Empfehlungen aus der Friedens- und Konfliktforschung
In der Friedens- und Konfliktforschung gibt es zur Frage des Umgangs mit dem Krieg gegen die Ukraine vielfältige Stimmen. Die Herausgeber:innen des Friedensgutachtens, das von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), dem Bonn International Center for Conflict Studies und dem Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen herausgegeben wird, sprachen sich nach dem Beginn des Angriffskrieg für westliche Sanktionen und Waffenlieferungen aus.
In ihrem Gutachten vom Herbst 2022 (Friedensfähig in Kriegszeiten) verwiesen sie auf die imperialen Züge des Krieges. Man müsse „Druck auf Russland ausüben, um ernsthafte Verhandlungen zu ermöglichen“. Sanktionen und militärische Unterstützung für die Ukraine müssten „dem Zweck dienen, Russland zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand und langfristig über eine Friedenslösung zu bewegen.“
Gleichzeitig müsse man das „Risiko nuklearer Eskalation durch Verzicht auf nuklearen Ersteinsatz der NATO verringern.“ Deutschland solle sich dafür einsetzen, die weitere Verbreitung und den Ausbau nuklearer Arsenale zu verhindern. Zudem solle man Diplomatie und regionale Organisationen für Konfliktbearbeitung stärken, denn neben dem Krieg gegen die Ukraine würden internationalisierte Bürgerkriege und dschihadistische Gewalt nach wie vor das Konfliktgeschehen weltweit prägen: „Sie erfordern diplomatische Initiativen, eine restriktive Rüstungsexportpolitik sowie die Stärkung regionaler Organisationen“.
Bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung im März 2023
Auch Zellner geht es in erster Linie um einen Waffenstillstand, Sicherheitsgarantien und Rüstungskontrolle. Anders als bei den bisherigen Minsker-Abkommen brauche man eine fest definierte Waffenstillstandslinie und eine für die Überwachung ausgerüstete Dritte Partei, etwa in Form einer robusten UN-Peacekeeping-Mission. Sicherheitsgarantien könnten durch die Vereinigten Staaten im Verbund mit anderen Mächten auf der Grundlage des „Kiew Security Compact“ (Vorschlag des ehemaligen Nato-Generalsekretärs Fogh Rasmussen und Andrij Yermak)
Deutschland und der EU käme aber eine wichtige Funktion bei der Finanzierung und Implementierung eines Abkommens zu. Auch Zellner plädiert dafür, Russland zu signalisieren, dass bei kooperativem Verhalten über den Abbau von Sanktionen nachgedacht werden kann. Zudem solle man verdeutlichen, dass man am Fortbestand eines vereinten Russlands und nicht an dessen Zerschlagung interessiert ist. Eine besondere Herausforderung liege schließlich darin, die Oberaufsicht über die Atomwaffen zu sichern – Staatszerfall und vagabundierende Atomwaffen würden unüberschaubare Sicherheitsrisiken mit sich bringen.
Auch Paul Schäfer (Soziologe und ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages) geht davon aus, dass man Friedensperspektiven jetzt und heute erörtern und auch über eine kooperative Nachkriegsordnung nachdenken muss, um überhaupt einen Verhandlungsfrieden erreichbar zu machen: „Es geht nicht zuletzt um Signale an die russische Gesellschaft, die Druck im Innern Russlands für ein Ende des schändlichen Krieges aufbauen sollte. Auch für Teile der russischen Oligarchen gilt beispielsweise, dass sie großes Interesse an der Beseitigung der Sanktionen haben und gerne mit Hilfe westlicher Technologien und Unternehmen die Modernisierung und den Umbau der eigenen Wirtschaft voranbringen möchten. Dasselbe gilt für die jüngeren, städtischen Generationen, die als Fachkräfte benötigt werden. Daher sollte es ein vorrangiges Anliegen sein, Frieden (…) attraktiv zu machen, indem man die Aufhebung der Sanktionen und neue Kooperationsbeziehungen verbindlich in Aussicht stellt, falls Russland seine Aggression beendet“.
