Angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine empfiehlt es sich, einen Blick in die Zeit des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu werfen, die Wolfgang Templin in seinem gerade erschienenen Buch „Revolutionär und Staatsgründer. Józef Piłsudski – eine Biografie“ beschreibt. Der frühere DDR-Bürgerrechtler, Polen- und Osteuropa-Experte setzt sich darin mit der Person Piłsudski, dem Begründer der Zweiten Polnischen Republik, und mit den Konflikten im Osteuropa in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auseinander. Zudem widmet er sich der politischen Vereinnahmung von Piłsudski und den verschiedenen Sichtweisen auf diese Persönlichkeit in Polen und in der Ukraine.
Für das Deutschland Archiv ordnet Wolfgang Templin den Krieg in der Ukraine vor diesem Hintergrund ein. Zwei Textpassagen aus seinem Buch geben hier wieder, welche Verflechtungen es gab zwischen Polen und denjenigen, die in der Ukraine seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine unabhängige Ukraine eintraten.
Ein Kampf um die Ukraine, der vor 100 Jahren begann
In der Geschichte gibt es Erfahrungen, die von Nutzen sein können. Dramatische historische Situationen und Wendepunkte halten Lektionen bereit, die von politischem und menschlichem Versagen zeugen, von Kapitulation und Selbstaufgabe, aber auch Beispiele für Selbstüberwindung, Mut und Standhaftigkeit zeigen.
Mit den aktuellen Bildern des barbarischen russischen Angriffskriegs auf den Nachbarn Ukraine, einer Steigerung der kriegerischen Annexion, die seit 2014 anhält, rückt ein Kampf, der vor rund hundert Jahren um die ukrainische Hauptstadt Kiew geführt wurde, rückt ein Kampf um Warschau, der mit dessen erfolgreicher Verteidigung endete, in die heutige Aufmerksamkeit. Damals standen sich die millionenstarke Armee des bolschewistischen Sowjetrusslands und die gerade erst aufgestellte Armee der 1918 entstandenen Zweiten Polnischen Republik gegenüber. Mit den Polen verbündet waren ukrainische Einheiten, die für eine freie, souveräne ukrainische Republik kämpften.
Aktuell stellt
Ohne den Rückgriff auf die tatsächliche Geschichte dieser Regionen lässt sich die Verklammerung der dramatischen Geschehnisse von 1920 und 2022 nicht verstehen, lassen sich das ganze Ausmaß imperialer Obsessionen Wladimir Putins und ihre politischen Konsequenzen nicht ermessen.
Die Kiewer Rus als Ausgangspunkt
Es begann mit der Kiewer Rus. Das von Putin als Mutter aller russischen Städte angesehene Kiew war, anders als Wladimir-Suzdal oder Nowgorod, nach dem Jahr 1000 kein russischer Herrschaftssitz. Rus war der Sammelname für eine Reihe ostslawischer Stämme, zwischen denen es starke ethnische, sprachliche und kulturelle Verbindungen gab. Zu ihnen zählten die Vorfahr*innen der späteren Russ*innen, Ukrainer*innen und Belarus*innen. Die Gleichsetzung von Rus und Russland/Russisch entspricht nicht den historischen Tatsachen.
Die Kiewer Rus erstreckte sich von der Grenze des „Wilden Feldes“ im Süden Kiews bis nach Wladimir-Suzdal im Norden, über das westukrainische Halicz, Brest und Grodno im Westen und musste sich im Osten gegen die permanente Bedrohung aus den Steppengebieten wehren. Der orthodox christianisierten Kiewer Rus standen im Nordwesten die immer stärkere Macht der damals noch heidnischen litauischen Großfürsten gegenüber. Im Westen sah sie sich mit dem römisch-lateinisch geprägten Polen konfrontiert. Infolge der Christianisierung wurde Polen zu einer der stärksten Mächte Europas.
