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Als Brückenbau noch möglich war

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Eine Momentaufnahme – 15 Jahre zurück. Als Russland und die Ukraine mit Hilfe der Schweiz noch befreundete und erfolgreiche Geschäftspartner waren und gemeinsam Zukunft planten: Der "Swiss - Ukrainian Business Summit 2008" in Kiew, jedoch damals schon in einem nervösen Umfeld. Von Holger Bahl, seinerzeit Banker in Zürich.

Heute eher Gräben vertiefend und nicht Brücken bauend: Russlands Führung. Graffiti an einer Züricher Hauswand Ende Oktober 2022, Für eine Welt ohne Putin.

Heute eher Gräben vertiefend und nicht Brücken bauend: Russlands Führung. Graffiti an einer Züricher Hauswand Ende Oktober 2022, "Für eine Welt ohne Putin". (© KEYSTONE | Michael Buholzer)

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es in der Schweiz, konzentriert auf die Regionen Zürich, Genf und Tessin, diverse russische Stützpunkte aus dem Finanz-, Banken-, Versicherungs- und Handelsbereich. An der Spitze und am längsten im Geschäft stand die Russische Kommerzialbank in Zürich, eine Tochtergesellschaft der staatlichen Sowjetischen Aussenhandelsbank AG und späteren Gazprombank AG, beide mit Hauptsitz in Moskau. Ihr Tätigkeitsfeld umfasste hauptsächlich die Finanzierung und Versicherung von Handelsgeschäften zwischen der Schweiz und Russland via direkte Kreditvergabe und später auch durch Zessionskredite, Forfaitierungen und Leasing inklusive.

Auch Investitionskredite zur Finanzierung von mittel bis langfristigen Projekten mit russischem Hintergrund wurden gewährt, zumeist in Verbindung mit einer Ausfallversicherung oder Garantie einer bundesdeutschen Bank. Zu einem guten Teil wurden diese Kredite, wenn es sich um grössere Summen handelte, in Form eines Konsortialkredits syndiziert, also zusammengeschlossen beziehungsweise gebündelt. Aber das wohl bedeutendste Geschäftsfeld war der Handel mit Gold und anderen Edelmetallen, den Moskau nicht ohne Grund in Zürich angesiedelt hatte. Dazu später mehr.

Aus dem Versicherungsbereich kam die Garant Versicherungsgesellschaft in Wien, eine gemeinsame Tochtergesellschaft der staatlichen russischen Versicherung Ingostrakh, Moskau, und der Garant-Eurasco AG in Wien, an welcher auch die Zürich Versicherung beteiligt war. Nach Vorliegen der erforderlichen Genehmigungen der zuständigen Schweizer Behörden wurde auch die Vermögensverwaltung für die zumeist russische und teilweise auch ukrainische Kundschaft mit in die Geschäftspalette aufgenommen.

Die Russische Kommerzialbank AG wie die Gazprombank (Schweiz) AG arbeiteten vor allem im Konsortialkreditgeschäft eng zusammen mit ihren Schwesterinstituten in Frankfurt, London, Paris, Luxemburg und Singapur, die auch mit einer gemeinsamen Repräsentanz in New York vertreten waren.

Die Bankbeziehungen zwischen Russland und der Ukraine waren zu dieser Zeit zunächst politisch bedingt sehr zurückhaltend und beschränkten sich auf die zwischen Banken üblichen grundlegenden Korrespondenzbeziehungen: die Eröffnung von Konten und Depots, die gegenseitige Vertretung an anderen Bankplätzen, insbesondere dort, wo ebenfalls russische Banken vertreten und aktiv waren, sowie die Ausbildung von russischen Mitarbeitern der Gruppe.

Als Russland und die Ukraine mit Hilfe der Schweiz noch erfolgreiche Geschäftspartner waren: Der Swiss-Ukrainian Business Summit am 16. Oktober 2008 in Kiew

Schon am Vortag, dem 15. Oktober, waren viele Teilnehmer, vor allem aus Russland und der Schweiz, angereist. Das Tagungshotel Regency Kiew platzte aus allen Nähten, und auch die umliegenden Hotels, ebenfalls nahe dem Zentrum gelegen, waren weitgehend ausgebucht.

Es war wohl der erste Event dieser Art mit namhafter Beteiligung der Schweiz als Mitveranstalter, das in Kiew stattfand und entsprechend groß war das Interesse der Teilnehmer bereits am Vorabend. Russland, die Ukraine und die Schweiz unter einem Dach, wer hätte das gedacht? Das war schon eine in dieser Form einmalige Zusammensetzung, die in den Medien ein grosses Echo fand. Entsprechend gross waren dann auch die Erwartungen der Teilnehmer an den Business Summit. Welche Neuigkeiten würde es zum Verhältnis Russland zur Ukraine geben und wie war die Rolle der Schweiz als einer der Veranstalter des Business Summit einzuordnen? Welche Rolle würde das Thema Gold und andere Edelmetalle spielen?

