Müde werden darf Diplomatie nie
Wie unverrückbar sind die Feindbildgrenzen? China und Russland, der Ukrainekrieg und der Feind im Westen. Und eine deutsche Chance.
Axel Berkofsky
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In einer Beitragsserie im Deutschland Archiv hat der Chinaforscher Axel Berkofsky das Verhältnis Chinas zur ehemaligen DDR und der Bundesrepublik analysiert. Abschließend wirft er einen Blick in die Zukunft. Wie wird sich generell das westliche Verhältnis zu China verändern, wenn angesichts des Ukrainekriegs Chinas Allianz mit Russland immer fester wird? Was tun? Am 19. und 20. Juni 2023 bestand eine neue Chance. Dann besuchte Chinas Ministerpräsident Li Qiang Berlin. Ein Besuch von Olaf Scholz Anfang November 2022 bei Chinas Präsident Xi Jinping hatte noch keinen Durchbruch gebracht. Und nun?
Am 19. und 20. Juni 2023 hielt sich Chinas Ministerpräsident Li Qiang in Berlin zu deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen auf, danach machte er noch Station in Bayern und Frankreich. Die Hoffnung war groß, dass sich dann auch neue Möglichkeiten ergeben, gemeinsam im Krieg Russlands gegen die Ukraine zu vermitteln, auch wenn es derzeit schwer fällt, Optimist zu sein. Ein erstes Indiz, dass sich möglicherweise etwas ändern könnte, hatte sich am 26. April 2023 ergeben, also rund 14 Monate nach Kriegsbeginn. Erstmals seit Kriegsbeginn kam es zu einem Telefonat zwischen dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selensky, mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der danach verlauten ließ, dass die Zeit für eine „politische Lösung der Krise“ reif wäre.
Bis dahin war nur Wladimir Putin Xis Gesprächspartner bei zwei wechselseitigen Staatsbesuchen. Nun wurde Chinas Staatschef überraschend zitiert, als ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates und als „verantwortungsvolle Großmacht“ würde Peking „nicht tatenlos zusehen“ und auch "kein Öl ins Feuer gießen und schon gar nicht die Situation für eigene Zwecke ausnutzen.“ Augenwischerei durch eine "diplomatische Finte" oder ein ernstzunehmender Vorstoß? Aus dem deutschen Kanzleramt verlautete als Reaktion, das Telefonat sei ein "gutes Signal". Doch sind nun tatsächlich überfällige Friedens-Fortschritte zu erreichen? Und warum reagiert China erst jetzt? Das Festhalten an alten Feindbildern scheint einer der Gründe zu sein, der Westen wird in Chinas Parteiführung als Gegner pauschalisiert. Putin dagegen als Partner hofiert.
Einleitung
Doch wenn China in seinem selbst erklärten Kampf gegen den ‚feindlichen‘ Westen auf Russland als einen starken Partner an seiner Seite zählen wollte, wird es sich wohl nach einer Analyse der zu erwartenden politischen und wirtschaftlichen Realitäten Russlands in den nächsten Monaten und Jahren umorientieren müssen. Der jüngste Erkenntnisschritt auch von Chinas Staatsführung: Der internationale Strafgerichtshof hat am 17. März 2023 einen folgenreichen Haftbefehl gegen Russlands Präsident erlassen, der die politische Handlungs- und Bewegungsfreiheit Putins erheblich einschränkt, und auch wenn die russische Propaganda seit einem Jahr glauben machen will, dass Russlands Wirtschaft immun gegen die Sanktionen des Westerns sei, werden diese in Wirklichkeit die russische Wirtschaft nahezu unweigerlich über Jahre schwächen. Nicht zuletzt deswegen, weil das, was China derzeit von Russland an Gas und Rohöl kauft, nur zirka 10 Prozent dessen sind, was Russland vorher nach Europa exportiert hat.
Chinas Juniorpartner Russland fällt – salopp gesagt – als Großmacht voraussichtlich auf lange Sicht aus, und die vor dem Überfall auf die Ukraine vermeintlich „unbesiegbaren“ russischen Streitkräfte haben sich in der Ukraine alles andere als das herausgestellt. Vor dem Hintergrund chinesischen territorialen Expansionismus in Asien und der militärischen Bedrohung Taiwans investieren die USA derzeit enorme Ressourcen in den Ausbau ihres sicherheitspolitischen Engagements in der Region. Teil und Inhalt dessen ist der Ausbau der bilateralen Militärallianzen und Kooperation mit Japan, Südkorea und den Philippinen und die Intensivierung multilateraler Verteidigungskooperation mit Japan, Indien und Australien – im Rahmen des Quadrilateral Security Dialogue (QUAD), das von Peking nicht (zu Unrecht) als ein der militärischen Eindämmung Chinas dienendes Forum bezeichnet wird. Auch aus Deutschland als ein bislang für China eher devot erscheinender Partner, gibt es in jüngster Zeit auch schärfere Töne, wie von Bundesaußenministerin Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in China Mitte April 2023.
