Ich möchte im Folgenden aus meiner Perspektive über die Gängelungen, Repressionen und das schließliche Verbot der international renommierten Menschenrechtsorganisation "Memorial International" berichten, des Dachverbands von zahlreichen regionalen Memorialverbänden in der Russländischen Föderation und anderen europäischen Ländern, die am 10. Dezember 2022 in Oslo den Externer Link: Friedensnobelpreis erhielten.
Memorial - Geschuldete Solidarität Geht 2024 in Deutschland hilfsbereiten Projekten die Luft aus?
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Seit dem Verbot der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial" Ende 2021 und dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 haben sich in Deutschland mehrere Gedenkstätten zusammengeschlossen, um Wege zu finden, ausgereisten Menschenrechtler:innen und Historiker:innen aus Russland zu helfen. Auch mit Stipendien und Arbeitsaufträgen. Und es wächst die Idee zur Einrichtung einer "Stiftung zur Aufarbeitung sowjetischer Staatsverbrechen". Aber die Perspektiven für 2024 sind nicht gut.
Es geht um eine anhaltend wichtige Solidaritätsaktion für die bedrängten Mitarbeiter:innen und Mitglieder des Memorial-Netzwerks aus dem Bereich der Gedenkstätten und Aufarbeitungsinitiativen, die sowohl im Bereich der NS-, aber auch der kommunistischen Unrechtsgeschichte aktiv sind.
Ich versuche aus meiner Perspektive die Erfolge und Probleme dieser Aktivitäten darzustellen und auch Maßnahmen anzusprechen, die dringend notwendig erscheinen, um die Hilfe nicht mit dem Auslaufen von staatlichen Förderlinien in 2024 abrupt abbrechen zu lassen.
Unterstützung für Memorial International und seine regionalen Mitgliedsverbände
Zunächst ein kurzer Rückblick. In Russland wurde bereits vor dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 jahrelang innenpolitisch an der Repressionsschraube gedreht und insbesondere auch die regierungs- und staatskritische Zivilgesellschaft mit immer weitgehenderen und systematischeren Verfolgungsmaßnahmen überzogen. Die Menschenrechtsbewegung Memorial mit ihren zahlreichen lokalen Initiativen in den russischen Regionen, deren Wurzeln in die Glasnost- und Perestrojka-Phase der späten Sowjetunion zurückreichen, war einer der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteure in Russland. Die vielen, über ganz Russland verteilten NGOs widmeten sich jahrzehntelang der Aufarbeitung des Stalinismus sowie der nationalsozialistischen Verbrechen und setzten sich aktiv für Demokratie und Menschenrechte ein.
Das Netzwerk verfügte über eine einzigartige Sammlung von Objekten und Erinnerungsberichten aus dem GULag. Zudem waren verschiedene Memorialverbände (zum Beispiel Perm und Petersburg) seit Jahren wichtige Partner für Forschungs- und Bildungsprojekte mit internationalen Kooperationspartnern, besonders auch in der Bundesrepublik.
Eine Liquidation nach staatlichem Drehbuch
Anfang November 2021 beantragte die russische Generalstaatsanwaltschaft die „Liquidation“ von Memorial International und ihrer Schwesterorganisation „Menschenrechtszentrum Memorial“, über die das Oberste Gericht Russlands sowie das Moskauer Stadtgericht in Prozessen, die noch im selben Monat begannen. Bereits Jahre zuvor waren die Organisationen auf die Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt worden. Es folgten Repressionen und sogar Überfälle auf Veranstaltungen; es traf den Schüler-Geschichtswettbewerb oder Filmvorführungen im Moskauer Büro. Gegen die sich abzeichnende Auflösung von Memorial International und des Menschenrechtszentrums protestierten weltweit zahlreiche Vertreter:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Auch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten veröffentlichte eine von mir mitinitiierte Erklärung gegen die drohende Auflösung, die warnte, dass nun "überaus verdienstvolles Engagement zur Disposition steht".
Beide Organisationen gingen in Revision. Ihre Anwälte beantragten die Aussetzung des Beschlusses. Vor der anstehenden Verhandlung wurde Memorial International von der Justiz mit weiteren Repressionen überzogen. Der Memorial-Vorstandsvorsitzende Jan Raczynski wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeladen, die auf Initiative einer „patriotischen“ Veteranen-Organisation eine Untersuchung wegen „Rehabilitation des Nazismus“ begonnen hatte. Dabei handelt es sich in Russland um eine Straftat, auf die bis zu fünf Jahre Haft steht.
