Vorbemerkungen
Die Jubiläen zur Friedlichen Revolution und zur Deutschen Einheit 2009 und 2010 haben eine große Anzahl regionaler und überregionaler Studien zu den Ereignissen in den 1980er-Jahren hervorgebracht. Die Präsentationsformen waren dabei sehr unterschiedlich. Sie reichten von Ausstellungen über journalistische Beiträge bis zu wissenschaftlichen Untersuchungen.
Die DDR-Geschichte ist zeitlich abgeschlossen und ihre Aufarbeitung ist zum historischen Gegenstand als Ganzes geworden. Unterrepräsentiert in der historischen Debatte sind dagegen die Entwicklungslinien, die zur Deutschen Einheit und darüber hinaus führten. Hier manifestierten sich individuelle Erfahrungshorizonte und gesellschaftliche Notwendigkeiten, die ihre Auswirkungen bis heute haben. Die subjektive Beurteilung dieses Prozesses ist stark geprägt vom eigenen Wahrnehmungshorizont der Gegenwart. Sind die damaligen Hoffnungen und Wünsche bis heute in Erfüllung gegangen? Das Feuilleton spricht nicht selten von Verlierern und Gewinnern der Einheit. Dieses Schwarzweiß-Schema stigmatisiert und polarisiert. Gradmesser ist die Partizipation am heute Erwünschten. Die immer wieder durchgeführten Umfragen zum Stand der "inneren Einheit" verdeutlichen oft eine erschreckende Disharmonie in der deutschen Gesellschaft. In dem heute gültigen Primat der ökonomischen Teilhabe verschwimmen die Grundbedingungen unserer Gesellschaft – stabile demokratische Verhältnisse.
Demokratische Werte werden als selbstverständlich angesehen oder werden der gegenwärtigen Politikverdrossenheit hintangestellt. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass Demokratie die Möglichkeiten schafft sich einzubringen, zu gestalten. Besonders kontrastreich sind diesbezüglich die Ereignisse von 1989/90 in der DDR. Der Wille und die Bereitschaft, "sich einzumischen", brachte die Gesellschaft voran, und die Geschichte hat es bewiesen: Der freie Mensch engagiert sich. Neben dem Aufbau und der Etablierung demokratischer Strukturen analog zur Bundesrepublik sind es vor allem die vielen kleinen Initiativen von Menschen, die das gesellschaftliche Leben veränderten.
Wie die ersten "Gehversuche" aussahen, soll in einer virtuellen Ausstellung, die das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. erstellt hat, gewürdigt und dargestellt werden: Die Menschen haben sich die Freiheit erkämpft und nutzen sie im Interesse des Gemeinwohls.
In einer Lokalstudie kommt es zur Annäherung an die Dimension des Problems. Es wird punktuell ausgelotet und zeigt den Facettenreichtum allein in einer Stadt. "Leipzig" soll dabei ein Beispiel von vielen sein. In anderen Städten der DDR passierte Ähnliches, häufig aber ganz anders. Vieles galt es zu verändern, neu zu schaffen, nachzuholen, (sich) auszuprobieren. Schön wäre es, wenn es mit der Ausstellung gelänge, Impulse zu vermitteln, den Prozess der Deutschen Einheit in die Agenda der Wissenschaft und der politischen Bildung aufzunehmen.
Die Idee, dieses Desiderat aufzugreifen, entstand im Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. Der Verein ist ein Träger der politischen Bildung. Nachdem man in den letzten Jahren Wechselausstellungen erarbeitet hatte, werden jetzt mit dem Internet ganz andere "Ausstellungsräume" mit ganz anderen Möglichkeiten erschlossen. So kann eine virtuelle Ausstellung dazu genutzt werden, sich historischen "Gegenständen" zu nähern, sie selbstständig zu erarbeiten oder zu vertiefen oder mittels mobiler Geräte wie Smartphones einen zeitgeschichtlichen Stadtrundgang zu unternehmen.
Die Umsetzung dieser Idee wurde nur durch die Förderung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur möglich.