Doch trotz des Selensky-Telefonats mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping am 26. April 2023 ist Skepsis angesagt. Denn bislang scheint China weiterhin an der politischen und materiellen Unterstützung Russlands um (fast) jeden Preis festzuhalten, auch wenn im Westen immer noch gehofft wird, dass es Peking als "systemischer Rivale" (Baerbock) mit seiner Unterstützung Russlands letztendlich nicht übertreiben wird. Seine vermeintliche „Neutralität“ und die Weigerung, den russischen Angriff auf die Ukraine als einen solchen anzuerkennen, hat Peking wohl bereits viel diplomatisches Kapital im Westen gekostet. Waffenlieferungen nach Russland in großem Umfang, so wird gehofft, werden deswegen (zumindest vorerst) nicht stattfinden.
Das mag stimmen, aber der Westen macht sich schon seit Jahren keine Illusionen über Xi Jinpings (nicht vorhandene) Bereitschaft, sich politisch einbinden zu lassen, und es sieht nicht danach aus, als ob der vermeintliche Verlust diplomatischen Kapitals im Westen den Machthabern in Peking schlaflose Nächte bereitet. Ganz im Gegenteil. Ein paar Tage, nachdem der Internationale Strafgerichtshof Mitte März einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hatte, machte sich Chinas Staatschef Xi Jinping im März 2023 auf zum Staatsbesuch in Moskau. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert?
Will oder kann Xi es nicht besser?
Offenkundig konnte oder wollte Xi Jinping bislang keine andere weltpolitische Rolle einnehmen als jene, die er im ersten Kriegsjahr der Weltöffentlichkeit präsentierte. Spätestens im Februar 2023, ein Jahr nach Russlands Angriff auf die Ukraine hätte er mehr als jeder andere die Chance gehabt, den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beim Namen zu nennen, Wladimir Putin zur Raison zu rufen und zu Friedensverhandlungen zu drängen – möglicherweise gemeinsam mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dies hätte sein Ansehen weltweit deutlich verbessert. Stattdessen hat seine Innen- und Außenpolitik der vergangenen zehn Jahre die internationale Missgunst und das Misstrauen gegenüber China auf Rekordhöhen gebracht. Chinas regionale Außen- und Sicherheitspolitik wird (zu Recht) außerhalb Chinas als weitgehend aggressiv und nach militärischer Hegemonie strebend perzipiert, und es herrscht weitestgehend (außerhalb, aber auch – hinter vorgehaltener Hand – innerhalb) Chinas Einigkeit darüber, dass die restriktive und von Xi um jeden Preis gewollte Covid-Politik wirtschaftlich und sozialpolitisch katastrophaler nicht hätte sein können.
Cai Xia, mit der Partei in Ungnade gefallene ehemalige Professorin der KP-Parteischule in Peking, schreibt in der Zeitschrift Foreign Affairs, dass Xi die Kompetenz und intellektuellen Fähigkeiten fehlten, die Realitäten regionaler und globaler internationaler Politik, die über das hinausgehen, was ihm die Propagandaorgane des Landes und die Armee linientreuer und gleichgeschalteter Wissenschaftler auftischen, zu verstehen.
Xi, Sohn von Xi Zhongxun, Kommunist der ersten Generation und bis zu seiner Verhaftung 1962 Chef der Propagandaabteilung der KP, wurde während der Kulturrevolution 1967 im Alter von 15 Jahren zusammen mit rund 30 Millionen anderen jungen Chinesen im Rahmen der von Mao ausgerufenen „Umerziehung der Jugend“-Kampagne zu harter Landarbeit in die Provinz Shaanxi geschickt. Dort verbrachte er sieben Jahren, nach denen ihm erst 1974, nach neun gescheiterten Anträgen, die Rückkehr nach Peking erlaubt wurde.
Xi Jinping, so die offizielle und idealisierte Version in China, empfand die Jahre in Shaanxi und das Leben in einer höhlenartigen Behausung als „lehrreich“, entschied sich nach seiner Rehabilitation, „roter als rot“ zu werden, und begann seinen steilen Aufstieg in der Partei. Xi, schreibt Cai, ist alles andere als ein weltoffener und zum Denken über den Tellerrand fähiger Kosmopolit, dem ein den Parteimitgliedern zustehender Studienplatz an der chinesischen Elite-Universität Tsinghua University zugeteilt wurde. Aus ihrer Sicht ist Xi ein mittelmäßig begabter und gegen Kritik immuner Partei-Apparatschik, der von Paranoia und Hochmut getriebene Innen- und Außenpolitik betreibt, die aus China eine Großmacht zu machen gedenkt, die es jederzeit mit der eigenen Bevölkerung und den USA aufnehmen kann.
