Der Bau der Mauer ...
Der Bau der Berliner Mauer lässt sich in den verschiedensten Kontexten betrachten. Besonders viel Wirbel hat der Versuch der Ko-Vorsitzenden der Linkspartei Gesine Lötzsch verursacht, den Mauerbau in den Gesamtzusammenhang der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts einzuordnen. Im Jahr 2011, so Lötzsch gegenüber der "Saarbrücker Zeitung" am 10. August, gebe es zwei Jahrestage, "die eng miteinander verbunden sind" – der 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion und der 50. Jahrestag des Mauerbaus. Und sie fuhr fort: "Die Teilung Deutschlands war ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs."
Unbestritten ist freilich, dass der Mauerbau in dem dreifachen Kontext des Kalten Krieges und der daraus resultierenden Geschichte des geteilten Deutschland und des geteilten Berlin zu verorten ist. In den folgenden Ausführungen wird nach dem Ort des Mauerbaus nur in den ersten beiden Zusammenhängen gefragt und der engere Berliner Kontext nicht weiter thematisiert. Die Mauer, so heißt es vor allem im Jubiläumsjahr, war das wichtigste Symbol des Kalten Krieges – doch welche Rolle spielte deren Errichtung für den Gesamtverlauf dieser säkularen Auseinandersetzung der beiden Supermächte USA und Sowjetunion? Handelte es sich um einen Wendepunkt oder eine Zäsur innerhalb dieses Kontexts? Und wenn ja, von welcher Qualität war diese Zäsur? Auch für die deutsch-deutsche Geschichte hatte der Mauerbau eine elementare Bedeutung. Doch was hieß das für das deutsch-deutsche Verhältnis, was für den Gang der westdeutschen und was für den Gang der ostdeutschen Geschichte?
I. Der Ort des Mauerbaus im Kalten Krieg
Der Mauerbau bildete den Höhepunkt, aber nicht den Abschluss der im November 1958 mit dem bekannten Ultimatum Nikita Chruschtschows an die Westalliierten ausgelösten Zweiten Berlinkrise. Binnen sechs Monaten, so Chruschtschow, sollten diese ihre Truppen aus Berlin abziehen und die Umwandlung West-Berlins in eine Freie Stadt zulassen; wenn dies nicht geschehe, werde die Sowjetunion ihre Hoheitsrechte in Berlin und an den Zugängen zu Berlin der DDR-Regierung übertragen und einen separaten Friedensvertrag mit der DDR unterzeichnen.
Das galt bereits für die Nahostkrise des Jahres 1958, die mit einem Putsch gegen den irakischen König Faisal begann und mit einer Intervention Großbritanniens und der USA im Libanon sowie einer Interventionsdrohung Moskaus ihre Fortsetzung fand. Die Beschießung der zu Taiwan gehörenden Inseln Quemoy und Matsu durch die Volksrepublik China im August 1958 löste Befürchtungen aus, dass der kriegerische Konflikt zwischen Rot- und Nationalchina erneut aufflammen könnte, sodass der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower Peking mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte. Auch die Kongokrise der Jahre 1960/61 infolge des belgischen Rückzugs aus dem riesigen, rohstoffreichen mittelafrikanischen Land war nicht nur ein regionales Ereignis. Indem die Sowjetunion den ersten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba und die USA dessen Widersacher Oberst Joseph Mobutu unterstützten, erhielten auch diese innerstaatlichen Vorgänge Relevanz für die weltpolitische Auseinandersetzung zwischen Washington und Moskau. Gleichwohl ragen aus diesen und anderen Krisen jener Jahre zwei deutlich heraus: die Zweite Berlinkrise und die Kubakrise von 1962.
Berlinkrise und Kubakrise
Denn in beiden Krisen waren als Akteure die beiden Supermächte direkt involviert, und es ging um einen möglichen Einsatz von Nuklearwaffen – kurzum: In beiden Fällen drohte, aus dem Kalten ein heißer Krieg zu werden. Lässt sich daher von einer Doppelkrise sprechen? Bestand ein innerer Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Berlin und Kuba? Beiden Krisen gemeinsam war ihre Auslösung durch den Ersten Sekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow, aus zwar verwandten, insgesamt aber unterschiedlichen Motiven. Diese lassen sich, soweit das angesichts der bisherigen Forschungen möglich ist, wie folgt zusammenfassen.