Gedenkstätten-Protest aus Brandenburg
Daraufhin initiierte die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten eine weitere Protest-Erklärung mehrerer NS-Gedenkstätten, die den offenkundigen politischen Hintergrund dieser Verfolgungsmaßnahme offenlegte, der in erster Linie der Diskreditierung der verdienstvollen NGO als angebliche Faschismusverharmloserin dienen sollte.
Wenig später, am 28. Februar 2022, schrieb ich nach Beratung mit "MEMORIAL Deutschland" in den Verteiler dieser NS-Gedenkstätten, die wenige Tage zuvor die Erklärung unterzeichnet hatten:
„Vor wenigen Minuten ist die Liquidation von Memorial vom Obersten Gericht der RF bestätigt worden. Ich war in den letzten Tagen mit Mitarbeitenden von Memorial in Kontakt und es gibt wahrscheinlich einige, die überlegen, zumindest temporär nach Deutschland zu kommen. […] Ich möchte fragen, ob Sie Möglichkeiten sehen, möglichst schnell zu helfen. Ich denke hierbei weniger an Wohnraum, sondern eher an Möglichkeiten, über politische Kontakte, eigene Töpfe oder externe Stipendien etc. Mittel bereitzustellen, um solche Leute wenigstens zeitweise an unsere Institutionen zu holen. […] Am Freitag habe ich bei der Mahnwache vor der russischen Botschaft kurz mit Anna Kaminsky von der Stiftung Aufarbeitung gesprochen. Dort gibt es das "MemoryWork"-Stipendium, mit dem man einzelne betroffene Kolleg*innen zumindest zeitweise (bis zu drei Monate) an unseren Gedenkstätten aufnehmen kann. […] Wenn Sie an einer solchen Aktion teilnehmen können, Sie eigene Aktivitäten planen oder wenn Sie von Dritten wissen, dass Aktionen anlaufen, dann sollten wir das dringend koordinieren, um so vielen Memorial-Angehörigen wie möglich zu helfen.“
Natürlich war ich nicht der Einzige, der über Kontakte nach Russland von den Ausreiseabsichten einzelner Angehöriger von Memorial-Organisationen aus verschiedenen russischen Regionen hörte und daraufhin aktiv wurde. Zu verstärkten Ausreisebestrebungen kam es nach der stundenlangen Durchsuchung der Büros in Moskau am 4. März 2022. Neben diesen Bemühungen gab es parallele Aktivitäten beispielsweise von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, die ihre Stipendientöpfe bis zum Anschlag ausnutzen, um bedrängten Kolleg:innen unter die Arme zu greifen.
Auch Amnesty International engagierte sich sehr stark, Hand in Hand mit MEMORIAL Deutschland. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung öffnete und erweiterte ihr Stipendienprogramm „Memory Work“
Ein wachsendes Netzwerk der Solidarität
Damit kam eine Aktion in Gang, in deren sich in den letzten Monaten ein Netzwerk der Solidarität mit Memorial bildete, zu dem frühzeitig auch Einrichtungen und Initiativen aus dem Bereich der SED-Unrechtsaufarbeitung gehörten.
Im Laufe der letzten Monate konnten so mehr als 50 Personen sowie teilweise ihre Familien mit Stipendien an zumeist Gedenkstätten, Museen, aber auch Forschungseinrichtungen und vereinzelt Universitäten angebunden werden.
Aktuell, mit Stand vom 10. Dezember 2023, arbeiten sechs solcher Stipendiat:innen in der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten mit, finanziert über eine Projektförderung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM).
Es haben viele Einrichtungen, Initiativen und Einzelpersonen an diesem Projekt mitgewirkt, haben teilweise bis zu vier Personen aufgenommen. Aktiv waren beziehungsweise sind bis heute unter anderem die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Stiftung Ettersberg in Weimar / Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, das Museum Berlin-Karlshorst, die Gedenkstätte NS-Zwangsarbeit Gedenkstätte Augustaschacht Osnabrück, das NS-Dokumentationszentrum München, das Historische Museum Frankfurt, MEMORIAL Deutschland oder die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, sowie das Nordost-Institut, Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa, an der Universität Hamburg und die Universitäten in Bielefeld Jena und Mainz.
