Nicht nur Berlin
Die vergessenen Orte der Bücherverbrennung 1933
Jan Schenck
/ 14 Minuten zu lesen
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Am 10. Mai 2023 wurde mit Lesungen auf dem Berliner Bebelplatz der Bücherverbrennung vor 90 Jahren gedacht. Damals hatten nationalsozialistische Studentenbünde in 22 Universitätsstädten die Werke verfemter Autoren und Autorinnen sammeln und vernichten lassen, aber nicht nur dort. Ähnliche Verbrennungsaktionen von angeblich „undeutschem Geist“, wie die Nazipropaganda unliebsame Literatur verteufelte, gab es in mindestens 160 weiteren Städten und Gemeinden deutschlandweit. Aber nur in einem Bruchteil dieser Orte wird daran erinnert. Ein Online-Projekt will dies ändern. Der Titel: Verbrannte Orte.
Von März bis November 1933 fanden innerhalb der heutigen deutschen Grenzen über 160 Bücherverbrennungen durch Nationalsozialisten statt. An rund 25 Prozent dieser Orte ist heute die Erinnerung tagtäglich sichtbar, sei es durch kleinere Mahnmale oder Erinnerungstafeln. Hinzu kommt an vielen Orten die temporäre Erinnerung in Form einer Thematisierung in Stadtrundgängen und durch regelmäßige Gedenkveranstaltungen vor Ort.
Zwar wissen viele Menschen, dass es in Deutschland Bücherverbrennungen gab. Oft jedoch sind ihnen nur die Verbrennungen im Rahmen der vor allem von der SA, der Hitlerjugend und nationalsozialistischen Studenten geprägten Aktion „Wider den undeutschen Geist“ bekannt und hier wiederum meist nur jene auf dem Bebelplatz in Berlin am Abend des 10. Mai 1933. Vom Großteil der über 160 Bücherverbrennungen in anderen Städten und Orten weiß die Allgemeinheit kaum etwas.
Schon wenige Tage nach der Machtübernahme wurden die ersten Bücherverbrennungen organisiert. Bereits im März 1933 loderten vielerorts Flammen über Buch-Scheiterhaufen. In dieser Phase wurden solche Aktionen hauptsächlich als Mittel der Einschüchterung gegen politische Gegner genutzt. So kam es nach Plünderungen, Durchsuchungen und Verhaftungen an vielen Orten zu spontanen Bücherverbrennungen, sei es von Literatur aus Privatbeständen, Buchhandlungen, Bibliotheken oder Zeitungsredaktionen.
Folgeaktionen zogen sich das ganze Jahr über hin, ein Beispiel aus Karlsruhe: Dort zogen am 14. Juni 1933 Anhänger der Hitlerjugend zum Marktplatz und raubten aus Buchhandlungen und Bibliotheken Werke ihnen unliebsamer Schriftsteller:innen. Dabei skandierten sie historischen Quellen zufolge unter anderem „Heraus mit Schmutz und Schund! Lest deutsche Dichter!“. Drei Tage später zündeten Feuerwehrmänner den Haufen an, wie die „Badische Presse“ damals festhielt.
Drei Phasen der Bücherverbrennung
Schon wenige Wochen nach ihrer Machtübernahme hatten die Nationalsozialisten ihre Einschüchterungspraktiken im Bereich des Kulturschaffens systematisiert. Einen Höhepunkt bildete die Erstellung einer „Liste des undeutschen Geistes“ durch einen Berliner Bibliothekar, auf die 131 Namen von Autor:innen gesetzt wurden, deren Stil, Expertise und Haltung den Nationalsozialisten nicht passte. Bücher von ihnen wurden am 10. Mai 1933 auf öffentlichen Plätzen in mehr als zwanzig Städten verbrannt.