Dieser Handel war für Russland, wie auch für die Ukraine seinerzeit enorm wichtig, und beide Länder wurden sich diesbezüglich schnell ihrer gemeinsamen Interessen bewusst. Russland wie die Ukraine hatten aus verständlichen Gründen kein Interesse daran, diese diskrete Zusammenarbeit an die große Glocke zu hängen. Russland verfügte über unglaubliche Mengen an Gold und anderen Edelmetallen, musste aber bei der Akquisition, Transport, Marketing, Versicherung und Verkauf sehr vorsichtig sein. Denn auch zwischen Kiew und Moskau gab es in dieser Zeit diverse Felder einer diskreten Zusammenarbeit, die nicht unbedingt für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Das Thema Edelmetalle, überwiegend in Verbindung zu Russland, wurde eines der beherrschenden Themen beim Business Summit 2008 in Kiew. Vor allem professionelle Händler in Sachen Gold und anderen Edelmetallen benutzten die Informationsmöglichkeiten in Kiew, um die eigenen Vorstellungen zur möglichen Preisentwicklung mit den Ansichten der Kollegen am Summit zu vergleichen beziehungsweise zu überprüfen. Es bestand aber beim Summit auch die Möglichkeit, direkt vor Ort Absprachen zu treffen und geradewegs konkrete Geschäfte abzuschließen. Beim Abendessen im Hotel Regency konnten diese Themen in lockerer Atmosphäre weiter diskutiert werden und die durchaus unterschiedlichen Meinungen hierzu an der Hotelbar besprochen und ausgetauscht werden.

Anschließend gab es am Vorabend auch die Gelegenheit, mit der ebenfalls anwesenden Konkurrenz einen offenen Meinungsaustausch zu führen, der nicht selten zur späten Stunde noch zu einem Geschäftsabschluss führen konnte. Dieser Meinungsaustausch war aber auch deswegen von großer Wichtigkeit, weil solches «kollegiale» Verhalten den Informationsfluss im Interesse aller Beteiligten beflügelte. Denn auch in Kiew galt das Motto «Geschäft ist Geschäft», zu welcher Uhrzeit und an welchem Ort auch immer. Und um konkrete Geschäfte in Kiew abzuschließen, deswegen waren ja die meisten Teilnehmer aus Ost und West nach Kiew gereist.

Und die Auswertung des Vorabends am Summit unter den Teilnehmern am nächsten Tag (als alle wieder einigermaßen nüchtern waren) war für die Teilnehmer des Business Summit wichtig trotz oder wegen aller gebotenen Verschwiegenheit. Denn danach wusste man zumindest einigermaßen, wie es weitergehen würde und wo man vielleicht seine eigene Position noch ein wenig korrigieren bzw. anpassen sollte.

Das Geschäft der Russischen Kommerzial Bank AG in Zürich und deren Rechtsnachfolgerin Gazprombank (Schweiz) AG mit der Ukraine

Die Ukraine, als Neuling in Zürich und für das Ost-West Geschäft nahezu prädestiniert, war sich bewusst, dass gerade in Zürich der Tanz zwischen Kiew und Moskau viel Geschick und Diplomatie verlangen würde. Im neutralen Zürich war die Ukraine Neuling auf dem internationalen Parkett, wo sie als vorgesehenes Bindeglied zwischen Ost und West keine leichte Aufgabe zu erfüllen hatte. Und letztendlich sollten ja Geschäfte gemacht und auch Geld verdient werden.

Der auf dem internationalen Finanzparkett noch ziemlich unerfahrenen Ukraine standen damals auf westlicher Seite wohlwollende Banken und Versicherungen gegenüber, die aber, wenn es ums konkrete Geschäft ging, auch ihre Interessen zu wahren wussten. Anderseits gab das politische Moskau damals die unmissverständliche Parole aus, dass man die damals noch verbündete und auch befreundete Ukraine zu unterstützen habe, damit sie nicht in die Hände des «Klassenfeindes» fallen würde.

Im Bankbereich kooperierte die Ukraine in Zürich mit der Russischen Kommerzialbank und der späteren Gazprombank (Schweiz) AG , an deren Spitze mit Vladimir Goriounov und Andre Akimov zwei fachlich bestens ausgewiesene russische Banker standen. Beide hatten mehrere Jahre in London und Wien in leitender Position im Bankgeschäft gearbeitet. Goriounov und Akimov stammten aus der harten Schule des langjährigen russischen Zentralbankpräsidenten Viktor Geraschenko, der von seinen politischen Gegnern in Ost und West gerne mit dem Ehrentitel «the worst Zentralbanker of the world» ausgezeichnet wurde.

Für viele der aktiven russischen Banker, vor allem von der älteren Generation, war er das aber mit Sicherheit nicht, eher das Gegenteil. Die Russische Kommerzialbank verfügte neben in Russland auch in Westeuropa über ein dichtes Netz von Korrespondenzbanken, welches von den ukrainischen Bankpartnern gerne genutzt wurde. Umgekehrt profitierte die Russische Kommerzialbank von dem Beziehungsnetz der ukrainischen Banken. Das war eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit, die vor allem bei diskreten Dingen und Geschäften gerne genutzt wurde.