Es wurde dabei vor allem, aber nicht ausschließlich Angehörigen von Moskauer Memorial-Organisationen geholfen. Schnell kamen Angehörige von verschiedenen lokalen Memorial-Organisationen aus Russland hinzu, die etwa vor dem Hintergrund neuer Geschichtsdarstellungsgesetze fürchteten, für ihre Publikationen und Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken verfolgt zu werden.
Durch den heterogenen Hintergrund und die vielfältigen Tätigkeitsbereiche dieser NGOs entstand ein Problem, da es sich bei ihnen nicht durchgängig um Wissenschaftler:innen, Archivar:innen oder klassisches Gedenkstätten- und Museumpersonal handelt, sondern teilweise auch um Aktivist:innen, deren Berufs- und Bildungshintergrund sehr unterschiedlich ist und bei denen eine einfache Integration in Bereichen wie der Wissenschaft oder Memorialkultur nicht ohne weiteres möglich ist.
Zudem ist der Betreuungsaufwand in den einzelnen Einrichtungen mitunter hoch, der über das teilweise ehrenamtliche Engagement von Mitarbeitenden gestemmt wird. Zu Fragen des Aufenthaltsstatus kommen bei einigen noch andere Probleme wegen fehlender Sprachkenntnisse, der schwierigen Suche nach Unterkünften, speziellen Fragen im Umgang mit den jeweiligen Ausländerbehörden, aber zum Teil auch beim Abschluss einer Krankenversicherung oder der Eröffnung eines Girokontos.
DDR-Momente am Telefon
Die letzten Monate haben mich nachhaltig geprägt. Es gab beispielsweise den einen oder anderen „DDR-Moment“, etwa als ich mit einer Person von Memorial telefonierte und unser 20-minütiges Gespräch mehrfach abbrach, obwohl beide Telefone ausreichend geladene Akkus und auch hinreichenden Empfang hatten. Unfreiwillig sind jetzt einige der Beteiligten zu mindestens basalen Kenntnissen über die Verschlüsselung von Kommunikation gekommen, damit beim Versenden von persönlichen Daten niemand zusätzlich gefährdet wird. In einem anderen Telefonat in der Zeit nach Kriegsausbruch begann die Person am anderen Ende der verschlüsselten Leitung leise zu Weinen.
Es gab einzelne Fälle von Verhaftungen, die glücklicherweise alle nur kurze Zeit andauerten. In einem Fall riss die Kommunikation mit einer Person von einem regionalen Memorial-Verband plötzlich ab. Nachforschungen in den Unterstützernetzwerken ergaben, dass die Person, die auch journalistisch tätig war, wegen Publikationen in sozialen Netzwerken am 24. Mai 2022 nach Artikel 20.3.3 Teil 1 des russischen Ordnungswidrigkeitsgesetzbuches fünf Mal angeklagt und in einem Prozess zu einer Geldstrafe von insgesamt 200.000 Rubel wegen "Diskreditierung" der russischen Streitkräfte verurteilt worden ist. Mitte August wurde die Person für 14 Tage in Verwaltungshaft genommen. Nach ihrer Entlassung reiste sie umgehend nach Deutschland, aus Furcht vor weiteren Repressalien.
Probleme und Perspektiven
Ein Aspekt, der Erwähnung finden soll: Insbesondere NS-Gedenkstätten haben, bedingt durch die häufig mühsame Durchsetzung gegen eine Gesellschaft in der alten Bundesrepublik, die sich einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit mehrheitlich verweigerte, in der Regel eine starke zivilgesellschaftliche Fundierung. Diese ist inzwischen oft durch einen zunehmenden zeitlichen Abstand zum „Dritten Reich“, die erreichte allgemeine Anerkennung in Politik und Gesellschaft sowie die finanzielle Förderung durch die öffentliche Hand zweifellos stärker in den Hintergrund gerückt.
Solches solidarisches Handeln prägt sicher in Zukunft aber insbesondere die Arbeit dieser Einrichtungen und vielleicht auch das Selbstverständnis ihrer wieder stärker zivilgesellschaftlich rückgebundenen Aktivitäten und möglicherweise auch einer stärkeren Fokussierung auf Hilfsaktivitäten – sei es im Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine
, sei es für Memorial-Kolleg:innen, die ins Exil gegangen sind und hier aktuell versuchen, sich neu aufzustellen.