In Berlin ging es Chruschtschow vor allem darum, mittels eines geänderten Status von West-Berlin die DDR zu stabilisieren, die aufgrund der massenhaften Abwanderung von gut ausgebildeten, leistungsfähigen Menschen in die Bundesrepublik einem ständigen Aderlass und einem erheblichen Legitimationsdefizit ausgesetzt war. Hinzu kamen Sorgen angesichts der damals diskutierten Frage, ob die Bundesregierung im Rahmen des westlichen Bündnisses auch über Kernwaffen verfügen sollte. Bei all dem sah Chruschtschow in seinen Berlin-Forderungen einen Hebel, mit dem die Westmächte an den Verhandlungstisch zurückgebracht werden sollten, wo er der Lösung der deutschen Frage von einer Position der Stärke aus näher kommen wollte. Und schließlich wollte er insbesondere seinen Kritikern demonstrieren, dass sein Kurs "friedlicher Koexistenz" nicht mit Schwäche zu verwechseln war. Das galt besonders für die chinesische Führung, die er noch im September von einer Besetzung von Quemoy und Matsu abgehalten hatte: Das Berlin-Ultimatum sollte also auch der Festigung des sowjetisch-chinesischen Zusammenhalts dienen.
In der Karibik ging es Chruschtschow zuallererst um die Sicherheit Kubas, dessen "Revolution" durch die USA bedroht war. Nuklearraketen sollten Washington von Militäraktionen wie der vom April 1961 abhalten und notfalls zur Verteidigung eingesetzt werden. Hätte Chruschtschow mit seinem Coup auf Kuba Erfolg gehabt, wäre, zweitens, die sowjetische weltpolitische Position deutlich verbessert worden: Sowjetische Mittelstreckenraketen, die amerikanische Städte bedrohten, konnten die sowjetische Unterlegenheit bei den Interkontinentalwaffen ansatzweise ausgleichen. Insgesamt hoffte Chruschtschow auf eine Verschiebung auch der politischen und psychologischen Balance zu seinen Gunsten. Drittens wäre ein solcher Erfolg mit Blick auf China von doppelter Bedeutung gewesen: Denn zum einen konnte Chruschtschow auch damit demonstrieren, dass er gegenüber den USA zu einer Politik der Stärke bereit war und zum anderen die Kubaner von einer drohenden Anlehnung an China abbringen. Und viertens implizierte die stärkere Nuklearisierung der sowjetischen Rüstung die Möglichkeit zur Abrüstung konventioneller Waffen und zur Truppenreduzierung, sodass Mittel für Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft in der Sowjetunion frei würden.
Insgesamt standen die beiden sowjetischen Vorstöße nicht in einem inneren Zusammenhang. Sie waren demzufolge nicht Teil einer durchdachten Strategie oder eines "grand design", was bei einem so sprunghaften Charakter wie Chruschtschow auch erstaunlich gewesen wäre. US-Präsident John F. Kennedy sah das anders: Er vermutete, Chruschtschow stationiere Nuklearraketen auf Kuba, um dadurch die Amerikaner in Berlin zum Nachgeben zu bewegen.
Gleichwohl handelte es sich nicht um eine Doppelkrise, sondern um zwei separate Krisen mit unterschiedlichen Ausgangs- und Endphasen. Eine separate Behandlung und ein Vergleich der Krisen ist also nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar geboten, wenn es um die Bewertung des Mauerbaus in seiner Bedeutung für den Kalten Krieg geht.
Im Mittelpunkt dieser vergleichenden Überlegungen steht die nukleare Dimension, die beide Krisen zweifellos besaßen, die aber von unterschiedlicher Bedeutung war. Zu Beginn der 1960er-Jahre bestand ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen der Sowjetunion und den USA bei den einsatzfähigen Nuklearwaffen, also bei Atombomben oder -sprengköpfen, die mittels Raketen ins Ziel gebracht werden konnten. Wenn aus der Berlinkrise ein Krieg um Berlin geworden wäre, hätte folglich die Gefahr bestanden, dass die USA angesichts ihrer konventionellen Unterlegenheit in Mitteleuropa Nuklearwaffen eingesetzt hätten. Chruschtschow hatte zur Unterstützung seines ersten Berlin-Ultimatums vom November 1958 lediglich eine mit atomaren Mittelstreckenraketen bewaffnete Brigade in die DDR entsandt; über Interkontinentalraketen verfügte er jedoch nicht. Bis Anfang 1962 hatte sich diese Situation nur leicht verändert: Nun waren fünf Startanlagen für die sowjetischen Interkontinentalraketen vom Typ R-7 fertig; hinzu kam ein Dutzend Fernbomber.