Möglichkeiten einer weitergehenden Zusammenarbeit offeriert die Russische Kommerzial Bank den Teilnehmern aus der Ukraine beim Business Summit in Kiew

Die Russische Kommerzial Bank in Zürich offeriert für die ukrainischen Teilnehmer beim Swiss Ukrainian Business Summit 2008 maßgeschneiderte Finanzierungsmöglichkeiten in Verbindung mit gemeinsamen Joint Ventures zwischen Ost und West. Für diese damals Schlagzeilen machende Idee war die Ukraine mit einer gesunden Mischung aus gross und klein genau der richtige Kandidat für Russland. Ein ständiges Problem im Ost-West- Geschäft war die Tatsache, dass die östlichen Partner oft Mühe hatten, mit den im Westen üblichen und zumeist auch gesetzlich vorgeschriebenen Eigenkapitalanforderungen mithalten zu können. Anderseits sollten die «sozialistischen Partner» im Joint Venture möglichst kapitalmässig gleich stark vertreten sein, wie die westlichen Partner.

Diese Problematik wurde dann oft dadurch gelöst, dass gemeinsame Tochtergesellschaften mit kleinem Kapital zwischengeschaltet wurden, an denen die Partner aus Ost-und West mit gleicher Quote beteiligt waren und zugleich ihre «erste Etage» in die Gremien delegierten. Das funktionierte dann so, dass bei einem bescheidenen Kapital der westliche Partner als Aktionär mit einem erstklassigen Konzernnamen ausgestattet wurde, während die östliche Seite mit ihrem vorhandenen Ost-West-Knowhow und dem gewünschten «sozialistischen Background» auftrat und punktete.

Ein konkretes Beispiel dafür, dass diese Konstruktionen funktionierten, war die Bildung der Eurasco Leasing AG in Frankfurt. An ihrem Kapital waren von deutscher Seite die Deutsche Leasing AG, eine Tochtergesellschaft der damaligen Dresdner Bank Gruppe, und die Deutsche Anlagen Leasing AG beteiligt, deren westliche Aktionäre zum Teil aus dem Bereich der deutschen Landesbanken stammten. Von russischer Seite waren verschiedene staatliche Unternehmen Aktionäre, die ebenfalls im Finanz- und Leasing-Geschäft tätig waren. Die Gremien dieser Joint Venture- Gesellschaften wurden von Ost und West jeweils hochkarätig besetzt, was der Bedeutung dieser Gesellschaften im Markt zum Ausgleich der geringen Kapitalausstattung sehr nützte.

Als zweites Beispiel für einen solch konkreten und erfolgreichen Joint Venture war die Bildung der Eurasco Trade Consulting, an welcher die Daimler Benz Gruppe damals maßgeblich zusammen mit potenten russischen Aktionären aus dem Handels- und Investmentbereich beteiligt waren, zu nennen.

Der Versicherungsbereich bot ebenfalls ein großes Feld der Zusammenarbeit, welches von den ersten Adressen aus Ost und West erfolgreich genutzt wurde. Ein konkretes Beispiel dieser Zusammenarbeit, die trotz aller Konkurrenzprobleme unter den Beteiligten sehr erfolgreich ablief, war die Kooperation zwischen der schweizerischen Zürich Versicherung und dem deutschen Allianz Konzern sowie der damaligen staatlichen sowjetischen Versicherung Ingostrakh. Zürich und Allianz waren im internationalen Versicherungsmarkt erbitterte Konkurrenten.

Zum Problem wurde zunächst, dass diese beiden interessierten Partner darauf bestanden, allein die westliche Seite in dem geplanten Joint Venture zu vertreten. Ingostrakh hatte zu diesem Zeitpunkt aber als dominierende, staatliche, russische Gesellschaft im Versicherungsgeschäft in Russland eine marktbeherrschende Monopolstellung. Trotzdem: Ingostrakh schaffte es, die Allianz und die Zürich Versicherung gemeinsam als Aktionäre für diese Joint Venture-Gesellschaft zu gewinnen. Das war schon einmalig.

Diese Joint Ventures funktionierten übrigens sehr gut und äusserst rentabel für Ost und West, seit sich am Horizont der Zerfall der Sowjetunion in ihre Gliedstaaten abgezeichnet hatte

Die russischen Bankgeschäfte in der Schweiz zwischen Illusionen und Machbarem, zwischen Gewinnstreben und den für die Banker aus dem Osten nicht immer einfach zu verstehenden Regeln und Bestimmungen der Schweizer Bankenaufsicht FINMA.

Die russischen Banken und bankähnlichen Finanzgesellschaften in der Schweiz waren in der Gruppe der ausländisch beherrschten Banken und bankähnlichen Finanzgesellschaften mit unter 50 eine kleine Minderheit. Umso mehr suchten sie die Kooperation mit den anderen schweizerischen Auslandsbanken in der Schweiz, vor allem im Konsortialkreditgeschäft, um ihre Platzierungskraft zu stärken. So wurden damals nicht ohne Erfolg kleinere Syndizierungen bis zu 100 Mio Schweizer Franken (CHF) von den russischen Banken in eigener Regie durchgeführt.

Je mehr sich die Verhältnisse zu und in Russland normalisierten, das war vor allem um die 90er Jahre der Fall, versuchten auch die großen Auslandsbanken in der Schweiz, in diesen Konsortialkrediten in der hervorgehobenen Position eines Lead- oder Assistent Leadmanagers mitzuwirken. Je höher das jeweilige Standing von Russland in den internationalen Kreditmärkten war, um o mehr konnten diese Kredite damals dann mithilfe eines entsprechenden großen Syndikats und attraktiven Konditionen im Markt verkauft werden.

