Der Überläufer (Teil IV) Ein Abendessen mit dem Chef des BND. Die Affäre Schalck-Golodkowski im Spiegel von Akten des Bundesnachrichtendienstes BND. Mit Dokumenten.
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Der Abschluss unserer vierteiligen Serie über die Aussagen des SED-Devisenbeschaffers Alexander-Schalck-Golodkowski beim BND. Dazu gehörte auch ein dreistündiges Abendessen mit dem damaligen Geheimdienst-Chef Wieck, in dessen Verlauf dem Ehepaar Schalck sogar eine mehrtägige Kunstreise angeboten wurde. Schalcks BND-Kontakte setzten sich danach noch sporadisch telefonisch fort.
In seinen Befragungen durch den Bundesnachrichtendienst BND (siehe auch
Seine Frau habe ein monatliches Nettogehalt in Höhe von 3.000 Mark bezogen. Die persönlichen Sparguthaben des Ehepaares auf DDR-Konten hätten laut Schalck insgesamt rund 340.000 Mark betragen. Zum Vermögen des Ehepaares gehörte zudem ein Wochenendhaus in Gollin, das dem KoKo-Chef von Erich Honecker „für besondere Verdienste“ geschenkt worden war, sowie Bilder, Plastiken und eine Meißner Porzellansammlung. Alles natürlich redlich erworben oder geschenkt bekommen, wie Schalck betonte
In den BND-Akten aus den Jahren 1990 und 1991 finden sich auch handschriftliche Übersichten Schalcks, die etwa die Struktur des MfS, Namen von Führungskräften und Verbindungen mit einzelnen KoKo-Firmen wie Asimex, Forum, BIEG und Forgber betreffen. Für den BND waren solche Informationen von großem Wert, um gezielt Informanten aus dem sich auflösenden Stasi-Apparat anzuwerben. Andere handschriftliche Notizen, die auf Angaben des Überläufers beruhen, listen Namen von Funktionären aus dem DDR-Regierungsapparat ebenso auf wie von Leitern volkseigener Kombinate und Betriebe - auch diese Personen empfahl Schalck dem BND als mögliche Ansprechpartner für die Informationsgewinnung.
PDF-Dokument: Interner Link: Skizze über Struktur der Staatssicherheit nach den Angaben von Schalck beim BND 1990
Schalck vermittelte dem BND neben dem schon erwähnten Gerhardt Ronneberger noch weitere Auskunftspersonen, darunter etwa den Außenhändler Günter Forgber. Forgber hatte seit den 1970er Jahren mehrere dem KoKo-Bereich zuzuordnende Firmen gegründet und geleitet, die vorwiegend auf den Embargoschmugel spezialisiert waren. Darüber hinaus war er insbesondere auch in der Wendezeit an der Verschiebung von Millionensummen über Ungarn und die
Auch Ehefrau und Schwager werden Quellen
Auch vor der eigenen Familie schreckte Schalck nicht zurück, wenn es galt, dem BND Ansprechpartner zu wichtigen Wirtschaftsthemen in der DDR zuzuführen. So konnte er seinen Schwager Manfred Gutmann dafür gewinnen, eine Ausarbeitung über die chemische Industrie in der DDR, ihre Möglichkeiten und geplante Entwicklungsprozesse anzufertigen. Gutmann war lange Jahre Produktionsdirektor des Petrolchemischen Kombinats in Schwedt gewesen und arbeitete inzwischen als stellvertretender Institutsdirektor für chemische Technologie bei der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Nachdem er Schalck die Übersicht ausgehändigt hatte, verbat er sich laut einem BND-Treffbericht vom 15. Februar 1990 allerdings eine Weitergabe des Dokuments an den BND
Trotz seiner Verärgerung darüber erklärte sich Gutmann offenbar bereit, weitere Nachfragen des BND zur chemischen Industrie in der DDR zu beantworten. In einer Anfang März von Schalck übergebenen Ausarbeitung wurden unter anderem Produktionsperspektiven, Ex- und Importverpflichtungen, Fragen der Erdölverarbeitung und der Reduzierung der Braunkohleveredelung behandelt - Themen, die für die westdeutsche Chemieindustrie bei der Beurteilung einer künftigen Kooperation mit oder Übernahme von DDR-Betrieben sicher von Interesse waren.
