Ramat Gan, 11. Mai 2006
Schalom, Else Lasker-Schüler!
Wenn du noch leben würdest, käme ich nach Jerusalem, um dich zu treffen. Ich bin sicher, du könntest mich gut „lesen“, wir würden uns begegnen, zusammen Tee trinken, ein oder zwei Kekse essen. Ich würde dir wahrscheinlich ein Geschenk mitbringen, eine kleine Zeichnung von mir, die sich vielleicht sogar auf eines deiner Gedichte bezieht. Ich würde dich in mein bescheidenes Atelier in der Radak-Straße in Ramat Gan einladen. Ich glaube, dass dir einige meiner Arbeiten gefallen würden. Die letzte Serie, an der ich gerade arbeite, heißt: „Not all Virtuous“ und die Farben sind: Bordeaux, Hellblau und Gold. Als ich damit anfing, dachte ich an die Farben der Heiligkeit, die Farben des „Mischkan“, dem „Zelt der Begegnung“. Später erinnerte ich mich, dass du diese Farben in vielen deiner Gedichte erwähnt hast. Ich muss dich damals unbewusst verinnerlicht haben, und bin dir nun wiederbegegnet.
Ich wandere weiter, suche, kann nirgends einen Pflock in die Erde stecken, brauche Freiheit, Impulse, Anregungen, Erfahrungen ... Auch in Berlin fällt es mir schwer, meinen Ort zu finden. Ich brauche ein Heimatgefühl und eine Sprache. Dieser Ort soll in Bewegung sein, fließen, währenddessen sauge ich die Wurzeln der heimischen Erde und nähre mich mit fremdem Dünger.
Liebe Else, wenn du heute noch leben würdest, könnten wir uns bestimmt gegenseitig inspirieren und motivieren. Wir könnten gemeinsam arbeiten. Es schiene mir passender, in deiner Zeit zu leben. Ich habe keine Verbindung zu fortschrittlicher Technologie, zu dem schnellen und geschäftigen Tempo des Lebens heute. Ich bin sehr beunruhigt über die Tatsache, dass die Menschlichkeit immer mehr abnimmt. In naher Zukunft werde ich dich am Ölberg besuchen...
Deine Anat
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