Im zweiten Schritt könnte dies „vertraglich zu einer umfassenden Friedensordnung mit gleicher Sicherheit für alle europäischen Länder“ führen. Die Resolutionen der UN-Vollversammlung könnten den völkerrechtlichen Weg weisen und Garantiemächte mit an den Tisch bringen. So hätte Europa „die Chance, sich von Revisionismus, Neokolonialismus und Krieg zu verabschieden, um sich den drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts zu widmen. Und die UNO könnte die Gunst der Stunde zu einer tiefgreifenden Reform des Sicherheitsrats nutzen“.
Friedenslogisch handeln im Unfrieden
Die Friedensforscherin Hanne Birckenbach betonte in ihrer Rede als Trägerin des Göttinger Friedenspreises vor allem die Bedeutung der Zivilgesellschaft.
NGOs und staatliche Geldgeber hierzulande dürften daher nicht darin nachlassen, die Zivilgesellschaft in der Ukraine und ihren Nachbarländern zu fördern, meint Birckenbach, und sie sollten auch weiterhin mutige Initiativen unterstützen, die über die verfeindeten Linien hinweg Kontakte ermöglichen.
Birckenbach meint, wenn man aktuell zu den großen geopolitischen Themen nicht verhandeln könne, solle man sich zunächst auf die Handlungsfelder konzentrieren, in denen Fortschritte möglich und wahrscheinlich sind; das waren bisher etwa die Abkommen für die Getreideausfuhr, den Schutz von Atomkraftwerken und den Gefangenenaustausch.
Der Krieg, so Birckenbach, verletze nicht nur das Völkerrecht, sondern habe auch immense Folgen für die Ernährung, Energieversorgung, das Finanzwesen und die Rüstungskontrolle. Viele UN-Mitglieder wollten daher ein rasches Ende des Krieges. Die Vertreter:innen westlicher Staaten müssten nun „akzeptieren, wie sehr sie auf die Zustimmung aus dem globalen Süden angewiesen sind, um europäische Konfliktlinien zu befrieden“, und sie würden dabei auch mit ihrer eigenen „Glaubwürdigkeitslücke“ konfrontiert. Ihre Maßnahmen zur Abwehr der russischen Aggression könnten am ehesten dann Zustimmung und Legitimität gewinnen, wenn die westlichen Länder gleichzeitig ihren globalen Verpflichtungen nachkämen. Dazu gehören: „Die Verpflichtung abzurüsten, den Waffenhandel zu beschränken, Ressourcen zu schonen und die 17 Ziele der Agenda 2030 umzusetzen. Diese weltpolitischen Verpflichtungen setzen europazentrierten Vorschlägen Grenzen.“
Den eurozentrischen Blick durch globale Perspektiven ersetzen
Auch wenn die Mehrzahl der UN-Mitgliedstaaten (141 von 193) in der UN-Vollversammlung im März 2022 den Krieg gegen die Ukraine verurteilt hat, gibt es weiterhin viele, die dazu nicht eindeutig Stellung beziehen, Verständnis für die russische Position signalisieren und sich an Sanktionen nicht beteiligen wollen.
Den meisten Regierungen im globalen Süden seien die eigenen wirtschaftlichen Interessen wichtiger, als den Boykott Russlands zu unterstützen, meint Wulf, und durch den aktuellen Krieg hätten sich Spannungen zwischen dem Globalen Süden und dem Westen – vor allem mit den USA als selbsternanntem Führer der freien Welt – weiter verstärkt. Zahlreiche Länder würden mit der Philosophie der BRICS sympathisieren, ein Gegengewicht zur G 7 zu schaffen. „Wladimir Putins Mantra gegen eine unipolare Welt, in der die USA das Sagen haben, wird im globalen Süden weitgehend geteilt. Für sie ist die Zeit des ‚globalen Polizisten‘ vorbei. Hinzu kommen Erinnerungen an die Kolonialzeit, unter denen viele Länder des globalen Südens bis heute leiden. Sie fühlen sich auch heute noch häufig bevormundet“.
