Vor 50 Jahren im September: Zweimal Deutschland in der UNO
Hermann Wentker
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Bundeskanzler Scholz erinnert diese Woche auf der 78. Generalversammlung der UNO daran: die Aufnahme von Bundesrepublik und DDR in die UNO vor 50 Jahren. Beide Staaten traten im September vor 50 Jahren der Weltorganisation bei - mit unterschiedlichen Freiräumen. Eine Zeitreise zurück in den Kalten Krieg und die Phase der beginnenden Entspannungspolitik. Von Hermann Wentker.
Einen Tag nachdem die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) am 18. September 1973 der Aufnahme beider deutscher Staaten in ihre Organisation zugestimmt hatte, wurden vor deren Gebäude in New York die Flaggen der DDR und der Bundesrepublik nebeneinander gehisst. Die Völkerfamilie hatte zwei neue Mitglieder mit gleichen Rechten und Pflichten aufgenommen – zwei höchst ungleiche Bruderstaaten, die miteinander rivalisierten, aber stets aufeinander bezogen blieben.
Unmittelbar nach ihrer Gründung 1949 konnten die beiden Staaten noch nicht den VN beitreten, zum einen, weil sie noch nicht vollständig souverän waren, und zum anderen wegen der auch gegen Deutschland gerichteten Feindstaatenklausel der VN-Charta. Jedoch wandelte sich der Charakter der VN bis 1973 erheblich: von einer Kriegsallianz gegen Deutschland, Japan und deren Verbündete zu einer „Weltorganisation als Instrument der Friedenswahrung“.
I. Vor dem Beitritt (1949-1973)
Den ehemaligen Feindstaaten wurde zwar 1955 von den VN das Attribut „friedlich“ zuerkannt; die beiden deutschen Staaten traten indes vorerst der Weltorganisation nicht bei. Dabei hatten sie einen ungleichen Zugang zu den Vereinten Nationen: In den VN-Sonderorganisationen, die in der Regel mit Mehrheitsprinzip über eine Aufnahme entschieden, war die Bundesrepublik seit 1950 Mitglied. Sie erhielt infolgedessen 1952 den Status eines „Beobachters“ bei den VN, der mit einer offiziellen Beobachtermission in New York präsent war. Dadurch konnte sie ihren Alleinvertretungsanspruch – seit 1955 mit der Hallstein-Doktrin umgesetzt – durchsetzen und mit der Unterstützung westlicher Partnerstaaten Beitrittsversuche der DDR zu diesen Organisationen abwehren.
Da das einstimmige Votum der fünf Sicherheitsratsmitglieder Voraussetzung einer VN-Mitgliedschaft war, konnten zu dieser Zeit aber weder die Bundesrepublik noch die DDR einzeln Vollmitglieder werden. Für die Bonner Regierung war dies vorteilhaft: Denn über ihre westlichen Verbündeten verfügte sie über gute inoffizielle Kontakte zum VN-Sekretariat und konnte gleichzeitig Ost-Berlin in seinem Beitrittsbegehren zu den Sonderorganisationen blockieren.
Als die DDR 1966 einen Aufnahmeantrag stellte, scheiterte dieser erwartungsgemäß; auch das Minimalziel, die Zuerkennung des Beobachterstatus, erreichte sie nicht. Aber insgesamt bewerteten Moskau und Ost-Berlin den Schritt positiv, hatten sie damit doch dafür gesorgt, dass das Thema auf der Tagesordnung blieb, und VN-Generalsekretär U Thant zu einem inoffiziellen Gespräch mit DDR-Außenminister Otto Winzer veranlasst.
II. Der Beitritt 1973
Mit dem Wandel der internationalen Politik von der Konfrontation zur Entspannung, dem sich langfristig die Bundesrepublik nicht entziehen konnte, änderte sich auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten bei den VN. Bereits im Mai 1968 plädierte der Leiter der westdeutschen Beobachtermission, Sigismund Freiherr von Braun, aufgrund der zunehmenden Schwierigkeiten, die Hallstein-Doktrin aufrechtzuerhalten, für eine flexiblere Politik gegenüber der DDR in den VN, konnte sich aber noch nicht durchsetzen.
Erst mit der Bildung der sozialliberalen Koalition nach der Bundestagswahl 1969 wurde die Hallstein-Doktrin modifiziert. Zwar sollte weiterhin dem ostdeutschen Anerkennungsstreben entgegengewirkt werden; sobald die innerdeutschen Beziehungen aber im Sinne der Bundesrepublik geregelt wären, sollten der DDR in der internationalen Politik keine Steine mehr in den Weg gelegt werden. Das galt auch für die VN-Mitgliedschaft. Ost-Berlin jedoch wollte bereits vorher der weltweiten Staatenorganisation beitreten, um die Position der DDR am deutsch-deutschen Verhandlungstisch und in der internationalen Politik zu stärken. Erneut drängte die SED-Führung auf Mitgliedschaft in der UNESCO, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Wirtschaftskommission für Europa der VN (ECE). Am 1. Juli 1972 empfing VN-Generalsekretär Kurt Waldheim zwar Außenminister Winzer, ließ diesen aber mit seinem Wunsch nach einem Ständigen Beobachter ins Leere laufen.
