Die Arbeit im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hamburg
Ziele und Herausforderungen. Engagement im Jugendreferat der Jüdischen Gemeinde
Sharon Adler: Seit 2009 bist du in zahlreichen Funktionen in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv, als Betreuerin des Jugendzentrums „Chasak“
Shelly Meyer: Als Kind und Jugendliche hatte ich nie das Gefühl wirklich angekommen zu sein und steckte in einer Identitätskrise. Bis heute erlebe ich immer wieder dieselben gesellschaftlichen Herausforderungen von jüdischen Kindern und Jugendlichen bis hin zu jungen Erwachsenen. Oft werden Jüdinnen und Juden strukturell sowie institutionell fremddefiniert und auf verschiedene Stereotype reduziert. Umso wichtiger war für mich eine positive Selbstwahrnehmung und ein konstruktiver Austausch untereinander. Doch wie kann man eine selbstbewusste Einstellung zur eigenen jüdischen Identität entwickeln? Diese Frage hat mich meine Kindheit über stark geprägt, weshalb ich sehr früh Werkzeuge für ein positives und eigenbestimmtes Selbstverständnis zum Judentum finden musste. Daraus entstand das Bedürfnis nach einer Plattform für junge Jüdinnen und Juden aus dem Großraum Hamburg, um sich zu vernetzen, auszutauschen und weiterzubilden. Da es bis dahin kaum Angebote für 18- bis 35-Jährige gab, gründete ich 2014 das Netzwerk „Razon“, welches bis heute aktiv ist und rund 160 Mitglieder hat. Bis heute liegt mein Schwerpunkt im Aufbau einer aktiven, lebendigen, mutigen und selbstbestimmten jüdischen Gemeinschaft, in der junge Menschen ihre Stimme finden und sich einbringen können.
Sharon Adler: Von Oktober 2022 bis Mitte 2023 warst du Mitglied im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und damit das jüngste Vorstandsmitglied von Jüdischen Gemeinden bundesweit. Welche Erfahrungen aus deiner jahrelangen Arbeit im Jugendbereich hast du in die heutige Gemeindearbeit mitgenommen? Durch welche Aktionen hast du die Belange der jüngeren Generation in die Gemeindearbeit getragen? Was ist dein Motto ?
Shelly Meyer: Weniger reden – mehr tun. Mit einer guten Portion Chuzpe gelingt eine lösungsorientierte Herangehensweise. Das ist einer der Impulse, den ich aus der Jugendarbeit aktiv in die Praxis der Gemeindearbeit mit eingebracht habe. Ich habe versucht ein breites Angebot mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten zu schaffen. Unter anderem mit Workshops zu Feminismus im Judentum, Partys zu den Feiertagen, dem ersten Pride Shabbat der Gemeinde in Hamburg bis hin zu traditionelleren Aktivitäten, wie etwa Backen oder gemeinsame Shabbatot bis hin zu intersektionalen Podiumsdiskussionen zur Frage des Generationstraumas der Dritten Generation.
Hauptsächlich verfolge ich aber den Ansatz, das jüdische Leben mitten in der Stadt sichtbar zu machen und die bestehenden Berührungsängste der Mehrheitsgesellschaft abzubauen. Dafür ist es besonders wichtig die Anliegen und Interessen der jungen jüdischen Generation und der Gemeindemitglieder zu kennen und zuzuhören. In Gesprächen, Telefonaten und Veranstaltungen gebe ich den Mitgliedern hierzu die Gelegenheit.
In meiner Wahrnehmung fallen die Bedürfnisse der 18- bis 35-Jährigen in den meisten jüdischen Institutionen oft nach hinten über. Meine Funktion war also zugleich Sprachrohr und Interessensvertretung zu sein. Dabei ist es eine Herausforderung eine ausgewogene Balance zwischen der ermutigenden innerjüdischen Bildungsarbeit und der aufklärenden politischen Bildung für die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft zu finden.