Auch am Kapitalmarkt wurden die Ukraine und Russland als potentielle und konkrete Kunden mehr und mehr geschätzt. Nachdem sich im Konsortialkreditgeschäft allgemein die Durchführung grosser Summen in Form dieser Finanzierungsvarianten durchgesetzt hatten, wollten Moskau und Kiew nun auch die feinste Möglichkeit der Finanzierungsform nutzen, nach dem Motto: We want to go public.

Die Finanzierung von Projekten via einer Privatplatzierung und erst recht durch eine börsennotierte, öffentliche Anleihe galt damals wie heute in der Tat als die Krone einer Kreditaufnahme. Wer diese höchste Stufe im Finanzierungsstanding erreicht hatte, und der Weg zu diesem Ziel war nicht einfach, konnte den Lohn der hierfür geleisteten Arbeit in Form von grossen Emissionsbeträgen und günstigen Konditionen einstreichen. Die erste börsennotierte Anleihe eines sowjetischen Emittenten, und zwar der staatlichen Sowjetischen Aussenwirtschafts Bank in Moskau, belief sich auf einen Betrag von CHF 100 Mio und einer Laufzeit von 10 Jahren und wurde in der Schweiz bereits im Jahr 1988, also heute vor 35 Jahren aufgelegt. Sie wurde bei Fälligkeit problemlos zurückgezahlt.

Von solchen Erfolgen leben natürlich die betroffenen Banken und Banker, und sie gibt es nicht jeden Tag, daher kann der oft triste Banker-Alltag kann nach solchen Erfolgen ganz anders aussehen.

Das Schweizer Bankgeheimnis und das Informationsbedürfnis der für die Überwachung russischer Banken zuständigen russischen Aufsichtsbehörden

Aber dann kamen die Tücken und Probleme, die sich am einfachsten einordnen lassen in den Kategorien «Schweizer Bankgeheimnis» und das Informationsbedürfnis weniger der Schweizer Behörden, sondern der russischen Aufsichtsbehörden. Dabei waren solche Probleme vorgezeichnet, die Unterschiede in der Mentalität von Russen und Schweizern waren zu groß.

An diesem Konflikt ist manch gutes Geschäft gescheitert und mancher Banker machte, wenn auch nur für wenige Tage, Bekanntschaft mit den schweizerischen Gefängniszellen, wie zum Beispiel mein damaliger Kollege Sverre Hendseth, der Chef der Canadian Imperial Bank in der Schweiz. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er an der Eröffnung seiner Bank teilnahm, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz der Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung der zuständigen Schweizer Behörden war. So streng waren damals die Sitten.

In der Schweiz war und ist die Zuständigkeit der Behörden für die Bankenaufsicht klar geregelt und nachvollziehbar. In Russland waren aber neben der gesetzlich vorgeschriebenen Bankenaufsicht, die zum Teil auch von der russischen Zentralbank vorgenommen wurde, auch politische Instanzen involviert, ohne dass es eine diesbezügliche Rechtsgrundlage gab. Da waren natürlich die Konfliktzonen bereits vorgezeichnet.

Ein typisches Beispiel hierfür, mit dem ich selbst konfrontiert wurde, war der Verlauf der Bewilligungspflicht für eine Kreditvergabe. Auch die russischen Banken haben ein Kreditreglement, in welchem geregelt ist, welches Gremium (Direktion, Geschäftsleitung oder Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat) die definitive Genehmigung für das Kreditgeschäft und die Auszahlung des Kredites zu erteilen hat. Aber dann gab es damals noch das bei den westlichen Banken scherzhaft so genannte «Büro 7», welches auf der politischen Ebene tätig war. Und dessen Kompetenz- und Genehmigungsmöglichkeiten standen glasklar über den nach den internen Bank- reglements geltenden und vorgeschriebenen Bestimmungen.

In der Praxis lief das dann so: Das Kreditgesuch eines Bankkunden an seine russische Bank wurde, aus welchen Gründen auch immer, von der Geschäftsleitung der Bank abgelehnt. Die Direktion, die von dem Geschäft nicht voll überzeugt war, zog das Gesuch aber weiter an den Verwaltungsrat als oberste Instanz für Kreditbewilligungen, der es ebenfalls ablehnte. Dann kam der «Befehl» aus dem Büro 7: Der Kredit ist sofort, wie beantragt, ohne weitere Rückfragen und Verzögerungen an den Kunden auszuzahlen. Dieses Procedere führte dann auch oft dazu, dass diverse solcher Banken Pleite gingen, und nicht etwa wegen mangelnder Erfahrung und Ausbildung der russischen Kreditsachbearbeiter an der Front.

Der russische Präsident Medwedew bewahrt die Gazprombank (Schweiz) AG vor großen Problemen mit der Finma während seines Staatsbesuches in der Schweiz im September 2009.

Im Vorfeld des Staatsbesuches des russischen Präsidenten Dimitrij Medwedew untersuchte die FINMA das Geschäft der Zürcher Gazprombank (Schweiz) AG aufgrund ungünstiger Berichte der internen Revisionsgesellschaft. Es drohten gravierende Massnahmen der FINMA bis hin zur Infragestellung der Banklizenz. Es waren die üblichen Probleme, wenn sich das «Büro 7» in die Geschäftstätigkeit der Bank einmischte, ohne dass die rechtlichen Grundlagen oder die erforderliche Sachkenntnis hierfür gegeben oder vorhanden waren.

