Gewöhnlich trete ich auf, um die Leute zum Lachen zu bringen. Aber ich denke, zum Lachen ist uns momentan wenig zumute.
"Leider haben wir uns alle geirrt" Eine Berliner Rede von Oliver Kalkofe
/ 7 Minuten zu lesen
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine politisiert(e) auch Prominente, die bislang seltener zu politischen Statements neigten. Zum Beispiel den Komiker Oliver Kalkofe mit einer spontanen Rede vor dem Brandenburger Tor. Eine Wortlautdokumentation.
Auf einen Schlag hat sich unser aller Alltag komplett auf den Kopf gestellt, für sehr viele Menschen sogar auf existenzielle Weise: Krieg. Unterdrückung. Flucht. Gewalt. Die Angst davor, selbst angegriffen und beschossen zu werden. Das kannten die meisten von uns bisher nur aus Geschichtsbüchern, von weit entfernten Kulturen oder aus Filmen. Hitler, Saddam Hussein, Assad, Sauron, Darth Vader.
Einige von uns haben den so genannten Kalten Krieg erlebt, erinnern sich noch an dieses Gefühl der latenten Bedrohung. Aber doch nie so real, so nah, so unmittelbar vor unserer Tür. Das haben wir schließlich nicht mehr für möglich gehalten. Nicht hier bei uns, in einer aufgeklärten und zivilisierten Welt, wo die Politiker Krawatten tragen, wo wir alle klüger und menschlicher geworden sind, aus Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und ganz genau wissen, wie grausam und wie sinnlos ein Krieg ist. Never EVER wird hier noch einmal so etwas geschehen! Das haben wir gedacht.
Doch plötzlich fühlt es sich an, als ständen wir zusammen in einem furchtbar irrealen falschen Film, den niemand sehen wollte und der dennoch für uns alle zur Wirklichkeit geworden ist – und der leider auch nach dem Abspann noch lange nicht zu Ende sein wird.
Corona ist noch nicht besiegt, da hält ein unbarmherziger russischer Größenwahn-Virus namens Putin die gesamte westliche Welt in seinem verseuchten Bann.
Warum fielen wir auf Putin herein?
Nur wie konnte es überhaupt dazu kommen? Wir wussten doch, dass man dem lupenreinen Demokraten-Darsteller nicht wirklich vertrauen konnte, dass er eiskalt lächelnd lügen und verdammt gefährlich werden kann - aber auch wenn viele Experten warnten, so haben wir uns doch lieber köstlich amüsiert, über sein machtbesessenes Macho-Gepose und seine peinlich protzerischen Nacktfotos beim Ponyreiten oder Forellen-Angeln. Nur niemals hätten wir geglaubt, dass er seine manischen Großmacht-Fantasien eines Tages wirklich in die Tat umsetzen und die ganze Welt in Geiselhaft nehmen würde.
Und deshalb frage ich mich:
Wo und wann überschritt Putin eigentlich seinen eigenen mentalen Rubikon? Wer spielte alles dabei mit und nickte zustimmend, als er Stück für Stück seinen Wahn offenbarte und sukzessive begann, seinen Bürgern die Menschen- und Freiheitsrechte zu rauben – und wer schaute alles weg im Rest der Welt, wer blieb stumm und wer ließ es einfach geschehen?
Wie genau erfolgt ganz generell dieser letzte kleine Kick, der eine Person vom ‚schwierigen Charakter‘ zum gefährlichen Soziopathen werden lässt? Wann zum Beispiel verwandelte sich Hitler von einem minderbegabten rechtsradikalen Landschaftsmaler mit Problemscheitel zu einem machtgierigen Monstrum fernab jeder menschlichen Vorstellungskraft, das niemand mehr stoppen konnte? Wie viele Follower in welchen Positionen benötigt man, um vom ironisch belächelten Borderliner zur amtlichen Gefahr für die Menschheit oder gar zur historischen Bedrohung zu werden, die ein gesamtes Volk zu Mittätern des eigenen Größenwahns macht?
Denn ganz allein auf sich gestellt bleibt selbst der gefährlichste Soziopath letztendlich immer nur ein Einzeltäter. Erst die Akzeptanz und die Unterstützung der Mitläufer geben einstigen Randfiguren irgendwann die Macht, die eigenen Wahnvorstellungen als legitimiert misszuverstehen und der gesamten Welt aufzwingen zu können.
