Der DDR-Antikhandel hatte die Erwirtschaftung von Devisen zur Aufgabe. Durch den Verkauf von Antiquitäten und Kunstgegenständen aus dem Besitz von Privatleuten, Galerien, Bibliotheken, Schlössern, Museen und Archiven generierte der SED-Staat Einnahmen. Seien es alte Münzen, Schmuck, wertvolle Gemälde, antike Möbel oder teures Porzellan.
"OV Puppe". Ein Stasi-Raubzug im Spielzeugland Wie das MfS und der DDR-Antikhandel nach devisenbringenden Porzellanpuppen aus Thüringen jagten
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Nicht nur ein Weihnachtsgeschäft. Wie die DDR-Geheimpolizei Stasi und der DDR-Antikhandel nach devisenbrinden Porzellanpuppen aus Thüringen jagten, eine Recherche von Sascha Münzel. Als Beispiel greift er einen Fall aus dem Sommer 1982 auf. Damals ließ der Verkauf von Porzellanpuppen und Puppenteilen in großen Mengen Mitarbeiter der Abteilung 13 der Hauptabteilung VII (HA VII/13) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und Steuerfahnder des Rates des Bezirkes Magdeburg aufmerken. Sie leiteten Ermittlungen gegen zwei Personen aus Wernigerode ein. Die Spur führte sie nach Thüringen. Ihr Ziel: selber ein Geschäft daraus zu machen.
Bis in die 1960er Jahre hinein wickelten Privathändler einen großen Teil des Kunst- und Antiquitätenhandels ab. Von Bedeutung zu dieser Zeit war der Antikhandel Pirna, den Siegfried Kath 1969 in der gleichnamigen Stadt gründete und der sich zu einem umsatzstarken Unternehmen entwickelte. Der SED-Staat zerschlug 1974 den Antikhandel Pirna und gliederte ihn – als Betriebsteil, der für den DDR-Binneneinkauf zuständig war – als Volkseigenen Betrieb (VEB) Antikhandel Pirna, in die Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA) ein.
Eine Ministerratsverfügung vom 18. Januar 1973 bildete die Grundlage für die Arbeit der KuA. Organisatorisch gehörte sie zum Schattenreich der Kommerziellen Koordinierung, über den der Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel und Offizier im besonderen Einsatz (OibE), Alexander Schalck-Golodkowski, herrschte. Die KuA hatte ihren Hauptsitz in der Französischen Straße 15 in Ostberlin und unterhielt im brandenburgischen Mühlenbeck, in der Kastanienallee 19 – 20, ein Großlager, das für Händler aus dem Westen einen integrierten Galeriebereich vorhielt. Hinzu kamen DDR-weite Ankaufstellen und Lagerkomplexe.
Bis 1990 besaß die KuA das Monopol für den Export von Antiquitäten und Kunstgegenständen. Um die Stücke für die devisenträchtigen Märkte nutzbar zu machen, sorgten KuA, das MfS, die Kriminalpolizei, die Zollverwaltung und die Finanzbehörden dafür, dass Sammler sowie Kunst- und Antiquitätenhändler gezielt unter Druck gesetzt, kriminalisiert, verhaftet, verurteilt und enteignet wurden.
MfS und DDR-Antikhandel
Für den Bereich „Schmuggel und Spekulation“ war im MfS zunächst eine Arbeitsgruppe im Anleitungsbereich Bruno Beaters
Die HA VII/13 kooperierte mit der Kriminalpolizei (den Arbeitsgebieten I und II), der Zollverwaltung (Zollfahndung), den Finanzbehörden (Steuerfahndung) und dem Justizapparat. Zum einen ging es darum, fortlaufend Informationen über Sammler sowie Kunst- und Antiquitätenhändler auszutauschen und diese tatsächlichen beziehungswise angeblichen Schieber und Spekulanten der Steuerfahndung zuzuführen. Dies brachte zum anderen mit sich, dass sich aus den Ermittlungen heraus Erkenntnisse über Kunstgegenstände und Antiquitäten ergaben, die sich die KuA für ihre Devisengeschäfte einverleiben konnte.