Diese Ereignisse wurden als Aktion „Wider den undeutschen Geist“ bekannt – sie war vor allem von Kreisen der Deutschen Studentenschaft zentral organisiert worden. Das „Hauptamt der Deutschen Studentenschaft“ verteilte die so genannten „Schwarze Listen“ mit Autorennamen und Buchtiteln. Studierende wurden aufgefordert, auch ihre privaten Bibliotheken und die von Bekannten zu „säubern“. Neben diesen systematischen konzertierten Aktionen gab es an vielen Orten weitere spontane Bücherverbrennungen, welche von lokalen Akteuren durchgeführt wurden.
Aber auch nach dem 10. Mai 1933 lieferte die Aktion „Wider den undeutschen Geist“ die Inspiration für weitere Bücherverbrennungen. Neben Einzelaktionen, zum Beispiel bei Sonnenwendfeiern und ähnlichen Anlässen, kam es erneut zu zentral organisierten Aktionen, beispielsweise einer „Kampfwoche gegen Schund- und Schmutzliteratur“ in Baden-Württemberg. Es lassen sich also drei Phasen der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen erkennen: die Phase der Einschüchterung, die systematischen Verbrennungen und die Aktionen im Nachgang des 10. Mai, die sich auch über das Jahr 1933 hinaus fortsetzen. So kam es unmittelbar nach dem "Anschluss" Österreichs 1938 auch dort zu Bücherverbrennungen durch die feindbildgeprägten Nationalsozialisten und ihre Mitläufer:innen.
Erinnern nach 1945
Schon kurz nach dem Kriegsende 1945 gab es erste Bestrebungen, der Bücherverbrennungen und der verfolgten Schriftsteller:innen zu gedenken.
Der „Tag des freien Buches“ wurde 1947 als Gedenktag für die Bücherverbrennungen von 1933 in allen vier Sektoren Nachkriegsdeutschlands begangen. Doch schon hier zeichnete sich eine Fokussierung des Gedenkens auf jene studentischen Verbrennungsaktionen am 10. Mai 1933 ab.
Aufgrund der überregionalen Berichterstattung im Zusammenhang mit dem universitären Umfeld konzentrierte sich die Forschung lange nur auf diese studentischen Aktionen. In der heutigen Wahrnehmung und Erinnerung spielen die Verbrennungen der Phasen eins und drei daher nur eine nebengeordnete Rolle. Ein besonderer Fokus liegt stets auf der Bücherverbrennung in Berlin.
Diese Fokussierung führte in der Vergangenheit zu einer enormen Dunkelziffer. Sie verschleierte das wahre Ausmaß, das erst nach und nach erfasst worden ist und noch erfasst wird. 1983 beschäftige sich der Literaturwissenschaftler Gerhard Sauder mit den anderen Orten der Bücherverbrennungen und machte viele erstmals bekannt. Der Künstler Wolfram Kastner recherchierte für seine performativen Gedenkaktionen und erweiterte diese Liste.
Eine umfassende wissenschaftliche Sammlung erschien 2008 im Georg Olms Verlag. Werner Treß und Julius Schoeps versammelten eine Vielzahl von Lokalhistoriker:innen und dokumentierten so über 80 Orte der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen. Aufbauend auf dieser Sammlung trug das Gedenkprojekt Externer Link: „Verbrannte Orte“ bisher weitere 70 Orte zusammen, die bis dato unbekannt waren. Immer wieder kommen neue Orte hinzu.
Dort, wo heutzutage vor Ort ein aktives Erinnern stattfindet, wird dieses in vielen Fällen getragen von Einzelpersonen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen. Im besten Fall schaffen sie es, jährliche Gedenklesungen durchzuführen. In vielen Fällen bleibt es bei Gedenk-Aktionen zu den „runden“ Jahrestagen. Örtliche Institutionen und Lokalpolitiker:innen entziehen sich oft ihrer Verantwortung.
In wenigen Fällen haben in den vergangenen Jahren private Initiativen auch zur Errichtung von Mahnmalen geführt, oder sind noch auf dem Weg dahin. Oft haben die Engagierten den Eindruck, gegen Wände anzurennen und brauchen einen langen Atem.