Sowohl der vorzeitige Beitritt der DDR zur UNESCO am 21. November 1972 als auch der gemeinsame Beitritt von DDR und Bundesrepublik zu den VN am 18. September 1973 kamen schließlich nur im Zusammenhang mit Unterzeichnung des Grundlagenvertrags beziehungsweise mit vorheriger Zustimmung der Bundesrepublik zustande. Freilich war, wie der westdeutsche VN-Botschafter Walter Gehlhoff schrieb, der Bundesrepublik „der Schritt in die Vereinten Nationen nicht leichtgefallen. Sie hatte befürchtet, der Beitritt könnte den Eindruck erwecken, ‚als hätten wir die Hoffnung auf Einheit aufgegeben‘.“
Viele Außenminister gingen indes in ihren Begrüßungsreden davon aus, „daß in den heutigen zwei deutschen Staaten ein Volk und eine Nation weiterleben“, was Gehlhoff zwar etwas beruhigte, aber nichts daran änderte, dass sich die Bundesrepublik nun an dem Spagat zwischen staatlicher Anerkennung der DDR und Festhalten an der deutschen Einheit üben musste.
Die DDR hingegen sah sich am Ziel: „Durch die Aufnahme der DDR und der BRD in die UNO und die Anerkennung der Unverletzlichkeit des territorialen Status quo in den Verträgen von Moskau, Warschau und Berlin“, so hieß es in einem Papier des ostdeutschen Außenministeriums, „ist völkerrechtlich der Prozeß der Abgrenzung zwischen der DDR und der BRD ein für allemal vollzogen.“ Doch während die Vollmitgliedschaft für die in bereits allen Sonderorganisationen vertretene Bundesrepublik mit ihren Beobachtermissionen den Abschluss einer Entwicklung bildete, war diese für die DDR Ausgangspunkt und Grundlage ihres weiteren Engagements in den VN. Jenseits des mit dem VN-Beitritt verbundenen Prestigegewinns eröffnete sich für die DDR hier ein neues Betätigungsfeld.
III. Die beiden deutschen Staaten in den VN
Der langjährige bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher bezeichnete die VN einmal als „einzige universale Organisation mit umfassendem Mandat“ und gestand ihr damit indirekt auch eine supranationale Qualität zu. Anders die DDR, die in der Organisation fast ausschließlich eine multilaterale Organisation sah und die Stärkung von deren überstaatlichen Elementen dezidiert ablehnte. Während die Bundesrepublik im Rahmen der Weltorganisation in gleichem Maße für Entspannung, Abrüstung und Entwicklung eintrat – nach den englischen Begriffen „détente“, „disarmament“ und „development“ auch als die drei „Ds“ bezeichnet – hob die DDR einseitig die ersten beiden „Ds“ hervor, was eine Vernachlässigung der internationalen Entwicklungshilfe bedeutete.
Wenngleich sich die DDR vor 1973 vergeblich um den Beitritt zu allen Sonderorganisationen bemüht hatte, wurde sie, anders als die Bundesrepublik, nicht bei allen 16, sondern nur bei neun dieser Organisationen Mitglied. Dieses selektive Engagement hatte unterschiedliche Ursachen. So blieb die DDR bewusst den Finanzinstitutionen der VN, Weltbank und IWF, fern, da sie aufgrund der dort herrschenden, nach den Einlagen der Mitgliedstaaten gestaffelten Machtverhältnissen auf deren Entscheidungen kaum hätte Einfluss nehmen können. Der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO) trat sie wegen des Viermächtestatus von Berlin nicht bei, der mit Einschränkungen der Hoheit im eigenen Luftraum verbunden war. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) musste aufgrund einer Entscheidung des für Landwirtschaft zuständigen SED-Sekretärs Gerhard Grüneberg ohne die DDR auskommen, weil die Sowjetunion ihre Mitgliedschaft dort ruhen ließ.
Ein ähnliches Bild entsteht bei der Betrachtung des finanziellen Engagements beider deutscher Staaten für die VN. Die Bundesrepublik leistete nicht nur ihre Pflichtbeiträge, sondern auch umfangreiche freiwillige Hilfe im Rahmen von Sonderprogrammen, die ausschließlich den Entwicklungsländern zugutekamen. Die DDR hingegen leistete über ihre Pflichtbeiträge hinaus aus zwei Gründen kaum freiwillige Hilfe: Zum einen stand sie multilateraler, über UN-Organe zu vergebender Entwicklungshilfe skeptisch gegenüber. Sie bevorzugte vielmehr bilaterale Hilfen, die vor allem nach in Ost-Berlin festgelegten politischen Kriterien vergeben wurden, etwa an der DDR besonders verbundene Länder oder an nationale Befreiungsbewegungen. Zum anderen verfügte sie, anders als die Bundesrepublik, nur über begrenzte Mengen an harten Devisen, in denen die Zahlungen geleistet werden sollten. Sie wählte daher den Ausweg, freiwillige Leistungen in Mark der DDR abzurechnen. Diese wurden dann etwa über Ausbildungskurse für Menschen aus dem „globalen Süden“ in der DDR, über die Entsendung von DDR-Experten oder über die Lieferung von Medikamenten in Anspruch genommen.