Hinzu kam, dass sich zahlreiche Beschäftige des DDR-Antikhandels zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet hatten. Darunter Siegfried Brachhaus, wissenschaftlicher Mitarbeiter im VEB Antikhandel Pirna und einer der wichtigsten DDR-Einkäufer der KuA („Reinhard Winkler“)
Zwei Sammler aus Wernigerode
Am Vormittag des 28.10.1982 brach in der MfS-Bezirksverwaltung Suhl hektische Betriebsamkeit aus. Gegen 10:30 Uhr, so hielt es Dienststellenleiter Oberst Gerhard Lange in seinem im Stasi-Unterlagen-Archiv Suhl überlieferten Dienstkalender fest, meldete sich telefonisch Generalleutnant Gerhard Neiber
Dem MfS-Bezirkschef wurde nun die Aufgabe übertragen, kurzfristig eine Bergungsaktion auf die Beine zu stellen, um die „Verwertung der weiteren Bestände ein[zu]leiten.“
Alles begann im Harzstädtchen Wernigerode. Dort existierte ein überschaubarer Kreis von Sammlern und Händlern antiquarischer Gegenstände, unter ihnen auch Manfred Grundmann (Name geändert!), der seit Mitte der 1970er Jahre Möbel, Uhren, Schmuck, Gemälde, Münzen und Vasen von Privathand aufkaufte und mit Gewinn weiterveräußerte. Grundmann zog 1981 nach Erfurt und entfaltete auch dort zahlreiche Geschäftsaktivitäten. So schaltete er mehrere Annoncen, unter anderem in der Tageszeitung Das Volk, in denen er als Ankäufer von Antiquitäten und Porzellanpuppen in Erscheinung trat.
Daraufhin meldeten sich mehrere Anbieter und boten Porzellanpuppen und Puppenteile an: Ein Ingenieur aus Jena, ein Hausmeister aus Waltershausen und ein Lehrer aus Ohrdruf. Grundmann gab im Juli 1982 in einer Vernehmung bei der Kriminalpolizei zu Protokoll: „Die einzelnen Puppen und Puppenteile hatten sehr unterschiedliche Preise, weil es sich dabei um unzählige Varianten und Arten handelte. Den niedrigsten Preis hatten die Puppenaugen, wo die kleinsten 0,50 Mark [der DDR] kosteten. Für Puppenköpfe waren bis zu 120 Mark [der DDR] zu zahlen.“
Grundmann witterte gute Geschäfte und fragte nach, woher die Preziosen kamen. Er erfuhr vom dem Ingenieur aus Jena, dass dieser die Porzellanpuppen und Puppenteile – ohne konkret zu werden – „in der Nähe des Rennsteigs“
Aus Auktionskatalogen, Fachliteratur und Erzählungen wusste Grundmann, dass Thüringen einst als das Spielzeugland galt. Während der langen Geschichte der Thüringer Spielzeugindustrie bildeten sich regionale Schwerpunkte, unter anderem die Regionen Sonneberg und Waltershausen, heraus. So entwickelte in Waltershausen die Firma Kämmer & Reinhardt die Charakterpuppe, ging neue Wege bei der Herstellung und stieg zu einem der weltweit größten Puppenproduzenten auf. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise kamen Produktion und Absatz von Porzellanpuppen ins Stocken und gänzlich zum Erliegen. Die vorrätige Ware entsorgte man auf Müllkippen und Abraumhalden oder nutzte sie als Baumaterial sowie als Füll- und Dämmstoff.
Anfänglich kaufte Grundmann einige Stücke auf und ließ diese in der Magdeburger Filiale des VEB Antikhandel Pirna begutachten. Erst danach und in Kenntnis davon, welche Preise gezahlt wurden, kaufte er Unmengen an Porzellanpuppen und Puppenteilen auf.
„Ich schätze ein, dass bei meinen Verkäufen und den Verkäufen, die andere für mich durchführten, etwa knapp 300.000 Mark [der DDR] Verkaufserlös erzielt wurden. Meinen persönlichen Vorteil schätze ich auf insgesamt etwa 50.000 Mark [der DDR] ein. […] Ich selbst bin nicht auf die Idee gekommen, dass ich für diese Aufkäufe und Weiterverkäufe eventuell Steuern an unseren Staat zu bezahlen gehabt hätte. Ich habe das nicht gewerbsmäßig gemacht, sondern nur vorübergehend, weil zwischenzeitlich der Vorrat an Puppen und Puppenteilen erschöpft und ausgelaufen ist, obwohl der staatliche Antikhandel weiterhin daran interessiert war und ist.“
Eine Freundschaft und Geschäftsinteressen verbanden Manfred Grundmann und Günther Zillner [Name geändert], der auch zum Sammlerkreis aus Wernigerode zählte. Zillner arbeitete kurzzeitig als Einkäufer für die Magdeburger Filiale des VEB Antikhandel Pirna und spitzelte mindestens seit 1979 für das Kommissariat I des Volkspolizeikreisamtes Wernigerode unter dem Decknamen „Freddy“. Neben dem MfS arbeitete nämlich auch das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei mit konspirativen Mitteln und Methoden.
