von 1955 auch Aufschluss über die Zwischenfälle und Vorkommnisse, die nicht den Wünschen entsprachen: "Der Festzug mit seinen ca. 600 Mitwirkenden bei 400 kostümierten Personen hinterließ bei der Bevölkerung einen guten Eindruck. Die Abteilung Kultur selbst ist mit der Durchführung des Festzuges nicht zufrieden gewesen. Trotzdem jede Gruppe und das zu verwendende Kostüm nummernmäßig festgelegt waren, ist es nicht gelungen, jeden Teilnehmer zu überzeugen, welche Rolle er im Festzug einzunehmen und was er zu verkörpern hat. Es kam bei der Einkleidung der Festzugsteilnehmer zu Auseinandersetzungen, weil gerade die weiblichen Teilnehmer nur in historischen Kostümen gehen wollten, sich aber dagegen wehrten, Arbeiterinnen darzustellen. Einige der Teilnehmerinnen verließen unter Protest die Ankleidestelle und [es] konnten ca. 35 Kostüme nicht untergebracht werden. Die Organisation bei der Aufstellung des Festzuges hat nicht in allen ihren Teilen funktioniert. Eine Reihe der Teilnehmer kannte ihre Position im Festzug nicht. Dadurch verwischte sich das Bild des Zuges selbst. Die außergewöhnlich warme Witterung veranlaßte außerdem eine Reihe von Gruppen, welche im Zuge zu Fuß marschieren sollten, beim ersten Halt die Wagen zu besteigen und so das Bild des Zuges noch mehr zu zerreißen."
Führte 1955 noch ein historischer Festzug vom Strausberger Platz bis nach Stralau, so wurde dieser im August 1956 schon nicht mehr durchgeführt. Nach der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes im Herbst 1956 und dem Beginn der "sozialistischen Kulturrevolution"
Der Stralauer Fischzug 1958. (© Märkisches Museum o.Nr./Abt. Geschichte)
Der Stralauer Fischzug 1958. (© Märkisches Museum o.Nr./Abt. Geschichte)
Für den Stralauer Fischzug 1957 waren nun vor allem Ausstellungen, Agitationstafeln und Leistungsschauen als Hauptelemente der Festgestaltung vorgesehen. Sogar der historische Fischzug selbst sollte die Überlegenheit des Sozialismus demonstrieren. Bis dahin wurde der Tag des Fischzuges mit Fischerliedern und Fischertänzen gefeiert, der alte Brauch des Fischerstechens wurde aufgeführt, und die Fischereigenossenschaft veranstaltete einen traditionellen Fischzug, der mit dem Einfangen der Seenixe endete.
Zur Vorbereitung für die Gestaltung des Stralauer Fischzuges 1957 hieß es: "Er soll nicht nur das alte traditionelle Berliner
Der Stralauer Fischzug 1959. (© Archiv Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg)
Der Stralauer Fischzug 1959. (© Archiv Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg)
Volksfest wiedererstehen lassen, sondern die kulturpolitischen Erfolge unserer Arbeiter- und Bauernmacht der Bevölkerung ganz Berlins näher bringen, die Liebe zu unserer Hauptstadt vertiefen, unseren Werktätigen neue Schaffenskraft im Kampf um die Planerfüllung geben und damit zur Festigung des Staates der Arbeiter und Bauern und zur Verständigung der Berliner aus allen Sektoren beitragen."
1958 wurde der Fischzug dann erstmals als "sozialistisches Kulturfest" bezeichnet, das ein Jahr später in die Jubiläumsfeiern zum 10. Gründungstag der DDR integriert werden sollte.
Außerdem war für das Jahr 1959 vorgesehen, die neue kulturpolitische Konzeption des Bitterfelder Weges beim Fest zu präsentieren. Dafür sollte mit Arbeitern und "namhaften Künstlern" ein kombiniertes Programm mit dem Titel "Vom Fischerdorf zum demokratischen Berlin" unter Einbeziehung des Fischzuges und des Festzuges als Höhepunkt und Auftakt für den Stralauer Fischzug gestaltet werden. Ziel war es, den "Charakter des Stralauer Fischzuges als sozialistisches Volksfest [...] weiter zu verstärken".
Das Bemühen um eine "sozialistische Kulturveranstaltung"
Bei der Wiederbelebung des Stralauer Fischzuges 1954 wurde das Fest in den Zeitungen als das "größte Volksfest dieses Jahres" angekündigt und die anschließenden Schilderungen berichteten von 200.000 Teilnehmern aus Ost- und West-Berlin. Allerdings kam es im ersten Jahr zu vielerlei organisatorischen und infrastrukturellen Schwierigkeiten. Die Versorgungsstände von HO und Konsum öffneten zu spät, und bereits um 17 Uhr waren alle Speisen und Getränke ausverkauft. Die Bootsanlegestellen konnten nicht rechtzeitig fertiggestellt werden, weshalb der angekündigte Fährbetrieb zwischen Treptow und Stralau entfiel.
