Der Autor Christian Onnen studiert Geschichte an der Universität Würzburg. Im Rahmen einer Kooperation zwischen der Redaktion des Deutschland Archivs und dem Lehrstuhl für Neueste Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Würzburg wurde seine studentische Arbeit ausgewählt und dem Autor die Möglichkeit gegeben, dazu einen Beitrag für das Deutschland Archiv zu verfassen.
Der Mauerbau am 13. August 1961 ist die bekannteste und in der Forschung am häufigsten diskutierte Grenzsicherungsmaßnahme der DDR. Zugleich war dieses Ereignis nur ein Baustein in der ständigen Aufrüstung an der innerdeutschen Grenze seit der Einrichtung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Dieser Prozess setzte sich auch nach dem 13. August 1961 fort.
Bereits im Juni 1952 hatte die DDR-Führung nach Absprache mit dem ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) unter dem Namen „Aktion Ungeziefer“ eine ähnliche Aussiedlung von insgesamt 8.371 Menschen aus dem Sperrgebiet zur Bundesrepublik veranlasst.
„Aktion Festigung“
Schon drei Tage nach dem Mauerbau tauschte das ZK der SED mit den Parteileitungen in den Grenzkreisen erste Pläne für eine Aussiedlung nach dem Vorbild der „Aktion Ungeziefer“ aus.
Das hierarchische System der SED mit ihren Bezirks- und Kreisleitungen ermöglichte eine umfangreiche und gleichmäßige Vorarbeit. Auch die im Vergleich zu 1952 deutlich gestiegenen Mitarbeiterzahlen des MfS und der Grenzpolizei sorgten dafür, dass die Aussiedlungen gleichzeitig umgesetzt werden konnten: Sie begannen am 3. Oktober 1961 landesweit um 6 Uhr und wurden bis zum Abend abgeschlossen. Dadurch konnten auch Fluchten verhindert werden.
Das Neue Deutschland (ND) als Propagandamittel
Das ND hatte als Parteizeitung der SED eine herausragende Position inne.
Provokationen aus Westdeutschland
Die DDR-Zeitung leugnete genau am Tag der Umsiedlungen Berichte aus der Westpresse, dass es in Mitteldeutschland „Massendeportationen“ gebe.
So verhielt es sich auch bei einer Meldung des Ministeriums des Innern (MdI) in Bezug auf die Umsiedlungen, die einige lokale Zeitungen am 5. Oktober 1961 abdruckten. Darin wurden die Zwangsaussiedlungen als Wohnungswechsel bezeichnet, die aufgrund der Provokationen und Störmanöver westdeutscher Revanchisten nötig geworden seien.
Um dieser Aussage Glaubwürdigkeit zu verschaffen, schrieb das ND im September, aber auch im Oktober 1961 häufiger von Provokationen an der innerdeutschen Grenze und in Berlin, die von westdeutscher Seite ausgegangen seien. So meldete es am 18. September 1961, dass bei der Ortschaft Elend im Bezirk Magdeburg zwei westdeutsche „Düsenjagdflugzeuge“ in den Luftraum der DDR eingedrungen seien.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass das ND der Bundesrepublik gezielte Störversuche vorwarf, ist ein Artikel vom 14. Oktober 1961. Darin wurde geäußert, dass der westdeutsche Journalist Kurt Lichtenstein „in provokatorischer Weise die Staatsgrenze der DDR im Raum Magdeburg verletzt“ habe. Dem Redakteur wurde vorgehalten, dass er zunächst die Grenzanlagen gefilmt und danach das Territorium der DDR nahe dem westdeutschen Grenzort Zicherie betreten habe, um dort beschäftigte Landarbeiter zu provozieren. Im Anschluss sei er auf der Flucht vor den Grenzpolizisten durch einen Schuss verwundet worden, wobei die Verletzung wenig später trotz sofortiger medizinischer Hilfe zum Tod geführt habe.