Thema und Design
1989/90: Die Selbstbefreiung der Völker Mittel- und Osteuropas beendet die Blockkonfrontation. Das jeweilige historische Selbstverständnis der einzelnen Länder führt zur Bildung neuer und eigenständiger Staaten oder – wie im Falle der DDR – zur Auflösung. Doch zunächst gilt das "Alte" nicht mehr und das "Neue" noch nicht. In diesem Jahr des Machtvakuums werden ungeheure Kräfte freigesetzt, fantastische Ideen entwickelt, Begehrlichkeiten entstehen und Gewohnheiten müssen aufgegeben werden.
Der 9. Oktober 1989 gilt durch die Leipziger Ereignisse als der Tag der Entscheidung im revolutionären Geschehen in der DDR. Dieser Tag stellt damit eine Zäsur in der deutschen Zeitgeschichte insgesamt dar. Von jetzt an wurde die Etablierung demokratische Strukturen in der Gesellschaft möglich. Das folgende Jahr bis zur politischen Umsetzung der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 ist in dieser Hinsicht mit vielen Brüchen von Institutionen, Bürgerbewegungen, Parteien, aber auch Einzelpersonen verbunden. Ein ganzes Land war in Bewegung. Die Menschen spürten ihre Kraft und gingen neue Wege. Dieser Einfallsreichtum und diese Gestaltungskraft, die der Ausstellungstitel "Power to the People" aufnimmt, sind würdig, dargestellt zu werden; denn so engagiert waren die Menschen später in den gesamtdeutschen Strukturen kaum wieder.
In Anbetracht der Komplexität des Themas liegt der Fokus der Ausstellung auf den beginnenden politischen Veränderungen vor Ort in Leipzig selbst, weil dies die ersten Forderungen der Opposition und der Demonstranten waren. Dieser Prozess kann natürlich nicht isoliert von der Gesamtentwicklung in der DDR gezeigt werden, doch es wird das Spezifische in Leipzig herausgearbeitet.
Eine Präsentation im Internet bietet die Möglichkeit, multimediale Objekte einzubauen und damit den Schau- und Unterhaltungswert der Ausstellung zu erhöhen. Der nachgeborenen Generation kann der Zugang und die Auseinandersetzung mit dem Thema erleichtert werden. Es wurden deshalb bewusst Stilmittel der modernen Mediennutzung verwendet. Flash-Animationen sollen den Besucher in die verschiedenen "Ausstellungsräume" leiten. Emotionalisiert wird dieser "Gang" durch die Einbindung historischer Tonaufnahmen. Die inhaltliche Darstellung ist vergleichbar mit einer grafisch gestalteten Ausstellungstafel. Doch bietet sich hier die Möglichkeit, Filme anzuschauen, Audiodokumente oder Bildergalerien zu betrachten. Gleichzeitig können Dokumente als PDF-Dateien einen vertiefenden Einblick geben.
Die Ausstellung soll Lust erzeugen, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Von daher wurde versucht, einen "Quellenmix" zu verarbeiten, um möglichst breitem Interessen entgegenkommen zu können.
Gliederung
Die Grundidee der Ausstellung ist es, die gesellschaftlichen Veränderungen auf einem Luftbild von Leipzig zu verorten. Dabei kann zwar kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, doch werden die gewählten Orte ihrerseits in ihrer historischen Komplexität erfasst. Diese Vorgehensweise bietet dem Benutzer den Vorteil, dass er selbst entscheiden kann, welchem Thema er sich widmen möchte.
Über eine "Einleitungsseite" gelangt man zur Ausstellung. Hier wird das Anliegen beschrieben und das Thema eingegrenzt. Um nun nicht den Eindruck eines singulären Ereignisses zu wecken, wurde die Fallstudie in einen globalen Maßstab eingebettet. Über eine Mittel- und Osteuropakarte "zoomt" der Nutzer sich nach Leipzig. Damit soll verdeutlicht werden, dass die gezeigten Ereignisse ohne die Entwicklungen in Ostmitteleuropa nicht denkbar wären und dass "Leipzig" ein Beispiel von vielen ist. Der englische Titel der Ausstellung ist auch aus diesem Grunde gewählt worden. Er bildet das Zitat eines Transparentes und soll den internationalen Charakter der Ereignisse illustrieren.
