Im Spätsommer 2022 sollte im "mitteldeutschen verlag" in einer überschaubaren Auflage von 500 Exemplaren das Buch "Getrübte Erinnerungen" des Historikers Rainer Eckert (72) über Diskurse in der deutsch-deutschen Aufarbeitungslandschaft seit dem Mauerfall erscheinen. Eckert hatte 18 Jahre das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig geleitet und zahlreiche Bücher und Aufsätze zum Thema DDR-Aufarbeitung publiziert, auch hier im Deutschlandarchiv, zum Beispiel 2021 "Externer Link: Schwierige Gemengelage Ostdeutsche Eliten und die Friedliche Revolution in der Diskussion". Nun aber ging es ihm eher um persönliche Rückblicke und Bewertungen.
Vier Ansichten über ein Buch, das es nicht gab
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Aufregung um ein Buch das zunächst nicht erscheinen durfte, im zweiten Anlauf übernimmt es nun aber ein anderer Verlag. Es beschreibt aktuelle Kontroversen in der DDR-Aufarbeitungszene und hat selber eine ausgelöst. Nachfolgend vier Ansichten dazu. Von Ilko-Sascha Kowalczuk, Ines Geipel, Jochen Staadt und Rainer Eckert. Alle vier hier veröffentlichten Texte sind Meinungsbeiträge der jeweiligen AutorInnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Nachdem Eckerts fertiggestellte Druckfahne im Sommer 2022 vom Verlag als Buchvorabexemplar an interessierte Journalisten und Journalistinnen zur Rezension verschickt worden war, kursierte das Manuskript plötzlich breit gestreut in der Aufarbeitungsszene.
Einige der im Buch Erwähnten intervenierten daraufhin im Verlag und drohten Klagen an, der zog daraufhin das Buch kommentarlos zurück, kündigte dem Autor den Vertrag und die Stiftung Aufarbeitung zog eine Zusage zur Druckfinanzierung zurück.
Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, des Öfteren Buchrezensent im Deutschlandarchiv (zuletzt über Egon Krenz: Externer Link: "Geschichtsklitterungen"), machte den Vorgang Anfang Oktober 2022 im Deutschlandarchiv öffentlich, monierte den Stil solcher "Verbieteritis" und hinterfragte, warum ein abgenommenes und bereits gedrucktes Manuskript gleich aus dem Verkehr gezogen werde, statt Mängel vom Autor noch einmal überarbeiten zu lassen. Seine Kritik: "Wenn nur noch Gerichte und Anwälte über Zeitgeschichte und den Umgang mit ihr verhandeln, ist die Disziplin als lebendiger Diskursraum geschlossen."
Hier der Ausgangsbeitrag Ilko-Sascha Kowalczuks: Externer Link: "Getrübte Erinnerungen? Über ein Buch, das nicht erschienen ist".
Als Leserreaktion schrieb uns daraufhin der Politologe Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin eine eigene Kritik des Eckert-Mauskripts. Staadt ist auch bpb-Buchautor, der hier selber schon heftiger Buch-Kritik ausgesetzt war (Externer Link: über die Todesopfer an der Berliner Mauer).
Staadt lobt im Gegensatz zu Kowalczuk den Rückzieher von Eckerts bisherigem Verlag als "Notbremse", benennt eine Reihe inhaltlicher Defizite, die das Buch aus seiner Sicht prägen und wirft dem Autor Eckert insbesondere die Diskreditierung der ehemaligen DDR-Leistungssportlerin Ines Geipel vor, die sich nach dem Fall der Mauer der Aufdeckung von Doping im DDR-Sport gewidmet hat, ein in mehreren Medien umstrittenes Engagement.
Jochen Staadt, der Geipels Vita gut kennt, versah seine nachfolgende Buchkritik an Eckerts Druckfahne mit der Überschrift: "Externer Link: Beleidigte und beleidigende Erinnerungen - Zu Rainer Eckerts Abrechung mit der "DDR-Aufarbeitungsszene"."
Auch Ines Geipel ist als Autorin bereits mit Texten in der bpb vertreten, zum Beispiel 2017 mit Externer Link: "Staatsplan Sieg. Die DDR im Leistungssport" oder im Deutschlandarchiv 2020 mit einem Interview: Externer Link: "Die Aufarbeitung muss an die Familientische" .
Die von Eckerts Kritik betroffene Schriftstellerin verfasste mittlerweile ihrerseits für das Deutschlandarchiv eine Replik auf den Buchautor Eckert und den Rezensenten Kowalczuk, denen sie unterstellt, sich zum Teil einer Kampagne gegen sie gemacht zu haben. Hintergrund ist, dass sie sich seit einigen Jahren in Medien unberechtigter Kritik ausgesetzt sieht, die sie auch als lanciert von alten Stasileuten betrachtet. In ihrem Beitrag für das Deutschlandarchiv schildert sie diese Hintergründe aus ihrer Perspektive und wirft dem Buchautor Rainer Eckert "Historientrash" vor.
Unter dem nachfolgenden Link Ines Geipels Beitrag unter dem von ihr gewählten Titel "Externer Link: Vom Abräumen und Nachwaschen - Eine Politkampagne, ein unveröffentlichtes Buch, eine entwerte Aufarbeitungslandschaft".
Rainer Eckert selbst hat laut eigenem Bekunden in der Zwischenzeit auch viel Zuspruch von HistorikerInnen bekommen, Hinweise auf Versäumnisse aufgenommen und sein Manuskript überarbeitet - um es nun anderen Verlagen anzubieten. Aber er kann auch einiges an der zum Teil sehr emotionalen Kritik an seiner bereits gedruckten Buchfahne nicht nachvollziehen, noch weniger das offenbar kommunikationsarme Vorgehen seines ehemaligen Verlags. Eckert als Kritisierter hat seine Sichtweise inzwischen ebenfalls für das Deutschlandarchiv formuliert. Unter dem Titel: Externer Link: Geschichtspolitik gestern und morgen: Eine Kontroverse anno 2022", so dass sich nunmehr Lesenden eine vielperspektivische Möglichkeit zur eigenen Meinungsbildung in dieser Art von teilweise emotionalisiertem Buch- und Historikerstreit bietet.
Nachtrag: In der Zwischenzeit hat sich ein anderer Verlag in Halles Nachbarstadt Leipzig des so umstrittenen Manuskripts in seiner überarbeiteten Form angenommen und es zur Leipziger Buchmesse Ende April 2023 veröffentlicht, der neue Titel: "Umkämpfte Vergangenheit - Die SED-Diktatur in der aktuellen Geschichtspolitik der Bundesrepublik Deutschland". Eckerts nach wie vor nicht unumstrittenes Buch
Zitierweise: Deutschland Archiv, "Vier Ansichten über ein Buch, das es nicht gab", in: Deutschland Archiv der bpb, 11.11.2022, mit Ergänzung am 18.04.2023, bis dahin lautete der Titel: "Vier Ansichten über ein Buch, das es nicht gibt", Link: www.bpb.de/515228. Alle Beiträge auf Externer Link: www.deutschlandarchiv.de sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
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