Wenngleich also die Berlinkrise eine nukleare Dimension besaß, stand diese nicht im Mittelpunkt des Geschehens – es ging vielmehr um die Präsenz der drei Westmächte in der geteilten Stadt. Ganz anders die Kubakrise, bei der die Atomraketenstationierung zu einem Mittel der sowjetischen Politik wurde:
Die Luftaufnahme des US-Verteidungsministeriums zeigt das Entladen sowjetischer Raketen im Hafen von Mariel auf Kuba, 5. November 1962. (© AP)
Die Luftaufnahme des US-Verteidungsministeriums zeigt das Entladen sowjetischer Raketen im Hafen von Mariel auf Kuba, 5. November 1962. (© AP)
Hier ging es zum einen um die Atomraketen, die am 14. Oktober 1962 von einem U-2-Beobachtungsflugzeug auf Kuba entdeckt worden waren, und zum anderen um die Waffen, die auf sowjetischen Schiffen noch dorthin verbracht werden sollten. Da mit diesen Raketen Städte in den USA direkt bedroht werden konnten, hätten sich dadurch für die Sowjetunion ganz andere Erpressungs-möglichkeiten als im Hinblick auf Berlin ergeben. Hinzu kam, dass die Berlinkrise sich in einem vergleichsweise langen Zeitraum abspielte, in dem sich Spannungs- und Entspannungsphasen abwechselten, während sich die US-Führung durch die sowjetischen Atomraketen vor der eigenen Haustür zu einem raschen Handeln genötigt sah. Dies und die Unberechenbarkeit der sowjetischen Reaktion erhöhten die Gefahr eines Kriegsausbruchs erheblich. Kurzum: Die Kubakrise war weitaus gefährlicher als die Berlin-Krise. Gerade deshalb ließ es Chruschtschow nicht zum Äußersten kommen: Am 24. Oktober hielten die sowjetischen Schiffe, die weitere Raketen an Bord hatten, kurz vor der Quarantäne-Linie an und respektierten damit die Blockade, die Kennedy über Kuba verhängt hatte.
Mauerbau und Raketenabzug
Welche Bedeutung hatte vor diesem Hintergrund nun der Bau der Berliner Mauer und die Beendigung der Kubakrise? Der Mauerbau war, wie bereits erwähnt, nicht das Ende der Berlinkrise. Er bedeutete aber ein Eingeständnis der sowjetischen Seite, ihre im Berlin-Ultimatum formulierten Ziele nicht erreicht zu haben, obwohl Chruschtschow gegenüber Ho Chi Minh das Ganze als Voraussetzung für einen großen Sieg des ganzen sozialistischen Lagers bezeichnete. In der Tat hoffte Chruschtschow weiterhin, seine Ziele mittels Drohungen und Verhandlungen erreichen zu können. Gleichwohl führte der Mauerbau zu einer Beruhigung der Lage in Berlin, da der Westen mit dieser Situation gut leben konnte. Kennedys Bewertung lautete bekanntermaßen: "It's not a very nice solution, but a wall is a hell of a lot better than a war."