Mein Ziel ist es, junge Menschen zu ermutigen ihre Stimme zu erheben und sich in Entscheidungsprozesse einzubringen, mit dem Ziel: ein florierendes jüdisches Leben in Deutschland. Durch meine langjährige Arbeit im jüdischen Bildungsbereich habe ich ein großes Netzwerk aufgebaut. Darunter sind beeindruckende Menschen, die das jüdische Leben gestalten und selbst Projekte leiten. Nur so konnte ich meine ehrenamtliche, unbezahlte Vorstandsarbeit innerhalb der Gemeinde und im Verband potentialorientiert gestalten.
Sharon Adler: Inwieweit kannst du die Kinder und Jugendlichen auch gegen Antisemitismusstark machen?
Shelly Meyer: Um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Umgang mit Antisemitismus zu stärken, ist es wichtig, ihnen Wissen und Selbstbewusstsein zu vermitteln und Optionen aufzuzeigen, die sie in die Lage versetzen handlungsfähig zu sein.
In meinen Projekten und Workshops zum Thema „Antisemitismus im Bildungsbereich“ erkläre ich die historischen Hintergründe des Antisemitismus, sensibilisiere für gegenwärtige Erscheinungsformen und ermutige, aktiv gegen antisemitische Vorurteile und Diskriminierung vorzugehen. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Judentum viel mehr ist als der Antisemitismus, der ihm seit Jahrhunderten begegnet, weshalb in meiner Arbeit die Vielfalt, Diversität und das Leben im Fokus stehen. Indem ich ihnen ein Bewusstsein für ihre Identität gebe, stärke ich die jungen Menschen dabei, antisemitische Anfeindungen abzuwehren und zeige ihnen, dass sie stolz darauf sein können und dürfen jüdisch zu sein.
Engagement gegen Antisemitismus im Bildungsbereich
Sharon Adler: Du führst regelmäßig Projekte und Workshops zum Thema „Antisemitismus im Bildungsbereich“ durch. Unter anderem 2020 als Projektkoordinatorin im Verein „Laut gegen Nazis“, wo du einen Podcast und eine Bildungsreihe für Schulen konzipiert hast. Was kannst du zu den Inhalten erzählen, welche Methoden und Instrumente zur Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus hast du entwickelt und umgesetzt ?
Shelly Meyer führt regelmäßig Projekte und Workshops zum Thema „Antisemitismus im Bildungsbereich“ durch: „Wir schaffen einen Raum, in dem die Jugendlichen althergebrachte Denkmuster hinterfragen und Neugierde entwickeln können: „Why should I care about your history?“ und „Where does the hate come from?““ (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Shelly Meyer führt regelmäßig Projekte und Workshops zum Thema „Antisemitismus im Bildungsbereich“ durch: „Wir schaffen einen Raum, in dem die Jugendlichen althergebrachte Denkmuster hinterfragen und Neugierde entwickeln können: „Why should I care about your history?“ und „Where does the hate come from?““ (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Shelly Meyer: In dem Projekt bei „Laut gegen Nazis“
Zudem begleite ich das Theaterprojekt von Hédi Bouden am Gymnasium Hamburg-Wilhelmsburg.
Bei „Antisemitismus im Bildungsbereich“ geht es aber auch um die Sensibilisierung von Lehrkräften und Schulleitungen, Beamt*innen, Polizist*innen und Soldat*innen. Hierbei spreche ich mit den Autoritätspersonen über ihre Verantwortung im Berufsalltag. Darüber, welche Folgen ihr (Nicht)Handeln bei Antisemitismus für Betroffene – insbesondere Kinder – hat.
Sharon Adler: Wo, in welchen Kontexten, bist Du selbst – real oder im virtuellen Raum – antisemitischen Klischeebildern oder Antisemitismus begegnet?
Shelly Meyer: Tradierte antisemitische Denkmuster bestehen in Deutschland bis heute unhinterfragt fort. Kein Wunder, werden doch die meisten Menschen mit Stereotypen und Klischees sozialisiert. Die diversen antisemitischen Erscheinungsformen sind für die wenigsten erkennbar. So ist es keine große Überraschung, wenn auch ich als Jüdin, die in Deutschland aufgewachsen ist, sowohl offline als auch online mit Judenhass und Anfeindungen konfrontiert bin.