Auch Sigrid Schalck trug zu den Erkenntnissen des BND über die DDR bei. Bei mehreren Treffs mit den Befragern des Geheimdienstes saß sie mit am Tisch und ergänzte die Angaben ihres Mannes. Darüber hinaus schrieb sie kurze Zusammenfassungen und Überlegungen zu verschiedenen Themen. So berichtete sie etwa ausführlich über ihre Geschäftsreise nach Moskau im März 1991, auf der sie Gesprächspartner aus Wirtschaft und Politik traf. Darin gibt sie ein Stimmungsbild in den politischen und nachrichtendienstlichen Kreisen der Sowjetunion wieder. Offenbar wurde ihr dort nicht misstraut, obwohl Schalcks Betreuung durch den BND natürlich in Moskau bekannt war: „Unsere Freunde … stehen zu ihrem Vertrauen zu Schalck und lassen sich auch darin durch 1. Abt. KGB [gemeint ist die Erste Hauptverwaltung des KGB, die Auslandsaufklärung - d.A.] nicht beirren.“
So sei ihr Einreisevisum von der für Moskau zuständigen 2. Verwaltung des KGB unterstützt worden. Aus ihren politischen Gesprächen berichtete sie darüber, dass KPdSU-Chef Michail Gorbatschow und sein Außenminister Eduard Schewardnadse eine enge Bindung an die USA anstreben, weil sie „nur in diesem Land eine wirksame und grundlegende Hilfe für die Neugestaltung besonders der ökonomischen Verhältnisse in der SU“ sehen. Auffällig nennt sie in ihrem Reisebericht für den BND die „außerordentlich große Sympathie für Jelzin im Volk“ und den zunehmenden Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche: „Kirchenbesuche von KPdSU-Mitgliedern finden statt.“
In ihren Gesprächen mit verschiedenen russischen und ukrainischen Kombinatsdirektoren lotete sie im Auftrag der bayerischen Marox AG zudem weitere Geschäftsmöglichkeiten aus. Aber auch für andere deutsche Unternehmen würden sich neue Möglichkeiten auf dem sowjetischen Markt ergeben, berichtete Sigrid Schalck. „Die jetzt verantwortlichen Leute interessieren sich nicht mehr für die DDR, sie wollen jetzt unbürokratisch neue Geschäfte … mit der BRD machen.“ Für die Mentalität und die Durchsetzung solcher neuer Geschäftsbeziehungen sei aber „dringendst notwendig“, dass Fachleute vor Ort sind und bleiben. Wen sie als Türöffner für die westdeutsche Wirtschaft sah, ließ sie deutlich erkennen: Sie und ihren Mann. „Deshalb hatte ich bei den Gesprächen keine Schwierigkeiten mit meinem Namen. Alexander hat einen guten Ruf als exakter Geschäftsmann, und die Erklärungen der DDR interessieren sie nicht.“
Über den früheren HVA-Chef Markus Wolf berichtete sie dem BND, dass dieser sich um den Kauf eines Hauses bei Moskau bemühe. „Diese Entscheidung wird nicht von allen KGB Verantwortlichen begeistert aufgenommen.“
Und dann hatte sie für den BND noch eine delikate Information über den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU). „Es gibt enge Kontakte zwischen Ministerpräsidenten Späth und Ryschkow [Nikolai Ryschkow war unter Gorbatschow Regierungschef der Sowjetunion - d.A.]. Vertraute haben Informationen von Späth und einem in dem FS [Fernschreiben - d.A.] als teuren Informanten Genannten gelesen, in denen (sic!) zur Lage BRD informiert wird und zu Schalck in der BRD.“
Ausschnitt aus BND-Gesprächsprotokoll mit Alexander Schalck über dessen Sicht auf die Sowjetunion, dortige Politiker und deren Kontakte zu Westpolitikern wie dem damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Lothar Späth. (© Archiv des Autors, BND und Deutschland Archiv)
PDF-Dokument: Interner Link: Ausschnitt über BND-Gesprächsprotokoll mit Schalck über dessen Ansichten zur Sowjetunion und zu Gorbatschow.