Die BRICS-Mitglieder Brasilien, Indien und Südafrika und zahlreiche weitere Länder des Globalen Südens fordern ein größeres Mitspracherecht in internationalen Organisationen wie der UNO, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO). BRICS sei ein „anti-hegemoniales Projekt“, das die Vormachtstellung der USA in der bestehenden Weltordnung und die weltwirtschaftliche Dominanz des US-Dollars brechen wolle und das zugleich „geopolitisch“ auf wirtschaftliche und militärische Stärke sowie außenpolitischen Einfluss gerichtet sei. BRICS bilde zwar keinen homogenen Block und keinen der EU vergleichbaren politischen und rechtlichen Verbund, sei aber dennoch ein globales Schwergewicht, das man ernst nehmen müsse.
19 weitere Länder des Globalen Südens haben mittlerweile Interesse an einem Beitritt signalisiert. Das verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass die EU-Mitgliedstaaten auf globaler Ebene überzeugende Angebote zur Kooperation in Entwicklungsprojekten, zum Ausbau von Infrastruktur und im Bereich der Energie machen und diese auf Augenhöhe gestalten. Auch die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, ehemalige Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD, lenkt den Blick auf den Globalen Süden. Sie plädiert nachdrücklich dafür, Friedensinitiativen im Krieg gegen die Ukraine multilateral zu entwickeln.
1) „Das Bemühen, auf internationaler Ebene Partner für eine Deeskalation und für eine Verurteilung der russischen Aggression zu gewinnen.“ Das berühre die Interessen Russlands, das im Globalen Süden, vor allem in Afrika, seinen Einfluss wahren und ausbauen möchte. Dass der US-amerikanische Präsident auf den Wunsch afrikanischer Staaten, im UN-Sicherheitsrat vertreten zu sein, eingehe, sei wichtig. Russland weiche hier aus und verliere dadurch an Glaubwürdigkeit. Auch wenn eine konkrete Reform des UN-Sicherheitsrats aufgrund der erforderlichen Zustimmung Russlands aktuell unwahrscheinlich erscheine, würde die öffentliche Unterstützung afrikanischer Beteiligung ein klares politisches Signal an die afrikanischen Partner senden. Gleichzeitig würden Strategien, die Länder des Globalen Südens einzubinden, durch eine erneut verschärfte EU-Flüchtlingspolitik, die Afrika zu einem Erfüllungsgehilfen für den Ausbau der „Festung Europa“ machen will, konterkariert. Diese seien „verantwortungslos und kurzsichtig“; hier müsse auch „die deutsche Außenpolitik viel mehr Kompetenz und Ideen investieren.“
2) Ähnlich wie der Völkerrechtler Ulrich Fastenrath
Bisher – so argumentiert Schwan – könne Putin die „Belastungen durch westliche koloniale und neokoloniale Erbschaften in Afrika für sich ausnutzen. In dem Maß, wie der Westen nicht durch Sanktionen, sondern mit konstruktiven und partnerschaftlichen Kooperationsangeboten kontert, wird das russische (und auch das chinesische) Schwert stumpf. Das müssen wir erreichen, um Russland in seinem eigenen Interesse an imperialer Macht schrittweise durch multilaterale Abmachungen – etwa zugunsten von Ernährungssicherheit, zum Schutz der globalen Wirtschaft und zum Erhalt der ukrainischen Infrastruktur – zur Reduktion und Einstellung der Kämpfe in der Ukraine zu bewegen. Im globalen Süden will Putin sein Gesicht nämlich nicht verlieren.“
Ausblick: Aussichten für Sicherheit und einen gerechten Frieden in Europa und darüber hinaus
Eine große Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten hat in der UN-Vollversammlung im März 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt und Russland zum Rückzug aufgefordert (und dies im Laufe des Jahres noch mehrfach wiederholt).
Auch wenn der Vorschlag aus Bejing nicht überzeugend gewesen sein mag: Angesichts dessen, dass die chinesische Führung zu den wenigen Akteuren gehört, die im Kreml Gehör finden, sollte man weiterhin kontinuierlich versuchen, sie für eine Beendigung des Krieges zu gewinnen. Jüngst begaben sich auch politische Akteure aus Indonesien und aus dem südlichen Afrika (Kongo, Sambia, Uganda, Senegal und Ägypten unter Führung des Präsidenten von Südafrika, Cyril Ramaphosa) auf den Weg für Gespräche. Das Problem ist: Gegen den erklärten Willen von Kriegsparteien lässt sich keine erfolgreiche Drittparteienintervention starten, und bislang scheint es sowohl der russischen als auch der ukrainischen Führung vorteilhafter, die Waffen sprechen zu lassen. Insbesondere ist es schwer von außen einzuschätzen, welches die Faktoren und Bedingungen wären, mit denen man die russische Regierung zur Verhandlungsbereitschaft bewegen könnte. Zudem wissen wir nur wenig über die Kräfteverhältnisse innerhalb des russischen Machtapparats, von denen Verhandlungsbereitschaft ganz maßgeblich abhängen wird. Dazu machen die genannten Studien auch so gut wie keine Angaben.