Im 11. und 12. Jahrhundert bereitete sich das spätere polnisch-litauische Bündnis vor, das die westlichen Gebiete der Rus und damit weite Territorien der späteren Ukraine einbezog. Litauen war zu einem eigenen christlichen Großreich geworden. In der Union von Lublin wurde die Verbindung mit Polen 1569 förmlich vollzogen. Dieser Zusammenschluss stellte als Adelsrepublik mit einem Wahlkönigtum ein Novum für die europäische Staatenbildung dar und sollte für zwei Jahrhunderte die Entwicklung und Identität aller damit verbundenen Territorien prägen. In der gemeinsamen Adelsrepublik gab es föderalistische und parlamentarische Momente, ebenso Formen der Gewaltenteilung, die den östlichen, der byzantinisch-orthodoxen Tradition folgenden Gebieten völlig unbekannt blieben. Für die gesamte Union galt religiöse, sprachliche und kulturelle Vielfalt. Zur gleichen Zeit entstand im äußersten Norden der Rus das Großfürstentum Moskau, dessen Herrscher sich zum wahren Hüter der Christenheit erklärten. Iwan der Grausame (Grosny), aus dem Fürstengeschlecht der Rurikiden, ließ sich 1547 zum Zaren krönen. In byzantinischer Tradition erklärte er sich zum Gottkaiser, zum allmächtigen Zar, zur Verkörperung weltlicher und geistiger Macht in einer Person.
Wladimir Putin scheint sieht sich nach langen Jahrhunderten als dessen Nachfolger zu sehen.
Geschichtsschreibung nach Putinscher Lesart
Entscheidend dabei ist der imperiale Anspruch, die „Sammlung der russischen Erde“, ein Machtanspruch, der sich auf alle näheren und ferneren Nachbarn erstreckt. Unter der Zarin Katharina II. stieg Russland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer der entscheidenden europäischen Großmächte auf. Ihr Vorgänger Peter I. wollte Russland aus seiner Rückständigkeit herausführen und ein Fenster nach Europa öffnen. Katharina II. stellte sich der gleichen Aufgabe und gestaltete das Imperium aus. Sie entstammte einem deutschen Fürstengeschlecht und beschäftigte sich mit den Ideen der Aufklärung. Dieses Land jedoch bedurfte für sie der Orthodoxie und musste mit eiserner Hand geführt werden. Vor allem galt es, die Sammlung der heiligen russischen Erde voranzutreiben. Im Zweckbündnis mit Preußen und Habsburg war Russland die treibende Kraft bei den drei polnischen Teilungen und konnte sich dabei den Löwenanteil der Beute und die größten Teile der ukrainischen Territorien sichern.
Polen, Ukraine, Belarus und das Baltikum als Schicksalsgemeinschaft
Über das gesamte 19. Jahrhundert teilten Pol*innen, Ukrainer*innen, Litauer*innen, Belarus*innen und Balt*innen das gleiche Schicksal der Unterdrückung. Alle gegen die russische Besatzungsherrschaft gerichteten Erhebungen und Aufstände in dieser Zeit wurden blutig niedergeschlagen. Die Stärke und Gestalt der Unabhängigkeitsbewegung der einzelnen Nationen und Nationalitäten war unterschiedlich. Im geteilten Polen wirkten die Traditionen, wirkte der Mythos der Adelsrepublik zweier Nationen am stärksten, in den ukrainischen Territorien, die zwischen der Habsburger Dynastie und dem zaristischen Russland aufgeteilt waren, setzte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine immer stärkere Nationalbewegung ein.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verbanden sich polnische Unabhängigkeitskämpfer im Land und zahlreiche Emigranten, die in Paris, London und weiteren Zentren Europas ihre Zuflucht gefunden hatten, mit den Ideen moderner Demokratie und sozialer Emanzipation. Sie träumten von einem ungeteilten Polen als geachtetem Mitglied der europäischen Völkerfamilie und waren mit der Realität der scheinbar unverrückbaren Herrschaft der Besatzungsmächte konfrontiert. Erst der Niedergang, die militärische Niederlage und der Zusammenbruch aller drei Teilungsimperien – des deutschen Kaiserreichs, des Reichs der Habsburger und des Zarenreichs – infolge des Ersten Weltkriegs schufen hier eine völlig neue Situation.
Józef Piłsudski gegen die Bolschiwiki für ein freies Polen und eine freie Ukraine
Es gelang den polnischen Sozialisten unter ihrem politischen und militärischen Führer Józef Piłsudski
Die polnischen Nationalisten, die für ein starkes, ethnisch-polnisch dominiertes katholisches Polen als Bollwerk der Christenheit gegen den dekadenten Westen eintraten, verachteten den Sozialisten Piłsudski, der nicht regelmäßig in die Kirche ging, hatten aber seiner Führungskraft und seiner Popularität kaum etwas entgegenzusetzen.
Piłsudski hatte nach der Februarrevolution 1917 Hoffnungen auf republikanische und demokratische Kräfte in Russland gesetzt, zu deren Vertretern er gute Verbindungen hatte, kannte aber den Machtwillen der Bolschewiki und ihrer Führer nur zu gut. Als sich die Bolschewiki im Oktober 1917 an die Macht putschten, war ihm schnell klar, dass der zerfallene zaristische Imperialismus von einem nicht weniger gefährlichen roten Imperialismus abgelöst würde. Mochte Lenin auch vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen sprechen, in den strategischen Plänen der neuen Machthaber in Moskau war kein Platz für ein souveränes, demokratisches Polen, für eine unabhängige Ukraine, für ein freies Baltikum.