Belasteter DDR-Außenhandelsminister
Mitunter waren Sigrid Schalcks „Ausarbeitungen“ auch sehr emotional und zeugten von der Wut darüber, dass ihr Mann und sie in der DDR als Blitzableiter für den Volkszorn herhalten mussten. Ein gutes Beispiel dafür ist ein vom Dienst so genanntes „Feature“, das sie am 12. Februar 1990 im Auftrag ihres BND-Verbindungsführers Burgdorf unter anderem über DDR-Außenhandelsminister Gerhard Beil verfasste. Beil zählte zu den wenigen Vertretern des ancién regime, der unbeschadet die politische Wende in der DDR überstanden hatte.
In dem Text belastete sie den DDR-Politiker schwer: Er sei langjähriger Mitarbeiter der HVA, der Offiziere der Stasi und der Verwaltung Aufklärung getarnt in den DDR-Handelsvertretungen im Ausland untergebracht habe, sich den Bau seines Wochenendhauses aus Staatsvermögen bezahlen ließ, Westautos fahren durfte und zweimal im Jahr in der KoKo-Firma Kunst & Antiquitäten einkaufen konnte. „Warum muss Herr Dr. Beil keine Auskunft geben, während jeder andere leitende SED-Funktionär Befragungen oder Ermittlungsverfahren über sich ergehen lassen muss? Wer schützt ihn?“, fragte sie in dem Text. In dem Anschreiben dazu mahnte sie Burgdorf: „Die Bemerkungen zu Dr. Beil … sind außerordentlich brisant und sollten aus unserer Sicht nur in Abstimmung mit der politischen Führung verwendet werden“, heißt es darin.
Von Schalck stark belasteter SED-Wirtschaftsfunktionär, der damalige DDR-Außenhandelsminister Gerhard Beil (r) bei einem Besuch in Bonn mit dem letzten SED-Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow (M.) neben Bundesfinanzminister Theo Waigel (vorn, 3.v.r.). (© picture-alliance/dpa, ZB | Peter Zimmermann)
Ein stets wiederkehrendes Thema in den Treffberichten ist neben der Sorge des Ehepaars um den Schutz ihres in der DDR zurückgelassenen Eigentums und um die persönliche Sicherheit ihrer Familienangehörigen auch die Verärgerung über den schleppenden Prozess der Einbürgerung in Bayern und die dabei ausbleibende Unterstützung durch Politiker. Nach solchen Treffen notierte BND-Verbindungsführer Burgdorf zu diesem Gesprächspunkt nur das Wort „Seelenmassage“.
Vermisste „Seelenmassage“
Diese „Seelenmassage“ ging so weit, dass Burgdorf eine Woche vor Weihnachten 1990 das Ehepaar Schalck in Rottach-Egern aufsuchte und ihnen zwei Teller mit Weihnachtsgebäck schenkte. „Schneewittchen“ revanchierte sich nach alter DDR-Art mit Alkohol - sechs Flaschen Wein und eine Flasche Kognak. Nach Rücksprache mit einem Vorgesetzten durfte Burgdorf Schalcks Präsent „im Rahmen der Weihnachts/Jahresabschlussfeier den Mitarbeitern (seines Referats) … zur Verfügung stellen“.
Aber Seelenmassage durch den Verbindungsführer allein reichte den Schalcks nicht immer. In einem anderen BND-Treffbericht heißt es: „Obwohl er sich anerkennend über die Bemühungen des BND äußerte, meinte S., es sei nun die Zeit gekommen, den BMI Schäuble an sein Versprechen vom 2.12.89 [richtig: 3.12.89 - d.A.] zu erinnern.“ Schalck spielte mit der Äußerung offenbar auf ein Telefonat an, dass er am Tag seiner Flucht aus der DDR mit Schäuble geführt hatte und in dem ihm der Innenminister Hilfe bei der Eingliederung in die Bundesrepublik zugesichert hatte. Seitdem hatte es aber keinen Kontakt mehr zwischen dem CDU-Politiker und dem Überläufer gegeben. Der bei dem Treff mit dem BND anwesende Pressesprecher des Generalbundesanwalts, Förster, bestärkte Schalck dabei in seiner Haltung: „S. könne nicht nur auf Politiker Rücksicht nehmen, sondern müsse an sich denken“, gab der BND-Protokollant Försters Äußerung wieder.