"Stadtrundgang" des Portals "Power to the people". (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
"Stadtrundgang" des Portals "Power to the people". (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Die Inhalte werden in Form eines Stadtrundganges gegliedert. An sechs Stationen sind verschiedene Momente der gesellschaftlichen Veränderungen beschrieben. Audiovisuelle Dokumente verdeutlichen und illustrieren die Rechercheergebnisse. Das sind zeithistorische Video- und Audioclips sowie reflektierende Zeitzeugenaussagen.
Stationen des "Rundgangs" sind der Augustusplatz, das Haus der Demokratie, das Kulturhaus "naTo", das Neue Rathaus, die "Runde Ecke" und der ehemalige VEB Geophysik.
Der Augustusplatz
Der Augustusplatz ist Leipzigs zentraler Platz in der Innenstadt. Als Karl-Marx-Platz diente er der SED als Aufmarschort für ihre Kundgebungen und Demonstrationen. Jede Stadt in der DDR hatte einen derartigen Ort. Dieser öffentliche Raum war im Herbst 1989 der erste Versammlungsort der Menschen. Hier fand die Meinungsbildung durch die Montagsdemonstrationen in Form von Kundgebungen statt. Im angrenzenden Gewandhaus begannen die "Dialog"-Gespräche zwischen Vertretern der SED und der Bevölkerung. Symbol dieser Auseinandersetzung war die Dialogsäule, die auf dem ehemaligen Karl-Marx-Platz stand und wo jedermann Enthüllungen, Forderungen und Statements plakatieren konnte. Dicht gedrängt wurde auf offener Straße diskutiert.
An diesem Ort zeigt sich auch die rasche Veränderung der Alltagskultur und des Umgangs miteinander. Hier tritt zutage, wie schwer es mitunter war, eine andere Meinung anzuerkennen. So sind in der kollektiven Erinnerung der Region die Demonstrationen, die nach den montäglichen Friedensgebeten stattfanden, als Akt der Befreiung geblieben. Diese Wirkung hatten die Montagsdemonstrationen allerdings nur für eine kurze Zeit. Nachdem die SED gestürzt worden war, ist dieser Ort vielfach vom Bestreben geprägt, politisch anders Denkende auszugrenzen oder zu diffamieren. Mit der Internetpräsentation soll deshalb auch dem Mythos, der um die "Montagsdemonstration" entstanden ist, begegnet werden. Dabei wurden alle Montagsdemonstrationen in ihren Intentionen analysiert und strukturiert. Es sind drei Phasen zu erkennen:
Phase 1: "Wir sind das Volk!"
Filmstill von der Demonstration am 30. Oktober 1989 auf dem Leipziger Augustusplatz. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Filmstill von der Demonstration am 30. Oktober 1989 auf dem Leipziger Augustusplatz. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Ausgangspunkt der Präsentation ist die Demonstration am 9. Oktober 1989. In dieser ersten Phase bis zum 30. Oktober 1989 geht es um demokratische Mitbestimmung und gegen den Alleinvertretungs-anspruch der SED. Deutlich wird hier, wie sich die SED bemühte, die Demonstrationen zu verhindern, und im Gegenzug die machtvollen Demonstrationen die SED zum Einlenken zwangen.
Phase 2: "Wir sind ein Volk!"
Filmstill von der Demonstration am 6. November 1989 auf dem Leipziger Augustusplatz. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Filmstill von der Demonstration am 6. November 1989 auf dem Leipziger Augustusplatz. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Die zweite Phase erstreckte sich vom 6. November 1989 bis zum 29. Januar 1990. Nun stand die nationale Frage auf der Tagesordnung. Die Organisatoren der Demonstrationen vom Neuen Forum wurden ausgepfiffen, weil sie danach strebten, zunächst die Machtfrage zu klären. In dieser Phase kam es zu vehementen Auseinandersetzungen nicht nur verbaler Art zwischen den Demonstranten. Das gesamte politische Spektrum, einschließlich der extremen Ränder, nutzte die Demonstrationen.