Beispiele des Gedenkens aus Ost und West
In Hamburg erfolgten im Jahr 1933 an fünf Orten Bücherverbrennungen. Am Kaiser-Friedrich-Ufer entstand 1985 auf Beschluss der Bezirksversammlung Eimsbüttel ein Externer Link: "Mahnmal zur Erinnerung". Es ist vergleichsweise groß und in einer Parkanlage neben einem Spielplatz auch so gelegen, dass man nicht umhinkommt, es zu bemerken.
Dort hatten am 15. Mai 1933 Hamburger Studenten, die zumeist der SA angehörten, Bücher „undeutscher“ Autorinnen und Autoren verbrannt. Motor für das aktive Gedenken waren jährliche lokale Initiativen und engagierte Einzelpersonen, wie die 2021 verstorbene Autorin und Sängerin Esther Bejarano, die als Kind den Holocaust überlebt hatte. Seit über 15 Jahren lesen hier Bürger:innen jedes Jahr gemeinsam mit Schulklassen am Ort der Verbrennungen.
Darüber hinaus gib es mittlerweile ein stadtweites vierwöchiges Projekt „Hamburg liest verbrannte Bücher“, sowie ergänzende Sonderausstellungen, wie derzeit „feuerfest“ in der Hamburger Universitätsbibliothek.
An einer weiteren Stelle in Hamburg, dem Sportplatz am Schulenbrooksweg in Bergedorf, erinnert eine kleine, unscheinbare Tafel an einer Hauswand an eine lokale Bücherverbrennung am 24. Juni 1933, bei der laut einem alten Verzeichnis „414 Bücher“ verbrannt wurden, darunter 83 wissenschaftliche „und 331 Schöne Literatur" von renommierten Autoren wie Brecht, Kästner oder Tucholsky.
Zuvor waren die Schüler:innen und Lehrer:innen zweier benachbarter Schulen, örtliche Gesangsvereine, Spielmannszüge und sämtliche Nazi-Organisationen aus Bergedorf und Lohbrügge zu dem vorbereiteten Buch-Scheiterhaufen marschiert und sangen dort Nazilieder. Wenn das Tor zum Sportgelände nicht gerade offensteht, ist es schwer, diese Tafel zu entziffern. Die übrigen drei Orte fristen ein Schattendasein und sind wenig bekannt, nichts erinnert dort noch an die beschämenden Ereignisse von 1933.
Erst 2013 war der Ort bekannt geworden. 2020 erfolgte ein Stadtratsbeschluss, hier einen Gedenkort einzurichten. Gegenstimmen gab es nur aus der AfD. Über erste Entwürfe kam der Vorstoß bislang aber nicht hinaus. Auf dem damaligen Platz für Volksspiele an der Cyriaksburg, dem heutigen „Egapark-Gelände“ in Erfurt, waren bei einer verspäteten Sonnenwendfeier am 29. Juni 1933 von Mitgliedern der Hitlerjugend Bücher jüdischer, oppositioneller oder pazifistischer Schriftsteller verbrannt worden, "die das Volk seit Jahren systematisch vergiften", so berichtete es damals die Mitteldeutsche Zeitung. Heute befindet sich dort eine beliebte Location für Hochzeiten.
Bis der geplante Erinnerungsort fertiggestellt ist, erinnert jedes Jahr ein Verbund aus kommunalen Bibliotheken, Schulen, Bühnen und Museen mit einer Veranstaltungsreihe an die samals verfolgten Autor:innen. Beteiligt sind auch Jugendliche eines Theaters mit szenischen Lesungen.