Dreistündiges Treffen mit BND-Chef Wieck
Um die Schalcks bei Laune zu halten, wurde Mitte März 1990 ein Treffen des Ehepaares mit dem BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck organisiert, der den Bundesnachrichtendienst vom 4. September 1985 bis zum 3. Oktober 1990 geleitet hat.
Dreieinhalb Jahre vor der Flucht Schalck-Golodkowskis in die Arme des Bundesnachrichtendienstes. Der seinerzeitige BND-Präsident Hans-Georg Wieck (l.), Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) während einer Feierstunde zum 30jährigen Bestehen des BND am 8. April 1986 in Pullach bei München. Zu diesem Zeitpunkt hatte der CSU-Politiker Strauß bereits drei Jahre lang intensiven Kontakt zu dem Stasi-Oberst und SED-Devisenbeschaffer Schalck. (© picture-alliance/dpa, DB / Frank Mächle)
In Vorbereitung darauf wurde Wieck von seinen Leuten über die psychologische Situation des Ehepaares in Kenntnis gesetzt. Zur normalen psychischen Belastung von Überläufern kämen bei den Schalcks noch solche Dinge hinzu wie „Aufgabe eines privilegierten Status mit allen ideellen und sachlichen Werten … Statusverlust im Westen … Gefühl der Ungleichbehandlung und Undankbarkeit“. Wieck müsse sich daher darauf einstellen, das „insbesondere die Enttäuschung Schneewittchens über die Zurückhaltung und mangelnde Unterstützung sowie angebliche Nichteinhaltung von Zusagen durch bundesdeutsche Politiker, die Integration des Ehepaares betreffend, … wesentliche Besprechungspunkte sein“ könnten.
Dem Rechnung tragend „und als Anerkennung für deren Zusammenarbeitsbereitschaft wird eine ca. 10-tägige Kunstreise nach Italien in Städte der Wahl des Ehepaares angeboten“, regte der Verfasser des Vorbereitungspapiers an. Ein weiteres Thema des Gesprächs könnte auch die zukünftige berufliche Situation und Planung des Überläufers sein. „In diesem Zusammenhang kann das Angebot der Firma Siemens im Zusammenhang mit der Suche nach einer undichten Stelle in der Firma besprochen werden“, heißt es in dem Papier.
"Pr[äsident] bot Ehepaar "S" eine Kunstreise von 8 - 10 Tagen Dauer an"
Den Akten nach traf sich am 16. März Wieck mit den Schalcks zum Abendessen im Hotel „Überfahrt“ in Rottach-Egern. Die gut dreistündige Zusammenkunft konnte der BND-Präsident gleich mit einer guten Nachricht beginnen: Die Ausstellung der vom Ehepaar erhofften bundesdeutschen Reisepässe auf ihren richtigen Namen werde in den nächsten Tagen erfolgen, kündigte Wieck an. Später sicherte er den Schalcks noch zu, dass die Fragen ihrer Altersversorgung und ihres in der DDR zurückgelassenen Eigentums „in einem gemeinsamen Deutschland geregelt“ werden würden. Auch die Einladung zur Kunstreise brachte Wieck vor und riet Schalck, sich doch künftig "als Wirtschaftsberater oder Unternehmer" zu betätigen.
