Sharon Adler: Du bist in Südafrika geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. Was möchtest du über deinen familienbiographischen Hintergrund und darüber, wie du die ersten Jahre erlebt hast, erzählen?
Sabena Donath: Ich war drei Jahre alt, als ich nach Deutschland kam. Meine Eltern sprachen damals gar kein Deutsch, meine Muttersprache ist Polnisch, ich bin mehrsprachig aufgewachsen. Mein Vater ist Slowake, er floh 1968, als die damalige Sowjetunion in die ehemalige Tschechoslowakei einmarschierte. Meine Mutter kommt aus Warschau, auch sie verließ Polen 1968. Geboren bin ich in Südafrika, wo meine Familie für wenige Jahre lebte. Aus privaten Gründen verschlug es uns dann nach Deutschland. Wir zogen Anfang der 1970er-Jahre nach Bad Homburg, eine Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt am Main. Meine Großeltern waren bereits dort. Ich muss sagen, vor allem die erste Zeit war nicht leicht für mich: Auf der einen Seite meine Großeltern, die versuchten, trotz ihrer Shoah-Erfahrungen in Deutschland Fuß zu fassen, auf der anderen Seite meine Eltern, beide junge Studenten in einem fremden Land. Und dann gab es mich – irgendwo dazwischen. Wenn man als Kind mit einer Migrationsgeschichte irgendwo landet, dann ist alles neu und alles fremd. Und das gilt besonders für Deutschland.
Schulische Erfahrungen
Sharon Adler: Welche persönlichen Erfahrungen aus deiner eigenen Schulzeit fließen in deine Arbeit heute ein? Sabena Donath: Ich erinnere mich an den Moment, als ich in einen städtischen Kindergarten kam. Ich sprach noch kein Deutsch und habe prägend in Erinnerung, dass es dort einen sogenannten „Ausländertisch“ gab – für mich und die sogenannten Gastarbeiter-Kinder. Uns wurde gesagt, dass wir mit den deutschen Kindern spielen dürften, aber nicht mit ihnen essen. Damit wir das richtig einordnen: Das war Mitte der 70er-Jahre, das muss man sich mal vorstellen! Ich als Kind stellte das nicht in Frage, aber ich weiß noch, dass ich mich unwohl fühlte. Heute denke ich, dass diese frühe Erfahrung etwas in mir ausgelöst hat: Dieses Unbehagen, in eine solche Situation gebracht zu werden, ohne dass es in irgendeiner Form ein Korrektiv gab. In der Grundschule hatte ich es leichter: Zu dem Zeitpunkt sprach ich schon sehr gut Deutsch und konnte mich sehr gut behaupten. Ich war in den ersten Jahren auch eine sehr gute Schülerin, es spielte überhaupt keine Rolle, wer ich war, woher ich kam oder was mich besonders auszeichnete. Bezüge zu einer jüdischen Perspektive gab es in diesem Schulsystem nicht. Später, im Gymnasium, war ich eine von nur drei jüdischen Schüler*innen – bei insgesamt rund eintausend Kindern. Ich weiß noch, dass es jedes Jahr aufs Neue eine Diskussion gab, ob man mich nun für Rosch Ha-Schana und Jom Kippur vom Unterricht befreien kann oder nicht. Das hat sich dann später geändert. Meine jüngeren Geschwister besuchten den jüdischen Religionsunterricht in der Frankfurter Gemeinde, der sogar im Abitur anerkannt wurde.
Sharon Adler: Wie hast du die Vermittlung jüdischer Themen und Lebensrealitäten in der Schule, im Unterricht und durch Schulbücher erfahren?
Sabena Donath: Die Zeit der Achtziger Jahre war geprägt davon, dass reelle jüdische Perspektiven einfach unsichtbar waren. Sobald in der Schule das Thema Nationalsozialismus und Shoah aufkam, wurde ich nach meinen eigenen Opfergeschichten gefragt, so als könnte ich stellvertretend für alle anderen sprechen. Die Vermittlung habe ich nahezu traumatisch in Erinnerung. Die Abbildungen der Leichen in den Schulbüchern war für mich, die ich mit überlebenden Großeltern aufgewachsen bin, äußerst schmerzhaft, und ich habe lange gebraucht, um so selbstbestimmt zu sein, mich dagegen zu wehren. Was mich immer störte und auch heute noch stört: Das Thema Judentum wurde ausschließlich über das Thema der Folklore oder über eine täterorientierte, nationalsozialistische Perspektive aufgearbeitet. Es wurde – und das ist zum Teil immer noch so – überhaupt nichts über jüdisches Leben in der Gegenwart vermittelt.