Eine Zeitlang bestanden Probleme bei der Beschaffung von Visa. Anders als für ukrainische gelten für russische Staatsangehörige wesentlich strengere Regeln, die durch die mit Kriegsbeginn anlaufenden Sanktionen weiter verschärft wurden. Es gab zeitweise Probleme, Visa für Memorial-Angehörige zu beschaffen. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hat beispielsweise in den Tagen unmittelbar nach Kriegsausbruch kurzfristig Einladungen mit eilig zusammengetragenen Arbeitspaketen versandt, um die Einreise in die EU zu ermöglichen.
Es wurden aber auch Visaersuchen abgelehnt. In zwei Fällen lehnte die deutsche Botschaft in Moskau das Visum mit der Begründung ab, es liege kein EU-konformer Covid-Impfschutz vor. Nach Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt konnten mehreren Memorial-Leuten in Russland, aber auch solchen, die in Usbekistan, Armenien oder auch Montenegro gestrandet waren, kurzfristig Visa für Deutschland beschafft werden.
Eine weitere Schwierigkeit besteht in der unklaren Finanzierungsperspektive. Die bisherigen Ad-hoc-Finanzierungen liefen im Dezember 2023 aus. Die ursprüngliche Idee des Hilfsnetzwerkes war, möglichst viele Personen aus den Reihen von Memorial temporär aufzufangen, sie beim Ankommen zu unterstützen und sie dann an eine entstehende neue Organisation abgeben zu können.
Memorial International hat aber trotz der inzwischen erfolgten Gründung von "Externer Link: Zukunft Memorial"
durch die Zerschlagung und Enteignung in Russland derzeit nicht die Kapazitäten, in einem neuen Umfeld wie in Deutschland oder der EU als alleiniger strukturierender Akteur zu fungieren und sich gleichzeitig um die eigene Rekonstituierung im Exil, um die Absicherung aller bisherigen Mitarbeiter:innen aus verschiedenen regionalen Verbänden und dann auch noch um das Einwerben von Mitteln für zukünftige Aktivitäten zu kümmern. Deshalb wird die solidarische Aktion weitergehen müssen – sowohl von Seiten des Hilfsnetzwerkes als auch der Politik. Ohne weitere finanzielle Unterstützung droht der laufenden Hilfe ein schnelles Aus.
Es hat sich trotz verschiedener Bemühungen von Amnesty International zusammen mit den Gedenkstätten und Aufarbeitungsinitiativen keine politische Lösung für eine Aufnahme der Memorial-Kolleg:innen und anderer russischer Menschenrechtler:innen in Deutschland ergeben.
Das Gesamtnetzwerk aller Memorialverbände erhielt zwar am 10. Dezember 2022 den Friedensnobelpreis. Wie das teils noch in Russland, teils im Exil existierende Netzwerk sich neu aufstellt und sich weiterdenkt, wie der in Russland aufgelöste und enteignete Dachverband sich in Europa neu formieren kann, ist noch nicht ausgemacht. Es gibt zahlreiche Ideen, aber auch große Probleme.
Neben organisations- oder satzungsrechtlichen Fragen gibt es bislang – anders als in Litauen, Polen oder Tschechien – in Deutschland keine befriedigende Lösung für die Aufenthaltstitel.
Einige Kolleg:innen haben einen humanitären Aufenthaltstitel erhalten, viele aber sind mit normalen – eigentlich touristischen – Schengenvisa eingereist, die sie hier aufwendig bei den lokal zuständigen Ausländerbehörden in dauerhafte Aufenthaltstitel umwandeln müssen, die ihnen zum einen nur einen weiteren befristeten Aufenthalt ermöglichen, der ihnen zum weiteren auch nur gewährt wird, wenn sie ihren Unterhalt selbst tragen können.
Anders als ihre später mit humanitären Visa eingereisten Kolleg:innen verfügen sie über keine dauerhaften Aufenthaltstitel mit Zugang zum Sozialsystem und die Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit und damit die Grundlage, um überhaupt eine Bleibeperspektive entwickeln zu können.