Der US-Zerstörer "Barry" und ein US-Patrouillenflugzeug versuchen den sowjetischen Frachter "Anosov" im Atlantischen Ozean an seiner Fahrt nach Kuba zu hindern. Auf dem Frachter vermuten die US-Amerikaner Mittelstreckenraketen für den Karibikstaat. 10. November 1962. (© AP)
Der US-Zerstörer "Barry" und ein US-Patrouillenflugzeug versuchen den sowjetischen Frachter "Anosov" im Atlantischen Ozean an seiner Fahrt nach Kuba zu hindern. Auf dem Frachter vermuten die US-Amerikaner Mittelstreckenraketen für den Karibikstaat. 10. November 1962. (© AP)
Am Ende der Kubakrise stand eine amerikanisch-sowjetische Übereinkunft, derzufolge die sowjetischen Atomraketen aus Kuba abgezogen wurden und die USA sich gleichzeitig verpflichteten, Kuba nicht anzugreifen. Hinzu kam die geheime Zusage Washingtons, die in der Türkei stationierten Mittelstreckenraketen abzuziehen. Angesichts der Ausgangssituation auf beiden Seiten waren das bemerkenswerte Zugeständnisse: Kennedy verzichtete auf einen Umsturz der Verhältnisse auf der Karibikinsel vor der amerikanischen Küste und stimmte ebenfalls zu, einem an die Sowjetunion grenzenden NATO-Partner den Schutz durch US-Raketen zu entziehen. Chruschtschows Konzessionen waren noch größer. Er verzichtete nicht nur auf seine weitreichenden Stationierungspläne in Kuba, sondern nahm das Odium einer öffentlichen Niederlage in Kauf: Nicht Prestigegewinn, sondern ein erheblicher Prestigeverlust stand für ihn am Ende der Kubakrise. Die einzige Erklärung für diese Abkehr von einer risikofreudigen, ja leichtsinnigen Politik hart am Rande eines Nuklearkriegs ist, dass beide Staatsmänner in den Abgrund eines solchen Krieges geschaut hatten. Die Kubakrise, so John Lewis Gaddis, "brachte allen Beteiligten – möglicherweise mit Ausnahme [Fidel] Castros [...] – zu Bewusstsein, dass die während des Kalten Krieges beiderseits des Eisernen Vorhangs entwickelten Waffen eine größere Gefahr für beide Seiten darstellten als die USA und die Sowjetunion füreinander."
Damit ist bereits die langfristige Bedeutung des Mauerbaus und der Kubakrise angesprochen. Was den Mauerbau betrifft, so ist die These vertreten worden, dass mit diesem Ereignis die Konflikte zwischen Ost und West in die Dritte Welt verlagert worden seien.
Das wiederum hing mit den langfristigen Folgen der Kubakrise eng zusammen. Bereits am 30. Oktober 1962 schlug Chruschtschow Kennedy ein Teststoppabkommen sowie einen Nichtangriffspakt zwischen NATO und Warschauer Pakt vor. In den folgenden Monaten kam er in seinen Briefen an den Präsidenten immer wieder auf diese Gedanken zurück, stieß damit jedoch zunächst auf Missachtung: Wie sollte Kennedy auch jemandem trauen, der vor der amerikanischen Entdeckung der Raketenabschussrampen auf Kuba deren Existenz geleugnet hatte?
All dies bedeutete freilich nicht das Ende des Kalten Krieges. Das atomare Wettrüsten wurde fortgesetzt: Die Sowjetunion zog aus ihrer nuklearen Unterlegenheit die Konsequenz, nun massiv aufzurüsten, gerade bei den Interkontinentalraketen, bis sie gegen Ende der 1960er-Jahre mit den USA ungefähr gleichgezogen hatte. Die Stellvertreterkriege in der Dritten Welt gingen ebenfalls weiter, denn keine Seite gab diese Auseinandersetzung auf, die zu Recht von George Bush sen. als "ein Kampf um die Seele der Menschheit" bezeichnet worden ist.
II. Der Ort des Mauerbaus
in der deutsch-deutschen Geschichte
Ein genauerer Blick auf die spannungsgeladenen Krisenjahre der Weltpolitik zwischen 1958 und 1963 zeigt also, dass der Mauerbau als sekundäre Zäsur im Kalten Krieg angesehen werden muss. Wie verhält es sich nun mit dessen Bedeutung für die deutsch-deutsche Geschichte? Es handelte sich zunächst um ein Ereignis von starker Symbolkraft, vermittelt durch eindrückliche Bilder. Eine Mauer mitten durch die ehemalige deutsche Hauptstadt, die unmittelbar westlich des Brandenburger Tores den Zugang zu "den Linden" versperrte, die den bis dahin freien Verkehr der Menschen innerhalb Berlins von heute auf morgen unterbrach – das vermittelte das Gefühl endgültiger Trennung, und das nicht nur im Hinblick auf Berlin, sondern im Hinblick auf ganz Deutschland. Gleichwohl bedarf es auch hier einer differenzierteren Sichtweise, zu der man nur gelangt, wenn präziser gefragt wird. Ich unterscheide zwischen den Auswirkungen auf das deutsch-deutsche Verhältnis, auf die Bundesrepublik und auf die DDR.