DDR und Bundesrepublik unterschieden sich überdies in der Art ihrer Mitarbeit in den Sonderorganisationen und in der Generalversammlung (GV). Während die Bundesrepublik versuchte, sich auf die Lösung praktischer Probleme zu konzentrieren, stand für die DDR eine forumsorientierte Mitarbeit im Zentrum. Da sie die VN als Plattform betrachtete, auf der die Auseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus ausgetragen wurde, kam es ihr darauf an, die eigenen Ansichten zu propagieren und dafür möglichst viel Unterstützung zu gewinnen. Das gelang ihr, wenn sie etwa bei Abrüstungsfragen für die friedliche Koexistenz oder ein Chemiewaffenverbot eintrat, den (Neo-)Kolonialismus sowie die Apartheid in Südafrika verurteilte und in den 1970er Jahren die Forderung zahlreicher Entwicklungsländer nach Einführung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung unterstützte.
So überrascht es nicht, dass die DDR in der GV bei einschlägigen Resolutionen weitaus häufiger mit der Mehrheit abstimmte als die Bundesrepublik. Dabei war die DDR stärker in die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) eingebunden als die Bundesrepublik in die westlichen Strukturen. Vor jeder Tagung der GV trafen sich die Außenminister der Ostblockstaaten, um auf der Grundlage der sowjetischen Positionen das Abstimmungsverhalten festzulegen. In den seltenen Fällen, in denen die DDR einmal davon abweichen wollte, stimmte sie nicht gegen eine Resolution, sondern zog sich durch Enthaltung oder Abwesenheit aus der Affäre. Die Bundesrepublik als westliches Industrieland, NATO- und EG-Mitglied stimmte sich in unterschiedlichen Staatengruppen ab, war aber, anders als die DDR, damit in der GV in einer strukturellen Minderheitsposition. Da sie auf möglichst viele Seiten Rücksicht nehmen wollte, enthielt sie sich bei Abstimmungen in der GV relativ oft der Stimme.
Leichte Veränderungen an dieser Grundkonstellation ergaben sich in den 1980er Jahren, insbesondere nach dem Machtantritt Michail Gorbatschows in der Sowjetunion. Jetzt wurde nicht nur die Abstimmung in der WVO-Gruppe vernachlässigt; mit der Aufwertung der VN durch die neue sowjetische Führung trat auch die DDR für deren Stärkung „als Zentrum des Dialogs“ ein und wollte sie zu einem „Zentrum abgestimmter Zusammenarbeit“ machen. Die DDR war nun bereit, die Effektivität der Weltorganisation zu erhöhen, etwa indem sie erstmals dem Einsatz von VN-Friedenstruppen zustimmte.
IV. Vom Nebeneinander zum Miteinander? Das Verhältnis der beiden deutschen Staaten in den VN
„Wir sind nicht hierhergekommen, um die Vereinten Nationen als Klagemauer für die deutschen Probleme zu betrachten oder um Forderungen zu stellen, die hier ohnehin nicht erfüllt werden können.“ Mit diesen Worten verdeutlichte Bundeskanzler Willy Brandt am 26. September 1973 vor der GV, dass die Bundesrepublik die VN nicht als Forum für ihre Auseinandersetzungen mit der DDR nutzen wollte. Ganz ähnlich äußerte sich Außenminister Hans-Dietrich Genscher noch am 30. September 1988 in einem Interview mit dem RIAS: Man werde die deutsch-deutschen Probleme nicht auf der Bühne der Weltorganisation austragen, da in den VN „sehr viel Prestige eingebracht würde in eine solche Diskussion, während wir an sachlicher Problemlösung interessiert sind“.
Dieses von beiden Seiten eingehaltene „Gentlemen’s agreement“, die VN nicht mit den „querelles allemandes“ zu behelligen, hinderte Genscher jedoch nicht daran, in jeder GV die Offenheit der deutschen Frage anzusprechen und an den Auftrag des Grundgesetzes zur friedlichen Vereinigung Deutschlands zu erinnern. Regelmäßig erwiderte DDR-Außenminister Oskar Fischer, dass auf deutschem Boden zwei vollkommen anders ausgerichtete deutsche Staaten existierten, zwischen denen es nur Beziehungen der friedlichen Koexistenz geben könne.
Doch bei diesen Erklärungen ließen beide Seiten es bewenden. Genscher und Fischer nutzten vielmehr ihr Zusammentreffen bei den VN-Vollversammlungen für einen Austausch über aktuelle Themen. Jenseits der formellen Standortbestimmung pflegten die Repräsentanten beider deutscher Staaten ein korrektes und geschäftsmäßiges, in der Regel distanziertes Verhältnis, dessen Qualität mal besser, mal schlechter sein konnte. Vorherrschend war ein geregeltes Nebeneinander der beiden deutschen Vertreter.