Studium, Beruf, Engagement
Sharon Adler: Bereits während des Studiums der Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie in Frankfurt am Main warst du in der Sozialen Arbeit tätig, hast als junge Frau die Leitung eines kommunalen Jugendzentrums in einem Frankfurter Brennpunkt übernommen. Was war deine Motivation und was hast du mitgenommen?
Sabena Donath: Meine Mutter hat Psychologie in Deutschland studiert, mit Deutsch als Fremdsprache. Das heißt, ich hatte Zugang zu einer Vielfalt hochinteressanter und mehrsprachiger Literatur. Mich hat das Thema sehr interessiert. Damals gab es an der Frankfurter Goethe-Universität die Möglichkeit, Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie als Diplomstudiengang zu studieren. Das war eine sehr weitreichende und reichhaltige Ausbildung mit tollen Professorinnen und Professoren, das hat meinen intellektuellen und wissenschaftlichen Horizont geöffnet. Während des Studiums habe ich in einem Bad Homburger Jugendzentrum gearbeitet. Es war der perfekte Job für mich: Ich habe mich mit Mädchenarbeit beschäftigt, ein Jugendcafé aufgebaut, Jugendliche mit Migrations- und Fluchtgeschichten unterstützt. Ich war fünf Jahre dort und habe sehr viel gelernt. Endlich konnte ich dort ansetzen, wo ich immer Mangel erlebt hatte, und ich erkannte, dass das ein Berufsbild sein kann – Migration, Diversität, Gleichstellung und gesellschaftliche Teilhabe miteinander so zu verknüpfen, dass es ein emanzipatorischer Akt wird. „Empowerment“, würde man heute sagen. Als ich mein Studium erfolgreich abgeschlossen hatte, bekam ich eine Leitungsstelle in einem Frankfurter Jugendzentrum – mit gerade mal 25. Ermöglicht hat mir diese Chance ein sehr engagierter Jugendamtsleiter. Er war es auch, der meine jüdische Identität und meine Migrationsgeschichte relevant für den Job fand.
Sharon Adler: Welche Erfahrungen hast du als Jüdin in dem Umfeld gemacht?
Sabena Donath: Ich habe meine jüdische Identität immer in die Jugendarbeit mit hineingebracht. Das war für mich selbstverständlich – mit allem, was dazugehört. Natürlich habe ich mit den Jugendlichen, die fast alle türkische oder marokkanische Herkunftsgeschichten hatten, Auseinandersetzungen geführt. Aber wir haben uns auch an manchen Punkten getroffen. Dass ich Jüdin bin, war auch gar nicht so vordergründig. Es war vielmehr ein Thema, ob ich als junge Frau in so einem Setting etwas sagen „darf“. Was bedeutet es für euch, dass ihr mit mir Regeln verhandeln müsst? Solche Dinge. Und da Jugendliche prinzipiell ihre Grenzen austesten, haben sie sich auch nicht gescheut, das ein oder andere Schimpfwort zu benutzen.
Der Wechsel zur Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST)
Sharon Adler: Du warst von 2003 bis 2012 anfangs freie Beraterin und Seminarleiterin und dann als Projektleiterin fest bei der ZWST und dort für den Bereich Sozialabteilungen, Integration und Professionalisierung tätig. War es eine bewusste Entscheidung, in jüdischen Settings zu arbeiten?