Das deutsch-deutsche Verhältnis
Zwei Frauen aus Ost und West im Gespräch an der Mauer, 18. August 1961. (© Bundesarchiv, B 145 Bild-P060484)
Zwei Frauen aus Ost und West im Gespräch an der Mauer, 18. August 1961. (© Bundesarchiv, B 145 Bild-P060484)
Das deutsch-deutsche Verhältnis hatte zahlreiche Facetten, von denen einige hier kurz beleuchtet werden sollen. Auf gesellschaftlicher Ebene sind hier an erster Stelle die Bewegungen der Menschen zwischen beiden deutschen Staaten zu nennen. Deren wichtigste, die Fluchtbewegung aus der DDR, wurde bekanntlich mit dem Mauerbau schlagartig beendet. Damit wurde letztlich eine der wichtigsten gesamtdeutschen Klammern zerstört, die nicht nur nach außen die Zusammengehörigkeit der Deutschen verdeutlicht hatte. Überdies – so Peter Graf Kielmansegg – "knüpfte jeder, der die Grenze überschritt, einen Faden zwischen den beiden Teilen Deutschlands neu. Denn er brachte ja seine Vergangenheit mit in den Westen, die Erinnerung an seine Heimat, und ließ zugleich Verwandte und Freunde zurück, so dass das Netz der Familienbeziehungen, das die innerdeutsche Grenze überspannte, sich unaufhörlich erneuerte."
Auch eine weitere dieser "Klammern" war durch den Mauerbau in ihrer gesamtdeutschen Existenz gefährdet: die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Nach dem Mauerbau behinderte die DDR gezielt die innerdeutschen Kirchenkontakte: Bischof Kurt Scharf von Berlin-Brandenburg erhielt keine Einreiseerlaubnis in den Ostteil seiner Landeskirche, EKD-Ratsmitglieder und Synodale durften nicht mehr frei zwischen Ost und West verkehren, kirchliche Kontakte wurden auf allen Ebenen behindert. Unmittelbar nach 1961 hielt die EKD zwar noch trotzig an ihrer Einheit fest; jedoch urteilte bereits im Dezember 1961 ein leitender Mitarbeiter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD), "dass die lebendige Verbindung mit den Kirchen in der DDR z. Zt. auf ein dünnes Rinnsal reduziert worden ist".
Unter dem Eindruck der massiven Beeinträchtigung der deutsch-deutschen Verbindungen veränderte sich langfristig auch die Einstellung der Deutschen zur deutschen Einheit. Valide Aussagen lassen sich zwar nur für die Bundesrepublik treffen, es ist jedoch zu vermuten, dass ein ähnlicher Trend auch im Hinblick auf die Mentalitäten in der DDR ausgemacht werden kann. Infolge des Mauerbaus stieg in den Umfragen kurzfristig der Stellenwert der Überwindung der deutschen Teilung, nach Beendigung der Mauerkrise wurden die Menschen indes pessimistischer hinsichtlich der Realisierbarkeit der Wiedervereinigung.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten wurden nur kurzzeitig während der Berlin-Krise durch die zeitweilige Kündigung des Berliner Abkommens durch die Bundesregierung beeinträchtigt. Sie normalisierten sich danach jedoch wieder, weil sich letztlich an den primär politischen Motiven Bonns, über den Handel auch die Verbindungen zu den Ostdeutschen zu wahren, ebenso wenig geändert hatte wie an dem ökonomischen Interesse der DDR, die für manche Produkte regelrecht auf die Bundesrepublik angewiesen war.
Der innerdeutsche Austausch im Sport wurde ebenfalls durch den Mauerbau erheblich beeinträchtigt. Der DDR-Sport hatte sich schon seit 1957 zunehmend aus dem innerdeutschen Sportverkehr zurückgezogen, und 1960 versuchte Ost-Berlin mit der Verordnung über das Tragen des DDR-Emblems bei gesamtdeutschen Sportveranstaltungen Bonn zu dessen Abbruch zu provozieren. Nachdem im Oktober 1960 der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) Willi Daume dem (ost-)Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) mitgeteilt hatte, dass Sportler mit DDR-Emblem in der Bundesrepublik keine Starterlaubnis mehr erhalten würden, ruderte letzterer jedoch zurück, sodass wieder mehr innerdeutsche Sportbegegnungen stattfinden konnten. Drei Tage nach dem Mauerbau verabschiedeten jedoch der DSB und das westdeutsche Nationale Olympische Komitee die Düsseldorfer Beschlüsse, die den sofortigen Abbruch der Sportbeziehungen festlegten. Erst nach deren Aufhebung 1965 kamen diese langsam wieder in Gang. Wenngleich der Mauerbau hier eine eindeutige Zäsur darstellte, galt dies nicht für die Olympiamannschaft. Diese trat noch 1964 gemeinsam an; erst bei den Spielen von 1968 konkurrierten zwei deutsche Mannschaften miteinander.