Meine erste negative Erfahrung hatte ich bereits in der zweiten Schulklasse, in der mir unterstellt wurde, ich würde über meine Familienbiografie lügen, nur weil sie nicht als „biodeutsch“ wahrgenommen wurde. Jahre später wurde mir im Geschichtsunterricht abgesprochen Jüdin zu sein, schließlich hätte ich keine „großen Ohren“ und auch die „große Nase“ würde mir fehlen. Die auf mich projizierte antisemitische Bildsprache des „ewigen Juden“ wurde von Lehrkräften weder eingeordnet noch aufgefangen, sondern im Gegenteil wurden die Klischees noch weiter reproduziert und verstärkt.
Seitdem begleitet mich der unterschwellige Hass auch in meinem Alltag. Erst letztens hat sich eine Person im Supermarkt in der Schlange vor mich gestellt mit den Worten: „Die Juden haben hinten anzustehen!“ An diesem Tag trug ich meine Davidsternkette.
Online verwischt die Grenze zwischen Antisemitismus und Misogynie: Morddrohungen, Einschüchterungsversuche, Fetischisierung, Beleidigungen, Vergewaltigungsfantasien – nichts, was ich nicht regelmäßig im Postfach hätte. Da ich auf meinen Social-Media-Accounts über Judentum, Israel und Zionismus aufkläre, bleibe ich nicht von israelbezogenem Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antizionismus verschont.
Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge und die Kampagne „Nein zu Antisemitismus. Ja zur Bornplatzsynagoge.”
Sharon Adler: Bitte berichte etwas über dein Engagement als eine der Initiator*innen in der Stiftung Bornplatzsynagoge
Shelly Meyer ist die jüngste der Initiator*innen in der Stiftung Bornplatzsynagoge für die Initiative zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge in Hamburg. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Shelly Meyer ist die jüngste der Initiator*innen in der Stiftung Bornplatzsynagoge für die Initiative zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge in Hamburg. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Shelly Meyer: Während der Kampagne war ich intern für das Community-Management und für die Erstellung von Social-Media-Clips zuständig. Viel wichtiger und bedeutender war aber meine Aufgabe als jüngste Initiatorin, die Bedeutung des Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge für junges jüdisches Leben aufzuzeigen und entsprechend mit Stadtgestalter*innen, mit Politiker*innen und Gewerkschaften ins Gespräch zu kommen, die die Initiative schlussendlich befürworteten. Heute, knapp drei Jahre später, sind wir der Realisierung einen Schritt nähergekommen: Die Machbarkeitsstudie
Sharon Adler: Was sind deine persönlichen Wünsche und Pläne für die neue Synagoge über den Bau hinaus? Welche Projekte willst du vor allem umsetzen?
Shelly Meyer: Für mich persönlich war eines von Anfang an klar: Ich bin nur für eine Bornplatzsynagoge, wenn diese ein Ort der Begegnung wird. Für mich heißt dies konkret, dass in die Räumlichkeiten ein (Weiter-)Bildungszentrum inkludiert ist, in dem sowohl Jüdinnen und Juden selbstdefiniert Aufklärung leisten, aber auch mehr über das Judentum erfahren können. Gleichzeitig ist dieser Platz historisch beladen, weshalb es auch ein Ort für die jüdische Geschichte Hamburgs werden sollte, in Form einer ständigen Ausstellung.
Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine in der Jüdischen Gemeinde Hamburg
Sharon Adler: Gemeinsam mit Mika Harari
Shelly Meyer: Ende Februar 2022 sah sich auch die Jüdische Gemeinde in Hamburg mit jüdischen Geflüchteten aus der Ukraine konfrontiert. Dabei hat Mika Harari, die das Krisenmanagement leitet, ein kleines Helfer*innenteam zusammengestellt. Um es in ihren Worten zu sagen, war ich ihr „Backup“. Ich habe die Geflüchteten in Hamburg in Empfang genommen und ihre Kleider- und Schuhgrößen notiert, da sie teilweise nur Hausschuhe und Pyjamas dabeihatten und habe die Koordination und Verteilung ukrainischer Familien auf passende Unterkünfte und Gastfamilien übernommen.