Sabena Donath: Ich habe die offene Jugendarbeit ganz bewusst verlassen. Das ist ein sehr zehrender und anstrengender Beruf, der bis in die späten Abendstunden geht. Ich hatte mich auf das Thema gesellschaftliche Teilhabe und Gewalt spezialisiert, habe lange in der Gewaltforschung gearbeitet und bin über die freien Tätigkeiten wie die Lehre an der Fachhochschule Frankfurt, der Moderation von Panels und der sogenannten interkulturellen Konfliktvermittlung – so hieß das damals noch in den frühen Nullerjahren – zur ZWST gekommen. Paulette Weber von der ZWST hat mich sozusagen entdeckt, als sie mich auf einem Panel in der Jugendbegegnungsstätte Anne Frank als Moderatorin gesehen hat. Sie lud mich in die ZWST ein und stellte mich dort dem damaligen Direktor Beni Bloch sel. A. vor. Ich weiß noch, dass sie begeistert erklärte, ich sei „eine von ihnen“, dass ich „alles können würde“ und dass sie mich „jetzt holen würden“. Das war ein schöner Moment. Und so bin ich nach und nach professionell in die jüdische Welt eingestiegen. Es war wie eine Fügung. Es gab noch einen weiteren Schritt. Ich habe gemeinsam mit Dalia Moneta, der ehemaligen Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde, ein Ehrenamtsprojekt für die Sozialabteilung aufgebaut. Kurze Zeit später hat mir Beni Bloch eine feste Stelle bei einem EU-geförderten Drittmittelprojekt angeboten, wodurch die Hauptberuflichkeit in einer jüdischen Institution begann.
Das Wesentliche, das ich aus dieser Zeit mitgenommen habe, ist, dass ich dort sehr viel über die Jüdischen Gemeinden und deren Strukturen gelernt habe. Etwas, wovon ich bis heute profitiere. Ich habe mit den sogenannten postsowjetischen Zuwander*innen gearbeitet und sehr viel Einblick in ihre Geschichte bekommen: über Migration, über die Brüche, über die Bezüge zur Shoah, über familiäre Strukturen. Wichtig war für mich auch, dass ich einen tiefen Einblick in den strukturellen und formalen Teil der jüdischen Institutionen bekam.
Jüdische Akademie in Frankfurt am Main
Sharon Adler: 2012 wurdest du zur Leiterin der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland berufen und mit dem Aufbau einer Jüdischen Akademie beauftragt.
Sabena Donath: Ich bin zum Zentralrat gekommen – auch dort wurde ich eingeladen, das ist eine Kontinuität in meiner Berufsbiografie –, als mich Dieter Graumann, der damalige Präsident des Zentralrats, beauftragt hat, die Jüdische Akademie aufzubauen. Das war eine riesige Chance, diese große Vision anzugehen. Wir haben in den vergangen zehn Jahren viel Arbeit, viel Geduld und viel Herzblut reingesteckt. Wir hatten mit Rückschlägen, Desillusionierung und dem einen oder anderen Stein auf dem Weg zu kämpfen, doch jetzt ist es vollbracht: Der Zentralrat baut diese Jüdische Akademie, von der wir so lange geträumt haben. Wie schön, dass Visionen wahr werden können, nicht wahr?
Was ich aber auch in den zehn Jahren gelernt habe, ist, dass es manchmal eben diese Zeit braucht, um bereit zu sein. Jetzt sind wir so weit.
Sharon Adler: Was passiert während der Gründungsphase der Jüdischen Akademie, die du gemeinsam mit Prof. Dr. Doron Kiesel leiten wirst? Was ist dafür nötig, ein „jüdisches Haus“ zu bauen?
Sabena Donath: Dafür braucht man so etwas wie einen „jüdischen Geist“. Es ist ja nicht nur die Frage von Stein auf Stein, sondern es geht darum, ein jüdisches Haus zu bauen, das für innerjüdische Gedanken und Diskurse zuständig ist, aber auch eine Strahlkraft nach außen hat. Also: Wie baue ich ein jüdisches Haus, das einen jüdischen Esprit verströmt, ohne ein religiöses Gebäude zu sein? Ohne zu normativ zu sein und das sich eine gewisse Offenheit bewahrt? Ich bin davon überzeugt: Nachhaltige Bildungsarbeit setzt enge Bindungen zwischen Menschen voraus. Wir müssen uns gesehen, verstanden, gehört, berührt fühlen. Dafür braucht es das Haus: Um Menschen zu empfangen, nicht nur als Gastgeberin, sondern auch, um sich in diesem Haus miteinander zu verbinden. Das muss nicht immer harmonisch sein, es darf und soll auch Diskurse und Debatten geben. Wichtig ist aber das feste Fundament – und das jüdische Dach.