Dies implizierte unter anderem den Einsatz von „Inoffiziellen Kriminalpolizeiliche Mitarbeitern“ oder die verdeckte Observation von Personen. „Freddy“ unterhielt Kontakte in die Sammler- und Händlerszene und prahlte vor seinem Führungsoffizier damit, dass er den Leiter der HA I des Bereiches Kommerzielle Koordinierung und OibE, Manfred Seidel, persönlich kannte. Erfolglos versuchte Zillner diverse Gewerbegenehmigungen zu erlangen und veräußerte antiquarische Gegenstände spekulativ weiter.
Über Grundmann kam Zillner in Kontakt mit den aus Jena, Waltershausen und Ohrdruf stammenden Anbietern. Wie sein Kompagnon kaufte er Stücke an und überließ sie zwischen März und Mai 1982 der Magdeburger Filiale des VEB Antikhandel Pirna. Zillner erzielte dabei einen Erlös von circa 47.000 Mark der DDR.
Grabungen in Katzhütte und ein vermeintlicher Deal mit der Kunst und Antiquitäten GmbH ("KuA")
Grundmann, Zillner und ein Bekannter starteten ihre Erkundungen in Waltershausen und fuhren Richtung Süden - ihr Ziel war der Thüringer Wald. Auf ihrer Reise fragten sie in den Ortschaften ältere Passanten, wo früher Porzellan- oder Puppenfabriken existierten. Durch die somit gewonnen Informationen gelangte das Trio ins Schwarzatal nach Katzhütte. Hier wusste eine angesprochene Seniorin zu berichten, dass einst die Fabrik Hertwig & Co produzierte, die sich auf Porzellanpuppen spezialisierte. Die Firma war längst verstaatlicht und firmierte unter dem Namen VEB Zierkeramik Katzhütte. Das Trio besichtigte eine Abraumhalde, die an das Betriebsgelände grenzte. Hier fanden sich auch Puppenteile, aber sie vermuteten, dass es noch ergiebigere Fundstellen geben musste.
Dann kam der eine Tipp, auf den die drei Schatzsucher gewartet hatten. Ein Bürger aus Katzhütte erwähnte ein Gelände am Flüsschen Schwarza in der Nähe der Jugendherberge. Dort angekommen förderte eine Probegrabung ganze Puppen, Arm- und Beinteile zutage. Die Menge füllte nach kurzer Zeit den Kofferraum des mitgeführten Pkw der Marke Lada. Anschließend brachte man die Beute zu einer Bekannten nach Wernigerode und kaufte schleunigst Zelte, Propangaskocher, Schlafsäcke, Schaufeln, Klappstühle, Säcke und Eimer.
Anfang Juli 1982 schlugen das Duo und zwei Bekannte ihre Zelte in der Kreisstadt Neuhaus auf. Von dort fuhren sie die knapp 14 Kilometer nach Katzhütte, schlugen auch hier zwei Zelte auf und füllten von nun an Plastiksäcke und Kartons mit Porzellanpuppen und Puppenteilen. Auch diesen Teil der Beute versteckten die Beiden in Wernigerode. Bald schon kamen Grundmann und Zillner erste Bedenken: Welchem Käufer soll man dieses riesige Konvolut anbieten? Wie lassen die sich daraus ergebenden steuerlichen Aspekte und Eigentumsfragen klären?
Zillner schlussfolgerte, dass Bergung und Verkauf des Grabungsguts nur in Absprache mit der KuA realisiert werden könne. Er erinnerte sich an seine Kontakte und telefonierte mit OibE Manfred Seidel und Joachim Farken alias IM „Hans Borau“. G. erinnerte sich später:
„Herr Farken sicherte mir zu, sich mit den entsprechenden Regierungsstellen beziehungsweise Ministerien in Verbindung zu setzen, um die anstehe Problematik zur Zufriedenheit beider Seiten rechtlich und auch steuerlich unter Vertrag zu bekommen.“
Tage später schlug Zillner in Mühlenbeck mit einer Musterkollektion auf und traf Vereinbarungen mit leitenden Mitarbeitern. Eigenständig telefonierte er sogar mit der Strafvollzugsanstalt Halle/Saale und holte Erkundungen ein, ob es möglich sei, dort große Menge an Porzellan zu reinigen und zu verpacken. Das Duo, nun voller Tatendrang und mit der vermeintlichen Unterstützung der KuA im Rücken, machte sich wieder auf nach Katzhütte.