Ausschnitt aus BND-Vermerk vom 21. März 1990 über gemeinsames Abendessen von BND-Chef Wieck mit DDR-Überläufer Schalck-Golodkowski im Hotel Überfahrt in Rottach-Egern. (© Archiv des Autors, BND und Deutschland Archiv)
Im Laufe des Abends wollte Schalck wissen, welche Möglichkeiten einer „beruflichen Integration“ sich bieten würden. Wieck trug dazu „eine Art Plan für das weitere Vorgehen“ vor. Danach werde er Schalck Fragen zukommen zu lassen, „die im weitesten Sinne die Ost-West-Wirtschaft betreffen“. Er solle diese als „Fachmann“ beantworten und in diese Antworten auch „seine Rechtfertigung und Stellungnahme zu den kriminellen Vorwürfen“ einarbeiten. Die Antworten könne er, Wieck, dann in einer seriösen Wirtschaftszeitung unterbringen.
Zum Abschluss des Abends bat das Ehepaar noch darum, dass sie „nach Abschluss der Befragung den Kontakt zum BND nicht abbrechen … müssen, sondern die Möglichkeit eingeräumt … bekommen, auch weiterhin einen Ansprechpartner zu bekommen“. Wieck habe dies „ausdrücklich bestätigt“, heißt es in dem Bericht über das Treffen.
PDF-Dokument: Interner Link: BND-Vermerk über Gespräch mit dem Ehepaar Schalck-Golodkowski vom 13. März 1990.
Befragungsende am 28. März 1990
Die sogenannten Hauptbefragungen Schalcks durch den BND endeten am 28. März 1990 mit einem letzten Treff im Hotel Walter’s Hof in Rottach-Egern. Einen Tag später veröffentlichte der Münchner Merkur die neue Wohnadresse des geflüchteten Ehepaares. Kurz darauf gab es die ersten Fernsehbilder des Ex-KoKo-Chefs in seinem bayerischen Exil am idyllischen Tegernsee. Die Medien belagerten das Grundstück. Unter diesen „Belagerungsmaßnahmen“, wie der BND schrieb
In der Folge übermittelte Schalck seine Informationen, die er über seine nach wie vor intakten Kanäle aus der DDR erhielt, meist über Telefon an den Dienst. Nach zwei, drei Wochen, als sich die Reporter und Kameraleute vom Schalck-Anwesen in Rottach-Egern zurückgezogen hatte, kam es auch hin und wieder zu kurzen Treffs mit dem BND-Verbindungsführer Burgdorf. So etwa am 24. August 1990, als Schalck Neuigkeiten über „mögliche finanzielle Manipulationen von PDS-Funktionären“ zu berichten wusste.
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Dabei ging es um angebliche Pläne der noch von Ministerpräsident Modrow vor den Volkskammerwahlen im März mit 300 Millionen DM aus der Staatsreserve ausgestatteten KoKo-Nachfolgeorganisation „Berliner Finanzierungsgesellschaft“, einige der unter ihrem Dach noch existierenden ehemaligen KoKo-Firmen „mit Wissen und Duldung der Treuhandanstalt“ zu reprivatisieren. Nutznießer seien laut Schalck „leitende Funktionäre dieser Gesellschaft, die ausnahmslos … noch heute Mitglieder der PDS“ seien. „Schneewittchen vermutet bzw. schließt es nicht aus, dass Gohlke [Reiner Maria Gohlke war kurzzeitig Präsident der Treuhandanstalt in Ostberlin und am 20. August 1990 überraschend von diesem Amt zurückgetreten - d.A.] um diese Vorgänge sehr genau wusste, aber sich dem Druck der ökonomischen (Westbanken) und politischen Kreise aus der Bundesrepublik, die mit den o.a. PDS Funktionären zum gemeinsamen Vorteil zusammenarbeiten, nicht beugen wollte und daher … den Vorsitz der Treuhandanstalt niederlegte“, heißt es in einem Vermerk Burgdorfs an den BND-Präsidenten vom 24. August 1990.
Informationsfluss reißt nicht ab
Zwei Monate später hatte Schalck wieder etwas Neues aus seinem alten Wirkungsbereich zu berichten. Demnach plane die Ostberliner Deutsche Handelsbank (DHB), die ehemalige „Hausbank“ von Schalcks KoKo, mit Zustimmung der Treuhandanstalt ihre Gesellschafteranteile an vier KoKo-Firmen an eine Westberliner Privatbank zu verkaufen. „Damit wäre das Vermögen dieser Firmen dem Zugriff der Treuhand entzogen“, warnte Schalck.
