Ich bin Afghanin, aber im Iran geboren und lebte dort rund 31 Jahre, nachdem meine Mutter mit mir und meinen Geschwistern vor dem Krieg in Afghanistan floh.
Als ich ein kleines Mädchen war, dachte ich immer, dass wir alle Menschen sind und es keinen Unterschied zwischen uns gibt. Wir sollten alle nett zueinander sein und uns lieben und helfen, aber nichts war so, wie ich dachte. Als Kind habe ich die Probleme der im Iran lebenden afghanischen Einwanderer nie wahrgenommen, aber als ich in die Schule kam, wurde mir allmählich klar, wie sehr die Menschen im Iran zwischen uns und sich selbst unterscheiden.
Iranische Kinder wurden immer zuerst registriert, und danach, wenn noch Kapazität übrig war, haben sie uns registriert, auch das auf Bitten unserer Eltern. Einige Schulen weigerten sich sogar, afghanische Kinder anzumelden, und als wir nach dem Grund dafür fragten, antworteten sie, dass sie Afghanen nicht anmelden sondern wir in Sonderschulen für afghanische Einwanderer angemeldet werden müssen. Aber die Zahl dieser Schulen war sehr gering und das Zeugnis am Ende des Schuljahres war wertlos, jedes Jahr wurde die Situation schwieriger.
Ich habe nie verstanden, warum sie uns so sehr hassten und uns nicht gut behandelten. Auch wenn wir sie manchmal fragten, gaben sie uns keine Antwort, sie lasen immer die Anzahl der afghanischen Einwanderer in der Klasse vor, damit alle sie kennen und uns gegenüber noch irritierter wurden, und forderten uns auf, die Klasse zu verlassen. Ohne Grund standen wir stundenlang neben dem Büro des Rektors und durften nicht einmal sitzen. Nach ein paar Stunden erlaubten sie uns, wieder in den Unterricht zu gehen, und danach nahmen das Geflüster und die Beleidigungen zu, die iranischen Schüler distanzierten sich von uns, und einige von ihnen sprachen sogar nicht mit uns, wenn wir irgendwo unsere Rechte verteidigten, und die Beleidigungen wurden immer mehr.
Sogar einige von ihnen aßen unser Essen nicht und sagten, dass sie das Essen der Afghanen nicht essen sollten, weil sie dann krank werden würden, und jeden Tag vergrößerten sie unsere Sorgen.
Tatsächlich sind im Iran die meisten Menschen Muslime, und in der Religion des Islam heißt es, dass alle Menschen gleich und Brüder sind, aber keine der Aussagen der Heiligen Bibel des Islam hat irgendeine Auswirkung auf die Gedanken von Menschen, die sich qua Abstammung für überlegen halten. Aber meiner Meinung nach spielen Rasse, Hautfarbe, Land und Religion keine Rolle, es sind Menschlichkeit und Gewissen, die einen Menschen erhaben machen. In der High School habe ich den ersten Platz bei einer Sprach- und Chemieolympiade gewonnen, aber da ich eine afghanische Einwanderin war, durfte ich nicht an der nationalen Olympiade teilnehmen und erhielt keine Preise. Jeden Tag wurde ich hoffnungsloser als am Vortag, ich hatte keine Motivation, in der Zukunft zu leben und voranzukommen, weil sie uns nicht erlaubten, in irgendeinem Bereich voranzukommen.
Als ich die High School beendet hatte, nahm ich mir vor, die Universität zu besuchen, aber nach dem Gesetz der iranischen Regierung hatten afghanische Einwanderer für mehrere Jahre kein Recht, die Universität zu betreten. Dieses Gesetz schloss Menschen aus anderen Ländern nicht ein, einschließlich Araber, und sie betraten die Universität sehr leicht. Als wir nach dem Grund für dieses diskriminierende Verhalten gegenüber afghanischen Einwanderern fragten, antworteten sie nur, dass es für Afghanen verboten sei.
Mit diesen unvernünftigen Entscheidungen und Gesetzen des Landes Iran wurden mehrere Jahre meines Lebens verschwendet. Ich habe immer geweint, wenn ich alleine war, und mich gefragt, warum meine Mutter mit uns in den den Iran geflohen ist und wir jeden Tag so viel leiden und trauern müssen. Ich sagte immer zu meiner Mutter, ich wünschte, sie würde in ein anderes Land auswandern, und meine Mutter antwortete, dass wir aufgrund der harten Bedingungen des Krieges gezwungen wurden, in den Iran einzureisen.
Danach musste ich einen Job finden, damit meine Zeit nicht verschwendet wird, aber wir durften nichts tun, und aus diesem Grund sind die meisten afghanischen Einwanderer im Iran entweder Analphabeten oder Arbeiter, weil sie keine Erlaubnis haben, unter den gleichen Bedingungen wie Iraner zu studieren und zu arbeiten. Beispielsweise hat kein afghanischer Einwanderer das Recht, ein Restaurantunternehmen, eine Fabrik oder einen Regierungsberuf auszuüben, da iranische Ausweisdokumente benötigt werden, um einen Job anzutreten.