Phase 3: "Wir sind Deutsche!"
Filmstill von Demonstrationen im Februar/März 1990 auf dem Leipziger Augustusplatz. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Filmstill von Demonstrationen im Februar/März 1990 auf dem Leipziger Augustusplatz. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Die dritte Phase erstreckte sich vom 5. Februar bis zur letzten Montagsdemonstration am 12. März 1990. Jetzt wurde massiv Wahlkampf betrieben. Nachdem die Volkskammerwahl auf den 18. März vorgezogen worden war, nutzten die Parteien und Gruppierungen die Montags-demonstrationen zur Abrechnung mit dem politischen Gegner.
"Dialog"-Gespräche gab es an verschiedenen Orten der Stadt, oft in unmittelbarer Nähe zum damaligen Karl-Marx-Platz. Am bekanntesten wurden die Foren im Gewandhaus. Für die Foren im nahegelegenen "academixer"-Keller, der Spielstätte eines Kabaretts, und der Moritzbastei, einem Studentenklub, sind bisher unbekannte Gesprächsmitschnitte recherchiert worden. Sie sind verschriftet worden und können in der Ausstellung als PDF betrachtet werden. Diese Aufzeichnungen projizieren die Krise der SED-DDR auf die Alltagsebene. Sie vermitteln sehr viel Zeitgeist und machen die ungeheure Dynamik der Ereignisse sichtbar.
Das Haus der Demokratie
Die Forderung nach einem geeigneten Haus für die Opposition wurde vom Neuen Forum als Ultimatum formuliert: "Wenn ein solches nicht binnen kürzester Zeit zur Verfügung steht, gibt es keinen Runden Tisch und die politische Entwicklung dieser Stadt wird weiter der Straße überlassen". Nachdem die SED-Führung zu einem ersten Termin noch zu beschwichtigen versuchte und vorerst nur in den Sachdialog mit den oppositionellen Gruppen eintreten wollte, wurde schon beim zweiten Treffen die Forderung erfüllt. Einer der Sekretäre der SED-Bezirksleitung, Jochen Pommert, schlug das Haus der SED-Stadtleitung in der Bernhard-Göring-Straße als Sitz der neuen Bürgerbewegungen und Parteien vor. Am 2. Januar 1990 wurde das Haus übergeben. In dieser Zeit entstanden in vielen Städten der DDR derartige Häuser als Arbeitsräume für die Opposition. Dabei ist das Leipziger "Haus der Demokratie" das einzige, das sich nach wie vor am historischen Ort befindet. Gleichzeitig ist es eine Art Symbol, dass die alte Staatspartei den Platz für neue politische Kräfte räumen musste.
An dieser Station finden sich die meisten Inhalte. Das Haus steht für die politische Partizipation der Opposition. Neben der Darstellung der ständigen Auseinandersetzung mit dem Hauseigentümer SED/PDS werden exemplarisch sechs Mieter des Hauses vorgestellt. Sie gehören zu den ersten Organisationen im Haus – drei politische Gruppierungen (Neues Forum, Sozialdemokratische Partei/SDP, Demokratischer Aufbruch) und drei Vereine (Ökolöwe, Kanal X, Initiative Freie Pädagogik). Dabei ist das Neue Forum in Leipzig der Dreh- und Angelpunkt vieler Aktionen gewesen.
Bei den Recherchen für die Ausstellung wurde einmaliges Filmmaterial gefunden, darunter ein Videomitschnitt der ersten öffentlichen Veranstaltung des Neuen Forum in Leipzig bereits am 8. Oktober 1989 (!) und Material des Piratensenders "Kanal X".