Aber es ist freilich nicht das erste Mal in der Weltgeschichte, wie Barbara Tuchman bereits in ihrem 1984 verfassten Buch „Torheit der Regierenden“ festgestellt hat, dass nicht vom Volk gewählte Diktatoren mit ihrer Innen- und Außenpolitik haarscharf an den Interessen ihrer „Untertanen“ vorbeiregieren. In den Geschichtsbüchern, dokumentiert Tuchman, wimmelt es von Diktatoren und Tyrannen, die wie Xi Jinping genau das Gegenteil dessen tun, was sie tun sollten, um stattdessen auf Unterdrückung nach innen und Kriege nach außen zu setzen.
Allerdings hat Xi wohl eher weniger Tuchman lesen dürfen als Mao und Lenin lesen müssen, und es kann davon ausgegangen werden, dass der gerade in allen seinen Ämtern bestätigte chinesische Diktator die Welt mit einer „Weiter-so-Politik“ beglücken wird: mit politischer und materieller Unterstützung für die Partnerdiktatur in Moskau, militärischem Bedrohen Taiwans, der Verletzung der territorialen Integrität Japans in der Ostchinasee, dem Erschaffen von Militärstützpunkten auf künstlichen Inseln in unmittelbarer Nähe umstrittener Inseln in der Südchinasee und dem Ausbau eines schon ziemlich perfekten chinesischen Überwachungsstaats.
(Viel) Leichter gesagt als getan
Peking und Moskau sind sich einig, dass die vom Westen definierte Weltordnung und propagierten Werte und Normen eine existenzielle Bedrohung ihrer autoritären Regime darstellen. Was dabei jedoch oft vergessen beziehungsweise nicht erwähnt wird, ist, dass das (viel) leichter gesagt als getan beziehungsweise leichter festzustellen als zu bekämpfen ist.
Anders gesagt: Die Übereinstimmung darüber, was man in Peking und Moskau gemeinsam bekämpfen will, führt noch nicht dazu, dass man dazu auch tatsächlich in der Lage wäre. Und dies aus mindestens drei Gründen:
Erstens befindet sich Russland in einem Angriffskrieg und wird aus diesem wirtschaftlich und politisch geschwächt hervorgehen. Russlands Ressourcen für den vermeintlichen Kampf gegen den Westen, die über eine Verbreitung von Propaganda und Falschinformationen hinausgehen, werden knapper werden.
Zweitens sind diejenigen Staaten, die sich Pekings und Moskaus „Kampf“ gegen den Westen angeschlossen haben, solche, deren globaler politischer Einfluss als sehr gering zu beschreiben ist. Wer die „Schurkenstaaten“ Iran, Nordkorea und Syrien an seiner Seite hat, hat nicht unbedingt in Sachen internationalen „Coalition-Buildings“ das große Los gezogen. Drittens sind die Gegner des vermeintlichen chinesisch-russischen „Existenzkampfes“ – die USA, Japan, Großbritannien und die EU – Staaten und Staatenblöcke, die, individuell und/oder in Allianzen, durchaus (sehr) gut in der Lage sind, sich zu verteidigen – wirtschaftlich und gegebenenfalls auch militärisch.
Drittens: Die chinesisch-russische Kampfansage an den Westen und Pekings militärische Bedrohung sind ernst zu nehmen, aber die in China Arbeitsplätze schaffenden gestopften Teddybären, montierten Computer und genähten Einweg-T-Shirts werden auch weiterhin nach Europa und in die USA geschifft werden müssen.
Die Rechnung ohne den Wirt
Während Peking seiner Propaganda und den Staatsmedien befiehlt, sich zu überschätzen, scheint es gleichzeitig die USA zu unterschätzen. Chinas Machthaber und die von ihnen instruierten und überwachten Wissenschaftler an chinesischen Denkfabriken und Universitäten reden seit Jahren über einen vermeintlichen amerikanischen „Abstieg“. Der globale Einfluss der USA, so wird in Peking versprochen und propagiert, werde unweigerlich abnehmen, während der politische und militärische Aufstieg Chinas ausgemachte Sache sei.
Mit „Abstieg“ ist in Peking in erster Linie ein vermeintlich abnehmendes amerikanisches sicherheitspolitisches Engagement in Asien gemeint. In Wirklichkeit ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die USA unter Präsident Joe Biden haben in den vergangenen Jahren die militärischen und verteidigungspolitischen Beziehungen in Asien und der indopazifischen Region ausgebaut und keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie Willens und in der Lage sind, ihre militärische Dominanz in der Region zu verteidigen.
Die von Japan im Dezember 2022 angekündigte milliardenschwere Aufrüstung der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte in den kommenden Jahren und der damit einhergehende Ausbau amerikanisch-japanischer Verteidigungs- und militärpolitischen Kooperation (im Rahmen der seit 1951 existierenden bilateralen Militärallianz) sind Belege dafür, dass das sicherheitspolitische Engagement der USA in Asien nicht – wie China hofft – ab-, sondern zunehmen wird – und dies alles zusammen mit und ergänzt von dem Ausbau verteidigungspolitischer Kooperation zwischen den USA, Japan, Indien und Australien im Rahmen des seit 2007 existierenden Quadrilateral Security Dialogue (QUAD). Die vier Staaten halten regelmäßige militärische Marinemanöver in der Region ab.