Bundesrepublik
Welche Rückwirkungen hatte der Mauerbau, zweitens, auf die Bundesrepublik? Für deren Geschichte waren die Ereignisse des Jahres 1961 sehr viel weniger einschneidend als für die der DDR. Eine Zäsur bilden sie allenfalls für die Außen- und Deutschlandpolitik. Insgesamt stellte 1961 jedoch keinen Einschnitt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte dar. Hier gibt es die unterschiedlichsten Angebote: Das Ende der Nachkriegszeit, der Ära Adenauer, wird entweder "irgendwo in den 60er Jahren verortet"
In der Bundesrepublik kam unter dem Eindruck des Mauerbaus und der weltpolitischen Entspannung freilich eine heftige deutschlandpolitische Debatte in Gang, in deren Verlauf der deutschlandpolitische Konsens aller Parteien zerbrach. Über das Ziel der Wiedervereinigung bestand dabei Einigkeit, nicht aber über den Weg, der eingeschlagen werden müsste, um dieses Ziel zu erreichen. Neue deutschlandpolitische Ansätze wurden vor allem vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, und seinem Beraterstab, vor allem seinem Pressechef Egon Bahr, diskutiert. Freilich veranlasste nicht erst der Mauerbau Brandt, nach neuen Wegen in der Deutschlandpolitik zu suchen. Wie Wolfgang Schmidt gezeigt hat, entwickelte er bereits in den 1950er-Jahren eine Strategie, in deren Rahmen, erstens, eine Normalisierung des Verhältnisses zur Sowjetunion, zweitens, menschliche Erleichterungen im innerdeutschen Verhältnis bei Nicht-Anerkennung der DDR und, drittens, eine Normalisierung der Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten angestrebt werden sollten. Die gängige ältere Auffassung, derzufolge erst infolge des Mauerbaus führende Berliner Sozialdemokraten ein neues deutschlandpolitisches Konzept ausarbeiteten, ist daher zu relativieren.
Dabei war dies zunächst nur eine von mehreren Stimmen der deutschlandpolitischen Debatte in der Bundesrepublik, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Der Weg vom Mauerbau zur Neuen Ostpolitik war also alles andere als geradlinig. Erwähnt sei jedoch, dass im Verlauf der 1960er-Jahre, sicher auch infolge des Mauerbaus, die politischen Kontakte zwischen Bundesrepublik und DDR, die in den 1950er-Jahren noch vehement abgelehnt worden waren, zunahmen: Dies zeigen etwa die Passierscheinverhandlungen in Berlin, die Verhandlungen über einen Redneraustausch zwischen SPD und SED sowie Kontakte zwischen FDP- und LDPD-Mitgliedern zwischen 1963 und 1966. Doch je mehr die westdeutsche Seite bereit war, auf die DDR zuzugehen, um menschliche Erleichterungen zu erreichen, desto stärker wurden deren Abgrenzungsversuche: Ost-Berlin wollte die mit dem Mauerbau erzielte Abschottung nicht in Frage stellen.
DDR
Wie wirkte sich, drittens, der Bau der Berliner Mauer auf die DDR aus? Der 13. August 1961 ist zu Recht von Dietrich Staritz als "heimliche[r] Gründungstag der DDR" bezeichnet worden.