Es fanden dann im Vorfeld des Besuches von Präsident Medwedew vertrauliche und diskrete Gespräche zwischen der Bank und der Finma und den übergeordneten Schweizer Behörden statt, in die ich auftragsgemäss involviert war. Im Ergebnis verzichtete die Finma auf regulatorische Massnahmen gegen die Gazprombank (Schweiz) AG, die von sich aus eine stattliche Kapitalerhöhung vornahm und das Geschäftsreglement der Bank überarbeitete.

Der Staatsbesuch von Präsident Medwedew konnte dann «protokollgerecht» stattfinden und die Gazprombank (Schweiz) AG ihre Tätigkeit fortsetzen. Langfristig gesehen war das «Büro 7» aber doch stärker. Die Bank gab in diesem Jahr ihre Banklizenz zurück. Ein alleiniges Verschulden der russischen Geschäftsleitung hierfür konnte ich nicht feststellen.

Mit Komplizen des Kremls noch Geschäfte machen? Demonstration im schweizerischen Bern am Jahrestag des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, am 22. Februar 2023 - auch ein Zeitdokument der Zeitenwende.

Mit Komplizen des Kremls noch Geschäfte machen? Demonstration im schweizerischen Bern am Jahrestag des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, am 22. Februar 2023 - auch ein Zeitdokument der Zeitenwende. (© picture-alliance, KEYSTONE | Peter Schneider)

Die Schweiz und die Ukraine normalisieren ihre staatlichen Beziehungen mit der gegenseitigen Anerkennung auf der Basis einer bereits günstigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit

Zwischendurch ein großer Zeitsprung zurück: Die offiziellen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Ukraine wurden im Jahr 1991 mit dem Austausch von Botschaften legalisiert. Davor waren verschiedene Staaten bemüht, die Beziehungen zwischen beiden Ländern durch indirekte oder formelle Schritte voranzubringen. Das fand alles in einem Umfeld statt, als sich die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau politisch bedingt zunehmend verschlechterten. Moskau geriet bewusst oder auch unbewusst mehr und mehr in die Rolle des großen Bruders oder des unliebsamen Aufpassers. So wurde es jedenfalls im offiziellen Kiew gesehen.

In der Schweiz gab es naturgemäß ein enges Geflecht zwischen den offiziellen Kanälen von Kiew und Moskau. Aber auch dort wurden die Spannungen zwischen den beiden Ländern als Belastung und Hemmnis für den über die neutrale Schweiz an und für sich möglichen Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern spürbar.

Nach Entlassung der Ukraine in die Selbständigkeit durch die russische Föderation im Jahr 1991 ging Kiew zügig daran, das bereits vorhandene Kontaktnetz mit der EU und den dort interessierten Behörden, Wirtschaftsverbänden, Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen auszubauen. Eine wichtige Bedeutung hatte dabei die Herstellung von geschäftlichen Beziehungen zur Schweizer Wirtschaft und Unternehmen, die für die Ukraine von Interesse waren. Daneben stand ebenfalls die Weiterentwicklung der traditionell engen Beziehungen zu dem «Großen Bruder» Russland, was keine leichte Aufgabe war.

Zu sehr waren diese Beziehungen belastet von der unterschiedlichen Betrachtungsweise der sich nach der Neuordnung der Grenzen und Einflusssphären in Osteuropa ergebenen politischen Blöcke. Und eine Feststellung kann bei aller Vorsicht in diesem Zusammenhang sicher gemacht werden: Die seinerzeitigen Grossmächte hätten gut daran getan, rechtzeitig im Rahmen des Machbaren für eine wie immer auch mögliche einvernehmliche Abgrenzung der verschiedenen Einflusssphären und Grenzen zwischen Ost und West zu sorgen.

Der eigentliche Swiss-Ukrainian Business Summit 2008 vom 16. Oktober 2008 im Beisein von Staatssekretär Daniel Gerber, Botschafter Georg Zubler und Ms. Natalia Boytsun, Deputy Minister of Economy, Kiev im Hotel Regency Kiew.

Es gab eine Mischung aus allgemeinen Gipfelgesprächen auf dem Podium und „individuel meetings“ ab 17 Uhr am Nachmittag. Referenten waren unter anderem Dr. Philipp Hofstetter, Price Waterhouse Coopers, Zürich, Martin Meyer, von der Development Economic Western Switzerland Dr. Marcel Widrig, von der Price Waterhouse Coopers AG, Nicolai Anoschko, Generaldirektor, Russische Kommerzialbank AG, Zürich, Oleg Kuznetsow, Director Financial Instituions, Gazprombank, Moskau, Julia Lindenmann von der Credit Suisse, Sonja Wollkopf, Chefin der Greater Zurich Area, Zürich und andere mehr.