In Bonn wurde am 10. Mai 2013 ein besonders beeindruckendes, aktives "Externer Link: Erinnerungsmal Bücherverbrennung" eingeweiht. 60 Buchrücken aus Bronze zieren den Boden des Bonner Marktplatzes. Zusätzlich erläutert eine große Bronzetafel die Hintergründe der Geschehnisse. Hier entfaltet das Mahnmal sein aktivierendes Moment: Unter der Bronzetafel befindet sich eine Truhe. Jedes Jahr am 10. Mai wird diese geöffnet und aus den in ihr enthaltenen Büchern verfolgter Autor:innen vorgelesen. Anschließend werden die Bücher verschenkt und die Truhe wird wieder neu befüllt.
Es gibt solche guten Beispiele von Orten der Erinnerung, aber auch solche, die einen kopfschüttelnd zurücklassen. In Kahla, einer kleinen Stadt in Thüringen, gibt es seit Jahren ein Problem mit aktiven Rechtsextremisten. Höhepunkt war ein Brandanschlag auf den örtlichen Demokratieladen am 16. Februar 2016. 2020 besuchte ich für unser Gedenkprojekt Kahla und fotografierte den Ort der dortigen Bücherverbrennung, an dem sich heute das Freibad der Stadt befindet. Dort befand sich früher ein Wehrsportplatz hinter dem örtlichen Schützenhaus, wo am 5. August 1933, im Rahmen einer Festveranstaltung, eine öffentliche Bücherverbrennung stattfand. Nach Veröffentlichung meines Fotos gab es Beschwerden aus der Kahlaer Stadtverwaltung, mit dem Hinweis, das Foto würde das Freibad verunglimpfen. Aktive Erinnerungskultur sieht anders aus. Immerhin gibt es heute auf der Website der Stadtbibiothek die Zeile: "Durch den Nationalsozialismus wurde die Gewerkschaftsbibliothek komplett zerstört, auch in Kahla fand eine Bücherverbrennung statt."
Gehen wir weg von den Orten und schauen kurz auf die Namenslisten der von den Nazis verfemten und verfolgten Autor:innen, so stellen wir ähnliches fest. Wird heute von den „verbrannten“ Autor:innen gesprochen, so sind in erster Linie die 131 auf der „Liste des undeutschen Geistes“ gemeint, die im Frühjahr 1933 durch den Berliner Bibliothekar Wolfgang Herrmann erstellt worden war und der nationalsozialistischen Studentenschaft als Leitlinie für die ersten Bücherverbrennungen diente.
Aber auch diese Betrachtung ist unvollständig. In der ersten Phase kam es gehäuft zu „wilden“ Verbrennungen, bei denen willkürlich die Bestände sozialdemokratischer und kommunistischer Buchhandlungen, Bibliotheken, Gewerkschaften und Parteien geplündert und zerstört wurden. Welche Werke genau verbrannten, lässt sich daher oft nicht mehr oder nur unvollständig rekonstruieren. Auch in der dritten Phase der Bücherverbrennungen sind, was die Namen der betroffenen Autor:innen betrifft, in den Quellen regionale Unterschiede auszumachen. Mitunter sind auch Werke unbekannterer lokaler Schriftsteller:innen betroffen, die von Nationalsozialisten demonstrativ vernichtet wurden, manchmal waren es auch Zeitungen aus lokalen Redaktionen, die auf diese Weise eingeschüchtert werden sollten.
Das Projekt Verbrannte Orte
„Das Schwimmbad, in dem ich als Kind war, befindet sich an der Stelle einer Bücherverbrennung.“
„Der Marktplatz, auf dem ich jeden Sonntag einkaufen gehe, war der Ort einer Bücherverbrennung.“
„Die Apotheke an der Ecke war früher eine sozialistische Buchhandlung, nach einer Plünderung fand vor ihr eine Bücherverbrennung statt.“
Die Orte der Bücherverbrennungen im Jahr 1933 sind heute Orte des Alltags. Und sie sind oft unsichtbar unter der sprichwörtlichen „grünen Wiese“. Den Orten der Bücherverbrennungen ein Gesicht zu geben, hat sich das Projekt deshalb zum Ziel gesetzt. Seit 2013 entsteht auf der Internetseite www.verbrannte-orte.de eine umfassende Informationsplattform zu den Orten der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen.