Für eine Beschäftigung in irgendeinem Job, sobald sie unsere Identität herausfanden, änderte sich ihr Verhalten komplett und sie kümmerten sich nicht um uns, sie sagten nur, dass wir keine Arbeit für Afghanen haben. Diese Verhaltensweisen zu tolerieren ist sehr schwierig und beunruhigend für uns.
Wir wollten nie von irgendjemandem bemitleidet werden. Wir wollten einfach gleiche soziale Rechte. Als ich nach ein paar Jahren an die Universität durfte und mich immatrikulierte, hatte ich nicht einmal den Mut, meinem Umfeld meine wahre Identität zu sagen. Weil ich ihren wahren Charakter ahnte und aus Erfahrung wusste, dass sie Afghanen hassen.
Die Lebensbedingungen im Iran sind für afghanische Einwanderer sehr schwierig, sowohl psychologisch als auch wirtschaftlich und sozial. Aus diesem Grund versuchen die meisten afghanischen Einwanderer mit großen Schwierigkeiten in europäische Länder einzuwandern, um ein gutes und glückliches Leben mit gleichen sozialen Rechten zu führen, obwohl sie wissen, dass es sehr schwierig ist, dieses Ziel zu erreichen, und sie möglicherweise am Ende sterben werden. In Europa sind die Menschen freundlich zu anderen und es gibt sehr wenig Rassendiskriminierung, aber im Iran werden afghanische Einwanderer immer verspottet und beleidigt und haben keine gesetzlichen Rechte. Ich kenne immer noch nicht den Grund für all diesen Hass und diese Diskriminierung.
Wo immer wir protestieren, sagen sie uns, wir sollen zurück in unser eigenes Land gehen und wir sollen wie immer schweigen.
Warum eine Flucht aus dem Iran?
Wir waren Bürgerkriegsflüchtlinge. Mein Vater verlor sein Leben, meine Mutter floh mit uns Kindern nach Teheran, dort war es besser solange niemand wusste, dass ich aus Afghanistan bin. Ich fand Menschen an der Schule oder der Uni und freute mich über eine Bekanntschaft. Sobald diese Leute hörten, dass ich Afghanin bin, drehten sie sich um und wollten nicht mehr mit mir reden. Oder wir wurden gehänselt und verlacht und auf vielen Gebieten benachteiligt. Im Iran ist es für Afghanen nicht möglich, eine Krankenversicherung abzuschließen, ein Haus zu kaufen oder eine Arbeit zu finden. Ganz im Gegenteil, wir mussten für Leistungen sogar das Doppelte bezahlen, allein, weil wir Afghanen sind. Ich weiß, dass die UNO Gelder an den Iran für Flüchtlinge aus den umliegenden Ländern zahlte. Diese Hilfe kam bei den Menschen nicht an.
Wir mussten jeden Tag überlegen, wofür wir unser weniges Geld ausgaben. Immer wieder gab es aufgrund fehlender Arbeit wenig zu Essen und zu wenig Kleidung für uns Kinder. Zum Beispiel musste ich mir mit meiner Schwester die Schuhe teilen. Morgens trug ich sie für den Schulweg, nachmittags trug meine Schwester die Schuhe.
Nach all diesen Erfahrungen beschloss unsere Familie, dass mein Bruder und ich als jüngste Kinder diesem Irrsinn von doppelter Strafe nur aufgrund unserer Herkunft entfliehen sollten. Es schien uns allen nicht mehr möglich, menschenwürdig zu leben. Meine Familie ging zu einem Geldverleiher und lieh sich für unsere Flucht 2000 Euro. Mehr konnten wir uns nicht ausleihen, deshalb konnten nur ich und mein Bruder fliehen. Das war Ende Oktober 2015.
Unsere Flucht führte zuerst von Teheran, wo der Rest unserer Familie heute noch lebt, zum Grenzdorf Urmia. Das ist ein Ort zwischen dem Iran und der Türkei. Dort haben wir uns an einen Vermittler gewandt, der einen Schlepper kannte. Wir sind zuerst an die 16 Stunden über einen Berg über die türkische Grenze gelaufen. Es ging steil bergauf und steil bergab. Wir hatten Brot und Tomaten zu Essen und Wasser zum Trinken, aber es war sehr, sehr anstrengend. Wir waren etwa 40 bis 50 Menschen auf der Flucht.
Hinter der türkischen Grenze wurden wir in einem Pferdestall untergebracht. dort hat es unerträglich gerochen. Wir konnten uns nicht duschen, es gab nur etwas Wasser damit wir uns die Hände und das Gesicht benetzen konnten und unsere Notdurft mussten wir hinter dem Pferdestall verrichten. Drei Tage haben wir dort gewartet und hatten die ganze Zeit Angst, Angst, was als nächstes passieren würde … müssten wir zurück in den Iran, werden Soldaten kommen, gibt es hier Geister? Alle waren sehr erschöpft und wir fühlten uns so dreckig und alleingelassen. Auch verstanden wir kein Türkisch und wussten nicht, was die Schlepper uns fragten. Endlich kamen kleine Busse und wir konnten weiterkommen. Etwa 15 Menschen waren in jedem Bus, wir mussten aber leise sein und uns auf der ganzen Fahrt ducken.