Der Machtkampf zwischen dem Präsidenten und seinem langjährigen Weggefährten Jewgeni Prigoschin, dem Organisator der weltweit und auch in der Ukraine aktiven „Gruppe Wagner“, der im Juni 2023 in eine offene Meuterei mündete, wird vielfach als deutliches Zeichen für Risse im Beton und eine Schwächung von Putins Machtbasis interpretiert. Aber ob dies so zutrifft, ist derzeit schwer einzuschätzen.
Die Vorstellung, dass die Ukraine zumindest zeitweilig nicht ihr gesamtes Territorium zurückerhalten kann, mag angesichts eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs sehr unbefriedigend und ungerecht anmuten. Es würde ihr aber ermöglichen, sich wirtschaftlich zu erholen und Menschenleben zu schonen. Auf dieser Basis könnte der Weg für weitergehende Vermittlungsinitiativen geebnet werden. Diese müssten sich auf ein politisches Abkommen richten, das sich auf die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht gründet und einen „gerechten Frieden“ anstrebt.
Die beschriebenen Konzepte würden die Konfrontation mit Russland weder für die Ukraine noch für die westlichen Länder beenden, aber die Risiken für eine Entgrenzung und Eskalation in einen umfassenden Krieg mindern. Diese Argumente sollte man, auch wenn man der Ukraine größtmögliche Solidarität versprochen hat, abwägen und berücksichtigen. Weiterhin zeigen die Studien, dass Bemühungen um eine Deeskalation und Beendigung des Krieges auch dem übergeordneten Konflikt zwischen Russland und der Nato/den USA Rechnung tragen müssen (vergleiche dazu auch Fathi 2023). Die wiederum müssten auch die eigenen Anteile an der Entstehung eines neuen „Ost-West“-Konflikts reflektieren, um für den Aufbau zukünftiger europäischer Sicherheitsstrukturen besser vorbereitet und international glaubwürdiger zu sein.
Dialog und Strukturen für europäische Sicherheit erhalten und beleben
Einige Analyst:innen plädieren dafür, schon jetzt einen breiteren Dialog über die europäische Sicherheit zu beginnen. Samuel Charap meint, nur so könne man einer vergleichbaren Krise in der Zukunft vorbeugen.
Der Außenpolitiker erinnerte daran, dass diese Strukturen 1975 mit dem Helsinki-Prozess auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges geschaffen wurden, weil man dringend Gesprächskanäle benötigte. Diese werde man wieder brauchen, „spätestens am Tag danach. Wir hoffen doch alle, dass es in diesem Krieg, diesem brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine,
Auch mit der Einbindung der Zivilgesellschaft in Sicherheitsordnungen, Krisenprävention und Mechanismen der Konfliktbearbeitung hat die OSZE reichhaltige Erfahrung. Gerade deshalb kommt ihr auch große Bedeutung bei der Unterstützung von Aussöhnungsprozessen in Nachkriegsgesellschaften zu. Allerdings besteht eine große Herausforderung darin, die OSZE zu reformieren und ihre zukünftige Rolle neu zu verhandeln. Dafür braucht es tatsächlich eine Art Neuauflage des Helsinki-Prozesses
Perspektiven für Rüstungskontrolle und Abrüstung eröffnen
Mit dem Krieg gegen die Ukraine werden die Weichen für die künftigen strategischen Beziehungen zwischen den USA und Russland neu gestellt, meint Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser.