Die Grabungscrew erregte zunehmend das Aufsehen der lokalen Behörden. Der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei stellte Grundmann und Zillner zur Rede, die aber redegewandt und selbstsicher angaben, im Auftrag der KuA nach altem Porzellan zu graben. Das Duo wähnte sich in trügerischer Sicherheit, nicht ahnend, das bereits hinter den Kulissen das MfS auf den Plan trat.
Operative Personenkontrolle (OPK) und Operativer Vorgang (OV)
Am 28.7.1982 leitete die HA VII/13 die Operative Personenkontrolle (OPK) „Puppe“ ein. Der operative Mitarbeiter Major Joachim Milarg klärte Personenzusammenhänge auf, prüfte, ob Hinweise auf Straftaten nach Strafgesetzbuch der DDR (StGB) vorlagen und woher die Porzellanpuppen und Puppenteile stammten. In dem Vorgang ist dokumentiert, dass dabei unter anderem Gernot Haubold, alias IM „Rose“, der bekanntlich als Leiter Einkauf der KuA fungierte und bereits Absprachen und Telefonate mit Zillner führte, half.
Milarg reiste in den Süden der DDR und machte sich selbst vor Ort ein Bild. Er fand relativ schnell das zwischen einem Berghang, dem Flüsschen Schwarza, dem VEB Zierkeramik und der Jugendherberge befindliche Gelände. Ihm fielen zwei Zelte auf, die der Szenerie einen campinghaften Eindruck gaben. Milarg urteilte dann: „Insgesamt scheint die Halde eine nicht zu schätzende Menge heiler und defekter Puppenteile zu beinhalten. In wenigen Minuten wurde vom Unterzeichner, ohne zu graben, eine Menge von Teilen aufgesammelt, die vor allen Dingen zeigen, welche Vielfalt an Puppenteilen in Form, Größe und Art in diesem Geröll stecken.“
Zeitgleich setzte sich die HA VII/13 mit der Rechtsstelle des MfS in Verbindung. Diese sollte klären, wem denn die aufgefundenen Porzellanpuppen und Puppenteile gehörten. Nach einer Anfrage beim Senat für Zivilrecht beim Obersten Gericht schlussfolgerte die Rechtsstelle, dass der Staat, da die gefundenen und ausgegrabenen Stücke von hohem gesellschaftlichen Interesse seien und das Eigentum an ihnen aufgegeben war, Besitzer sei. Bei unrechtmäßiger Aneignung müssen die Stücke herausgegeben und der Staat bei Verkäufen seinen steuerlichen Anspruch (Einkommens-, Vermögens- und Umsatzsteuer) geltend machen.
Diesen Part übernahmen dann auch Steuerfahnder der Abteilung Finanzen beim Rat des Bezirkes Magdeburg und eröffneten ein Ermittlungsverfahren gemäß Paragraph 176 StGB („Verkürzung von Steuern, Abgaben, anderen Abführungen an den Staatshaushalt und Beiträgen zur Sozialpflichtversicherung“).
Anfang September 1982 registrierte die HA VII/13 die OPK zum OV um, denn die in der OPK erarbeiteten Tatbestände, Steuerhinterziehung gemäß §176 StGB und „asoziales Verhalten“ gemäß § 249 StGB, hatten sich aus Sicht des MfS bestätigt. Nun ging es darum die Beschuldigten im Rahmen eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens abzuurteilen und weitere Maßnahmen einzuleiten.
Am Montag, den 6.9.1982, schlugen MfS, Volkspolizei und Steuerfahndung zu: Grundmann und Zillner kamen in Haft, Räumlichkeiten wurden durchsucht und dabei konnten große Mengen Porzellanpuppen und Puppenteile sichergestellt werden. Das Bezirksgericht Magdeburg verhängte Haftstrafen und zwar 2 Jahre und drei Monate für Grundmann und zwei Jahre und sechs Monate für Zillner. Beide hatten zudem Steuern in Höhe von 300.000 Mark der DDR nachzuzahlen.
Abraumhalden und Testverkäufe
In Katzhütte kamen ab dem 1. November 1982 schweres Gerät und Mitarbeiter der MfS-Bezirksverwaltung Suhl zum Einsatz. Diese bargen, reinigten, sortierten und verpackten innerhalb von knapp zwei Wochen circa 3,5 Tonnen an unterschiedlichsten Porzellanpuppen und Puppenteilen. Etwa zur gleichen Zeit förderten bei Ohrdruf Angehörige des MfS-Wachregiments ungefähr 1,1 Tonnen Grabungsgut zutage.