Und auch, wenn in Washington versichert wird, dass das Bündnis im Allgemeinen und die Manöver im Besonderen nicht gegen China gerichtet seien, fällt einem auf Anhieb nicht so recht ein, gegen wen sie sonst schützen sollen. Nach Jahren sicherheitspolitischer Zurückhaltung meldet sich zudem jetzt auch Südkorea zu Wort, indem es offiziell bestätigt, dass die Stabilität in der Straße von Taiwan von „Interesse“ für das Land sei – ein Interesse, das in der Regel (und besonders in China) dahingehend interpretiert wird, dass Seoul sich im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan an der Seite der USA und Japans an der Verteidigung Taiwans beteiligen werde. Im Februar dieses Jahres wurde außerdem bekannt, dass „Korea Aerospace Industries“ 18 FA-50 Kampfjets nach Malaysia liefern wird.
Auch Japan und Südkorea haben jüngst vereinbart, verteidigungspolitisch enger zusammenzuarbeiten, und planen gemeinsam mit den USA, Militärmanöver in der Region durchzuführen. Südkorea engagiert sich militärpolitisch zudem über Asien hinaus: Im Rahmen eines von Südkorea und Polen im September 2022 unterzeichneten Rüstungsabkommens wird Südkorea in den kommenden Jahren 980 Panzer, 648 Haubitzen und 48 FA-50 Kampfflugzeuge nach Polen liefern.
Im Februar dieses Jahres unterzeichneten die USA und die Philippinen ein Abkommen, das der US-Marine Zugang zu zusätzlichen vier Militärstützpunkten auf den Philippinen (zusätzlich zu den fünf Stützpunkten, die bereits von der US-Marine benutzt werden) Zugang verschafft. Die Marine der Philippinen denkt derweil laut darüber nach, sich an der Seite der USA, Japans und Australiens an der Wahrung der Freiheit der Schifffahrt im Südchinesischen Meer zu beteiligen.
Pekings Stellvertreterkrieg
Der Economist trifft den Nagel auf den Kopf – auch derjenigen, die wider besseren Wissens immer noch behaupten, dass auch Peking an einem schnellen Ende des Krieges in der Ukraine interessiert sei: „China interessiert sich nicht dafür, wer die Ukraine kontrolliert. Chinas Hauptinteresse liegt darin, die Glaubwürdigkeit amerikanischer Verteidigungsallianzen und Sanktionen zu diskreditieren, weil sich Chinas Machthaber in der Zukunft im Falle einer chinesischen Invasion Taiwans mit einer vergleichbaren amerikanischen Antwort konfrontiert sehen könnten.“ Peking hofft derweil – und den Realitäten zum Trotz – immer noch, dass es indirekt von der amerikanischen Unterstützung der Ukraine profitiert.
Amerikanische Ressourcen und Energien, die Washington in Europa investiert, fehlten den USA in Asien, wird in China hinter vorgehaltener Hand gejubelt. In Wirklichkeit jedoch ist, wie oben gezeigt, das Gegenteil der Fall. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich das sicherheitspolitische Interesse der USA im Indo-Pazifik im Allgemeinen und der Straße von Taiwan im Besonderen eher erhöht – nicht zuletzt deswegen, weil gefürchtet wurde, dass eine erfolgreiche russische Invasion der Ukraine Pekings Machthaber ermutigen könnte, die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, Taiwan anzugreifen und mit militärischer Gewalt der Volksrepublik China einzuverleiben.
Der Kriegsverlauf in der Ukraine und die massive materielle Unterstützung der USA und der EU für die Ukraine könnten China vielmehr dazu zu bewegt haben, nichts dergleichen zu tun. Aber wer kann das schon mit Sicherheit sagen? Gefährlich wird es dann, wenn Xi – so wie sein Diktatoren-Kollege Putin in Moskau – Ideologie und Hegemonie wichtiger werden lässt als Handel und Wirtschaftswachstum. Im Falle Chinas galt das (bisher) als unwahrscheinlich, nicht zuletzt deswegen, weil die KP Chinas dem chinesischen Volk auf allen Kanälen und rund um die Uhr ihre Legitimität und Raison d’Etre mit Wirtschaftswachstum und Wohlstand erklärt.
Es ist Teil eines von der Partei definierten „grand bargain“ zwischen Partei und Volk: Es gibt wachsenden materiellen Wohlstand sowie Reisen in den und Shopping im kapitalistischen und dekadenten Westen im Gegenzug für politische „Abstinenz“ zuhause und das Befolgen des Befehls, das Machtmonopol der Partei nicht in Frage zu stellen. Dazu der von der Partei an Chinas Technologiekonzerne ausgegebene Auftrag, freie Meinungsäußerung im „chinesischen“ Internet zu unterdrücken, zu zensieren und zu löschen.