Beim "Kanal X" versammelten sich Enthusiasten, die dem Meinungsmonopol der SED/PDS ein eigenes Medium entgegensetzten. Der Fundus des erhaltenen Videomaterials harrt jedoch noch seiner Aufarbeitung, sodass momentan nur sehr wenige Ausschnitte genutzt werden können. Sowohl am "Kanal X" als auch an der Freien Schule Connewitz (gegründet aus der Initiative Freie Pädagogik) wird deutlich, dass deren Wirken nur in diesem schmalen Zeitfenster im Jahr der "Anarchie" zwischen Oktober 1989 und Oktober 1990 möglich war. Mit den gesamtdeutschen Strukturen 1990/91 endete für "Kanal X" die juristische Grauzone und eine Legalisierung des Senders scheiterte. Die heute noch arbeitende Freie Schule Connewitz hätte in diesem Kontext ebenfalls keine Zulassung bekommen und nutzte das schmale Zeitfenster, um ihre Anerkennung zu erhalten.
Der Verein "Ökolöwe" gehörte zu den Initiatoren der größten Protestbewegung in der ersten Hälfte des Jahres 1990. Die Stadt Leipzig war von Braunkohlentagebauen "umzingelt". Jetzt nutzten Tagebaubetriebe ihrerseits das relative Machtvakuum und versuchten, mit einer raschen Abholzung des stadtnahen Biotops Lauer vollendete Tatsachen für den Abbau von Braunkohle dort durch eine Ausweitung des Tagebaus Cospuden zu schaffen. Es entstand eine breite Bürgerbewegung ("Stoppt Cospuden"), die das verhindern konnte. Der "Ökolöwe" ist auch heute noch ein überaus engagierter Verein in der Stadt. Damit kann gezeigt werden, dass es auch auf Vereinsebene Kontinuitäten gibt, die aus der Friedlichen Revolution gewachsen sind.
Die "naTo"
Das Kulturhaus "Nationale Front", im Volksmund kurz "naTo" genannt, steht für die aktive Subkultur, die es in Leipzig schon vor 1989 gab. Zum ersten Mal ist die Geschichte der subkulturellen Szene, insbesondere des Punk, in Leipzig von ihren Anfängen seit dem Beginn der 1980er-Jahre über ihre Aktionsformen – nämlich Musik als Mittel, um politische Inhalte zu transportieren – bis zu ihrem Ende in dieser Ausstellung historisierend dargestellt worden. Nach jahrelangem Agieren in Kirchenräumen, etwa im Mockauer Keller, konnte die "naTo" als öffentlicher Raum genutzt werden. Hier fanden viele der sogenannten "ReAktions-Konzerte" statt. Dabei stand neben der Musik die politische Diskussion des Tagesgeschehens im Vordergrund. Die selbstverwaltete Konzertreihe bot stets auch anderen Initiativen ein Podium, um an die Öffentlichkeit zu treten.
So auch der "Connewitzer Alternative", die sich um die Legalisierung der Hausbesetzungen im Stadtteil Connewitz bemühte. Mit diesem Kapitel wird ein Reizpunkt für die Gesellschaft angesprochen, den die Hausbesetzerszene grundsätzlich. Auch hier wurden erstmals analytische Perspektiven von aus der Not geborener Selbsthilfe – durch Schwarzwohnen – über die Etablierung einer "freien Szene" bis zu deren Radikalisierung aufgezeigt. Mit dem Abrissstopp der Häuser von Altconnewitz im Januar 1990 setzte eine schleichende Besetzung des leerstehenden Wohnraums durch Jugendliche ein. Im April 1990 gründete sich der Verein "Connewitzer Alternative". Um den Verein entwickelte sich eine aktionsbetonte Szenekultur, die die Unsicherheit der alten Strukturen als Möglichkeiten für Neues begriff. Schnell sprach man vom "Montmartre" von Leipzig.