Das verhinderte jedoch nicht, dass die DDR Beschlüsse und Normen von VN-Organisationen gegen die Bundesrepublik instrumentalisierte. So nutzte sie den Umstand, dass die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) die Zugangsbeschränkungen für Angehörige extremistischer Parteien zum öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik kritisierte, um den Bonner „Berufsverbotsstaat“ anzuprangern. Die Bundesrepublik wiederum hatte weiterhin die DDR im Blick, als die Vereinigten Staaten verkündeten, zum Jahresende 1984 die UNESCO zu verlassen, und Großbritannien sich ein Jahr später anschloss. Wenngleich sich die Bundesrepublik dadurch unter Zugzwang gesetzt sah, entschied sie sich zum Verbleib in der UNESCO. Denn ihr kam es – unter anderem – darauf an, die alleinige Vertretung Deutschlands durch die DDR in dieser Sonderorganisation zu verhindern.
Trotz dieser weiterhin bestehenden Rivalität näherten sich Bundesrepublik und DDR, deren Beziehungen 1987 mit dem Honecker-Besuch in Bonn einen Höhepunkt erlebten, auf dem Gebiet der Abrüstung auch in den VN einander an. So fanden am Rande der regulären VN-Abrüstungskonferenz in Genf regelmäßig Treffen zwischen Vertretern beider Staaten zum Stand der Verhandlungen über chemische Waffen statt. Außerdem bereiteten beide Außenministerien im Mai 1988 eine UN-Sondergeneralversammlung zum Thema Abrüstung vor; beide verabredeten dabei auch weiterhin bilaterale Konsultationen auf diesem Themengebiet.
Auch bei einem anderen Themenfeld gab es trotz weiter bestehender grundsätzlicher Konkurrenz gleichgerichtete Bemühungen und begrenzte Zusammenarbeit: bei der Förderung der Berufsbildung im Rahmen der UNESCO. Hier waren es gemeinsame Traditionen, die auf Anregung der DDR die beiden Staaten zusammenführten. Beide Staaten waren daher maßgeblich am Beschluss der UNESCO-Generalkonferenz zu einem internationalen Berufsbildungsprojekt im Oktober 1989 beteiligt.
Den Höhe- und Endpunkt deutsch-deutscher Kooperation bildete die gemeinsame Teilnahme an der VN-Mission in Namibia 1989/90. Hintergrund war der von den VN betriebene Unabhängigkeitsprozess der ehemaligen deutschen Kolonie, die seit 1915 von Südafrika besetzt war. Denn zur Überwachung der dort angesetzten Wahlen und zur Kontrolle der bis zur Unabhängigkeit im Land verbleibenden südafrikanischen polizeilichen und paramilitärischen Einheiten wurde eine Unterstützungseinheit für die Übergangszeit (United Nations Transition Assistance Group – UNTAG) mit einem militärischen und einem zivilen Kontingent gebildet.
Nachdem die DDR in der GV 1988 erstmals Resolutionen zum Einsatz von VN-Friedenstruppen zugestimmt und die Bundesregierung nach innenpolitischen Debatten entschieden hatte, Angehörige des Bundesgrenzschutzes (BGS) zu entsenden, nahmen, nicht zuletzt auf Wunsch des VN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari, eine 50-köpfige Bundesgrenzschutzeinheit und 30 Polizeibeobachter aus der DDR an der Mission teil. Beide bildeten einen Teil der zum zivilen Kontingent gehörenden Zivilpolizei (CIVPOL). An einer CIVPOL-Station im Norden Namibias leisteten west- und ostdeutsche Polizeibeobachter – neben Kollegen aus anderen Nationen – sogar gemeinsam Dienst. Diese einmalige, problemlose Kooperation war allerdings auch die letzte: Denn als die UNTAG-Mission am 21. März 1990 mit der Unabhängigkeit Namibias endete, hatten in der DDR bereits Wahlen zur letzten Volkskammer stattgefunden, die den Weg zur deutschen Einheit ebneten.
V. Die Bundesrepublik als Gestaltungsmacht in den VN
Wenngleich es vereinzelt zu Kooperationen zwischen beiden deutschen Staaten in den VN kam, war doch unübersehbar, dass die Bundesrepublik in den VN – wie in der internationalen Politik insgesamt – über ein größeres Gewicht verfügte als die DDR. Das war zum einen auf ihre sehr viel höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und zum anderen auf ihre Einbindung in die westliche Staatenwelt zurückzuführen, die es ihr erleichterte, einen wesentlichen Beitrag zu den Kernzielen der VN zu leisten. Drei Fallbeispiele sollen illustrieren, wie sie am zentralen Auftrag der VN, der Friedenssicherung, als Gestaltungsmacht beteiligt war.