Sharon Adler: Wofür will die Akademie, die 2024 ihren Betrieb aufnehmen wird, ein Ort sein? Welche Pläne für Inhalte und Kooperationen gibt es bereits ?
Der Zentralrat der Juden in Deutschland begann 2012 mit der Planung der Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main. Die Fertigstellung des Baus ist für Ende 2023 geplant. 2024 soll die Jüdische Akademie ihren Betrieb aufnehmen. In der Jüdischen Akademie sollen öffentliche Diskurse aufgegriffen und um die jüdische Perspektive bereichert werden. Damit will die Jüdische Akademie dazu beitragen, die Akzeptanz für religiöse und kulturelle Pluralität in Deutschland zu erhöhen. Der Bau der Jüdischen Akademie wurde vom Frankfurter Architekten Zvonko Turkali entworfen. (© Turkali Architekten)
Der Zentralrat der Juden in Deutschland begann 2012 mit der Planung der Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main. Die Fertigstellung des Baus ist für Ende 2023 geplant. 2024 soll die Jüdische Akademie ihren Betrieb aufnehmen. In der Jüdischen Akademie sollen öffentliche Diskurse aufgegriffen und um die jüdische Perspektive bereichert werden. Damit will die Jüdische Akademie dazu beitragen, die Akzeptanz für religiöse und kulturelle Pluralität in Deutschland zu erhöhen. Der Bau der Jüdischen Akademie wurde vom Frankfurter Architekten Zvonko Turkali entworfen. (© Turkali Architekten)
Sabena Donath: Wir haben in den letzten zehn Jahren ein Bildungsprogramm zu etabliert, das verschiedene jüdische Themen bearbeitet. Viel davon haben wir innerjüdisch angelegt. In den vergangenen Jahren haben wir uns nach außen geöffnet – das ist die besagte Strahlkraft. Unser Auftrag ist es, eine bundesweit wirkende Institution zu werden, die intellektuell und bildungspolitisch Themen behandelt, die eine jüdische Perspektive auch in den mehrheitsgesellschaftlichen Diskurs hineintragen kann. Die Überschrift wäre für mich, dass wir offen für plurale Perspektiven sind und diesen Pluralismus in unserem Haus auch umsetzen werden.
Wir kooperieren bereits mit vielen jüdischen Institutionen, unter anderem mit der ZWST, wir arbeiten eng mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und anderen Jüdischen Gemeinden zusammen, sowie mit der Jüdischen Hochschule in Heidelberg. Wir haben jetzt auch ein „Memorandum of Understanding“ mit der Goethe-Universität in Frankfurt. Der wissenschaftliche Standort wird auch ein Alleinstellungsmerkmal dieser Jüdischen Akademie sein.
Sharon Adler: Wie kann deiner Meinung nach Bildungsarbeit dazu beitragen, die Gegenwart pluraler jüdischer Perspektiven in Deutschland nach innen und nach außen sichtbarer zu machen?
Sabena Donath: Es fehlt in der deutschsprachigen Bildungsarbeit immer noch eine deutliche jüdische Perspektive. Die Kolleginnen wie beispielsweise Julia Bernstein oder Marina Chernivsky beschwören seit langem einen Paradigmenwechsel. Die Themen, die die jüdische Gemeinschaft angehen, wie die Shoah, der Blick auf Israel und der Blick auf Antisemitismus aus Betroffenenperspektive, müssen von Jüdinnen und Juden mitbestimmt werden. Und zwar in einer deutlichen Sichtbarkeit und aus unterschiedlichen Perspektiven. Das heißt, es ist entscheidend, einen weiteren Ort für einen innerjüdischen Diskurs zu haben, der verschiedene, jüdisch relevante Themen behandelt. Gleichzeitig, und das ist mir wichtig, eine Form von Selbstbestimmung ermöglicht, die öffentlich sichtbar ist.
Sharon Adler: Welche Bildungsformate und Instrumente sind dafür sinnvoll und notwendig?