Herr Anoschko leitete den Workshop »Financial Center Switzerland» zusammen mit Oleg Kuznezow, Direktor der Gazprombank AG Moskau. Er war wie die meisten russischen Banker, die in der Schweiz und Westeuropa arbeiteten, Absolvent des Moscow Financial Instituts. Auch er stammte aus der Schule des langjährigen russischen Zentralbankpräsidenten Viktor Geraschenko und hatte seine berufliche Karriere im Handelsgeschäft bei der staatlichen Sofintrade in Moskau begonnen. Später war er ebenfalls in Moskau in leitender Position bei der russischen/sowjetischen Aussenhandelsbank tätig. In Zürich leitete er diverse Jahre die Russische Kommerzialbank und spätere Gazprombank (Schweiz) AG. Für die ukrainische Geschäftswelt, nicht nur in Zürich, war er ein einflussreicher Gesprächs- und Geschäftspartner, nicht zuletzt aufgrund seiner Nähe zu Gazprom und dem staatlichen Hintergrund der Russischen Kommerzialbank.

Wenn man als Gesellschaft mit ukrainischem Hintergrund einen etablierten, russischen Geschäftspartner suchte, der schon aufgrund seiner Struktur mit Einfluss und vor dem Hintergrund Schweiz zugleich eine gewisse Seriosität ausstrahlte, war man bei der Gazprombank Moskau, so war der Eindruck damals, genau richtig.

Herr Anoschko wies eingangs darauf hin, dass die Russische Kommerzialbank, nachdem die erforderliche Genehmigung der Schweizer Bankenaufsicht FINMA erteilt worden war, nunmehr auch die Vermögensverwaltung in ihre Geschäftspalette mit aufgenommen habe. Dieser Hinweis war in erster Linie nicht an die anwesenden Vertreter von russischen Banken und Vermögensverwalter gerichtet, sondern an die Vertreter westlicher Banken, die hier durchaus für ihre an russischen Aktien etc. interessierte Kundschaft an der richtigen Quelle waren.

Diese Kundschaft hatte keine Probleme mit der russischen Bankenaufsicht und deren Informationsbedürfnis und versteuerte entsprechende Vermögenswerte und Gewinne nach russischem Steuerrecht offiziell in Russland. Man kann es auch so formulieren: Wenn man mal weiß, wie in etwa der Hase in Moskau läuft und man die Finger von allzu wilden Geschäften lässt, kann die Vermögensverwaltung mit russischen Kunden und auch mit und bei russischen Banken als Partner durchaus Sinn machen.

Die heimliche Herrscherin über das Gold in der Schweiz an der Zürcher Bahnhofstrasse: Die Wozchod Handelsbank alias Russische Kommerzialbank alias Gazprombank (Schweiz) AG

Der Handel mit Gold und Edelmetallen, das war die Spezialität und fast Monopolstellung der Russischen Kommerzialbank in Zürich und späteren Gazprombank (Schweiz) AG in der Schweiz und ihrer benachbarten Ländern. Die Wozchod Handelsbank in Zürich galt, was das Geschäft mit Gold und anderen Edelmetallen betrifft, immer schon als die Bank «Nr.1» unter den Tochtergesellschaften der ehemaligen Bank für Außenwirtschaft der UdSSR in Moskau. Auch seitdem sie eine Tochtergesellschaft der Gazprombank in Moskau war, hat sich daran nicht viel geändert. Ihre Schwestergesellschaften waren:

  • die Donaubank in Wien

  • die Eurobank in Luxemburg und Paris

  • die Moscov Narodny Bank, London und Singapore

  • die Ost-West Handelsbank in Frankfurt

Das Hauptgeschäft der Russischen Kommerzialbank In Zürich war von Anbeginn das, was man von einer russischen Bank mit Sitz in der Schweiz auch erwarten würde: der Handel mit Gold und anderen Edelmetalle. Hinzu kamen Aktivitäten wie die Finanzierung von Handelsgeschäften, hauptsächlich mit russischem Hintergrund. Die RKB war das Bindeglied zwischen den Hauptakteuren in diesem Geschäft, und das waren zu dieser Zeit noch die drei Schweizer Großbanken: die Credit Suisse, die Schweizerische Bankgesellschaft und der Schweizerische Bankverein, alle mit Hauptsitz in Zürich. Im Hintergrund wachte die Schweizerische Nationalbank mit Sitz in Bern über das Geschehen. Es gab zwischen den beteiligten drei Schweizer Großbanken vertrauliche Absprachen, wie das Gold und Edelmetall aus Moskau unter ihnen aufzuteilen ist. Das Procedere war immer das gleiche:

In der Regel einmal pro Woche landete eine Sondermaschine der staatlichen russischen Fluggesellschaft Aeroflot aus Moskau auf einem abgesicherten und streng überwachten Teil des Züricher Flughafens Kloten. Die Fracht bestand aus Gold und anderen Edelmetallen, wobei Gold meistens den Hauptanteil ausmachte. Die Einreise- und Zollformalitäten waren streng geregelt und fanden in einem separaten Teil des Flughafengebäudes in Zürich-Kloten statt. Dann wurden die Edelmetalle verladen und unter strengen Sicherheitsbestimmungen an die Zürcher Filiale der RussischenKommerzialbank ausgeliefert. Von dort aus wurden dann nach einem festgelegten Prozedere die Edelmetalle im Wesentlichen an die drei Schweizerischen Großbanken verteilt.