Wir kamen nach Ankara und wurden in einem kleinen Zimmer, vielleicht vier Quadratmeter groß, untergebracht. Wir hatten dem Schlepper Geld gegeben, aber er kam zwei Tage nicht. Wir hatten Hunger und Durst. Mein Bruder traute sich um für uns alle zu essen und zu trinken zu holen. Aber die Türken akzeptierten keinen Real (Iranische Währung) oder Dollar, so dass wir weiter hungern und dursten mussten. Und wir hatten Sorge, dass Polizei kommt um uns zu verhaften oder uns in den Iran zurückschickt. Nachdem eine andere Familie telefonierte, kam endlich ein anderer Schlepper der uns Essen und Trinken brachte und wir wurden weiter nach Istanbul transportiert. Dort gab es viel Polizei, eine Flucht nach Griechenland war nicht möglich, so dass der Schlepper uns wieder in das Zimmer nach Ankara brachte. Wieder hatten alle Angst wie es nun weitergehen sollte. Wieder mussten wir warten um nach Istanbul zu kommen. Wenigstens war dieser Schlepper sehr nett und wir hatten zu Essen und zu Trinken. Es gab sogar Hörnchen … wie toll!
Der nächste Versuch über Istanbul nach Griechenland klappte. Mit einem Motorboot wurden wir auf eine Insel in Griechenland gebracht. Wir haben dort eine Nummer bekommen um das nächste Boot nach Makedonien zu nehmen. Aber wir hatten kein Geld mehr um weiterzukommen. Es war sehr kompliziert. Wir saßen auf der Insel fest. Letztlich hat meine Schwester weiteres Geld für einen Schlepper organisiert, es kam auf verschiedenen Wegen zu uns. Endlich konnten wir weiter – auf einem Schlauchboot mit etwa 60 Menschen ging es nach Makedonien. Es gab nur die Chance, dass wir entweder auf das Boot gehen oder auf der Insel bleiben.
Wir riefen unsere Mutter an, um uns zu verabschieden. Es gab keinen Bootsführer, der Schlepper hat uns die Richtung gezeigt und wir sind los – völlig orientierungslos. Der Schlepper hat uns gesagt, wenn wir Berge sehen, dann gibt es auch ein Land. Welches Land – das sagte er nicht. Wieder hat uns die Angst begleitet … was wird passieren? Auf der Insel hatten wir eine Familie kennengelernt. Sie saßen im Boot vor uns. Es gab heftigen Wellengang und das Boot vor uns schlug um und kenterte. Die Menschen sind einfach vor unseren Augen ertrunken. Nur ein Mann konnte noch gerettet werden. Noch heute hat mein Bruder Albträume, weil er diese schreckliche Erfahrung machen musste. 59 Menschen – tot. Meine Mutter hat von diesem Drama im Fernsehen erfahren und ürchtete, wir wären auf dem Boot gewesen und hat sehr um uns geweint.
Wir hatten nun auch Angst, dass unser Boot sinken würde, wir hatten Angst ob und wo wir überhaupt ankommen würden. Mein Herz tut weh, wenn ich an diese Stunden denke. Zweimal gab es große Wellen, wir haben alle gebetet, dass wir das überleben. Die Boote liefen mit Wasser voll, wir haben mit Hüten und Händen das Boot ausgeschöpt und zum Schluss unsere Koffer ins Meer geworfen, weil das Boot immer tiefer im Wasser lag Als wir am Strand in Makedonien ankamen, waren wir bis auf die Haut durchnässt. Ich hatte meine Schuhe verloren und war durchgefroren bis auf die Haut. Wir besaßen nichts mehr. Aber wir waren überglücklich, dass am Strand Menschen waren, die uns warme und trockene Sachen gegeben haben, die Hilfe war überwältigend.
In Makedonien waren wir zwei Tage lang im Viktoria Park, haben nachts auf Parkbänken geschlafen. Leider wurde uns Kleidung gestohlen, die wir in die Sonne zum Trocknen gelegt haben. Eine Hilfsorganisation hat uns ein Stück mit dem Bus in Richtung Slowenien mitgenommen, aber viele Strecken sind wir auch gelaufen, weil wir kein Geld für die Weiterfahrt mit Bussen oder anderen Transportmitteln mehr hatten. Seit wir die griechische Insel verlassen hatten, haben wir uns von Thunfisch aus Dosen ernährt, es gab immer nur Thunfisch, Thunfisch, Thunfisch …. ich werde nie wieder Thunfisch aus der Dose essen. Bis Deutschland haben wir uns mit Thunfisch aus Dosen ernährt.