Erstmals stehen nicht die betroffenen Autor:innen im Mittelpunkt, sondern die regionalen Hintergründe und Zusammenhänge. Im Laufe der Zeit entsteht so ein Atlas der Bücherverbrennungen. Interaktive Panoramen ermöglichen den Besuchern, sich den „Verbrannten Orten” zu nähern. Großformataufnahmen rücken ausgewählte Perspektiven ins Blickfeld, und Hintergrundtexte bieten eine inhaltliche Auseinandersetzung. Dort, wo es vorhanden ist, macht zusätzliches historisches Material Geschichte erlebbar.
Entstanden aus einem privaten Fotografieprojekt, hat sich das Projekt in den vergangenen zehn Jahren zu einem anerkannten und zentralen Gedenkprojekt zu den Bücherverbrennungen entwickelt.
Zentral in unserer Arbeit ist der Anspruch, unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zur historischen Thematik herzustellen, die vielfältige Zielgruppen motivieren sollen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und einen Bezug zu heutigen Debatten um Demokratie und Meinungsfreiheit herzustellen.
Digitales, Visuelles, Haptisches und Analoges bringen wir zusammen. Unser Online-Atlas bietet moderne interaktive Erforschungsmöglichkeiten historischer Zusammenhänge. Die Großformataufnahmen sind visuelle Stolpersteine bei Ausstellungen, Messeständen und in unserem Bildungsmaterial selbst. Unsere Projektbibliothek enthält neben Sekundärliteratur eine Vielzahl von Erstausgaben betroffener Autor:innen und bietet Geschichte zum Anfassen. Und ganz analog versuchen wir, mit Vorträgen, Workshops, Multiplikator:innenschulungen und Ausstellungen eine Vielzahl von Menschen direkt zu erreichen.
Beispiele
Dresden am 7. März 1933. Adresse: Große Meißner Straße. Gedenkort: Nein
Am 7. März 1933 plünderten SA-Mannschaften die Volksbuchhandlung in der Großen Meißner Straße und verbrannten ihre „Beute“ auf der Straße. Der Buchhändler und Anarchist Richard Bellmann wurde vermutlich vorher gewarnt und konnte große Teile seines Bestandes in Kohlesäcken versteckt aus dem Laden schmuggeln und so vor der Verbrennung bewahren.
Braunschweig am 9. März 1933. Adresse: Ackerhof. Gedenkort: Nein
Kurz nach den Wahlen im März 1933 eskalierte die Gewalt in Braunschweig. Am 9. März besetzten SS-Männer das Volksfreundhaus, in dem der sozialdemokratische Volksfreund gedruckt wurde und in dem sich auch die Geschäftsräume der SPD sowie einiger Gewerkschaftsverbände befanden. Das Haus war seit Jahren das Herz der Braunschweiger Arbeiter:innenbewegung. Die bewaffneten SS-Leute stürmten das Haus und zerstörten und plünderten die Einrichtung. Dabei wurde der Kaufmann Hans Salle erschossen. Sie schleppten sozialdemokratische Zeitungen, Druckschriften und Bücher auf den „Ackerhof" und steckten sie in Brand.
Frankfurt am Main am 10. Mai 1933. Adresse: Auf dem Römer. Gedenkort: Ja
Der Ort der Bücherverbrennung 1933 in Frankfurt/Main heute
Der Ort der Bücherverbrennung 1933 in Frankfurt/Main heute
Der Ort der Bücherverbrennung 1933 in Frankfurt/Main heute
Der Ort der Frankfurter Bücherverbrennung war symbolträchtig gewählt. Die große Inszenierung fand vor dem Rathaus zwischen Gerechtigkeitsbrunnen und der alten Nikolaikirche statt. Auf Ochsenkarren wurden die inkriminierten Werke, die in den Wochen zuvor gesammelt worden waren, zum Scheiterhaufen gebracht. Professoren, Studenten und SA, angeführt von einer Kapelle der SS, zogen vom Westend in die Innenstadt. An der Strecke lagen viele jüdische Geschäfte. Gegen 21 Uhr kamen sie auf dem Römerberg an, wo eine große Menge von Schaulustigen wartete. Auch diese Bücherverbrennung fand im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist" statt.