Dieser Tag war für die RKB dann auch jeweils der wichtigste in der Woche. Mittags folgte die Geschäftsleitung der RKB jeweils einer Einladung einer der drei Großbanken zum Lunch mit anschliessenden geschäftlichen Gesprächen im nahe der RKB gelegenen Hotel Gotthard. Hier residierte als Gastgeber der langjährige Generaldirektor der RKB, Eugen Gostjev, dem in den Glanzzeiten dieses Geschäftes in Zürich nicht nur die Schweizer Banken zu Füssen lagen. Es ging ja auch nicht um risikoreiche Kredite, sondern um die weiteren Anlagen der RKB in der Schweiz. Die Schweizerische Nationalbank verfolgte mit Wohlwollen und auch Vorsicht ieses für die Schweiz wichtige Geschäft, um welches sich ausländische Banken gerne gerissen hätten. Gold und Edelmetalle, das war die Spezialität und fast Monopolstellung der Russischen Kommerzialbank in Zürich und späteren Gazprombank (Schweiz) AG in der Schweiz und den benachbarten Ländern.

Der weitere Ablauf des Kiewer Business Summit 2008

Auf dem Swiss-Ukrainian Business Summit in Kiew war es für die Teilnehmer aus der Ukraine verhältnismässig leicht, zu russischen wie zu westlichen Teilnehmern nicht nur Kontakte zu knüpfen, sondern auch Geschäfte abzuschließen. Für die ukrainischen Teilnehmer war es via die neutrale Schweiz erheblich einfacher, mit Moskau ins Geschäft zu kommen, als wenn man den direkten bilateralen Weg benutzen würde. Ausserdem hatten die russischen Teilnehmer eine beträchtliche Entscheidungskompetenz, so dass mancher Abschluss schon beim Business Summit in Kiew erfolgen konnte. Die enge Verwandtschaft der ukrainischen mit der russischen Sprache machte darüber hinaus die Verständigung zwischen Ukrainern und Russen erheblich einfacher.

Viele der Anwesenden kannten sich bereits von früheren Anlässen und entsprechend war das «Hallo» groß, wenn man auf alte und neue Bekannte traf. Im Jahr 2008 schwankte das politische Klima, vor allem zwischen Russen und Ukrainern, zwischen neutral und ruhig. Dies waren, wenn man an die Turbulenzen dachte, die sich für Insider bereits am politischen Horizont abzeichneten, keine allzu schlechten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ablauf des Business Summit.

Nach dem Abendessen erfolgte die offizielle Begrüßung der Teilnehmer durch Staatssekretär Daniel Gerber. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fiel auf, dass sich in den letzten Jahren diverse Veränderungen ergeben hatten. Viele neue und auch bemerkenswert jüngere Gesichter waren unter den Gästen, die sehr aufmerksam den Worten der verschiedenen Referenten lauschten und sich auch Notizen machten. Es war fast wieder so wie in der guten alten Zeit der Planwirtschaft, als nichts dem Zufall überlassen wurde. Man erhoffte sich daher von den anwesenden Funktionären vertrauliche Informationen, aber keine sensationellen Neuigkeiten, darauf waren die Anwesenden schon in der Vorbereitungsphase des Summits hingewiesen worden. Für die Schweiz als einer der Mitveranstalter und Promotoren des Summit war der Verlauf ohne Zwischenfälle oder peinliche Situationen ein Erfolg, zudem es anerkennende Worte von Seiten der Teilnehmer gab.

Die Konstruktion des Joint Venture als flexible Lösung für gemischte Gesellschaften im Ost-West Geschäft.

In der Praxis des Ost-West Geschäft entwickelten sich mit der Zeit verschiedene Varianten gesellschaftsrechtlicher Zusammenarbeit, die den jeweiligen rechtlichen und praktischen Geschäftsgrundlagen entsprechend optimal eingesetzt werden konnten. Dazu gehörten auch bei diesem Summit gemischte Gesellschaften in Form des Joint Ventures, die in der Regel auf der Aktionärsseite paritätisch besetzt waren. Dabei war ein ständiges Problem im Ost-West-Geschäft die Tatsache, dass die östlichen Partner oft Mühe hatten, mit den im Westen üblichen und zumeist auch gesetzlich vorgeschriebenen Eigenkapitalanforderungen für derartige Joint Ventures mithalten zu können. Anderseits sollten aus rechtlichen wie aus Zweckmässigkeitsgründen die «sozialistischen Partner» im Joint Venture möglichst kapitalmäßig gleich stark vertreten sein, wie die westlichen Partner.

Diese Problematik wurde dann oft dadurch gelöst, dass gemeinsame Tochtergesellschaften mit kleinerem Kapital zwischengeschaltet wurden, an denen die Partner aus Ost und West gleich paritätisch beteiligt waren. Zusätzlich delegierten sie ihre erste Etage in die Gremien, was dann die Bedeutung der Gesellschaft und ihre gesellschaftliche Bonität herausstrich.

Das funktionierte dann so, dass bei einem bescheidenen Kapital zunächst der westliche Partner als Aktionär mit einem erstklassigen, international bereits etablierten und akzeptierten Konzernnamen ausgestattet wurde. Die östliche Seite wurde dann bewertet mit ihrem vorhandenen Know-how und dem gewünschten, sozialistisch geprägtem und oft russischen Hintergrund, der bereits im Markt bekannt war und sich auch im Firmennamen widerspiegeln sollte. Die Gremien dieser Joint Venture- Gesellschaften wurden von Ost und West jeweils hochkarätig besetzt, was der Bonität und der Bedeutung zum Ausgleich der geringen Kapitalausstattung im Markt sehr nützte.