Schon Ende 1990 bekam die Frankfurter BHF-Bank gegen ein Angebot von 370 Millionen Mark für zwei Drittel der Handelsbank-Anteile den Zuschlag, zog sich jedoch wieder zurück. Die zu diesem Zeitpunkt in Medien und Bankkreisen auftauchenden Gerüchte über dunkle Geschäfte der DHB waren vermutlich der Grund dafür. Stattdessen übernahm die Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) am 13. November 1990 die Bankanteile für die deutlich geringere Summe von rund 225 Millionen Mark. Wären die Informationen von Schalck in der Bundesregierung ernst genommen worden, hätte der Verkauf verhindert werden können. Oder wollte Bonn das nicht? Die Hintergründe der in so merkwürdiger Eile und zu einem Schnäppchenpreis vollzogenen Privatisierung der Deutschen Handelsbank sind bis heute jedenfalls ungeklärt, obwohl zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse zur Veruntreuung von DDR-Vermögen sich mit diesem Thema befasst hatten.
Ende November 1990 berichtete Schalck seinem Verbindungsführer über einen Anruf des Grünen-Bundestagsabgeordneten Reinhard Kraemer, der ihm mitgeteilt habe, dass seine Partei einen Untersuchungsausschuss zur KoKo beantragen werde. Empört hatte „Schneewittchen“ aber vor allem, dass Kraemer ihm „mit Schadenfreude“ gesagt habe, er habe seine Telefonnummer in Rottach-Egern vom BND erhalten, was tatsächlich stimmte.
Nachrichten enthüllen Schalcks BND-Gespräche
Noch mehr verärgerte Schalck aber, dass Geheimdienstkoordinator Lutz Stavenhagen in der Tagesschau am 12. Dezember 1990 erstmals den BND-Kontakt des Überläufers offiziell bestätigte. Schon eine Viertelstunde nach der Nachrichtensendung mit dem Stavenhagen-Interview rief Schalck am 12. Dezember 1990 bei seinem Verbindungsführer Burgdorf an und beschwerte sich. Er war „erbittert und enttäuscht“, hatte er sich bis dahin doch bei seinen wenigen öffentlichen Äußerungen stets an die vom Dienst vorgegebene Sprachregelung gehalten und den BND nicht erwähnt. „Mit den Vorwürfen der Presse habe er leben können, solange keine offizielle Bestätigung seiner Kontakte zum BND abgegeben wurde.
PDF-Dokument: Interner Link: BND-Vermerk vom 13. Dezember 1990 über Schalcks Entsetzen dass Nachrichtensendungen seinen BND-Kontakt meldeten
Insbesondere sei ihm von Vertretern des BND versichert worden, dass seine Kontakte zum BND mit Rücksicht auf seine Angehörigen, aber auch (auf) seine Geschäftsverbindungen nicht preisgegeben würden“, gab Burgdorf den Anruf Schalcks wieder. Außerdem habe sich „Schneewittchen“ empört gezeigt, dass Stavenhagen behauptet habe, er, Schalck, habe sich dem BND angeboten. Vielmehr sei es doch so gewesen, dass Schäuble ihn an den BND vermittelt habe. „Die Aussagen Schalck-Golodkowskis entsprechen der Wahrheit“, hält Burgdorf in dem Vermerk dazu fest.
Was Schalck darüber hinaus auch aufregte, war die falsche Darstellung Stavenhagens, der BND habe schon Ende Februar 1990 den Kontakt zu dem Überläufer abgebrochen. Er habe daraufhin gedroht, dass er sich nun nicht mehr an seine Schweigepflicht gebunden fühle. Deshalb werde er über seinen Anwalt mitteilen lassen, „dass er noch im September 1990 auf ausdrücklichen Wunsch von Staatsminister Stavenhagen zu einem Gespräch mit dem ehemaligen Volkskammerabgeordneten Geisthart bereit gewesen sei, wo es um die Personen de Maizière und Diestel gegangen ist“. Es sei ihm, Burgdorf, in einem langen Gespräch gelungen, Schalck von diesem Vorhaben abzubringen, hält der Verbindungsführer in einem Vermerk vom 3. Januar 1991 an BND-Präsident Porzner fest.