Auch danach verlief das Fest nicht reibungslos. Die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) hatte zugesagt, Boote und Kutter für den geplanten Bootskorso zur Verfügung zu stellen. Diese Schiffe sollten den Kern des Umzugs bilden, dem sich andere Wassersportler anschlossen. 20 Fahrgastschiffe wurden bereitgestellt, um den Besuchern die Möglichkeit zu geben, den Korso vollständig zu sehen. Einen Tag vorher sagte die GST allerdings ab, da sie im Regattatraining sei. Die Fahrgastschiffe waren zwar alle vollbesetzt, der Blumen- und Lampionkorso aber fiel – zur Verärgerung der Besucher – aus.
Nach diesem missglückten Start wurde das Fest ab 1955 nicht mehr als historisches Volksfest für ganz Berlin inszeniert, sondern als ein Stadtteilfest für den Stadtbezirk Friedrichshain angekündigt. Dennoch standen die Organisatoren der Kulturabteilung des Stadtbezirks Friedrichshain bei der Festgestaltung vor erheblichen Schwierigkeiten. Sie mussten den kulturpolitischen Richtlinien und dem Erwartungsdruck der Besucher gerecht werden sowie dem Desinteresse der Massenorganisationen und der Überlastung der Betriebe und der (Betriebs-)Kulturgruppen begegnen.
Der Stralauer Fischzug war jedes Jahr als eine achttägige Veranstaltung geplant. Am Eröffnungswochenende fand der Festzug bzw. eine Eröffnungsveranstaltung mit dem Fischzug statt, die Woche über waren vielfältige Programmpunkte vorgesehen, die von den verschiedenen Massenorganisationen vorbereitet werden sollten.
Plakat vom Stralauer Fischzug 1957. (© Landesarchiv Berlin, C Rep. 135 – 15, Nr.: 57 – Stralauer-Fischzug 1957, Blatt 50)
Plakat vom Stralauer Fischzug 1957. (© Landesarchiv Berlin, C Rep. 135 – 15, Nr.: 57 – Stralauer-Fischzug 1957, Blatt 50)
In den Jahren zwischen 1955 und 1962 lässt sich an den Programmplanungen ablesen, wie sich die politische Programmatik änderte und in welch unterschiedlicher Weise folkloristischer Aufführungen eingesetzt wurden. Während in den Jahren 1955 und 1956 neben Sportwettkämpfen noch Lampionfahrten, Volkskunstaufführungen einer Bauernkapelle, Darstellungen alter Handwerkskunst und Tanzveranstaltungen unter den Mottos "Wie hätten Sie's denn gern?"
Allerdings gab es auch 1958 noch vom Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) organisierte Sportveranstaltungen, eine vom Demokratischen Frauenbund (DFD) veranstaltete Modenschau und ein Abendprogramm mit Filmausschnitten und der Vorstellung von "beliebten Schauspielern" durch die DEFA. An den Wochentagen und am Abschlusswochenende fanden abends Konzerte und Kulturveranstaltungen von professionellen Künstlern und Betriebsensembles statt. Das Programm reichte dabei von Volksliedern und Volkstänzen des Staatlichen Ensembles für Sorbische Volkskultur über einen Ballettabend des Metropoltheaters bis hin zu einer Volkskunstestrade mit Chor und Tanzgruppe des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) Groß-Berlin, dem Chor des Stahl- und Walzwerkes Hennigsdorf und dem Ensemble des Reichsbahnamtes I Berlin.
Die Auswertungsberichte der Organisatoren des Stadtbezirkes, die Rechenschaft über das Gelingen des Volksfestes ablegen mussten, zeigen allerdings die Ambivalenz der Festgestaltung zwischen den Vergnügungswünschen des Publikums und den kulturpolitischen Anweisungen für eine sozialistische Kulturveranstaltung. So wurde in den Abschlussberichten in jedem Jahr wieder stereotyp formuliert, dass es zu viele Schaustellerbuden gegeben hätte und dass das Fest einen zu starken "Rummelcharakter" aufweisen würde, weshalb der positive Eindruck der Kulturveranstaltungen zerstört wurde. Außerdem bemängelten die Organisatoren des Stadtbezirks, dass "keine breite Bewegung der Vorbereitung in Betrieben und Wohngebieten" stattgefunden hätte und dass es kaum gelungen sei, Betriebsensembles zu rekrutieren. Für die Folgejahre wurde immer wieder ein "höheres Niveau" und ein "stärkerer sozialistischer Charakter"
Die Abschlussberichte des Stadtbezirks zum Stralauer Fischzug schildern aber auch konkrete Probleme bei den Veranstaltungen: So mussten bei einer Konzertveranstaltung die Bewohner des gegenüberliegenden Altenheims herbeigeholt werden, damit die Aufführung besser besucht war,
Es wurde auch jedes Jahr aufs Neue von "jugendlichen Krawalltäter[n] am Abend beim Tanz" und von Schlägereien berichtet, die angeblich von Jugendlichen aus den Westsektoren initiiert wurden. So hieß es im Auswertungsbericht des Jahres 1955: "Besonders kraß kam dieser Zustand am Dienstag, dem 23. August zum Ausdruck, als die Jugendlichen durch Pfeiffen und Jodeln die Kulturveranstaltung störten und verlangten, daß die Tanzkapelle in Aktion treten sollte. Dem Verlangen wurde nicht stattgegeben und die Veranstaltung durchgeführt. Auch der Schluß um 22.00 Uhr wurde trotz Protest eingehalten."