Ebenfalls in diesem Szenetreff wird die erste unabhängige Zeitung von Leipzig verortet, obwohl deren Redaktion nicht hier ansässig gewesen ist. "Die Andere Zeitung" ("DAZ"), im Januar 1990 von Mitgliedern des Neuen Forum gegründet, stellte sich dem Meinungsmonopol der SED und der (ehemaligen) Blockparteien entgegen. Sie erschien wöchentlich und bot auch der subkulturellen Szene, insbesondere der "naTo" und "ReAktion", ein Forum. Die journalistisch anspruchsvolle Zeitung scheiterte 1991 an den marktwirtschaftlichen Strukturen. Der Idealismus des Neuanfangs war dann nicht mehr zu halten. Für die Ausstellung ist es gelungen, einen großen Teil der "DAZ"-Ausgaben erstmals digital zu veröffentlichen. Diese PDF-Dateien bilden eine hervorragende Recherchemöglichkeit für das damalige Zeitkolorit.
Neues Rathaus
Hier werden die kommunalpolitischen Veränderungen beschrieben. Leipzig war die einzige Stadt in der DDR, wo der Runde Tisch für einige Wochen das legislative und zum Teil auch das exekutive Organ der Kommune bildete. Die alte Stadtverordnetenversammlung löste sich in einer spektakulären Sitzung im Januar 1990 selbst auf, weil ihre Legitimation durch den Wahlbetrug im Mai 1989 angezweifelt wurde. Infolge dessen bekam der Runde Tisch der Stadt Leipzig eine wichtige Funktion, den Übergang zu einer demokratisch legitimierten Versammlung zu organisieren.
Durch intensive Quellenrecherchen konnte dieser Prozess nachgezeichnet werden. Entgegen der bisherigen multimedialen Präsentation entstand hierzu ein grafisch strukturierter Kurzaufsatz. Außerdem wurden die bisher unveröffentlichten Beschlüsse des Runden Tisches zusammengetragen. Mit der Kommunalwahl am 6. Mai 1990 fand dieser Prozess seinen Abschluss. Für die Folgezeit wird der schwierige Anfang der "Berufslaien" nachgezeichnet. Dabei wird deutlich, dass der Enthusiasmus manches Defizit an politisch-parlamentarischer Erfahrung ausgleichen konnte.
Die "Runde Ecke"
Die "Runde Ecke" bezeichnet den Hauptsitz der ehemaligen Bezirksverwaltung der Staatssicherheit am Leipziger Innenstadtring. Es geht an dieser Station vor allem um die Besetzung der Bezirkszentrale in Leipzig am 4. Dezember 1989. Dabei rücken die Besetzung der Stasi-Zentrale und der schwierige Umgang mit der Stasi-Hinterlassenschaft ins Blickfeld. Das Thema und das Material sind so umfangreich, dass die Darstellung auf den Besetzungsakt und auf die Mahnwachen im September 1990 zum Verbleib der Stasi-Akten vor Ort begrenzt wurde.
Die Wochen vor dem 3. Oktober 1990 waren unter anderem von dem Bemühen geprägt, die Unterlagen der Stasi zugänglich zu halten. Es bestand die Sorge, dass der gesamte Bestand in das Bundesarchiv überführt und damit unter das bundesdeutsche Archivgesetz fallen würde. Als Ergebnis der Auseinandersetzungen entstand das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz/StUG).
Auf die Staatssicherheit selbst ist an dieser Station nicht näher eingegangen worden, obwohl es sich angeboten hätte. Der Erzählstrang sollte jedoch stringent bei den Akteuren der Bürger-Bewegung verbleiben.
VEB Geophysik
Wenn man die Transformation zur Deutschen Einheit darstellt, können die wirtschaftliche Erosion und der ökonomische Wandel nicht ausgespart bleiben. Gerade die damit verbundenen sozialen Verwerfungen werden in der Gegenwart mitunter stärker wahrgenommen als der Gewinn von Freiheit.
Dieser überaus komplizierte Prozess, der zudem von der Basis nur bedingt mitgestaltet werden konnte, bedarf einer anderen Plattform. Daher ist das Thema bzw. der Link dazu grafisch anders dargestellt als die anderen Orte des Geschehens, um die Sonderrolle dieser Station zu verdeutlichen. Konsequent hat sich die Ausstellung hier an den Forderungen der Friedlichen Revolution nach Demokratisierung der Gesellschaft orientiert und diese am Beispiel von Betrieben thematisiert.
