Frau von Redecker, beginnen wir ganz grundsätzlich: Was ist „Z-Faschismus“?
Der Begriff ist ein Versuch, das politische Projekt von Putins Russland zu erfassen. Der Buchstabe „Z“ ist in der ersten Woche des Krieges vom Militärkennzeichen – vermutlich als Abkürzung für Zapad, das die Fahrzeuge der westlichen Division markierte – zum Symbol der Kriegsbefürwortung geworden. In einer Art Marketingkampagne wird das „Z“ auf Werbetafeln angebracht und von Teilen der Bevölkerung im Alltag zur Schau gestellt, etwa auf Autos oder Kleidungsstücken. Die extremsten Beispiele sind Schulkinder, die in Z-Formationen aufgereiht werden. Solche Mobilisierung allein macht aber keinen Faschismus aus, die Frage ist, wofür da Stimmung gemacht wird. Und das ist eben nicht „nur“ ein nationalistischer Krieg, und auch nicht „nur“ ein geostrategischer Imperialismus. Sicher, man kann nüchtern machtpolitisch unterstellen, dass die russischen Interessen sich hauptsächlich auf den Grenzverlauf zur Nato und die Erdgasfelder im Donbass bezögen. Aber selbst, wenn dem so wäre, sind diese Interessen nun auf eine fatale Weise politisiert, die nicht mehr so schnell aus der Welt geht.
Wo geht der Z-Faschismus über das übliche geopolitische Kalkül großer Staaten hinaus?
Die russische Staatsräson hat sich in ein historisches Totalprojekt verkehrt, für das die Eliminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen zentral ist. Dieses Projekt basiert auf der „eurasischen Ideologie“. Einer ihrer Architekten ist Alexander Dugin, der an der Moskauer Universität Soziologie gelehrt hat, bis er 2014 seinen Job verlor, weil er zu öffentlich geäußert hatte, dass die Lösung des Ukrainekonflikts „Töten, töten, töten“ laute. Damals war das zumindest noch nicht die offizielle Linie. Im Kern besagt die eurasische Idee, dass es eine eigenständige russische Zivilisation gäbe, die sich vom atlantischen, seefahrenden, Handel treibenden Westen unterscheide. Die russische Zivilisation sei landsässig und beruhe auf sogenannten traditionellen Werten. Diese gelte es, um jeden Preis gegen westlichen Einfluss zu behaupten. Und wie auch viele andere Mitglieder der globalen Rechten setzt Dugin den Westen mit Liberalismus gleich und definiert den Liberalismus als gescheitert, weil er zu individualistischen Auflösungserscheinungen führe. LGBTIQ-Rechten nämlich. Es ist nicht einfach nur eine alberne Pose, dass Putin sein Land mit J.K. Rowling, die als transphob kritisiert wird, vergleicht. Und auch kein nachträglicher Propagandatrick unter anderen. Das Z beruht gewissermaßen auf der Elimination des Gendersternchens. Die patriarchale Phantasie traditioneller Werte schafft das kollektive Subjekt, dem angeblich die territoriale Hoheit – auch und gerade über die Ukraine – zusteht. Putin kann den Krieg nicht Krieg nennen, weil er aus eurasischer Sicht gar nicht gegen ein anderes Land vorgeht, sondern eine ur-russische Bevölkerung vom westlichen Einfluss reinigt. Nun, wo die ukrainische Bevölkerung aber ihren Wunsch nach Selbstbestimmung behauptet, muss sie als äußerer Feind ebenso ausgelöscht werden wie die inneren.
Ist der Faschismus männlich?
Nun, männlich ist in einer patriarchal geprägten Welt ja vieles... Faschismus ist nicht einfach männlich, sondern maskulinistisch. Der Neo-Faschismus greift Männlichkeit in einer spezifischen Weise auf, nicht primär als Natur oder Autorität, sondern als verabsolutierten und zugleich bedrohten Besitzanspruch.