Bis wir uns als Team eingespielt und eine Routine entwickelt hatten, habe ich im Krisenmanagement ehrenamtlich ausgeholfen. Ich habe auch immer gerne Shabbatot mit den Shoah-Überlebenden aus der Ukraine durchgeführt und die Ukrainer*innen in ihren Gastfamilien besucht. Meine größte Herausforderung war die sprachliche Barriere, da ich weder Russisch noch Ukrainisch spreche. Die Kommunikation verlief daher meist über Übersetzungstools, sodass wenig Raum für das Zwischenmenschliche war. Nun haben professionelle Sozialarbeiter*innen, die auch die ukrainische Sprache beherrschen, die Koordination übernommen, sodass alle Geflüchteten in sehr guten Händen sind.
Sharon Adler: In Hamburg lebt auch die Shoah-Überlebende und Aktivistin Peggy Parnass, die du regelmäßig besuchst. Was ist dir bei diesen Besuchen und Gesprächen mit ihr besonders wichtig?
Shelly Meyer: Peggy ist inzwischen fast wie eine Freundin für mich. Mit ihr spreche ich eigentlich nur über ihre Visionen vom jüdischen Leben in Hamburg und weniger über ihre Biografie und erzähle ihr von meiner Arbeit innerhalb der Gemeinschaft. Ihre lebensfrohe Art ist total ansteckend und deshalb freue ich mich auch immer, wenn sie bei Veranstaltungen dabei ist und fröhliche jüdische Stimmung aufnehmen kann. Besonders wichtig ist mir, dass sie sich wohl und gehört fühlt, sodass ich ihr selbst den Raum überlasse, mir nur die Geschichten zu erzählen, die sie mit mir teilen möchte und nicht explizit nach Geschehnissen oder Daten beziehungsweise Fakten frage. Meist sind unsere Gespräche sehr intim und familiär.
Sharon Adler: Deine Großeltern sind Shoah-Überlebende. Waren ihre Erinnerungen Teil deiner Kindheit? Habt ihr gesprochen oder wurde geschwiegen? Wonach hast du gefragt, welche Antworten hast du bekommen?
Shelly Meyer: Geschwiegen wurde eigentlich nie bei uns in der Familie. Ich glaube jedoch, dass ich es aber erst durch meine Eltern realisiert habe und dabei ein Teil ihres Traumas der Zweiten Generation auf mich übertragen wurde. Seit 2002 leben wir in Deutschland und einer meiner ersten Filme war „Schindlers Liste“. Meine Eltern haben ihn mit mir geschaut, um mir vor Augen zu führen, dass ich immer die Option habe zu gehen, aber auch nie vergessen darf, dass ich jüdisch bin. Erst viel später konnte ich einordnen, weshalb meinen Eltern das Schauen von Dokumentationen oder auch die Familiengeschichte so wichtig ist.
Ich kann von Glück sprechen, dass keine meiner Großeltern in Arbeits- oder Vernichtungslagern waren, doch das Erlebte hinterlässt dennoch Spuren. Ich habe 2015 mit meiner Oma im Rahmen des Projekts „Remembering“
Sharon Adler: Anlässlich der Yom HaShoah-Gedenkveranstaltung 2023 hast du die Regisseurin
Shelly Meyer: Ich glaube, eine Frage, die uns alle beschäftigt ist, wie Gedenk- und Erinnerungskultur in Zukunft aussehen kann und soll, wenn es keine Zeitzeug*innen mehr gibt, die aus erster Hand berichten können. Die Forderung eines Schlussstriches seitens der Mehrheitsgesellschaft suggeriert, dass jüdische Menschen nachtragend seien und Schuldige bräuchten. Nur wie ist es, wenn alle um einen herum die Geschichte vergessen, nur man selbst es nicht kann, wegen des generationenübergreifenden Traumas?
Eine andere Frage, der wir uns gewidmet haben, ist die Auswirkung der Shoah auf die Dritte Generation und die Wahrnehmung dessen in der Zweiten Generation.
Zudem stand auch die jüdische Identität und Zugehörigkeit in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland im Fokus. Die Entfremdung durch internalisierte Denkmuster, die sich über Generationen in Deutschland hinwegziehen. „Displaced“ ist deshalb so besonders, weil der Dokumentationsfilm genau diesen Spagat an Themen veranschaulicht und das Dilemma von jungen Jüdinnen und Juden auf den Punkt bringt.