Halle an der Saale am 12. Mai 1933. Adresse: Universitätsplatz. Gedenkort: Ja
Auch in Halle begann die Aussonderung „undeutscher" Literatur schon vor der eigentlichen Bücherverbrennung. Ab dem 2. Mai suchte eine Gruppe von Studenten und Kriminalbeamten Buchhandlungen und Bibliotheken auf und sammelte die „volkszersetzende Lektüre“ ein.
In Halle werden eigene „Schwarze Listen" unter dem Namen „Hallescher Generalindex" erstellt. Besonders hervor tut sich hier der Kriminalbeamte Reinhart von Eichborn. Am 8. Mai versammelt Eichborn im Namen der national gesinnten Studentenschaft die Halleschen Buchhändler und Büchereibesitzer. In Gegenwart von Polizeibeamten und des Polizeipräsidenten Roosen geben die Buchhändler und Büchereibesitzer ihr „Ehrenwort“, „kein Buch der auf dem Index genannten Autoren zu verleihen oder zu verkaufen“.
Als „akademische Feier“ getarnt, läuft die Bücherverbrennung am 12. Mai unter Anwesenheit der inzwischen gleichgeschalteten Korporationen, das Braun der der nationalsozialistischen Partei zugehörigen Studenten überwiegt bereits. Zur Beseitigung „undeutschen Schrifttums“ wird ein riesiger Scheiterhaufen auf dem Campus entzündet, in den symbolisch und von „Feuersprüchen“ begleitet die Werke einzelner verbotener Autor:innen in die Flammen geschleudert werden.
Helgoland am 18. Mai 1933. Historische Adresse: Am Schulplatz. Heutige Adresse: Lummenstraße. Gedenkort: Nein
Am 18. Mai marschierte die Ortsgruppe der NSDAP zu einer feierlichen Bücherverbrennung auf dem Schulplatz. Bücher aus dem „Abschaum des Bürgertums" wurden verbrannt. Da es auf der Insel nur wenige Bibliotheken gab, standen Fackelzug, Feuer und drohende Reden im Mittelpunkt der Aktion. Beteiligt war auch der Musikverein Helgoland, der das Lied "Flamme empor" spielte. Ein Teil der Bücher stammte möglicherweise aus der Plünderung der Privatbibliothek des Helgoländer Kommunisten Blatzkowskis. Wie an vielen Orten endete die Aktion mit dem gemeinsamen Singen des Horst-Wessel-Liedes.
Kahla am 5. August 1933. Historische Adresse: Wehrsportplatz. Heutige Adresse: Badweg. Gedenkort: Nein
In Kahla fand die Bücherverbrennung am 5. August 1933 im Rahmen einer Umwidmung des Friedrich-Ebert-Gedenksteins in ein Norkus-Denkmal statt. Der 15-jährige Hitlerjunge Herbert Norkus war beim Verteilen faschistischer Flugblätter im Arbeiter-Bezirk Berlin-Moabit von radikalen kommunistischen Antifaschisten so schwer verletzt worden, dass er daran verstarb. Seinen gewaltsamen Tod verwerteten die Nazis auf vielfältige Weise propagandistisch.
Hinsichtlich der Errichtung von Erinnerungsstätten konnte Kahla sich „rühmen“, das erste Norkus-Denkmal in Deutschland eingeweiht zu haben.