Angesichts dieses gefährlichsten Gegners, der aus den Trümmern der zaristischen Armee in atemberaubender Geschwindigkeit ein neues Millionenheer, die Rote Armee, schuf, musste er Verbündete finden und ein sehr riskantes Spiel wagen.
Die folgenden Unterkapitel aus dem fast 450 Seiten umfassenden Buch von Wolfgang Templin „Revolutionär und Staatsgründer. Józef Piłsudski – eine Biografie“ Der Marsch auf Kiew und Entscheidung an Weichsel und Njemen gehen konkret auf diese Zeit und die damaligen Konflikte in der Region ein.
Der Marsch auf Kiew
Im Laufe des Jahres 1919 bestätigte Lew Borissowitsch Kamenew, der Oberbefehlshaber aller militärischen Kräfte der Roten Armee, die Pläne für den »Roten Marsch« nach Westen. Der Beginn der Offensive wurde auf den 14. Mai 1920 gelegt. Gleichzeitig lief die Friedenspropaganda auf Hochtouren. In der Moskauer Zentrale existierte ein Offensiv- und ein Defensivszenario. Ein revolutionärer Frieden wie auch ein revolutionärer Krieg passten in den vorbereiteten Rahmen. Erfolgreiche militärische Operationen konnten das gleiche Ergebnis bringen wie eine starke Position am Verhandlungstisch. Am Ende würde ein kleines, abhängiges Polen oder eine Räterepublik stehen. Berichte der polnischen Militäraufklärung, in denen die sowjetrussischen Offensivpläne und die schnell wachsenden Truppenzahlen im Norden benannt wurden, lagen im Februar und März 1920 vor. Jetzt schien es um alles zu gehen, und Polen musste sämtliche Kräfte mobilisieren. Paradoxerweise besaß der Oberbefehlshaber aller polnischen Streitkräfte keinen Dienstgrad in der eigenen Armee. Den Titel »Brigadier« hatten ihm die Österreicher verliehen, die unter Freunden verbreitete Bezeichnung Kommandant besagte alles und nichts. Militärische Vollmachten, die ihm übertragen wurden, waren politischen Ursprungs. Piłsudski einfach zum General zu ernennen, ging auch nicht. Darum griff man vonseiten der Regierung tief in die Kiste historischer Traditionen und zauberte den Titel eines Marschalls hervor. Der frisch ernannte Marschall hatte die Wahl, dem russischen Gegner im Norden mit einer Gegenoffensive zuvorzukommen oder auf dessen eigentliches Ziel im Osten, die Ukraine, zuzugehen und diese beim Aufbau eines unabhängigen Staates zu unterstützen. Das Unternehmen, das dann als »Marsch auf Kiew« in die Geschichte eingehen sollte, führte ihn an die Seite von Symon Petljura.
Der war, ähnlich wie Piłsudski, alles andere als der geborene oder in klassischer Weise aus- gebildete Militär. In der Zentralukraine geboren und aufgewachsen, besuchte er ein geistliches Seminar. Als Mitglied einer geheimen ukrainischen Verbindung schlug er sich als politischer Schriftsteller und Literaturkritiker durch, ehe er immer mehr zum Berufsrevolutionär wurde. Er gehörte zum sozialistischen Teil der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie forderten eine freie ungeteilte Ukraine als Heimat aller auf ihren Territorien lebenden Nationen und Nationalitäten. Soziale Forderungen waren Teil des Programms. Im Parlament fanden sich heterogene politische und gesellschaftliche Kräfte sowie west- und zentralukrainische Bewegungen zusammen. Petljura war eines ihrer führenden Mitglieder und trat für eine demokratische Republik ein, die außer ernannten Ministern und ihren Proklamationen keine staatlichen Strukturen besaß. Dazu hätte es einer längeren Zeit solider ziviler Aufbauarbeit bedurft, eine Zeit, die Petljura nicht zur Verfügung stand. Er kommandierte als militärischer Oberbefehlshaber formal Truppen, die sich nicht seinem Kommando fügten. Neben wenigen regulären, disziplinierten Einheiten und ihren Kommandeuren, auf die er setzen konnte, gab es Anarchisten, bewaffnete Bauern und einfache Banditen. Zu diesem militärischen Flickenteppich kamen Kosakeneinheiten, die völlig unabhängig agierten, sowie die auf den Territorien der Ukraine operierenden feindlichen Truppen.