Die Bleibeoptionen sind bei etlichen, die endlich nach Deutschland gekommen sind, kurz vor Auslaufen ihrer Visa noch völlig ungeklärt. Auch wenn es im letzten Jahr einzelne Fortschritte gab, hat sich an diesem Problem im Prinzip bis zum Ende des Jahres 2023 wenig geändert. Weiterhin droht einzelnen mit dem Ende ihrer Projektstellen oder Forschungsstipendien der Verlust des Aufenthaltstitels.
Ziel eine "Stiftung zur Aufarbeitung der sowjetischen Staatsverbrechen"
Bereits am 30. August 2022 fand in der Bundesstiftung Aufarbeitung in Berlin ein erstes Treffen der Memory Work Stipendiat:innen statt, auf dem über die Erfahrungen im Programm aber auch mögliche Perspektiven und Probleme gesprochen wurde. Es folgten weitere Treffen am 5. und 6 Dezember 2022 (in Erfurt und Weimar), am 31. August und 1. September 2023 (im Museum Berlin-Karlshorst und in der Bundesstiftung Aufarbeitung) sowie am 11. und 12. Dezember 2023 (in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), an denen auch viele über andere Förderlinien unterstützte Personen teilnahmen. Dabei kam eine Großzahl von derzeit in Deutschland befindlichen Memorial-Angehörigen zusammen.
Bei den Diskussionen bei diesen Treffen wurde deutlich, dass es zwar eine Reihe konkreter Ideen für eine europäisch gedachte Memorial-Struktur gibt, diese sich aber nicht über Nacht umsetzen lassen. Es braucht – abgesehen von den ebenfalls erörterten konzeptionellen Fragen – Zeit, die mit einem solchen Vorhaben zusammenhängenden komplexen Probleme zu besprechen, damit einem solchen Netzwerk eine fruchtbare Zukunftsperspektive erwachsen und es sich seiner wichtigen Arbeit wieder mit voller Kraft widmen kann.
Anke Giesen von Memorial Deutschland hat vorgeschlagen, auf europäischer Ebene eine Stiftung zur Aufarbeitung der sowjetischen Staatsverbrechen zu etablieren, weil dem Forschungsfeld, in dem ein zentrales Kapitel der europäischen Geschichte bearbeitet wird und das maßgeblich von Memorial-Verbänden in Russland getragen wurde, jetzt eine Marginalisierung droht.
In jedem Fall ist es – unabhängig von Memorial – wichtig, den Menschen, die sich unter Risiken in Russland beharrlich für Rechtsstaat, Menschenrechte und kritische Geschichtsaufarbeitung eingesetzt haben und nun das Land verlassen mussten, insbesondere in Deutschland eine längerfristige Perspektive für ihre wichtige Arbeit zu eröffnen. Wir schulden ihnen diese Solidarität.
Zitierweise: Enrico Heitzer, „Memorial - Geschuldete Solidarität“, in: Deutschland Archiv, 29.12.2023, die Erstfassung erschien am 9.12.2022. Link: www.bpb.de/516151. Veröffentlichte Texte im Deutschland Archiv sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Ergänzendes über Memorial:
Jens Siegert: Externer Link: Memorial - Diffamiert als "ausländische Agenten", Deutschlandarchiv vom 6.1.2022.
Anna-Schor-Tschudnowskaja, Externer Link: "Der Friedensnobelpreis 2022 für Memorial", Deutschlandarchiv vom 10.10.2022.
Externer Link: Zeitenwende? Über 50 weitere Stimmen zum Ukrainekrieg und dem Krieg in Nahost im Deutschland Archiv.
Weitere Inhalte
Dr. Enrico Heitzer ist Historiker und Politikwissenschaftler, spezialisiert auf die Geschichte der Nachkriegszeit, Entnazifizierung, Internierung, Widerstand und Spionage, Opposition und Repression sowie Memorialkultur und -politik. Mitarbeiter der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen / Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Letzte Veröffentlichung: zus. mit Julia Landau (Hg.): Zwischen Entnazifizierung und Besatzungspolitik. Die sowjetischen Speziallager 1945-1950 im Kontext (= Buchenwald und Mittelbau-Dora Forschungen und Reflexionen; Bd. 2), 2021. Mail: heitzer@gedenkstaette-sachsenhausen.de
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