Sabena Donath: Im Moment machen wir vor allem mehrtägige Konferenzen, die sich breit und differenziert mit einem Thema befassen und sehr unterschiedliche Sprecher*innen zu Wort kommen lassen. In einer Institution wie der Akademie können wir solche Formate auf Nachhaltigkeit anlegen, also mehrjährig und modular planen und so einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Konferenzen sind das eine, aber für uns werden auch zunehmend berufliche Gruppen wie Lehrkräfte, Polizei und Justiz relevant. Es gibt sehr viel Nachfragen zu bestimmten Themen, und wir können diesen zum Teil gar nicht entsprechen. Es gibt ein Bewusstsein, insbesondere im bildungspolitischen Diskurs, dass man auch jüdische Expert*innen braucht, um zum Beispiel Antisemitismus bildungspolitisch zu verhandeln.
Sharon Adler: Inwieweit wird mit der Jüdischen Akademie an die Tradition Externer Link: jüdischer Lehrhäuser bis zu deren erzwungener Schließung vor der NS-Zeit angeknüpft und in die Gegenwart transportiert?
Sabena Donath: Das jüdische Lehrhaus in Frankfurt war eine säkulare Gegenbewegung zu den orthodoxen Orten der Stadt. Uns muss eine Anknüpfung gelingen, indem wir religiöse und säkulare Bildung miteinander verbinden. Das wird für uns sehr interessant werden. Das jüdische Lehrhaus lebte davon, einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. Es wäre für mich ein Kerngedanke, intellektuelle Impulse so zu setzen, dass wir profunde Bildung auf Augenhöhe bieten können.
Jüdischer Feminismus und Jewish Women Empowerment Summit
Sharon Adler: Unter deiner Leitung fand 2019 erstmalig das Jewish Women Empowerment Summit statt.
Sabena Donath moderierte die Lesung und das Gespräch zum Essayband „Sicher sind wir nicht geblieben. Jüdischsein in Deutschland“ herausgegeben von Laura Cazés am 15.09.2022 im Pfefferberg Theater in Berlin. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2022)
Sabena Donath moderierte die Lesung und das Gespräch zum Essayband „Sicher sind wir nicht geblieben. Jüdischsein in Deutschland“ herausgegeben von Laura Cazés am 15.09.2022 im Pfefferberg Theater in Berlin. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2022)
Sabena Donath: Die Idee für den Jewish Women Empowerment Summit wurde von Externer Link: Laura Cazés und Externer Link: Dalia Grinfeld an mich herangetragen. Also aus der Gruppe selbst. Beide waren damals studentisch organisiert, und sie hatten immer noch die gleichen Themen, die ich damals hatte. Es geht um Teilhabe, um Sichtbarkeit, um Intersektionalität. Das alles hat sich nur marginal verbessert. Es ging bei diesem Format erstmal darum, einen Raum zu schaffen für jüdischen Feminismus. Wir wollten jüdische junge Frauen untereinander vernetzen, einen Empowerment-Raum für sie kreieren. Dafür mussten wir zunächst erfassen, was die Bedürfnisse dieser sehr vielfältigen Zielgruppe sind. Der Summit findet dieses Jahr zum vierten Mal statt, und ich denke, er ist mittlerweile zu einer Marke geworden. Es geht beim Jewish Women Empowerment Summit um Vernetzung, um Aushandlung verschiedener Perspektiven und Positionen, auch politischer Positionen, die sehr unterschiedlich sind und sich manchmal auch widersprechen. Aber es geht auch darum, jungen Menschen einen jüdischen Raum zu erschließen, die bisher, aus welchen Gründen auch immer, wenig oder keine Zugänge zu jüdischen Settings hatten.
Sabena Donath moderierte die Lesung und das Gespräch zum Essayband „Sicher sind wir nicht geblieben. Jüdischsein in Deutschland“, herausgegeben von Laura Cazés, am 15.09.2022 im Pfefferberg Theater in Berlin. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2022)
Sabena Donath moderierte die Lesung und das Gespräch zum Essayband „Sicher sind wir nicht geblieben. Jüdischsein in Deutschland“, herausgegeben von Laura Cazés, am 15.09.2022 im Pfefferberg Theater in Berlin. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2022)
Sharon Adler: Der diesjährige Summit ist vom Krieg in der Ukraine geprägt. Vor allem Frauen sind es, die sich in den Jüdischen Gemeinden und in der ZWST um die Versorgung der Flüchtlinge aus der Ukraine kümmern. Sind auch Dialogformen zwischen Frauen mit russischen und ukrainischen Wurzeln angedacht?