1. Die Bundesrepublik schlug auf der 35. GV im Herbst 1980 eine Initiative zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit bei der Vermeidung neuer Flüchtlingsströme vor. Ziel war es, das Flüchtlingsproblem nicht nur ex post mit humanitären Bemühungen anzugehen, sondern „an seiner Wurzel anzupacken“. Eine entsprechende Resolution wurde mehrheitlich angenommen. Ein Jahr später, im Dezember 1981, wurde, wieder auf westdeutsche Initiative, eine weitere Resolution zu dem Thema verabschiedet, die eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Empfehlungen über geeignete Maßnahmen einsetzte. Im Dezember 1986 konnte im Auswärtigen Amt schließlich gemeldet werden, dass die Angelegenheit nach „zum Teil sehr schwierigen Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden“ konnte. Eine letzte Resolution zu dem Thema sah nicht nur ein Gebot an alle Staaten vor, „keine Flüchtlingsströme zu erzeugen und alles zu tun, um derartige Ströme zu verhindern“, sondern auch ein Mandat des VN-Generalsekretärs zur Errichtung einer Art Frühwarnsystem und zu eigenständigen Maßnahmen in dieser Angelegenheit.
Schon während dieses Prozesses unterbreitete die Bundesrepublik einen weiteren Vorschlag zur Konfliktprävention, den sie zusammen mit anderen Staaten 1984 einbrachte. Die GV im Herbst 1988 verabschiedete eine entsprechende Resolution zur Konfliktverhütung, die der zur Fluchtprävention stark ähnelte.
2.Die Bundesrepublik, die 1986 in den Sicherheitsrat gewählt wurde, beteiligte sich überdies an der Beendigung des seit 1980 andauernden iranisch-irakischen Krieges. Zwar arbeiteten die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder Resolution 598, die zur sofortigen Waffenruhe und einem Rückzug aller Truppen auf die Vorkriegsgrenzen aufrief, zunächst unter sich aus und leiteten sie erst danach den nicht-ständigen Mitgliedern zu. Da die Bundesrepublik, anders als die meisten der ständigen Mitglieder, nicht nur zum Irak, sondern auch zum Iran intakte Beziehungen unterhielt, machte sie, unterstützt von zwei anderen nicht-ständigen Mitgliedern, Italien und Japan, Änderungsvorschläge, um dem Iran entgegenzukommen. Nachdem einige davon angenommen worden waren, wurde die Resolution am 20. Juli 1987 einstimmig vom Sicherheitsrat verabschiedet.
Kurz danach, am 1. August, übernahm die Bundesrepublik für vier Wochen den Vorsitz in diesem Gremium und nutzte dies, um gemeinsam mit VN-Generalsekretär Perez de Cuellar einen ersten Plan zur Implementierung von Resolution 598 zu entwickeln. Der Irak, der von der Resolution tendenziell bevorzugt wurde, stimmte dieser prinzipiell zu, der Iran hingegen spielte auf Zeit, indem er diese weder annahm noch zurückwies. Außenminister Genscher warb sowohl bei seinem iranischen als auch bei seinem irakischen Amtskollegen für die Resolution, vorerst jedoch ohne Erfolg.
Auch eine Reise von Perez de Cuellar nach Teheran und Bagdad im September führte nicht zum Ziel. Erst nachdem die iranische Führung im Juli 1988 die Annahme von Resolution 598 bekundet hatte, war das Ende des Krieges absehbar. Am 8. August verkündete der Generalsekretär, dass der Iran und der Irak einem Waffenstillstand zugestimmt hatten. Mit dessen Inkrafttreten am 20. August 1988 schwiegen die Waffen.
Der Anteil der Bundesrepublik am Zustandekommen des Waffenstillstands ist schwer zu gewichten. Zweifellos waren andere Faktoren wichtiger, insbesondere die amerikanisch-sowjetische Kooperation zugunsten des Irak und der Umstand, dass der Iran 1988 nicht mehr in der Lage war, irakischen Angriffen standzuhalten. Gleichwohl sollten die vermittelnde Rolle der Bundesrepublik sowie ihr Engagement innerhalb und außerhalb der VN-Strukturen nicht geringgeschätzt werden.
3. Auch im Unabhängigkeitsprozess Namibias spielte die Bundesrepublik im Rahmen der VN eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt war das erwachende Interesse der Vereinigten Staaten an der ehemaligen deutschen Kolonie, nachdem es nicht gelungen war, den Sieg der linksgerichteten MPLA und die Stationierung kubanischer Truppen 1975 in Angola zu verhindern. Um eine sowjetisch-kubanische Penetration des südlich davon gelegenen Namibia zu verhindern, musste das Land unabhängig werden – friedlich und ohne Einmischung von außen.
Dies führte letztlich zur Sicherheitsratsresolution 385 vom 30. Januar 1976, die als Voraussetzung für den Rückzug südafrikanischer Truppen und die Unabhängigkeit Namibias freie Wahlen unter Aufsicht der VN forderte. In den ersten Monaten des Jahres 1977, als die Bundesrepublik und Kanada in den Sicherheitsrat gewählt worden waren, entstand sowohl in der Völkerrechtsabteilung des Bonner Auswärtigen Amts als auch im US State Department die Idee, dass die ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, Großbritannien und Frankreich zusammen mit der Bundesrepublik und Kanada die sogenannte Kontaktgruppe bilden könnten, um Vorschläge zur Konkretisierung von Resolution 385 auszuarbeiten.