Dies alles dient dem Ziel, sicher zu gehen, dass China nicht den Weg Taiwans und Südkoreas in den 1980er Jahren einschlagen wird: den von einer Diktatur zur Demokratie, gewollt von einer die Regierung unter Druck setzenden Mittelklasse, die sich nicht mehr nur mit materiellem Wohlstand und der Freiheit zu konsumieren zufriedengibt, sondern auch politische Teilnahme und – das Worst-Case-Szenario für Peking – Demokratie einfordert.
Kein Frieden, kein Plan, aber Waffen nach und von Russland
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023 warnte der amerikanische Außenminister Anthony Blinken Peking davor, Russland mit der Lieferung von Waffen und Munition für seinen Angriffskrieg in der Ukraine zu unterstützen. China ließ das unkommentiert und kündigte auf der gleichen Konferenz an, die Rolle eines Vermittlers im Konflikt Russlands mit der Ukraine einzunehmen. Das, so kündigte Chefdiplomat Wang Yi an, solle einhergehen mit einem von China entworfenen Friedensplan für die Ukraine.
Dieser „Plan“ wurde dann im Rahmen der UN-Vollversammlung am 24. Februar vorgestellt. Leider war das, was Peking als Friedensplan vorstellte, alles andere als ein solcher. Was Peking in New York präsentierte und auf der Webseite des chinesischen Außenministeriums nachzulesen ist, sind vielmehr 12 Punkte, die an keiner Stelle zu verstehen geben, ob und wie sich China als Vermittler in dem von Russland begonnenen Krieg anbietet.
Das Positionspapier Chinas wurde im Westen daher seinerzeit mit vielen Attributen versehen – „glaubwürdig“, „relevant“ und „konstruktiv“ gehörten nicht dazu. Was dem vermeintlichen Friedensplan Pekings dann den Rest gab, war ein Bericht des Spiegel einen Tag nach dessen Veröffentlichung, dass China mit Russland über den Verkauf von 100 Drohnen verhandele, die einen 35 bis 40 Kilo schweren Sprengkopf zu transportieren in der Lage seien.
Diese Nachricht wurde von Medien weltweit aufgegriffen, und es ist durchaus plausibel zu vermuten, dass die US-Geheimdienste, auf die sich der Spiegel in seiner Berichterstattung berief, ihre Erkenntnisse zu den Lieferungen chinesischer Drohnen nach Russland bewusst an die Presse weitergeleitet haben – um China unter Umständen noch einmal mit aller Deutlichkeit und öffentlich davor zu warnen, es den Partnerdiktaturen Iran und Nordkorea gleichzutun und Waffen, Munition und Drohnen nach Russland zu verkaufen.
Der Spiegel berichtete weiter, dass Chinas „Xian Bingo Intelligent Aviation Technology“ plane, einen Produktionsstandort in Russland zu errichten, auf dem monatlich 100 ZT-180 Drohnen vom Band laufen könnten. Ob dieser dann tatsächlich geliefert wurde beziehungsweise in Zukunft geliefert wird, kann hier nicht verifiziert werden, aber sowohl Peking als auch Moskau haben über die Jahre und Jahrzehnte ohne Zweifel genug Erfahrung mit dem Export und Import von Waffentechnologie und -zubehör unter Verletzung internationaler Sanktionen gesammelt. So hat Peking beispielsweise in der Vergangenheit – alleine und gemeinsam mit Russland – unter Verletzung von Sanktionen (die seinerzeit auch von China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abgesegnet wurden) nordkoreanische Schiffe mit Rohöl auf hoher See versorgt.
Am 24. Februar 2023 zitierte die Washington Post amerikanische Regierungsquellen, die davor warnten, dass China auch die Lieferung von Artilleriegranaten in Betracht ziehe, – auch deswegen, weil Russland die Granaten ausgehen und Belarus und Nordkorea bereits das, was sie selbst an Granaten entbehren können und wollen, an Russland geliefert haben.
Doch das war (längst) noch nicht alles in Sachen chinesischer Waffenlieferungen für Russland. Mitte März 2023 berichtete die Zeitung Politico, dass der chinesische Rüstungskonzern „China North Industries Group Corporation Limited“ zwischen Juni und Dezember 2022 etwa 1.000 Sturmgewehre, Ersatz- und Bauteile für Drohnen und Körperpanzerung nach Russland verkauft habe. Politico berief sich bei seiner Berichterstattung auf Handels- und Zolldaten, die die chinesischen Waffenlieferungen als Dual-Use-Güter auswiesen.