Krisenkommunikation und die Sicherheit von Kommando- und Kontrollstrukturen benötigen nach Ansicht der Herausgebenden besondere Aufmerksamkeit, um Konflikteskalation durch Fehlwahrnehmung zu verhindern. Rüstungskontrollpolitik müsse sich umstellen: „Es wird schwieriger werden, Abrüstungsschritte zu vereinbaren oder Rüstungsbegrenzungen durchzusetzen. Das ist aber kein Grund, Rüstungskontrolle hintanzustellen und auf bessere Zeiten zu warten. Vielmehr sollte auf Rüstungskontrollmaßnahmen fokussiert werden, die Stabilität auch in Krisen- und Kriegszeiten durch diplomatische Kommunikationswege aufrechterhalten und die militärische und politische Kontroll- und Kommandostrukturen durch internationale Vereinbarungen sichern.“
Weiter heißt es in dem Friedensgutachten: „Das Ziel muss sein, die Krisenstabilität zu erhöhen, das Risiko von Fehlwahrnehmungen zu minimieren und militärische Eskalation ‚aus Versehen‘ zu verhindern. Für die Zeit nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine sollte an klassische Konzepte der Transparenz und Überprüfbarkeit von Truppenbewegungen und an Maßnahmen der Vertrauensbildung angeknüpft werden. Dies eröffnet auch die Möglichkeit, Staaten in multilaterale Gespräche einzubeziehen, die bislang die Rüstungskontrolle weitgehend den Supermächten USA und Russland überlassen haben“.
Im Bereich konventioneller Waffen sind erhebliche diplomatische Bemühungen erforderlich, um eine neue Rüstungsspirale zu verhindern. Ziel könnte ein neuer Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE II) sein, der Waffenbestände begrenzt und sich am Prinzip „struktureller Nichtangriffsfähigkeit“ orientiert (Schäfer 2023a). Darüber hinaus braucht es auch auf globaler Ebene und im nuklearen Bereich dringend Neuverhandlungen über die strategischen Potenziale (New START), die Wiederauflage eines Abkommens über Mittelstreckenwaffen (INF) und wirksame Vereinbarungen, um den Ersteinsatz dieser Waffen auszuschließen. Auch in der Weltraumrüstung und bei den autonomen Waffen sind Regulierung und Verbotsregeln erforderlich, um einem ungebremsten Rüstungswettlauf vorzubeugen. In den westlichen Ländern sollte man selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, dass zur Vorgeschichte des aktuellen Krieges die Erosion globaler Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime gehört. Die ist keineswegs allein von Russland, sondern auch von den Nato-Partnern zu verantworten (wenngleich das den Krieg natürlich keinesfalls entschuldigt).
Daher wäre zu wünschen, dass die Nato und die EU-Mitgliedstaaten, statt ihre militärischen Arsenale immer weiter auszubauen, für die Zukunft eine Politik der Entmilitarisierung unter dem Dach der Vereinten Nationen anstreben. Die Beseitigung der nuklearen Massenvernichtungswaffen muss mit erster Priorität auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Drohungen von russischer Seite mit dem Einsatz solcher Waffen im Krieg gegen die Ukraine haben nochmals die Bedeutung des Vertrags über das Verbot der nuklearen Rüstung verdeutlicht. Der wurde von der UN-Generalversammlung 2017 mit großer Mehrheit angenommen, jedoch von den atomwaffenbesitzenden Staaten nicht unterzeichnet. Das erhöht nicht die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Globalen Süden.
Ein aktives Engagement für Rüstungskontrolle und Abrüstung hingegen wäre für viele Länder des Globalen Südens, die man für eine multilaterale Politik gewinnen möchte, vermutlich ein überzeugenderes Signal. Die Einleitung einer glaubwürdigen Politik verlangt aber noch mehr, nämlich alles daran zu setzen, die Klimaziele einzuhalten, um die Erderwärmung zu bremsen, die
Aktives Bemühen um die Umsetzung des UN-Migrationspakts, wirksame Rüstungsexportkontrolle sowie Initiativen für Entschuldung
Weiterer Beitrag von Martina Fischer im Deutschland Archiv:
Zitierweise: Martina Fischer, „Wie ist dieser Krieg zu deeskalieren und zu beenden? Teil 2“, in: Deutschland Archiv, 27.07.2023, Link: www.bpb.de/523379