Die SED sollte damals aus den Betrieben verschwinden. Davon erhoffte man sich neben der notwendigen Brechung der Parteiherrschaft an der Basis kurzfristig eine Steigerung der wirtschaftlichen Effektivität. In diesem Prozess spielte das Bürgerkomitee eine wichtige Rolle, das die Gründung von Betriebsräten vorantrieb und dabei eine überregionale Ausstrahlung genoss.
Nach diesen prinzipiellen Ausführungen werden diese am Beispiel des VEB Geophysik Leipzig konkretisiert. Der Betriebsrat im VEB Geophysik ist der zweite gewesen, der sich in Leipzig gebildet hat. Seine Bedeutung erwuchs aus der starken Außenwirkung, die er hatte. Der Betriebsrat half vielen anderen Betrieben bei der Gründung eigener Betriebsräte.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Präsentation beinhaltet 936 Dateien. In der Ausstellung befinden sich also über 900 "Objekte". Auch wenn der Vergleich hinkt, entspricht das in etwa den Wechselausstellungen großer Institutionen wie dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dies verdeutlicht, wie viel Material in die Darstellung eingeflossen ist.
Mit der Ausstellung hat das Archiv Bürgerbewegung Leipzig ein "niedrigschwelliges" Angebot schaffen wollen, das es Laien ermöglicht, einen einfachen Zugang zur DDR-Geschichte zu bekommen. Die Texte sind kurz, die Filme und Audiomitschnitte meist nur ein bis zwei Minuten lang. Die Darstellung von Kontrasten soll zusätzlich emotionalisierend wirken. Der Nutzer kann "stöbern" und entdecken. Die reflektierenden Zeitzeugenaussagen machen hinter den verschiedenen Ereignissen und Entwicklungen konkrete Akteure sichtbar und brechen das Thema auf eine persönliche Ebene. Sie können zu der Frage herausfordern: "Wie hätte ich gehandelt, wie wäre es mir ergangen?"
Das Internet ist zum meistgenutzten "Nachschlagewerk" geworden. Aber es wird von der Generation, die damit aufwächst, auch zur Unterhaltung genutzt. Dieses Medienverhalten ist in der Ausstellung respektiert und berücksichtigt worden, um politische Bildungsinhalte zu vermitteln. Ein Problem stellt dabei die Fülle von Inhalten im Internet dar, die es erschweren, dieses Angebot zu finden. Sinnvoll erscheint es deshalb in einem weiteren Schritt, didaktisches Material zu erstellen, sodass – wie bei Mitmachangeboten in Museen – über das Internet Aufgaben gelöst werden können.
Die friedliche Revolution in der DDR steht mit den Entwicklungen in den Ländern Ost- und Mitteleuropas in Zusammenhang. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Die friedliche Revolution in der DDR steht mit den Entwicklungen in den Ländern Ost- und Mitteleuropas in Zusammenhang. (© Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.)
Nachdem die Fallstudie "Leipzig" in den globalen Zusammenhang von Mittel- und Osteuropa verortet worden ist, erscheint es fast zwangsläufig, die europäische Dimension der Friedlichen Revolution und der Vereinigung Deutschlands darzustellen und damit die Bedeutung der Demokratiebewegungen in den ehemaligen Ostblockstaaten sowohl international als auch im Besonderen für die deutsche Geschichte zu thematisieren. Der englische Ausstellungstitel soll diese Möglichkeit vermitteln.
In einem laufenden Projekt wird diese Erweiterung der Sichtweise vorgenommen. Dieser Transfer hat von Land zu Land natürlich unterschiedliche Kontinuitäten, sodass es mitunter auch darum geht, weitestgehend unbekannte diktatorische Regimes zu beleuchten, wie beispielsweise Albanien.
So wie man sich bisher nach "Leipzig" gezoomt hat, wird diese Annäherung künftig an die einzelnen vormals sozialistischen Staaten möglich. Dabei geht es nicht darum, die Nationalgeschichte der einzelnen Länder nachzuzeichnen, sondern der Schwerpunkt liegt auf der Wahrnehmung und Wirkung aus DDR-Sicht.