Umsiedlungen aus Gründen des Staatsschutzes
Der offizielle Sprachjargon in der DDR war stets darauf ausgerichtet, den Mauerbau als Schutzmaßnahme gegen den westlichen Imperialismus darzustellen. Implizit wies das Politbüro dadurch darauf hin, dass auch alle anderen Handlungen im Grenzraum mit demselben Ziel durchgeführt würden.
Ein Korrespondent des ND veröffentlichte in der Ausgabe vom 12. September 1961 einen ausführlichen Bericht über seinen Besuch bei der Grenzpolizei. Darin betonte er einerseits die erfolgreiche Sicherung des Bereiches und führte andererseits aus, wie sehr der Bundesgrenzschutz (BGS) und der Zoll, die mit den Alliierten zusammenarbeiteten, mit Provokationen und Aufrüstung die Grenzpolizei behinderten. Der Autor leitete daraus die unbedingte Notwendigkeit ab, die Grenze zu sichern – was seit dem 13. August 1961 viel besser gelinge.
Die Betonung, der Staat müsse geschützt werden, ist durchaus als Blaupause für die „Aktion Festigung“ zu verstehen. Denn die DDR-Regierung arbeitete nach dem Mauerbau im Geheimen Schritt für Schritt auf die Umsiedlungen hin, weswegen die Zeitungen ebenfalls ihren Beitrag leisten mussten, die Zwangsräumungen, ohne sie zu erwähnen, als notwendig darzustellen; ein solcher Artikel konnte dazu beitragen.
Das Verteidigungsgesetz vom 20. September 1961 nahm auch die „Aktion Festigung“ vorweg: Es ermöglichte Enteignungen von Grundstücken im Grenzgebiet und erteilte der Volkspolizei die Erlaubnis, den Zutritt zu gewissen Gebieten zum Schutz des Staates zu untersagen.
Ausdruck angeblichen Bevölkerungswillens
Die angesprochene Zustimmung zum Verteidigungsgesetz lässt sich noch weiter fassen: Das ND kolportierte in zahlreichen Artikeln, dass der Mauerbau und weitere Grenzmaßahmen in der Bevölkerung positiv aufgenommen würden. So enthielt beispielsweise die Ausgabe vom 8. September 1961 einen Brief von Bauern aus Gellershausen im Bezirk Suhl, in dem versichert wurde, dass „sich die Regierung auf uns Genossenschaftsbauern unmittelbar an der Staatsgrenze West verlassen kann“. Man wolle den „Feinden des Friedens in Bonn […] die Mistgabel unter die Nase halten“.
Am 17. September 1961 fand mit den Kommunalwahlen der erste „Stimmungstest“ nach dem Mauerbau statt. Schon vor den Wahlen machte das ND wie alle anderen Zeitungen Werbung für die Einheitsliste, die bei der Wahl zur Abstimmung stand. Dazu wurden auch Berichte veröffentlicht, in denen Personen ihre Bereitschaft bekundeten, die Kandidatinnen und Kandidaten der „Nationalen Front“ zu wählen.
Es ist bekannt, dass diese Wahlen jeglicher demokratischen und freiheitlichen Grundlage entbehrten. Dennoch suggerierte der herbeigeführte Wahlausgang, der für die SED-Propaganda ein überwältigendes Ergebnis für die Einheitsliste bedeutete, dass die Bevölkerung hinter den Maßnahmen der Regierung stehe und ihr das Mandat für weitere Handlungen im grenznahen Raum erteilt habe.
Im September und Oktober 1961 ließ die DDR-Führung in Ostberlin im Zuge des Grenzausbaus sogenannte „Wohnungswechsel“ durchführen. Die Bewohner, deren Häuser zu nahe an der Grenze lagen, erhielten neue Unterkünfte.