Das System Putin: Angst und Abhängigkeit
Das System Putin funktioniert – so wie jedes diktatorische Regime - einzig und allein durch Unbarmherzigkeit und Unterdrückung, durch Angst und Abhängigkeit! Seine wahre Macht besteht darin, sein Volk und seine Anhänger gewaltsam zu zwingen, seine Lügen zu glauben und seinen Wahn zu unterstützen. Widerspruch kann Freiheit oder Leben kosten. Nur kritiklose Treue wird belohnt. Denn er weiß ganz genau: gäbe es in Russland unabhängige Medien und Pressefreiheit, und wäre es den Menschen erlaubt, ihre Meinung offen zu sagen, dann wäre dieser Krieg niemals geschehen, denn dann hätte sich das russische Volk längst gegen ihn gewendet.
Doch auch wenn wir immer dachten, dass heutzutage durch Internet und Social Media eine solch massive Fake-News-Propaganda gar nicht mehr möglich wäre – leider haben wir uns alle geirrt.
Für Donald Trump blieb es ein feuchter Traum, für Putin ist es Realität. Nur genau DAS dürfen wir alle nicht länger zulassen. Und deshalb ist es auch unser aller Pflicht, auf sämtlichen nur möglichen Kanälen, von Mund zu Mund, auf jede Art und alle nur denkbaren Netzwerke die Wahrheit weiter zu verbreiten und den Menschen in Russland die Grausamkeiten zu zeigen, die gerade ungewollt in ihrem Namen ihren Brüdern und Schwestern in der Ukraine angetan werden. Und es ist unsere Pflicht, den Menschen in der Ukraine zu zeigen, dass wir sie nicht alleine lassen, dass wir an ihrer Seite stehen und uns nicht von einem verbrecherischen Despoten einschüchtern lassen!
Denn wir dürfen nie vergessen - ein Diktator kann die Wahrheit zwar verbieten – und er kann einen Menschen einsperren, der sie ausspricht. Auch hundert – oder tausend – aber er kann niemals ALLE aufhalten!
Aber wie Russlands Bevölkerung erreichen?
Die größte Chance, Putin zu stoppen, liegt in der Mobilisierung der russischen Bevölkerung, in all den Menschen, die er so unbarmherzig belogen und missbraucht hat. Die Oligarchen, die ihn für ihren Wohlstand selbstgerecht unterstützt haben, jetzt aber nicht mehr an ihr Vermögen kommen. Die Eltern, Verwandten und Freunde der Soldaten, die ohne es zu wissen in seinen Krieg geschickt wurden und zu tausenden nicht mehr zurück kehren. All die unzähligen Menschen im Land, die durch die Folgen des Krieges hungern und leiden müssen, ohne zu wissen, warum eigentlich.
Lasst uns endlich gemeinsam aufhören wegzuschauen und zu schweigen, wenn Unrecht geschieht, nur weil es für uns bequemer ist. Wir dürfen nicht mehr weiter glauben, die anderen würden das schon für uns regeln.
Das Böse ist der einzige Virus, der sich über unseren Verstand verbreitet – und Ignoranz, Verharmlosung und Mitläufertum sind seine viralen Multispreader! Aber wir dürfen uns nicht davon anstecken lassen.
Und genau deshalb haben wir uns heute versammelt. Um den Menschen zu helfen, deren Existenzen zerstört wurden, die jetzt aus der Ukraine fliehen und zu uns kommen! Lasst uns ihnen helfen, mit Geld, mit Essen und Unterkünften, aber lasst uns ihnen vor allem auch zeigen, dass wir wirklich für sie da sind und dass wir sie ehrlich und respektvoll in unserer Gemeinschaft aufnehmen wollen – und lasst uns dieses Versprechen vor allem nicht in ein paar Wochen wieder vergessen. Und lasst uns jetzt hier und heute so laut und massiv die Wahrheit in die Welt hinausrufen, dass sie auch dort gehört wird, wo das Internet eingeschränkt ist und die Nachrichten zensiert werden. Lasst uns gemeinsam den Menschen in Russland helfen, sich selbst zu helfen, um diesen Diktator, der für all ihr Leid verantwortlich ist, endlich entmachten können!
Denn wir alle haben uns nicht nur HIER zusammen zu hunderttausenden vor dem Brandenburger Tor und vor den Fernsehern versammelt, nein – in Wirklichkeit stehen wir alle gerade direkt vor Putins Tür, wo auch immer er sich verstecken mag. Direkt davor – um ihm entgegenzurufen: Putin – du bist ein Lügner – und Du wirst niemals gewinnen! Im Gegenteil: Du hast bereits verloren! Und die ganze Welt weiß das!
Die einzige Frage ist, wie viele unschuldige Menschen Du Feigling noch mit dir ins Verderben ziehen willst, bevor du zugibst, was alle außer Dir schon längst verstanden haben: nämlich dass Du gar nicht gewinnen kannst!
Du kannst die Welt und auch dein Volk nicht ewig belügen – die Wahrheit wird am Ende immer siegen. Egal wie lange es dauert. Denn die Wahrheit war immer schon da und wird auch immer noch da sein, wenn die Lügen und die Propaganda längst bloßgestellt, entlarvt und vergessen sind!