Erstmals tagte die Kontaktgruppe in der kanadischen VN-Mission in New York am 16. März 1977. Außenminister Genscher, für den sich dadurch „neue Chancen für politische Mitverantwortung“ eröffneten, unterstützte die Kontaktgruppe von Anfang an, etwa durch Begegnungen mit dem tansanischen Präsidenten Julius Nyerere und dessen sambischen Amtskollegen Kenneth Kaunda, nicht zuletzt wegen der in Namibia noch lebenden Deutschen.
Der von der Kontaktgruppe in ständiger Abstimmung mit den fünf Außenministerien ausgearbeitete Plan wurde im April 1978 von Südafrika und im Juli von der namibischen Befreiungsorganisation SWAPO akzeptiert. Auf dieser Grundlage wurde Sicherheitsratsresolution 435 formuliert und am 29. September 1978 angenommen. Dass deren Implementierung erst 1989/90 erfolgte, hing zum einen damit zusammen, dass Südafrika vorpreschte und in Verletzung der Resolution für Dezember 1978 einseitig interne Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung durchführen ließ; zum anderen machte die US-Regierung unter Ronald Reagan Anfang 1981 den Abzug der Kubaner aus Angola zur Vorbedingung für die Unabhängigkeit Namibias.
Genscher und seine Amtskollegen aus Großbritannien, Frankreich und Kanada waren darüber zwar nicht glücklich, konnten sich aber auch nicht offen gegen die USA stellen. Wenngleich damit der Weg Namibias in die Unabhängigkeit vorerst blockiert war, wirkte die Bundesrepublik in den folgenden Jahren weiter auf die Umsetzung von Resolution 435 hin – auf der Außenminister-Ebene, auf bilateraler Ebene, etwa durch Treffen von Genscher und dem SWAPO-Vorsitzenden Sam Nujoma, und durch die Organisation von Dialogen von Namibiadeutschen mit der Befreiungsbewegung im Land selbst.
Als mit dem Rückzug Moskaus aus dem globalen Süden der sowjetische Rückhalt für die Kubaner in Angola schwand und die Südafrikaner 1988 militärische Rückschläge erlitten, konnten nach einem Waffenstillstand am 22. Dezember 1988 bei den VN in New York die Angola-Namibia-Vereinbarungen zwischen Kuba, Angola und Südafrika unterzeichnet werden. Die Namibia betreffende Vereinbarung sah die Umsetzung von Resolution 435 vor, sodass das Land nach von den VN überwachten freien Wahlen am 21. März 1990 schließlich unabhängig werden konnte.
Während die Bundesrepublik wesentliche Beiträge dazu leistete, hatte die DDR am Unabhängigkeitsprozess Externer Link: Namibias keinerlei Anteil: Anfangs lehnte sie noch, wie alle Ostblockstaaten, Resolutionen 385 und 435 ab. Dies änderte sich zwar 1982, aber insgesamt blieb sie passiv und brachte sich erst 1989 mit der erwähnten Bereitstellung von Polizeikräften im Rahmen der UNTAG ins Spiel.
VI. Menschenrechte vor den VN – ein Problem für die DDR
Verbunden mit dem Beitritt zu den VN war – nicht nur für die beiden deutschen Staaten – die Anerkennung der universellen Menschenrechte, wie sie in den VN-Dokumenten niedergelegt sind. Dazu zählte insbesondere der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) von 1966, den die Bundesrepublik schon am 9. Oktober 1968 unterzeichnete. Die DDR folgte am 27. März 1973, noch vor ihrem VN-Beitritt. DDR und Bundesrepublik ratifizierten den Pakt im November beziehungsweise Dezember 1973; am 23. März 1976 trat er in Kraft. Da zwischen dem Menschenrechtsverständnis der VN und dem des Grundgesetzes keine wesentlichen Unterschiede bestanden, konnte die Bundesrepublik aktiv an der Menschenrechtspolitik der VN mitwirken und in diesem Rahmen etwa die Anti-Folter-Konvention fördern sowie an den Bemühungen um eine weltweite Ächtung der Todesstrafe mitwirken. Nur selten geriet sie auf die Anklagebank, etwa in der ILO wegen der sogenannten Berufsverbote.
Ganz anders die DDR, die infolge der Unterzeichnung in Bedrängnis geriet. Da sie um die Brisanz der Individualrechte wusste, versuchte sie, erstens, die Andersartigkeit von Grund- und Menschenrechten im Sozialismus hervorzuheben. Es handle sich um Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechte; Menschenrechtsverwirklichung erfolge daher nicht gegen, sondern mit dem Staat und diene dazu, den Menschen soziale Sicherheit und Schutz zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund betonte die DDR zweitens den gegenüber den Individualrechten sehr viel höheren Stellenwert der sozialen Menschenrechte, etwa des Rechts auf Arbeit.
