Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die globale geopolitische Statik nachhaltig verändert. Russland wird seitdem von der westlichen Staatengemeinschaft wieder als veritable Bedrohung wahrgenommen, wie zuletzt vor dem friedlichen Umbruch von 1989/90. Der russische Machthaber Wladimir Putin hat sein Land diesbezüglich weitgehend isoliert und sucht nach neuen Partnern. Entsprechend erinnerten auch der jüngste Afrikagipfel und die zahlenmäßig verhaltene Teilnahme der afrikanischen Staaten im russischen Sankt Petersburg stark an die Zeit des Kalten Krieges. Rangen doch damals vor allem die USA und die Sowjetunion um Einflusssphären rund um die Welt – wobei sie auch das vergleichsweise harmlose Thema Sport für sich zu nutzen wussten. Sportliche Erfolge wurden so schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowohl von den USA und ihren Verbündeten als auch den sowjetisch geprägten Staaten als Belege für die Überlegenheit des jeweils eigenen politischen Systems angeführt. In jüngerer Vergangenheit rückte die Verflechtung von Sport und Politik mit den Diskussionen im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in Katar 2022 sowie der Sanktionierung russischer Sportlerinnen und Sportler einmal mehr in den medialen Fokus.
Wie bereits angedeutet, lenkt nicht selten aktuelles Zeitgeschehen den Blick auf vergangene Begebenheiten – mitunter auch in Koinzidenz mit einschlägigen Publikationen. So ist erst kürzlich eine umfangreiche Analyse in diesem gleichsam aktuell, wie historisch relevanten Themenfeld erschienen. Der Historiker und Sportwissenschaftler Daniel Lange behandelt in einer umfangreichen und auf breitester Quellenbasis angelegten Studie die DDR-Sportkontakte und die damit verbundene Auslandsarbeit in Afrika. Nahmen beide deutschen Staaten von Anfang an für sich in Anspruch allein sprachberechtigt für das gesamte Deutschland zu sein, unterstrich die Bundesrepublik dies ab 1955 mit der sogenannten
Die Bedeutung der sportbezogenen Auslandsarbeit der DDR für ihre außenpolitischen Belange in Afrika wird vor allem an der Vielzahl der noch nie verwendeten Quellen deutlich, anhand derer Lange den Prozess immer fundiert – manchmal allerdings fast zu detailliert – nachzeichnet. Ermöglicht doch die Kombination aus außen- und sportpolitischen, parteiinternen sowie geheimdienstlichen (Stasi-)Dokumenten und einer Vielzahl an Presse-Erzeugnissen einen stetigen Perspektivwechsel, der dem Buch in fast allen Passagen auch analytischen Tiefgang verleiht. Der Untersuchungszeitraum teilt sich dabei in gewissermaßen drei Wettkampfphasen: Die fliegende Startphase ist mit ersten sportpolitischen Erwägungen im DDR-Staatsapparat und der Anbahnung erster Kontakte zu verschiedenen afrikanischen Ländern auf die Mitte der 1950er zu datieren. Diese Kontakte wurden in der folgenden Konsolidierungsphase ausgebaut und erreichten etwa parallel zum Abschluss des Grundlagenvertrages mit der Bundesrepublik 1972 ihre intensivste Ausprägung. Ab etwa 1980 folgte dann eine Phase des Abflauens beziehungsweise unfreiwilligen Auslaufens der Afrikakontakte, die schließlich mit der Wiedervereinigung beendet wurde. Am Beginn steht die bundesdeutsche Hallsteindoktrin von 1955, die mit ihren Auswirkungen zweifelsohne auch zur aufoktroyierten Determinante der DDR-Außenpolitik werden sollte. Entsprechend suchte die DDR stets nach Möglichkeiten ihre diplomatische Isolation auf anderen Wegen zu umgehen. So fällt die erste sichtbare Umsetzung der Afrikainitiativen auch in das Jahr 1955. Erstmals nahm an der Internationalen Friedensfahrt
Die Machtelite um Walter Ulbricht hatte schnell erkannt, welche hervorragenden Ansatzpunkte die Kontakte zwischen Aktiven vor allem aber auf Trainer- und Funktionärsebene boten. Da auch die jungen afrikanischen Staaten in den Sportkontakten eine Chance sahen, um sich im Ausland zu profilieren, waren sie sehr empfänglich für die ostdeutschen Bemühungen. Hinzu kamen teils ideologische Schnittmengen, die aus DDR-Sicht bestens mit der Utopie der antiimperialistisch konzipierten DDR-Außenpolitik korrespondierten. Diesbezüglich bestand die Hoffnung, dass sich die nun zumindest staatsrechtlich freien Entwicklungsländer in Afrika von ihren einstigen westlichen Kolonialmächten abwenden und dem Sozialismus beziehungsweise Kommunismus zuwenden würden. Die devisenschwache DDR hoffte, dass sie in Afrika statt mit Finanzhilfen mit einem Wissenstransfer im sportlichen Bereich wichtige politische Pluspunkte neben dem regulären diplomatischen Parkett sammeln konnte.