Die chinesischen CQ-A Sturmgewehre wurden dabei als „zivile Jagdgewehre“ ausgewiesen. Die gleichen „Jagdgewehre“, die auch von chinesischen Paramilitärtruppen und den Streitkräften von Sudan, den Philippinen und Paraguay benutzt werden. Dabei ist es dann doch bemerkenswert, dass es eine Zeitung und nicht an dem Ausmaß etwaiger chinesischer Waffenlieferungen nach Russland ohne Zweifel interessierte westliche Regierungen und ihre Geheimdienste waren, die der Öffentlichkeit die „smoking gun“ chinesischer Waffenlieferungen nach Russland präsentierte. Anders gesagt: Dass westliche Regierungen und ihre Geheimdienste nicht alleine auf die Idee gekommen sein sollen, Handels-und Zolldaten auf etwaige chinesische Waffenlieferungen hin zu überprüfen, erscheint abwegig.
China auf der anderen Seite gibt sich große Mühe, frühere Abhängigkeiten von Russland zu seinen Gunsten zu wenden. Peking könnte nach Ansicht von Michael Raska von der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur seine Rüstungs- und Verteidigungsbeziehungen mit Russland fundamental verändern und aus seiner bisherigen Abhängigkeit eine Beziehung auf Augenhöhe machen. „Zwischen 2017 und 2021 machten Lieferungen aus Russland 81 Prozent chinesischer Waffenimporte aus, inklusive der Motoren für Chinas modernste Tarnkappenjäger.
Jetzt hat China die Chance, ein mehr oder weniger gleichberechtigter Partner für Russlands Rüstungsindustrie zu werden.“ Allerdings nicht, ohne dabei seinen Schnitt machen zu wollen, vermutet Raska. „China könnte Russland helfen, Sanktionen des Westens abzufedern, indem es Hochtechnologiekomponenten für Drohnen, Marschflugkörper und andere Präzisionswaffen liefert. Im Gegenzug dafür könnte China Technologie für die aus Russland importierten rd-180 Raketenantriebe, U-Boot Technologie und Motoren für Kampflugzeuge anfordern.“
Ryan Haas von der Brookings Institution schreibt, dass immer noch Luft nach oben sei, was Russlands militärische Unterstützung Chinas angeht. Ihre ausgerufene „Freundschaft ohne Grenzen“, schreibt er, könnte zum Beispiel an Gewicht gewinnen, wenn Moskau in Zukunft chinesischem Militär Zugang zu russischen Militärbasen außerhalb von Russland gewährte.
Auch wenn das Stationieren chinesischen Militärs in zentralasiatischen Ländern wie Kasachstan oder Tadschikistan (zumindest offiziell) nicht zur Debatte steht, steht doch außer Frage, dass die Präsenz chinesischen Militärs (an der Seite russischen Militärs) in Zentralasien als eine Bedrohung europäischer Sicherheitsinteressen perzipiert werden würde. Darüber hinaus, so Haas, könnte Moskau in Zukunft technische Unterstützung für Pekings U-Boot- and Anti-U-Boot-Kriegsführungsprogramme leisten.
Auf das falsche Pferd gesetzt?
Eine russische Niederlage in der Ukraine und der damit möglicherweise einhergehende Regimewechsel in Moskau werden in Peking ohne Zweifel als eine Bedrohung des eigenen Regimes gesehen. Alexander Gabujew, Senior Fellow beim Carnegie Endowment for International Peace in Moskau, nennt in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Februar 2023 den Sturz von Putin folgerichtig einen „Alptraum“ für Chinas Machthaber Xi.
Auch wenn Xi Jinping und seine Handlager in Peking enorme Ressourcen in das Unterdrücken jeglicher Kritik an der Regierung und ihrer Politik investieren, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass Xi sich im Falle einer Niederlage Russlands den Vorwurf gefallen lassen muss, den absehbaren Verlierer eines Konflikts unterstützt zu haben. Hinzu kommt, dass Peking sich im Falle eines Regimewechsels in Moskau nicht sicher sein kann, erneut einen so devoten Partner und Komplizen wie Putin vor die Nase gesetzt zu bekommen.
Die Frage bleibt, wie weit China in den kommenden Monaten gehen wird, dabei zu helfen, einen solchen „Albtraum“ zu verhindern. Die rote Linie der USA und des Westens ist das Liefern sogenannter letaler Waffen nach Russland – in einem solchen Falle, so wurde in Washington und Brüssel in den zurückliegenden Monaten gewarnt, werde sich Peking mit Konsequenzen konfrontiert sehen. Während Washington Peking mehr als einmal damit gedroht hat, chinesische Firmen und Individuen im Falle der Lieferung chinesischer letaler Waffen mit Sanktionen zu belegen, hat die EU das Wort „Sanktionen“ - zumindest bisher – nicht in den Mund genommen.
Merci, Monsieur Le Président
Und dann ist da noch der Beschuss der eigenen Truppen. Der Besuch von Emmanuel Macron und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Peking Anfang April 2023 hat erwartungsgemäß keinen Beitrag dazu leisten können, Peking zur Aufgabe seiner Unterstützung Russlands zu bewegen – besonders deswegen, weil der französische Präsident anders als die Kommissionspräsidentin, die Peking warnte, dass Chinas Beziehungen mit der EU im Falle chinesischer Waffenlieferungen nach Russland „erheblichen Schaden“ nehmen würden, stattdessen entschied, unter Verlust seiner Glaubwürdigkeit dem Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und China Vorrang einzuräumen. Die mit ihm nach China gereisten 50 französischen Unternehmer waren ihrem Präsidenten ohne Zweifel dankbar, dass das Geschäft schädigende Themen wie Chinas taktische und materielle Unterstützung Russlands von der Kommissionspräsidentin abgearbeitet wurden.