Drittens trat sie, anders als die Bundesrepublik, im Rahmen der VN für die „Menschenrechte der dritten Generation“ ein, also für das Recht auf Frieden oder das Recht auf Entwicklung, womit sie einige propagandistische Pluspunkte sammelte. Viertens bestritten DDR-Autoren, dass der Zivilpakt unmittelbar für die DDR-Bevölkerung galt; außerdem seien die Pakte für sozialistische Staaten überflüssig, weil die Menschenrechte hier ohnehin voll und ganz verwirklicht seien.
Wenngleich sie Beanstandungen der eigenen Menschenrechtspraxis ablehnte, stimmte die DDR zwei GV-Resolutionen für den Kampf gegen das südafrikanische Apartheid-Regime „by all available means“ zu. Da die Bundesrepublik die damit einbezogene Gewaltanwendung nicht mittragen konnte, enthielt sie sich. Anders als die Bundesrepublik billigte die DDR auch eine gegen Israel gerichtete Beschlussvorlage mit dem Satz: „Zionism is a form of racism.“ Jedoch war sie nicht bereit, im eigenen Land die individuellen Menschen- und Bürgerrechte, die den Zugriff des Staates auf seine Bürger eingeschränkt hätten, einzuhalten. Abfällig sprach Honecker im Januar 1978 von dem „Rummel um die Menschenrechte“, den „maßgebende imperialistische Kreise“ veranstalteten.
Sie konnte sich indes diesem „Rummel“ nicht ganz entziehen. Denn auf der Grundlage des Zivilpakts wurde in Genf im März 1977 der Menschenrechtausschuss gebildet, der in regelmäßigen Abständen Berichte der Vertragsstaaten anforderte und prüfte. Höhepunkt der Prüfung war und ist der mündliche Bericht vor dem Ausschuss, der die Möglichkeit zu klärenden Nachfragen bietet. Bei unbefriedigenden Antworten können zwar keine Sanktionen verhängt werden, aber die VN setzen mit einer gewissen Berechtigung darauf, dass sich kein Land „auf Dauer leisten [kann], mit einer befleckten Weste dazustehen“.
Als einer der ersten Staaten trat die DDR vor dem Menschenrechtsausschuss auf. Auf der Grundlage eines schönfärberischen Berichts vom 28. Juni 1977, in dem Ost-Berlin vor allem auf menschenrechtsrelevante Passagen der DDR-Verfassung und einschlägige Gesetze verwies, musste Hans Heilborn vom DDR-Justizministerium Ende Januar 1978 Stellung nehmen. Er war denkbar schlecht vorbereitet, da das DDR-Außenministerium den schriftlichen Bericht für entscheidend hielt und Heilborn keine weiteren Informationen mitgab. Insbesondere seine Fragen nach der Stoßrichtung des „Gegners“ blieben unbeantwortet. Auch die öffentlich zugänglichen Materialien von „Amnesty International“ (AI) zur DDR von 1977 erhielt er nicht.
Die Nachfragen des Ausschusses bezogen sich unter anderem auf den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze, auf die Todesstrafe, auf Reise- und Meinungsfreiheit, auf die Anzahl der politischen Häftlinge und auf die Handhabung der Vereinigungsfreiheit. Heilborn antwortete meistens ausweichend und behauptete unter anderem wahrheitswidrig, dass es keine politischen Gefangenen in der DDR gebe. Wenngleich der Ausschussvorsitzende die Sitzung als den Beginn eines konstruktiven Austauschs bewertete, machte man sich im DDR-Staatsapparat keine Illusion darüber, dass man sich in Genf erhebliche Blößen gegeben hatte.
Der zweite DDR-Bericht vom 3. November 1983 wurde daher sehr viel gründlicher vorbereitet; die Berichterstattung vor dem Menschenrechtsausschuss zwischen dem 18. und 20. Juli 1984 übernahm Strafrechtsprofessor Erich Buchholz von der Humboldt-Universität, der vom Außenministerium auch eine Reihe von Direktiven zu seinem Vorgehen erhielt. Das konnte jedoch nicht verhindern, dass ihm dort zahlreiche für die DDR unangenehme Fragen gestellt wurden, etwa nach dem Schusswaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze, nach der Verwirklichung des Rechts auf Ausreisefreiheit und nach den Kriterien für die Erteilung von Reisegenehmigungen, nach Informationsfreiheit für die DDR-Bürger und nach politischen Gefangenen. Wieder erhielten die Fragesteller ausweichende, unzureichende oder unzutreffende Antworten. Vor einem dritten mündlichen Verfahren, das schließlich auf 1990 terminiert wurde, blieb die DDR aufgrund ihres Untergangs im Zuge der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung verschont.