Interner Streit über Kontaktabbruch
Einen Tag zuvor war Burgdorf mitgeteilt worden, dass nach dem Outing von Schalck als sprudelnde BND-Quelle in Bonn offenbar die Entscheidung gefallen ist, der Geheimdienst solle den Kontakt zu dem Überläufer nun wirklich beenden. Burgdorf bat jedoch dringend darum, „diese Maßnahmen auf Grund der nicht zu übersehenden Auswirkungen für den BND, aber auch für die Bundesregierung und die Parteien noch einmal zu überdenken“.
Er erinnerte an das Abendessen des damaligen BND-Chefs Wieck mit den Schalcks und dessen Zusicherung, das Ehepaar könne sich „auch nach Abschluss der Befragungen jederzeit mit seinen persönlichen Problemen und Anliegen an den BND wenden … [Schalck] sieht darin eine Art Äquivalent für seine Bereitschaft, sich unentgeltlich den Fragen des BND zur Verfügung gestellt zu haben.“ Burgdorf warnte zudem vor „unangenehmen Verwicklungen, die entstehen könnten, wenn S. ohne ‚neutrale Beratung‘ sich selbst überlassen wird“. Sein Vorschlag: Den Kontakt zu Schalck nicht abrupt beenden, sondern langsam reduzieren. „Dieses Vorgehen hätte auch den Vorteil, eventuelle Anfragen oder Wünsche der Bundesregierung oder Bundesbehörden zu Angelegenheiten, Ereignissen oder Personen in den fünf Bundesländern auch künftig auf diskretem Weg klären zu können.“
Burgdorfs Bedenken wurden zur Kenntnis genommen, aber loswerden wollte der BND sein „Schneewittchen“ dennoch. Präsident Konrad Porzner, der den BND als Nachfolger von Hans-Georg Wieck von 1990 bis 1996 leitete, entschied daher, mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz Kontakt aufzunehmen und eine Übergabe des inzwischen lästig gewordenen Ex-KoKo-Chefs auszuhandeln.
In der Folge kam es nur noch zu gelegentlichen Telefonaten zwischen Schalck und Burgdorf. Am 28. Februar 1991 fand der letzte Treff mit „Schneewittchen“ statt. Verbindungsführer Burgdorf besuchte das Ehepaar Schalck in Rottach-Egern, um sich persönlich zu verabschieden. Als Grund für seinen Abschied sollte Burgdorf vortäuschen, er müsse wegen des Golfkriegs mit Irak zu einem zeitlich nicht begrenzten Einsatz in die Region reisen.
In den folgenden Wochen rief Schalck immer mal wieder beim Diensthabenden Beamten des BND (BvD) an, um sich mit Burgdorf oder einem anderen BND-Mitarbeiter verbinden zu lassen. Aber der BvD blockte stets ab. Dabei hinterließ „Schneewittchen“ Informationshäppchen in der Hoffnung, seine Ansprechpartner damit zu locken: Etwa, dass er die Lieferung russischer Hubschrauber nach Pakistan vermitteln soll
Aber der BND antwortete mit Schweigen. Nur einmal noch wurde laut Aktenlage darüber beraten, die Verbindung mit „Schneewittchen“ wieder aufzunehmen. Am 21. Mai 1991 wandte sich Schalcks ehemaliger Verbindungsführer Burgdorf an seinen Präsidenten Porzner mit der Überlegung, ob man angesichts des bevorstehenden Bundestags-Untersuchungsausschusses nicht den Kontakt wieder aufnehmen sollte. Der ehemalige KoKo-Chef habe zwei Wochen zuvor in einem Anruf mitgeteilt, dass „er für Hinweise oder Mitteilungen des BND“ bezüglich seiner Aussagen im Ausschuss bereit sei. Es sei zu befürchten, dass sich die Abgeordneten „verstärkt dem Thema Schalck-Golodkowski - BND widmen“ werden, gab Burgdorf zu bedenken.