In dem Auswertungsbericht 1959 konnte zwar festgestellt werden, "daß sich die Zusammensetzung der Besucher im Vergleich zum vorigen Jahr günstig verändert hat.
Titelseite des Programmhefts zum Stralauer Fischzug 1961. (© Märkisches Museum, Bibliothek der Stiftung Stadtmuseum Berlin)
Titelseite des Programmhefts zum Stralauer Fischzug 1961. (© Märkisches Museum, Bibliothek der Stiftung Stadtmuseum Berlin)
Nur am ersten und letzten Abend überwogen die Scharen von halbwüchsigen Jugendlichen aus Westberlin." Allerdings sei auch in diesem Jahr "keine breite massenpolitische Vorbereitung" gelungen und für den Fischzug und den Festzug hätte keine große Zahl an Mitwirkenden gewonnen werden können. Vielmehr "zeigten sich in diesem Jahr [...] wieder sehr ernsthafte Mängel, die Anlass geben, die weitere Entwicklung des Stralauer Fischzuges ernsthaft zu überlegen." Als Schlussfolgerung aus dem Scheitern des Festes und als Aufgabe für die "weitere Entwicklung des Stralauer Fischzuges zum sozialistischen Volksfest im Rahmen des Siebenjahrplanes" hieß es entsprechend: "Die Auswertung des diesjährigen Stralauer Fischzuges zeigt also deutlich, daß die gesamte Gestaltung, Vorbereitung und Durchführung des Volksfestes grundlegend verändert werden muss."
Im folgenden Jahr war vorgesehen, den Stralauer Fischzug als "Gesamtberliner Volksfest" zu inszenieren, das "der Rolle Berlins als Hauptstadt der DDR würdig werden" müsse.
Festplatz des Stralauer Fischzugs 1961. (© Märkisches Museum, Bibliothek der Stiftung Stadtmuseum Berlin)
Festplatz des Stralauer Fischzugs 1961. (© Märkisches Museum, Bibliothek der Stiftung Stadtmuseum Berlin)
Ab 1961 wurde der Fischzug dann nur noch als kleines Stadtbezirksfest mit den anliegenden Betrieben, Schulen und Anwohnern gefeiert. Allerdings warb man in jenem Jahr in Zeitungsberichten und im Programmheft noch mit der Tradition des historischen Fischzuges. Im "Neuen Deutschland" hieß es: "Oft wurde der Stralauer Fischzug zu einer politischen Tribüne und zum Schauplatz politischer Demonstrationen gegen Not und Elend, gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Das war der herrschenden Klasse ein Dorn im Auge, und sie versuchte dieses Volksfest auszuschalten, was aber nie ganz gelang. Zwar gab es nach 1870/71 ein Verbot, aber im Stillen wurde der Fischzug weitergeführt. [...] Erst nach dem zweiten Weltkrieg unter der Arbeiter- und Bauern-Macht unserer Republik, im Jahre 1954, wurde der Stralauer Fischzug wieder entsprechend seiner alten kämpferischen Traditionen zu einem kulturvollen Stadtfest erweckt."
Besucherzahlen des Stralauer Fischzuges zwischen 1954 und 1962 | ||
Jahr | Teilnehmerzahl (gesamt) | tägliche Teilnehmerzahl (Durchschnitt) |
1954 | 200.000 | |
1955 | 120.000 | |
1956 | 200.000 | |
1957 | 95.000 | 7.000–27.000 täglich |
1958 | 102.000 | 6.000–22.500 täglich |
1959 | 69.500 | 6.000–18.000 täglich |
1960 | 57.500 | 1.500–12.000 täglich |
1961 | 32.579 | |
1962 | ca. 7.200 täglich |
Im Auswertungsbericht des Stralauer Fischzugs von 1961 wurde erneut beklagt, dass es "in keiner Weise gelungen" sei, die "Bevölkerung in ihrer Mehrheit für das Volksfest zu interessieren und zum Gestalter werden zu lassen". Das läge zum Teil daran, "daß das Fest einzig und allein Sache einiger weniger Kulturfunktionäre" und "nicht zu[r] Sache des gesamten Staatsapparates, der Bezirksverordneten-Versammlung, der Partei und Massenorganisationen" geworden sei.
Diese Abschlussberichte zu dem Fest und die Besucherzahlen zeigen, dass die Agitationspraxis und die Ideologisierung nicht nur kaum funktionierten, sondern sogar zu einem Desinteresse der Berliner an dem Volksfest führten. 1962 fand der Stralauer Fischzug – diesmal im September und mit angekündigtem Vergnügungspark mit Achterbahn – als Stadtbezirksfest für die Anwohner letztmalig statt und wurde dann, 1963, als Stadtteilfest für Friedrichshain in den Volkspark Friedrichshain verlegt. Als Anlass dafür wurden vorrangig infrastrukturelle Gründe genannt.