Sabena Donath: Wir haben das Thema etwas anders aufgegriffen. Sehr viele unserer Teilnehmerinnen sind von diesem Krieg direkt betroffen, weil ihre Familien zum Teil noch in der Ukraine leben. Sehr viele Teilnehmende kommen auch aus sogenannten gemischten Familien. Das heißt, es gibt gar nicht immer eindeutige Migrations- oder Herkunftszuschreibung. Die haben wir gar nicht unternommen. Wir haben das Thema „Unbesprechbarkeiten“ genannt. Wir haben Formate geschaffen wie „Safer Spaces“ und Podien, bei denen wir die Auswirkungen des Krieges für die jungen Frauen und deren Familien in einem möglichst geschützten Rahmen besprechbar und anfassbar machen.
Der Kampf gegen Antisemitismus im Sport
Sharon Adler: Du bist als fachliche Leiterin Teil des Teams im von dir konzipierten Präventionsprojekt „Zusammen1“.
Sabena Donath: Es gibt eine Geburtsstunde dieses Projektes, als ich selbst Betroffene eines antisemitischen Vorfalls auf dem Sportplatz wurde. Ich beobachte den öffentlichen Raum und die Stadt sehr genau. Das ist eine Leidenschaft von mir, und zwar nicht nur aus jüdischer Perspektive. Das schließt an die Erfahrung im Jugendzentrum in Frankfurt an. Natürlich weiß man bei Makkabi, dass man – und das gilt ja auch für Schülerinnen und Schüler auf öffentlichen Schulen – Gefahr läuft, enttäuscht, gekränkt oder beleidigt zu werden, sobald man sich als jüdisch zu erkennen gibt. Im Fußball geschieht das in rauerer Form. Die Zahlen sprechen für sich. Dazu gibt es Studien und eventuell mal eine kleine Pressemeldung, das aber, was bei Makkabi in den Kreisligen auf und abseits des Platzes geschieht, ist massiv. Ich persönlich habe eine solche Situation erlebt und daraufhin gemeinsam mit dem Präsidium des Zentralrats entschieden zu handeln. Uns geht es darum, antisemitische Vorfälle aus der Unsichtbarkeit und Tabuisierung hervorzuholen und gleichzeitig ein Empowerment anzustoßen für jüdische Sportler und Sportlerinnen, aber auch für andere Fußballvereine, die nicht mehr bereit sind, Diskriminierungsformen wie diese hinzunehmen. Als Partner ist Makkabi natürlich mit an Bord, ebenso der DFB. Bislang gelingt das sehr gut, eben weil Fußball ein hervorragender Multiplikator ist. Für uns als jüdische Akademie in spe ist es relevant, Antisemitismus im öffentlichen Raum sichtbar zu machen, und ihn in Bildungsformate zu übersetzen.
Sharon Adler: Du bist Mutter von zwei Söhnen. Wie lebt ihr Judentum zuhause? Setzt du dich auch im familiären Kontext für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Mädchen ein?
Sabena Donath: Ich habe dazu eine philosophische Antwort: Ich habe mal gelesen, wenn man Töchter erzieht, soll man ihnen beibringen, im richtigen Moment „Nein“ zu sagen. Wenn man Söhne erzieht, soll man ihnen beibringen, ein „Nein“ nicht zu überhören. Was allgemein mein jüdisches Selbstverständnis betrifft, so geht es für mich darum, eine möglichst selbstbewusste jüdische Generation heranzuziehen. Man muss seine Wurzeln kennen, um Flügel zu bekommen. Das ist mein Leitbild.
Zur
Zitierweise: „“Sabena Donath: „Ich glaube, dass man wahre Bildung nur durch Bindung erreichen kann“, Interview mit Sabena Donath, in: Deutschland Archiv, 31.10.2022, Link: www.bpb.de/514813