Die DDR sandte ab Ende der 1950er-Jahre erste Auslandstrainer nach Afrika und bildete 1958/59 an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig ägyptische Sportlehrer fort. Alsbald bot der SED-Staat mit einem enormen Aufwand auch Kurse für afrikanische Trainer an, die 1964 in den bis heute existenten Internationalen Trainerkurs mündeten. Dies sei hier nur einleitend angeführt. Denn Daniel Lange beleuchtet exemplarisch und vor allem anschaulich eine Vielzahl solcher Aktionsfelder, um seine These von der „Turnschuhdiplomatie“ zu verfestigen. Da der Autor nicht nur die europäische DDR-Perspektive einnimmt, sondern auch ein besonderes Augenmerk auf die Interessen der afrikanischen Staaten legt, erscheinen diese keineswegs nur als postkolonialer Spielball zwischen Ost und West in der Peripherie des Kalten Krieges.
Mit Blick auf die frühe DDR konstatiert Lange eine Verzahnung von kultureller Auslandsarbeit und Sportkontakten, die in dieser Phase beide dem DDR-Außenministerium unterstanden und zunächst beim Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport angesiedelt waren. Dies führte intern zu Konflikten mit dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB). Dieser wähnte sich für den internationalen Sport der DDR allein zuständig und pochte darauf, dass alle verfügbaren finanziellen Mittel in erster Linie dem von ihm verantworteten Leistungssport der DDR zufielen, um die für sie so wichtigen – da weltweit prestigeträchtigen – Siege und Medaillen zu erringen. Erst nach der internationalen Anerkennung der DDR 1972/73 hatte der Sport als diplomatisches Werkzeug „ausgedient“ und wurde aus der kulturellen Auslandsarbeit des Außenministeriums zugunsten des DTSB herausgelöst.
Gleichwohl blieben die „Diplomaten im Trainingsanzug“ elementare Imageträger für die DDR in den Arenen der Welt. Das galt ab 1975 verstärkt auch für den Armeesport oder das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das seine Sportvereinigung Dynamo oft in die Geschäfte mit afrikanischen Geheimdiensten einbezog. So war etwa in Mosambik die Gründung des Sportbunds Roter Stern Maputo mit einer Initiative des MfS verknüpft. In ähnlicher Weise funktionierte dies im Außenhandel, wie Lange an einem aus heutiger Sicht skurril anmutenden Beispiel verdeutlicht: Im Jahr 1978 konnte sich die DDR die von ihr stark begehrten Kaffeelieferungen aus Angola nur sichern, indem sie im Gegenzug die Zusendung von 265.000 Paar Turnschuhen anbot. Für die oft selbst auf Importe angewiesene Sportartikelbranche der DDR war dies ein riesiger Produktionskraftakt. Schließlich zeigt Lange äußerst anschaulich, dass Afrika nun auch für den Leistungssport der DDR immer wichtiger wurde, da sich dort die dringend benötigten, aber teuren Klima- und Höhentrainingslager durchführen ließen. Auch diese waren nun Teil kommerzieller Tauschgeschäfte unter anderen mit Algerien, Libyen, Tunesien oder Äthiopien, die dafür Studienplätze, Trainingslager, Auslandstrainer oder Trainerkurse erhielten. Leisten konnte sich die DDR jene Afrikareisen eigentlich nicht – in Erwartung von Siegen auf Weltniveau für ihr internationales Erfolgsimage wollte sie aber auch nicht darauf verzichten.
Im Ergebnis verdeutlicht der Blick auf die Thematik vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen einmal mehr, wie stark verwoben Sport und Politik in den internationalen Beziehungen waren und noch sind. Der afrikanische Kontinent ist hier sicherlich nur ein Spielfeld von vielen.
Zitierweise: Arne Hoffrichter, „Diplomatische Anstrengungen auf dem afrikanischem Spielfeld. Die DDR-Sportkontakte als Mittel gegen die internationale Isolation“, in: Deutschland Archiv, 09.08.2023, Link: www.bpb.de/524049
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