Mithilfe des sogenannten 1503-Verfahrens beschwerten sich DDR-Bürger überdies direkt bei der Menschenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozialrats der VN (ECOSOC) über staatliche Menschenrechtsverletzungen. Die Kommission, die die Beschwerden sammelte und daraufhin prüfte, ob sich systematische und fortgesetzte Menschenrechtsverstöße nachweisen ließen, diskutierte mehrmals zwischen 1981 und 1983 über Menschenrechtsverletzungen der DDR – insbesondere verweigerte Ausreisen – und stellte den ostdeutschen Staat damals unter verschärfte Beobachtung.
Aber weder die Berichte vor dem Menschenrechtsausschuss noch die direkten Beschwerden ostdeutscher Bürger bewirkten, dass die DDR der Einhaltung der Menschenrechte stärkere Beachtung schenkte. Ihr kam entgegen, dass die Presse über die im Rahmen der Berichtsverfahren geäußerte Kritik aus den Reihen des Ausschusses kaum berichtete, sodass sich der sichtbare Schaden für ihr internationales Prestige in Grenzen hielt. Jedoch wird an dieser Stelle deutlich, dass sich die DDR der Wechselwirkung von Innen- und Außenpolitik nicht entziehen konnte. Denn sie hatte in ihrem Streben nach Anerkennung und Präsenz auf der internationalen Bühne Verträge unterzeichnet, die sie nicht einhalten konnte. Ihrem Ziel, ein von allen anerkanntes Mitglied der Völkerfamilie zu werden, kam sie dadurch letztlich nicht näher.
Das Scheitern der DDR in ihrem Kampf um nationale und internationale Legitimität wurde mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 zu westlichen Bedingungen überdeutlich. Bereits am 27. September 1990 teilte Ministerpräsident Lothar de Maizière dem VN-Generalsekretär mit, dass mit der Volkskammerentscheidung zum Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes „die völkerrechtlichen Voraussetzungen für ein Fortbestehen der Mitgliedschaft der Deutschen Demokratischen Republik in der Organisation der Vereinten Nationen“ entfielen.
Am 3. Oktober setzte Außenminister Genscher den Generalsekretär in einer Note von der Vereinigung beider deutscher Staaten „zu einem souveränen Staat“ in Kenntnis, „der als Mitglied der Vereinten Nationen auf die Vorschriften der Charta verpflichtet bleibt“, und er fügte hinzu: „Vom Zeitpunkt der staatlichen Einheit an wird die Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen unter der Bezeichnung ‚Deutschland‘ auftreten.“
Fazit
Dass mit der Bundesrepublik und der DDR zwei ungleiche Brüder den VN angehörten, wurde bereits vor deren Beitritt deutlich, als erstere Zutritt zu den VN-Sonderorganisationen erhielt, letztere aber nicht. Auch innerhalb der VN verfügte die Bundesrepublik über ein weitaus höheres Gewicht als die DDR, wenngleich diese in der GV meist mit der Mehrheit der Staaten stimmte, während sich die Bundesrepublik aufgrund unterschiedlicher Zwänge oft enthalten musste. Dabei zeigte die Bundesrepublik ein größeres Engagement als die DDR, da sie allen Sonderorganisationen angehörte, sich stärker an der multilateralen Entwicklungshilfe beteiligte und sich auch insgesamt mehr für die Stärkung des VN-Systems einsetzte.
Die DDR hingegen arbeitete weitgehend forumsorientiert; sie nutzte also die VN überwiegend als Bühne für ihre Selbstdarstellung. Demgegenüber wollte und konnte die Bundesrepublik ihr politisches Gewicht auch bei der Lösung zentraler Probleme der Weltgemeinschaft einsetzen, was freilich nur im Verbund mit anderen, meist westlichen Staaten erfolgversprechend war. Untereinander pflegten die Vertreter beider Staaten ein korrektes, eher distanziertes Verhältnis; bisweilen schimmerte in ihrem Verhalten die weiterhin bestehende deutsch-deutsche Rivalität durch, Ansätze zur Kooperation waren eher selten.
Anders als für die Bundesrepublik stellte die mit dem VN-Beitritt verbundene Anerkennung der in den VN-Dokumenten fixierten Menschenrechte für die DDR ein Problem dar. Denn dies gab Vertretern anderer Staaten die Möglichkeit, die DDR als Diktatur zu entlarven und ihr die Legitimität abzusprechen, die sie sich mit ihrem VN-Beitritt dauerhaft sichern wollte. (hk)
Zitierweise: Hermann Wentker, "Vor 50 Jahren - Zweimal Deutschland in der UNO", in: Deutschland Archiv, 18.09.2023, erstveröffentlicht am 21.2.2023. Link: www.bpb.de/518364.
Hermann Wentker, "Externer Link: Eine Beziehung besonderer Art. Die westdeutschen Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und die Ostdeutschen 1970-1989", Deutschland Archiv 3.1.2022.
Der Historiker Prof. Dr. Hermann Wentker leitet die Forschungsabteilung Berlin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Potsdam, u.a. mit den Forschungsschwerpunkten Staat und Kirche in der DDR; Geschichte der Ost-CDU; Geschichte der Justiz in der SBZ/DDR und Außenpolitik der DDR.
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