Wenn Macron im Namen der EU in Peking wirklich etwas in Sachen Einfluss auf die den Interessen Europas zuwiderlaufende chinesische Haltung im Ukrainekrieg hätte erreichen wollen, hätte er seine Unternehmertruppe (vorerst) zuhause gelassen und den Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen von einem Einlenken Chinas in der Russlandpolitik abhängig gemacht. Das hätte den Unternehmern, die immer noch (wie ihre deutschen Kollegen) wider besseren Wissens behaupten, dass wirtschaftliche Einbindung zu politischen Veränderungen in China führe, ohne Zweifel nicht gefallen, wäre aber zumindest ein glaubwürdiger Versuch gewesen, mit europäischer wirtschaftlicher Feuer-Power politischen Druck auf China auszuüben.
Stattdessen servierte Macron Peking die Bestätigung, dass sich politischer Gehorsam im Ausland – dem europäischen inklusive – immer noch einkaufen lässt. Aber es sollte noch schlimmer kommen, als Macron auf dem Rückflug nach Frankreich der Versuchung nicht widerstehen konnte, sich auf Kosten einer gemeinsamen EU-Politik gegenüber China zu profilieren. In einem Interview mit der Zeitung Les Echos sagte Macron sinngemäß, dass die EU in der Taiwanfrage kein „Mitläufer“ der USA sein dürfe und stattdessen eine eigene, von den USA unabhängige Taiwanstrategie verfolgen sollte.
Weder Washington noch der Rest Europas waren, gelinde gesagt, von Macrons geopolitischem Profilierungsversuch angetan. Und dass Frankreichs Präsident ausgerechnet die amerikanisch-europäische Einigkeit in der Politik gegenüber in der sogenannten Taiwanfrage in Frage stellte, während Chinas Marine im Rahmen von dreitägigen Militärmanövern in der Straße von Taiwan die Invasion Taiwans simulierte, ließ den Unions-Außenpolitiker Norbert Roettgen vermuten, dass Macron „von allen guten Geistern verlassen sein müsse.“
Ob Macron von innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken, sich bei französischen Unternehmern mit Interessen in China beliebt machen oder sich als neuer bester Freund im Westen von Xi Jinping empfehlen wollte, sei dahingestellt.
A propos „bester Freund“ und „sich beliebt machen“: Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, ließ die Gelegenheit nicht aus, die Geschlossenheit der EU in Sachen Chinapolitik weiter infrage zu stellen, indem er Macrons Fordern nach vermeintlicher europäischer „strategischer Unabhängigkeit“ verteidigte und behauptete, dass Macron lediglich das ausgesprochen habe, was auch andere europäische Regierungen denken (aber nicht offen auszusprechen wagen).
Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der zunehmend aggressiven militärischen Bedrohung Taiwans durch China lässt sich durchaus darüber streiten, ob der Zeitpunkt, an dem sich Michel unaufgefordert zum Sprachrohr des französischen Präsidenten und der von ihm geforderten „strategischen Autonomie“ macht, der günstigste war. Der gleiche Charles Michel übrigens, der Ende November vergangenen Jahres nach Peking reiste, als Peking und Moskau ein gemeinsames Militärmanöver abhielten.
Schlussfolgerungen
Russland ist Chinas gehorsamer Juniorpartner und wirkt wie ein scheinbar „nützlicher Idiot“, der sich im Auftrag Chinas mit dem Westen im Allgemeinen und den USA im Besonderen anlegt. Und das, während Peking weiterhin versucht glauben zu machen, ein Vermittler zwischen den Konfliktparteien in der Ukraine zu sein, was in Anbetracht der oben erwähnten chinesischen Waffenlieferungen an Russland nicht unglaubwürdiger klingen könnte.
Das jedoch scheint Peking in keinster Weise zu stören. Im Gegenteil: Die Regierung in Peking und die von ihr kontrollierten und zensierten Medien und Wissenschaftler warnen rund um die Uhr, dass der Westen im Rahmen einer wie auch immer gearteten Verschwörung alles daransetze, das Regime in Peking zu stürzen. Die Argumente und (vermeintlichen) Beweise, die die Regierung und ihre Propagandaorgane dabei als solche anführen, klingen sehr wenig bis gar nicht glaubwürdig.