Die Reaktion der bundesdeutschen Presse
Der Bundesrepublik blieben die Deportationen an der Grenze nicht verborgen. Die westdeutschen Zeitungen thematisierten im Gegensatz zur mitteldeutschen Presse am 5. Oktober 1961 die Evakuierungen direkt. Die FAZ berichtete in einem Artikel von Umsiedlungen aus verschiedenen Gebieten entlang der innerdeutschen Grenze.
Es ist zwar bemerkenswert, dass die SZ und die FAZ direkt die Zwangsaussiedlungen thematisierten, allerdings waren sie nicht immer präzise informiert. Die beiden Zeitungen berichteten nämlich am 6. Oktober 1961, dass die Umsiedlungen fortgesetzt würden.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1961 flohen aus dem kleinen Ort Böseckendorf im Eichsfeld 53 Menschen in den Westen. Dabei handelte es sich um die einzige gelungene Flucht vor den Aussiedlungen. Diese Flucht-Anekdote war in der FAZ und vor allem in der SZ ein wichtiges Thema.
Mit den weiteren Plänen dürfte auch der Ausbau des Grenzregimes gemeint sein, denn FAZ und SZ berichteten im gesamten September und Oktober 1961 ständig von neuen Maßnahmen an der Trennlinie, wie der Einrichtung von Schreckschussanlagen, Minen- und Baumsperren, Stacheldrahtzäunen oder Betonsäulen.
Eben weil die „Aktion Festigung“ zeitlich in diese Phase der massiven Aufrüstung und Grenzverstärkung fiel, ist das Urteil, wonach die Zwangsaussiedlungen diesen Vorgang unterstützen sollten, sicherlich nicht falsch. Die deutsche Wiedervereinigung, die durch den Mauerbau und die Abschottung der DDR schon unwahrscheinlicher geworden war, rückte infolge der Umsiedlungen noch weiter in die Ferne. So gab die SZ eine Meldung des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“ wieder, die die Deportationen als Menschenrechtsverletzung und als „Sabotageversuch gegen die Verhandlungen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion“ bezeichnete.
Propaganda als Mittel der Verfestigung der Grenze
Die Berichterstattung des ND zielte dabei darauf ab, ohne die Umsiedlungen zu erwähnen eine Rechtfertigung derselben abzulegen. Man ging stereotyp vor und unterstellte dem Westen ständige Provokationen, womit die Grenzmaßnahmen als notwendiges Mittel zur Sicherheit des Staates erklärt wurden. Um herauszustellen, dass die Bevölkerung mit dem politischen Geschehen d‘accord ging, zog die Zeitung auch Verbindungen zu den Wohnungswechseln, indem sie rund um den 3. Oktober 1961 Zeitungsartikel veröffentlichte, in denen Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser nahe der Mauer angeblich ihren Umzug begrüßten oder sogar forderten. DDR-Bürgerinnen und Bürger wurden also bewusst im Dunklen gelassen und unterschwellig falsch informiert.
Die FAZ und die SZ konnten die Situation lediglich beschreiben. Dabei erfuhren die Aussiedlungen ebenso wie die DDR-Politik und die Verstärkung der Grenzanlagen im Zusammenhang mit den Umsiedlungen erhebliche Kritik. Das ND feierte auch später sämtliche Maßnahmen im Grenzbereich als einen wichtigen Schritt zum Frieden in Europa und sah sich dadurch bestätigt, dass sich die britische Labour-Partei dafür ausgesprochen habe, die DDR und die Oder-Neiße-Linie als Grenze anzuerkennen.
Bundesdeutsche Zeitungen berichteten vor allem von der Reaktion der Bundesregierung auf die Geschehnisse im Grenzraum. So sollten wirksamere Waffen angeschafft, mehr Zollbeamte eingesetzt und die Wehrpflicht erhöht werden.
Zitierweise: Christian Onnen, „Grenzsicherung nach dem Mauerbau: Die mediale Begleitung der „Aktion Festigung“ in Ost und West “, in: Deutschland Archiv, 12.5.2022, Link: www.bpb.de/508238.
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