Eine Stasi-Kamera hielt die Aktion fest und es entstand eine Fotodokumentation (siehe Titelfoto)
Über die Verwertung ließ sich Mielke persönlich berichten. Der Leiter der HA VII konnte in einem Schreiben vom 22.12.1982 erste Erfolge verkünden. Die Geschäftemacher der KuA hatten Puppenköpfe und anderweitige Puppenteile an Firmen in den Niederlanden, den USA und der Bundesrepublik verkauft. Die KuA bot zunächst nur solche Stücke an, die relativ schwer am Markt zu veräußern waren. Mit Blick auf Absatzmöglichkeiten in der Schweiz, Italien, der Bundesrepublik und den USA prognostizierte KuA einen zu erwartenden Erlös von mehreren Millionen D-Mark.
Ein Großteil des Fundes musste abermals gereinigt, begutachtet und komplettiert werden. Dies geschah in der Jugendstrafanstalt Dessau, wo „durch eine gezielte Aufbereitung der Ware […] eine maximale Valutarentabilität zu erzielen [war].“
Gier der "KuA" und Widerstand
Der VEB Zierkeramik Katzhütte ging aus der verstaatlichten Porzellanfabrik Hertwig & Co hervor.
Doch wie gestalteten sich die Eigentumsverhältnisse? Überliefert sind zwei Übersichten, auf denen Major Joachim Milarg die Organisationsstruktur des VEB Zierkeramik aufschlüsselte. Der Betrieb war Teil des VEB Rhönkunst, dieser gehörte zum Kombinat „Werra-Möbel“, welches dem Minister für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie (MbL), Udo Wange, unterstand. Aus den handschriftlichen Skizzen Milargs wird deutlich, dass sich für den MfS-Major Fragen ergaben. „Was sagt der Leiter der BV [Suhl]?, Welche Gesetze sind Grundlage? Warum wir als MfS?“
Hinsichtlich der Feststellung der Eigentumsverhältnisse fand Milarg keine Antworten auf seine Fragen. Er habe „Bauchschmerzen“
Der erste Versuch, das Musterzimmer zu übernehmen, scheiterte am Betriebsdirektor. Er gab an, von der Übernahme durch die KuA nichts zu wissen und untersagte das Betreten des Betriebsgeländes. Einen Monat später, am 3.11.1983, fuhren erneut Fahrzeuge mit Ostberliner Kennzeichen vor. Der Beauftragte der KuA legte eine Vollmacht Generaldirektor Farkens vor, die unmissverständlich darauf hinwies, dass auf Weisung Minister Wanges die Stücke unverzüglich auszuhändigen sind.
Rasch wurde in Katzhütte das Treiben publik und sogar der Ortsparteisekretär der SED erkundigte sich, was denn vor sich gehe. Doch die neunköpfige Delegation der KuA ließ sich nicht beirren und drängte auf Durchsetzung der Weisung. Vor Ort war auch Major Milarg, der sich gegenüber dem VEB Zierkeramik als wissenschaftlicher Mitarbeiter der KuA ausgab. Alle zu übergebenden Exponate wurden fotografiert, aufgelistet und verpackt.
Die Aktion endete am 4.11.1983 mit der Unterzeichnung des Übernahmeprotokolls.
Ob Major Milarg auch nur einen Moment daran dachte, dass es den Menschen darum ging, das in Südthüringen entstandene Kulturgut zu retten und als Teil der kollektiven Identität in der Region zu bewahren und es nicht den skrupellosen Geschäftemachern der KuA zu überlassen, lässt sich heute nicht sagen.
Zitierweise: Sascha Münzel, „"OV Puppe". Ein Stasi-Raubzug im Spielzeugland", in: Deutschland Archiv, 21.12.2022, Link: www.bpb.de/516560.
Weitere Aktenrecherchen vom Autor:
Externer Link: "Zerbrechliche Ware". Die Stasi und Weihnachtsschmuck.
Externer Link: "Emotionale Schockerlebnisse". Westdeutsche Grenzinformationsstellen im Stasi-Blick.
Mehr Informationen über das MfS im Externer Link: Stasi-Dossier der bpb.
Weitere Inhalte
Der Historiker Sascha Münzel ist Mitarbeiter der Suhler Außenstelle des Stasi-Unterlagen-Archivs beim Bundesarchiv. Er studierte Geschichts- und Sozialwissenschaften an den Universitäten Erfurt und Central Michigan/USA. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Polizeigeschichte sowie in der Erforschung des Wirkens des Ministeriums für Staatssicherheit in der Region. Erschienen sind von ihm weitere Fachaufsätze in der Aufarbeitungszeitschrift "Gerbergasse 18", die die Überwachung der Offiziershochschule der DDR-Grenztruppen in Suhl und der Rennsportevents im tschechoslowakischen Brünn durch das MfS thematisieren und im Deutschlandarchiv.
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