Am 7. August 1933 brachte das „Kahlaer Tageblatt“ einen ausführlichen Bericht über den Aufmarsch. Die Hauptrede hielt mit NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Degen ein Abkömmling einer angesehenen, alteingesessenen Kahlaer Familie, die über Jahrhunderte die Geschicke der Stadt mit beeinflusst hatte. Zum Abschluss des Zeremoniells marschierte man zum Wehrsportplatz. Diese Anlage war erst 1932 als Fußballplatz vom neu gegründeten kommunistischen Sportverein „Vorwärts“ angelegt und nach dessen Verbot für den neuen Zweck umfunktioniert worden.
Mainz-Gonsenheim am 24. Juni 1933. Adresse: Mainzer Sand. Gedenkort: Nein
In Mainz gab es zwei kurz aufeinanderfolgende Bücherverbrennungen. Die zweite fand am 24. Juni im Rahmen einer Sonnenwendfeier auf dem Großen Sand in Gonsenheim statt. Organisiert wurde sie von der NSDAP. Demonstrativ wurden "volksverhetzende und marxistische Bücher" aus der Gemeinde- und Schulbibliothek in die Flammen geworfen.
Bereits am Vorabend hatte die NS-Studentenschaft von Mainz eine „öffentliche Verbrennung von Schmutz- und Schundliteratur, undeutscher Bücher sowie marxistischen und kommunistischen Propagandamaterial“ auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz inszniert. Ihr ging ein Fackelzug voraus. Ein Vertreter der Studentenschaft und der städtische Beigeordnete Pg. Fritz Sauermann hielten Ansprachen; zum Abschluss wurden das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied gesungen. Nach einem Bericht der Mainzer Tageszeitung vom 25. Juni nahmen mehrere tausend Mainzer an der Aktion teil. 2006 wurd eine Gedenkstele an der Rheinuferpromenade am Rand des ehemaligen Halleplatzes, auf dem heute das Rathaus steht, errichtet.
Schwerin am 4. Juni 1933. Adresse: Pfaffenteich. Gedenkort: Nein
Rund um den mitten in der Stadt gelegenen Pfaffenteich standen SA-Männer mit Fackeln. Auf einem Floß in der Mitte des kleinen rechtwinkligen Sees lagen in einem großen, teergetränkten Haufen die von der Polizei beschlagnahmten Büchern und Schriften, die nicht der Landesbibliothek übergeben worden waren. Um 22 Uhr 15 erlosch die Straßenbeleuchtung, die SA-Männer entzündeten ihre Fackeln und der „inmitten des Wassers errichtete Scheiterhaufen der gesammelten Schmutz- und Schundliteratur“ wurde in Brand gesetzt.
Untergrombach am 21. Juni 1933. Adresse: Michaelsberg. Gedenkort: Nein
Im Rahmen einer Sonnenwendfeier fand die Bücherverbrennung in Untergrombach bei Bruchsal statt. Nach einem „Festzug" auf den Michaelsberg wurde dort der Scheiterhaufen entzündet. Auch hier wurden zuvor von der Hitlerjugend (HJ) geraubte und eingesammelte Bücher verbrannt, an einem Ort, so hieß es damals in einschlägigen Medien der Nationalsozialisten, an dem "schon vor vielen Jahrtausenden die Menschen einer anderen Kulturepoche ihren Göttern opferten und die heiliegn Feuer entzündeten"
Mehr ist hier und andernorts immer noch zu recherchieren. Auch über 90 Jahre danach.
Zitierweise: Jan Schenck, "Nicht nur in Berlin. Die vergessenen Orte der Bücherverbrennung 1933“, in: Deutschland Archiv, 10.05.2023, Link: www.bpb.de/520949. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
1981 geboren in Hamburg 2008 Fotografiestudium abgeschlossen, dann 5 Jahre als Fotograf gearbeitet. 2012 Ausbildung zum Erlebnispädagoge seit dem auch Arbeit als solcher. 2012 Entstehung des Projekts "Verbrannte Orte" Seit 2020 Anstellung im neugegründetem Verein des Gedenkprojektes Externer Link: www.verbrannte-orte.de
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