Sharon Adler: Was war dir bei der Organisation des Yom HaShoah-Gedenktags 2023 noch wichtig, was fand neben der Filmvorführung außerdem statt?
Shelly Meyer: Zum Internationalen Holocaust Gedenktag im Januar 2023 habe ich eine intersektionale Gedenkveranstaltung der Dritten Generation unter dem Titel „& wem gehört der Holocaust?“ initiiert. Zu Gast waren Sinti*zze und Roma*nja, Menschen mit Behinderung, queere Menschen, Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, schwarze Menschen und Historiker*innen zur historischen und gegenwärtigen Einordnung.
Sharon Adler: Wie beurteilst du als Jüdin in Deutschland heute und in deiner Funktion als Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft die aktuelle Kritik der DIG zur Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung
Shelly Meyer: „Israels Existenzrecht ist Staatsräson“, das hören wir immer wieder seitens der Politik. Und doch findet das Gerede über Israels „Existenzrecht“, ob affirmativ oder in Frage stellend, regelmäßig statt. Dies führt nur dazu, dass die Position Israels geschwächt wird. Deutschland sollte sich daran nicht beteiligen, sondern sich klar zu Israels Sicherheit und der daraus resultierenden politischen Aufgabe und Verantwortung bekennen.
Zudem suggeriert die Diskussion über Israels „Existenzrecht“, dass die Existenz des Staates Israel möglicherweise nicht legitim sei und somit befeuert diese Auseinandersetzung den israelbezogenen Antisemitismus und die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Dazu hat auch Volker Beck, Präsident der DIG, eine Erklärung
Sharon Adler: Du bist in Israel geboren und seit deinem siebten Lebensjahr in Hamburg aufgewachsen. Was bedeutet es für dich, heute in Deutschland jüdisch zu sein?
Shelly Meyer: Zuhause ist ein Begriff, den ich für mich noch nicht definieren kann. In Israel und auch in Deutschland bin ich zu Hause und fühle mich gleichzeitig fremd. 2002 bin ich mit meiner Familie nach Deutschland gekommen, und dass es gerade Deutschland geworden ist, ist kein Zufall. Mein Vater hat aufgrund des Generationsvertrages die deutsche Staatsangehörigkeit. Dass Deutschland für uns ein Zufluchtsort vor der
Die Herausforderungen, die es in Israel gibt, sind anders – denn dort ist man als Jüdin ein Teil der Mehrheitsgesellschaft und hat eine andere Beziehung zu Antisemitismus. Denn mit ihm kommt man nur in Berührung, wenn etwa in den Nachrichten über Antisemitismus in Europa oder in den USA berichtet wird. Anders war es dann für mich als Kind in Deutschland. Ich war fremd und anders und war plötzlich Ressentiments ausgesetzt, die ich vorher nicht kannte.
Nichtsdestotrotz muss ich sagen, dass ich niemals dieser Mensch geworden wäre, der ich heute bin, hätte ich nicht diese Erfahrung gemacht. Die Erfahrung, ein Teil einer Minderheit zu sein und gleichzeitig ein Teil einer Gemeinschaft zu sein, die aufblüht und die die jüdischen Traditionen und Kultur feiert.
Ich bin kein religiöser Mensch, aber die Tatsache, in der Diaspora aufgewachsen zu sein, hat definitiv dazu geführt, dass ich mir meiner eigenen jüdischen Identität sehr bewusst bin und diese auch stolz auslebe . Ich bin sehr froh darüber eine jüdisch-deutsche Mentalität zu haben. Die einerseits in meiner Familiengeschichte verwurzelt, andererseits gerechtigkeitsorientiert ist und eine Aufarbeitung anstrebt. Gleichzeitig habe ich einen großen Freundeskreis, der unterschiedlicher nicht sein könnte und von Intersektionalität und dem Verständnis für die vielfältigen Lebensrealitäten innerhalb der deutschen Gesellschaft geprägt ist.
Zitierweise: „Shelly Meyer: „Weniger reden – mehr tun““, in: Deutschland Archiv, 3.7.2023, Link: www.bpb.de/52383