Firmengründung: „Dr. Schalck & Co“
Mit einer Aussage „Schneewittchens“, wonach er „gegen seinen Willen, im Auftrag von Staatsminister Stavenhagen“ im September 1990 ein Gespräch mit dem Volkskammerabgeordneten Geisthardt führen musste, in der es „im Wesentlichen um die mögliche Stasi-Vergangenheit des letzten DDR-Ministerpräsidenten“ gegangen sei, müsse „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerechnet“ werden. Nicht auszuschließen sei ferner, dass Schalck „gezwungen wird, zu Erkenntnissen über innerdeutsche Angelegenheiten Aussagen zu machen, die in Erzählungen Schalck-Golodkowskis, im Rahmen der Betreuung erwähnt wurden und mangels Auftrag/Interesse nicht abgeschöpft und deshalb nicht aktenkundig gemacht worden sind“.
Ausschnitt aus BND-Vermerk für den BND-Präsidenten vom 21. Mai 1991 mit Überlegungen zur Wiederaufnahme der Kontakte zu Schalck-Golodkowski angesichts eines bevorstehenden Untersuchungsausschusses im Bundestag, der Schalck vernehmen will. (© Archiv des Autors, BND und Deutschland Archiv)
Eine Antwort auf das Schreiben Burgdorfs an BND-Präsident Porzner ist in den nun freigegebenen Akten nicht enthalten. Damit bleibt offen, ob der Dienst die Anregung seines „Schneewittchens" und dessen Verbindungsführers aufnahm, Schalck für seine bevorstehenden Befragungen im Untersuchungsausschuss zu briefen. Über Treffen und Gespräche des ehemaligen DDR-Staatssekretär und Stasi-Obersts nach dem Frühjahr 1991 ist jedenfalls nichts bekannt. Die „Operation Schneewittchen“ endete laut Aktenlage Ende März 1991.
Schalck sah sich in den folgenden Jahren mit mehreren Anklagen und zwei Prozessen konfrontiert, in denen er jeweils mit Bewährungsstrafen wegen Waffenschmuggels und Embargoverstößen davonkam. 1996 gründete er im oberbayerischen Miesbach seine erste eigene Firma: „Dr. Schalck & Co“. Der Zweck des Unternehmens: Handel mit Waren aller Art. Was sonst.
Im ersten Stock dieses am 12. September 1996 im Gewerbegebiet Miesbach aufgenommenen Hauses befanden sich die Geschäftsräume der Firma "Dr. Schalck & Co.", gegründet vom früheren Stasi-Oberst und DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. Der Miesbacher Stadtrat hatte am Abend des 12.9.1996 die Vermietung von Büroräumen an den früheren Staatssekretär im Ex-DDR-Außenhandelsministeriums genehmigt. Welche Art von Geschäften Schalck mit seiner Firma abwickeln wollte, war zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz klar. Schalck starb 2015. (© picture-alliance/dpa, Frank Mächler)
Im März 2003 erlitt er während eines Urlaubs einen Herzstillstand, wochenlang lag er im Koma. Später erkrankte er an Krebs. Am 21. Juni 2015 starb Alexander Schalck in Rottach-Egern, wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag. Er ist auf dem Auferstehungsfriedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt worden. Von vielem, was er dem BND berichtete, versprach er sich offensichtlich eine Win-Win-Situation. Aber nicht alles wurde erfragt. (hk)
Hier alle vier Teile im
Zitierweise: Andreas Förster, "Der Überläufer (Teil IV)“, in: Deutschland Archiv, 26.07.2023, Link: www.bpb.de/523102. Belegdokumente liegen vor. Hier zu
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Jahrgang 1958, ist freier Journalist und Buchautor in Berlin. Er schreibt vor allem über DDR-Aufarbeitung, Terrorismus und politischen Extremismus, Geheimdienste, Zeitgeschichte und Organisierte Kriminalität, vornehmlich für die Berliner Zeitung.
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