Die oft letzte Hürde: das Bankgeheimnis aus Schweizer Sicht und das Informationsbedürfnis der für die Sicherheit zuständigen russischen und ukrainischen Behörden. An dieser Problematik ist schon mancher gewinnträchtige Geschäftsabschluss gescheitert und diverse unbescholtene Bürger aus Ost und West landeten, wenn zumeist auch nur für wenige Tage, im Gefängnis.

Wer je im Ost-West -Geschäft, vor allem in der Zeit des Kalten Krieges tätig war, ist dieser ständige Konflikt zwischen den für die Staatssicherheit zuständigen Behörden der «sozialistischen Länder» und den an der Geschäftsfront tätigen Funktionären ein Alptraum. In der Ukraine war das noch ein spezielles Thema, wenn man den Übergang der Ukraine als «sowjetisches Staatsgebiet» auf den selbstständigen Staat «Ukraine» mit in Betracht zieht.

Wie auch immer: Der Konflikt war stets der gleiche, das gilt auch für die Ukraine: Es war auf der einen Seite der Konflikt zwischen den Geschäftsleuten, die kurz vor dem Abschluss eines lukrativen, gewinnträchtigen und oft von größter staatlicher Wichtigkeit stehenden Geschäftes standen, bei dessen Abschluss die involvierten Geschäftsleute und Funktionäre mit einem Lob und einer Extratantieme rechnen konnten.

Auf der anderen Seite waren die für die Staatssicherheit zuständigen Beamten, an deren strengen Pflichterfüllung manches lukrative Geschäft scheitern konnte und die Belohnung bestenfalls nur aus einem weiteren Orden bestand. So war es auch in der Ukraine, wenn auch alles nicht so strikt wie in Russland gehandhabt wurde. Aber die zwingende Notwendigkeit des noch jungen Staates, Devisen erwirtschaften zu müssen, sorgte im schlimmsten Fall für ein «Veto» von ganz oben, wenn es darum ging, ein wichtiges Geschäft vor dem Scheitern oder der Absage zu bewahren

An dem Bankgeheimnis aus Schweizer Sicht haben nicht nur die Vertreter der ehemaligen sozialistischen Länder ihre Mühe gehabt, im Gegenteil: viele westliche Banken und auch Behördenvertreter, da kann man ohne rot zu werden neben der Bundesrepublik auch Länder aus der EU nennen, im Zweifelsfall selbst die Vereinigten Staaten, haben diesbezüglich mit der Schweiz langwierige und gravierende Probleme gehabt.

Wie schön hoffnungsvoll war es doch zur Zeit des Swiss Ukrainian Business Summit 2008 in Kiew

Dennoch. Vieles deutete damals auf eine haltbare Aufbruchstimmung. Doch die Ernüchterung sollte spätestens sechs Jahre später folgen, mit dem Krim-Krieg 2014 und dann Russlands Angriff auf die gesamte Ukraine seit dem Februar 2022.

Brücken der Ukraine in die Schweiz, die geblieben sind: der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky (l.)und der Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Alain Berset, am Rande eines europäischen Gipfels im Moldawien am 1. Juni 2023.

Brücken der Ukraine in die Schweiz, die geblieben sind: der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky (l.)und der Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Alain Berset, am Rande eines europäischen Gipfels im Moldawien am 1. Juni 2023. (© picture-alliance, EPA | Peter Klaunzer)

Die Teilnehmer des Kiewer Summits 2008 eilten damals nach dem Abschluss ihres Treffens recht guter Dinge zur Kolonne der Taxis, die sie zum Endziel ihrer Reise bringen würde: zurück nach Kiew oder geradewegs zum Flughafen oder Hauptbahnhof und dann weiter nach Moskau, St. Petersburg, Zürich, Frankfurt oder London. Der Abschied war herzlich und alle freuten sich auf das nächste Wiedersehen, wo auch immer.

Seitdem sind 25 Jahre lehrreiche Jahre vergangen, die nunmehr leidensreich geworden sind. Nicht mehr Handelsbrücken prägen beide Nachbarländer, sondern Krieg. Die einen nennen es blutigen Angriff auf ein freies Land, die anderen sprechen von einer anhaltenden militärischen «Spezialoperation». Ich habe Freunde und Berufskollegen in beiden Ländern, zum Teil schon seit Jahrzehnten, davon viele aus gemischten russisch-ukrainischen Familien, und es fällt mir nicht nur deshalb schwer, ein Urteil nach der Schuldfrage zu stellen.

Aber die im Krieg getöteten Menschen beider Länder und die ganz überwiegend in der Ukraine zerstörten Städte und Dörfer sprechen doch eine klare Sprache. Immens viele Brücken sind unnötig zerbrochen. Reale, menschliche, wirtschaftliche. Es ist eine europäische Tragödie mit leider unabsehbaren Narben und Folgen. Weltweit. (hk)

Zitierweise: Holger Bahl, "Als Brückenbau noch möglich war", Deutschland Archiv vom 24.07.2023. www.bpb.de/deutschlandarchiv/523399. Alle Beiträge sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen AutorInnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar (hk).

Über 50 weitere Beiträge im Deutschland Archiv über die "Zeitenwende und die Folgen".

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