Die ostdeutsche Planwirtschaft hatte überdies nach der Abriegelung der Grenze in Berlin einen Unsicherheitsfaktor weniger: Die zuvor so oft beklagte massenhafte Abwanderung von Arbeitskräften war gestoppt und das Grenzgängerproblem in Berlin beseitigt worden. Es gab mithin auf diesem Teilgebiet der Wirtschaftslenkung Planungssicherheit. Überdies musste die DDR-Führung nun nicht mehr befürchten, dass Ostdeutsche nicht für die eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse, sondern für den westdeutschen Arbeitsmarkt ausgebildet wurden. Das waren nicht unwesentliche Folgen für die DDR-Wirtschaft. Der Versuch, ab 1962/63 das Wirtschaftssystem zu reformieren, indem man die Planung einschränkte und auf selektive Leistungsanreize in den Betrieben sowie bei den Individuen setzte, das sogenannte "Neue Ökonomische System der Planung und Leitung", war hingegen nur sehr indirekt auf den Mauerbau zurückzuführen: Es war vor allem der Versuch, die systemimmanenten Probleme der Planwirtschaft zu bewältigen, und ging erst in zweiter Linie darauf zurück, dass die Sowjetunion sich weigerte, die DDR-Wirtschaft in dem von Ost-Berlin erhofften Ausmaß zu subventionieren. Für diese sowjetische Entscheidung waren vor allem die eigenen wirtschaftlichen Probleme ausschlaggebend; eine gewisse Rolle wird dabei aber auch gespielt haben, dass die DDR nicht mehr, wie noch vor dem Mauerbau, vom Zusammenbruch bedroht schien.
Doch wie entwickelte sich nach dem Mauerbau das Verhältnis des DDR-Regimes zu "seinen" Bürgern? Günter Kunert, der am Abend des 13. August 1961 von einem linientreuen Schriftsteller zu einer Versammlung von Standesgenossen abgeholt wurde, hat die beiden unterschiedlichen Erwartungen in diesem Zusammenhang wie folgt beschrieben: "Mein bisheriger Reisebegleiter [also der Schriftstellerkollege] hatte mir bereits im Auto glückstrahlend erklärt, jetzt endlich, da der Klassenfeind nicht mehr eindringen und wühlen könne, würden wir uns eine größere Offenheit leisten dürfen. [...] Ich hatte vordem nie geahnt, mit was für Narren ich es einmal zu tun haben könnte. Mir war doch von den ersten Minuten an klar gewesen, dass gerade jetzt, da wir alle in der Falle saßen, der Dompteur die Dressurakte ausweiten und steigern würde, ohne noch Rücksicht nehmen zu müssen. Der Käfig als Instrument der Disziplinierung."
Fazit
Die Bedeutung des Mauerbaus sowohl für den Kalten Krieg als auch für die deutsch-deutsche Geschichte ist zu relativieren, freilich mehr im ersteren als im letzteren Zusammenhang. So sorgte der Mauerbau 1961 zwar für eine Beruhigung der Lage in Berlin; er markiert allerdings lediglich eine Zwischenetappe auf dem Weg zum Ende der Krisenjahre des internationalen Systems zwischen 1958 und 1963. Die ursprünglich von Chruschtschow wohl nur als provisorische Lösung gedachte Abriegelung West-Berlins erwies sich freilich infolge der Kubakrise als dauerhaft: Der Krisenherd Berlin war dadurch erst einmal entschärft und störte nicht mehr die auf Entspannung ausgerichtete Politik der Supermächte in Europa.
Im deutsch-deutschen Zusammenhang kommt dem Mauerbau hingegen ein sehr viel größeres Gewicht zu: Er zerstörte letzte gesamtdeutsche Klammern sowie Illusionen hinsichtlich einer raschen Wiedervereinigung und stabilisierte die DDR. Freilich sollte man seine Wirkungen auch hier nicht überschätzen: In der Entwicklung der Bundesrepublik spielte der Mauerbau keine große Rolle, er war lediglich für die Neuausrichtung der Deutschlandpolitik von einiger Bedeutung. Und auch in seiner Auswirkung auf die DDR-Entwicklung war der Mauerbau alles andere als eindeutig.
Die Bedeutung des Mauerbaus variiert folglich, abhängig von dem Blickwinkel, aus dem man ihn betrachtet. Das gilt interessanterweise nicht für den Mauerfall 28 Jahre später, der für alle hier betrachteten Zusammenhänge zu einem Schlüsselereignis wurde: Der Mauerfall war nicht nur der Anfang vom Ende der DDR und damit der deutschen Zweistaatlichkeit, sondern auch der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Auflösung des Ostblocks und zur Beendigung des Kalten Krieges. Denn der Mauerfall ist nur im Zusammenhang mit zwei miteinander eng verbundenen Revolutionen zu verstehen: einer friedlichen Revolution in der DDR und in den anderen Ostblockstaaten sowie einer Revolution der Staatenwelt.