Um noch einmal Dugin heranzuziehen: er teilt die konstruktivistischen Annahmen der aktuellen Geschlechterforschung, aber mit umgekehrter Wertung. Liberalismus führe dazu, dass am Ende jede:r sein individuelles Geschlecht haben wolle, das zerstöre die Reproduktion der Gesellschaft, also müsse man kollektivistisch die traditionellen Rollen durchsetzen. Das ist dann aber eben genau keine Tradition mehr, keine organische Überlieferung, sondern das Abstecken einer zwangsbewehrten Sphäre, in der die Geschlechtergrenzen extern festgelegt sind und Männer bestimmte Verfügungsrechte über Frauen haben – was ich häufig „Phantombesitz“ nenne. Viele autoritäre und rechtspopulistische Bestrebungen mobilisieren in den letzten Jahren mit der Verteidigung solchen Phantombesitzes. Es geht darum, diese Infrastruktur der Aneignung intakt zu halten – manchmal „nur“ auf der symbolischen Ebene, also im Sprachgebrauch, aber dann oft auch auf der Ebene der körperlichen Selbstbestimmung, also in Bezug auf Abtreibungs- und Personenstandsrecht sowie das männliche Zugriffsrecht auf weibliche Körper und Lebenszeit. Die Grenze zum Faschismus ist in meinen Augen überschritten, wenn der Phantombesitz nicht nur verteidigt und hochgehalten wird, sondern liquidiert. Wenn also die, die sich wehren oder den männlichen Besitzanspruch stören, vernichtet werden sollen. So funktioniert der rechte Terror, der auch gerade Deutschland unsicher macht, so funktioniert der Diskurs des „Incel-Faschismus“, der angeblich von weiblicher Aufmerksamkeit unterversorgte Männer aktiv zu Vergewaltigungen ermutigt. Und das Z steht seinerseits dafür, dass die Ukrainer:innen nicht mehr nur unterworfen, sondern ausgelöscht werden sollten.
Wie unterscheidet sich der Z-Faschismus von anderen Faschismen in der Geschichte – etwa dem italienischen oder deutschen?
Im Kontrast zum italienischen Faschismus ist das russische Projekt der „traditionellen Werte“ sehr viel vergangenheitsorientierter – auch wenn es eine imaginierte, homogenisierte Vergangenheit ist. Wir sehen hier keinen Faschismus aus dem Geist des Futurismus, wie es der Mussolinische war. Der Hindutva-Nationalismus ist da vielleicht verwandter. Und dieser „historistische“ Faschismus, der Vergangenheit als Phantombesitz mit Gewalt bewehrt, unterscheidet sich zweitens vom nationalsozialistischen Projekt des Rassenwahns. Er entwirft kein durchweg biologistisches Weltbild. Und der Antisemitismus bildet nicht die zentrale Verschwörungserzählung, sondern steht neben einer Reihe anderer Feindbilder. Aber ich muss Ihnen sagen, dass mir die historischen Vergleiche viel Unbehagen bereiten. Ein Maßstab aus der Hölle ist eine zweifelhafte Analysekategorie. Ich will mich nicht damit beruhigen, dass Putin noch keine Vernichtungslager gebaut hat. Aber andererseits folgt – zumindest für mich – aus der Beunruhigung, die es bedeutet, eine Regierung als faschistisch einzustufen, nicht automatisch die gebotene Gegenstrategie. Hitler hatte 1938 keine Atomwaffen.
Der Ukrainekrieg gilt oft als Putins Krieg. Sie scheinen aber eher eine gesellschaftliche Logik dahinter zu vermuten. Welche ist das?
Es ist natürlich Putins Krieg. Aber auch hinter Putin steht eine gesellschaftliche Logik. Die Muster, die die eurasische Doktrin in eine faschistische Ideologie zusammenschweißt, sind tief in unsere Lebensform eingelassen. Die Sachherrschaft, also das Recht auf Missbrauch und totale Verfügung im Kern des Eigentums, strukturiert die Art und Weise, wie wir uns im Kapitalismus – und auch im Staatskapitalismus des real existierenden Sozialismus – auf Kosten anderen Lebens versorgen. Es gab schon immer Gewaltexzesse im Zuge dieser Akkumulation. Neu ist, dass wir jetzt unweigerlich wissen, dass die Aufrechterhaltung unseres ganz normalen Alltags die Zerstörung der Lebensgrundlage in der Zukunft zum Preis hat. Angesichts dieses Wissens kommt Putins Petro-Patriarchat zumindest eine gewisse Stringenz zu. Es erklärt die Gewalt für alternativlos, und geht dann auch gleich von der extraktivistischen Ressourcennutzung zur faschistischen Bevölkerungspolitik über.
Wie erklären Sie sich die Brutalisierung des Krieges?
Ich denke, dass es, seit im Ersten Weltkrieg die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung erprobt wurde, keine Hoffnung auf nicht-brutale Kriege mehr gibt. Aber ein gewichtiger weiterer Faktor ist natürlich, dass die Invasion auf russischer Seite nicht als Krieg, sondern als „Spezialeinsatz“ betrachtet wird. Es ist also kein symmetrischer Kampf mit einem Gegner, in dem bestimmte Regeln gelten, sondern die Verfolgung von jemand Kriminellem, den es – im relativ rechtsfreien Raum – zu richten gilt. Gewissermaßen die Bestrafung der Ukrainer:innen als Dieb:innen ihrer selbst. Es ist also eine Brutalität, die wir aus Kolonialkriegen und Konterrevolution des späten 19. Jahrhunderts kennen, aus der deutschen Niederschlagung der Pariser Kommune und dem Genozid an den Herero und Nama.