Ein Blick beispielsweise in die chinesische Propaganda-Zeitung Global Times ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich: In einem Leitartikel nach dem anderen ist dort zu lesen, dass der von den USA geführte Westen es sich zur Aufgabe gemacht habe, China zu diskriminieren und seine vermeintlich konstruktive zentrale Rolle auf der Bühne internationaler Politik als irrelevant zu diskreditieren. Und die Ukraine ist übrigens und ganz bestimmt nicht Taiwan, wie Peking und seine Propagandaorgane den Rest der Welt auf allen Kanälen belehren. Die Ukraine ist ein souveräner Staat, Taiwan jedoch aus dieser Perspektive ein Teil Chinas beziehungsweise eine abtrünnige chinesische Provinz, die eher früher als später mit China wiedervereinigt wird. Das hat Peking (ganz allein) so entschieden. Dass dieser Logik folgend Russland die Ukraine nicht hätte angreifen dürfen, wird in Peking (verständlicherweise) nicht thematisiert. Peking setzt lieber alles daran zu unterstreichen, dass die Reaktion des Westens auf den Überfall auf die Ukraine nicht als „Aufwärmübung“ für den Westen und seine Reaktion im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan verstanden wird.
Aber genau das ist der Fall, und auch wenn es unter Analysten und politischen Entscheidungsträgern keinen Konsens darüber gibt, dass die USA (und ihre Alliierten in der Region) Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärisch verteidigen würden, stehen die Chancen dafür zu gut, als dass sich Peking darüber keine Sorgen machen müsste. Denn der 1979 unterzeichnete „Taiwan Relations Act“ verpflichtet die USA de facto, Taiwan im Falle eines militärischen Angriffs Chinas zu verteidigen. Und je öfter Peking damit droht, Taiwan mit militärischer Gewalt zu absorbieren, desto mehr wird die dem Taiwan Relations Act innewohnende „strategische Zweideutigkeit“ zu „strategischer Eindeutigkeit“.
Diplomatische Wege zu suchen, den Krieg in der Ukraine zu beenden und einen in der Straße von Taiwan erst gar nicht beginnen zu lassen, bleibt eine Dauerherausforderung für Europas und Deutschlands ChefdiplomatInnen, so intensiv Xis Schulterschluss mit Putin derzeit auch wirkt, und wie plump auch immer derzeit politisch Missliebiges diplomatisch sanktioniert wird.
Auch Olaf Scholz sollte es wahrnehmbar forcieren und Xi Jinpings aktuelle Äußerungen beim Wort und zum Anlass zu nehmen, Putin zum Aufgeben und Verhandeln zu drängen. Voraussetzung ist, dass Xi seinen jüngsten Vorstoß ernstmeint endlich auch auf die Ukraine zuzugehen.
China unter Xi hat bisher scheinbar nicht begriffen, dass der Weg zu weltweitem Ansehen und Glaubwürdigkeit seit Februar letzten Jahres über ein glaubhaftes Einsetzen für ein Kriegsende in der Ukraine führt. Putin um (fast) jeden Preis zur Seite zu stehen, ihn mit Waffen zu versorgen und gleichzeitig mit gezogenen Säbeln in Richtung Taiwan zu rasseln erreicht das Gegenteil: Misstrauen und die Schlussfolgerung, dass China im Ukrainekrieg kein Vermittler sondern eine Kriegspartei ist, die sich darauf vorbereitet, in der Straße von Taiwan seinen eigenen Krieg vom Zaun zu brechen.
Ergaben sich nun am 19. und 20. Juni Berlin, als Olaf Scholz Chinas neuen Ministerpäsidenten Li Qiang empfing, neue Brückenschläge?. Hoffnungsschimmer gab es schon: Nahezu zeitgleich weilte überraschend US-Außenminister Blinken in Peking zu Konsultationen mit seinem chinesischen Amtskollegen Qin Gang.
Dass aber Medien beim Pressetermin am 20. Juni 2023 in Berlin mit Olaf Scholz und Chinas Ministerpäsidenten Li Qiang keine Fragen stellen durften, glich leider einem Trauerspiel. Auch vermied es Chinas Regierungschef bei seinem Auftritt vor der Presse auf einen Appell des Kanzlers einzugehen, friedensstiftend auf Chinas "strategischen Partner" Russland einzuwirken.
Bleibt nur die Hoffnung, dass hinter den Kulissen mehr geschah. Und mehr geschieht. Müde werden darf die Diplomatie nie. Auch wenn sie zwischenzeitlich sehr ernüchtern kann.
Zitierweise: Axel Berkofsky, "Müde werden darf Diplomatie nie", in: Deutschland Archiv, erstveröffentlicht am 26.4.2023, zuletzt ergänzt am 21.6.2023, www.bpb.de/520414. Alle Beiträge sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen AutorInnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Weitere DA-Beiträge über Deutschland und China von Axel Berkofsky:
ist Associate Professor an der Universität Pavia in Italien und Co-Direktor des Asienprogramms am Mailänder Istituto per gli Studi di Politica Internazionale (ISPI). Er ist profilierter Autor zahlreicher Veröffentlichungen über die deutsch-chinesischen Beziehungen, insbesondere auch zwischen der DDR und China bis 1990.
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