Also zieh dir ein Hemd an und reite weg so schnell du kannst - denn Dein Volk wird dir niemals verzeihen, wie sehr Du es belogen und betrogen hast und wieviel Blut an deinen Händen klebt! Putin – Beende Deinen Krieg!
Du bist ein Lügner – und Du hast verloren! Frieden für die Ukraine! Und Frieden für uns Alle!
Der Autor, Oliver Kalkofe, ist Schauspieler, Fernseh-Komiker, Kabarettist, Satiriker. Seine Rede hielt er am 21. März 2022 vor dem Brandenburger Tor bei einem Konzert zahlreicher KünstlerInnen unter dem Motto "Sound of peace", sie wurde live in drei Fernsehprogrammen übertragen. Bei der Veranstaltung wurden mehr als 12 Millionen Euro Spenden für humanitäre Hilfe in der Ukraine eingeworben.
Zitierweise: Oliver Kalkofe, "Leider haben wir uns alle geirrt", in: Deutschland Archiv, 15.4.2022, www.bpb.de/507717.
Zu allen weiteren Texten in der Rubrik Externer Link: "Zeitenwende? Stimmen zum Ukrainekrieg und seinen Folgen". Darunter sind:
Bernd Greiner, Externer Link: Was lief schief seit dem Ende des Kalten Kriegs? Deutschland Archiv vom 2.4.2022
Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow: Externer Link: "Sie haben die Zukunft zerbrochen", Deutschland Archiv 30.4.2021
Andreas Reckwitz, Externer Link: Der erschütterte Fortschritts-Optimismus, Deutschland-Archiv 11.4.2022
Uwe Hassbecker: Externer Link: "Putin meint uns", Deutschland Archiv 24.3.2022
Wolfgang Templin, Externer Link: "Wurzeln einer unabhängigen Ukraine", Deutschland Archiv vom 23.3.2022
Gerd Koenen, Externer Link: "Die russische Tragödie, die auch die unsere ist", Deutschland Archiv 26.3.2022
Cedric Rehman, "Externer Link: Vertreibung ist auch eine Waffe", Deutschland Archiv 27.3.2022
Eva Corino, "Externer Link: Mehr Willkommenklassen!", Deutschland Archiv 24.3.2022
Wolf Biermann, Externer Link: Am ersten Tag des Dritten Weltkriegs, Deutschland Archiv vom 25.2.2022
Ekkehard Maas, Externer Link: Russlands Rückfall in finsterste Zeiten, Deutschland Archiv vom 28.2.2022
Wladimir Kaminer, Externer Link: "Putin verursacht nur Scheiße", Deutschland Archiv vom 2.3.2022
Jörg Baberowski, Externer Link: Das Verhängnis des Imperiums in den Köpfen, Deutschland Archiv 3.3.2022
Tobias Debiel, Externer Link: Kalter und heißer Krieg. Wie beenden? Deutschland Archiv 4.3.2022
Joachim Jauer, Externer Link: "Ihr Völker der Welt", Deutschland Archiv 5.3.2022
Lana Lux, "Externer Link: Hat Putin Kinder?" fragt meine Tochter, Deutschland Archiv vom 10.3.2022
Micha Brumlik, Externer Link: Der Philosoph hinter Putin, Deutschland Archiv 11.3.2022
Anna Schor-Tschudnowskaja, Externer Link: Krieg der Lügner, Deutschland Archiv vom 12.3.2022
Ulrike von Hirschhausen, "Externer Link: Russische Kriegskontinuitäten", Deutschland Archiv vom 16.3.2022
Dietmar Schumann, Externer Link: "Wie ich Putin traf und das Fürchten lernte", Deutschland Archiv vom 16.3.2022
Esther Dischereit, "Externer Link: Wir bewundern sie und sie verschwinden. Eine Korrespondenz über die Situation, die durch den russischen Angriff auf die Ukraine entstand", Deutschland Archiv vom 16.3.2022
Michail Schischkin, "Externer Link: Hoffen auf die Stunde Null – und einen russischen „Nürnberger Prozess“, Deutschland Archiv vom 17.3.2022
Manfred Quiring,Externer Link: "Putins Mimikry", Deutschland Archiv 13.4.2022.
Weitere Inhalte
Oliver Kalkofe, ist Schauspieler, Fernseh-Komiker, Kabarettist, Satiriker. Seine Rede hielt er am 21. März 2022 vor dem Brandenburger Tor bei einem Konzert zahlreicher KünstlerInnen unter dem Motto "Sound of peace", sie wurde live in drei Fernsehprogrammen übertragen.
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