In den Jahren 1919 und 1920 kam es auf ukrainischem Gebiet zu etlichen Pogromen an der jüdischen Zivilbevölkerung. Daran waren auch Militäreinheiten beteiligt, die Petljura unterstanden. Obwohl sich dieser gegen alle Formen des Antisemitismus wandte, Übergriffe und Plünderungen untersagte und bei Nichtbefolgung rigorose Bestrafung ankündigte, war er nicht in der Lage, gegen die schlimmsten Untaten und Morde der eigenen Soldaten vorzugehen. Davor verschloss er die Augen, nur in einzelnen Fällen versuchte er durchzugreifen und ordnete die Erschießung der Täter und der Verantwortlichen an. Meist reichte seine Macht nur einige Dutzend Kilometer über sein Stabsquartier hinaus. Bereits im Winter hatte sich die militärische Situation Petljuras dramatisch zugespitzt. Die sowjetukrainischen Truppen hatten Kiew und weite Teile der Zentralukraine unter ihre Kontrolle gebracht. Petljura musste mit den ihm verbliebenen Truppen auf ein Territorium ausweichen, das die polnischen Truppen besetzt hielten.
Im Frühjahr 1920 trafen nun mit Piłsudski und Petljura zwei außer- gewöhnliche Charaktere, zwei Exzentriker zusammen, die sich in einen gemeinsamen Traum verrannten. Die Grundidee Piłsudskis für das gemeinsame Unternehmen war denkbar einfach. In einer schnellen Militäraktion polnischer und ukrainischer Einheiten sollte der Vorstoß auf Kiew erfolgen. Der Überraschungseffekt würde den Widerstandswillen des Gegners schwächen, während die erhoffte positive Reaktion der Bevölkerung die Position Petljuras stärken konnte. Nach kurzem Aufenthalt in Kiew und den zentralukrainischen Territorien würden sich die polnischen Truppen zurückziehen. Piłsudski wollte auf keinen Fall als Befreier der Ukraine gelten. Die Ukraine sollte nicht Puffer oder Satellitenstaat, sondern ein eigenständiger Partner werden. So ließ sich zumindest der eine Teil seiner Äußerungen und festgehaltenen Gedanken deuten. Andere Äußerungen und Handlungen liefen dagegen eher auf eine Föderation hinaus, in der Polen das eigentliche Sagen hätte. Dem Marschall war durchaus bewusst, dass er der weitaus stärkere Partner war.
In dem zivilen und teilweise geheimen militärischen Bündnisabkommen, das beide Seiten im April 1920 schlossen, waren die Fragen des künftigen genauen Grenzverlaufs weitgehend ausgeklammert. Sie sollten entschieden werden, sobald die ukrainische Unabhängigkeit gesichert war. Petljura musste akzeptieren, dass ganz Ostgalizien bis dahin in polnischer Hand blieb. Bei Piłsudski trat wieder das polnische Staatsoberhaupt vor den großherzigen Visionär. Ihm war klar, dass Petljura gar nicht anders konnte, als der Vereinbarung zuzustimmen. Es war aber nicht die Position eines polnischen Nationalisten, die ihn diese Situation ausnutzen ließ. Er wusste nur genau, wie viele Polen ihm jede Gebietsabtretung als Verrat ankreiden würden, und nahm Rücksicht darauf. Der militärische erste Teil der Unternehmung gelang zu leicht und wurde ein Schlag ins Leere. Am 26. April begann der gemeinsame Vorstoß, und bereits in der Nacht zum 8. Mai konnte Kiew eingenommen werden. Die roten ukrainischen Verbände leisteten nur geringen Widerstand, wichen aus und zogen sich hinter die Dnjepr-Linie zurück. Im Hinterland stand die Reiterarmee von Semjon Budjonny, die im Juni die rote Offensive anführen sollte.
In einem seiner ersten Aufrufe an die Bevölkerung erklärte Piłsudski, dass die Armee der Republik Polen allen Einwohnern der Ukraine ohne Unterschied des Standes, der Herkunft oder der Konfession Schutz und Unterstützung zusichere. Er verzichtete außerdem bewusst darauf, an der Siegesparade in Kiew teilzunehmen. Beim Zusammentreffen mit Petljura in der zentralukrainischen Stadt Winnyzja sandte er seine wichtigste Botschaft aus: Beide Nationen hätten die Last der Unfreiheit und des Terrors durchlebt. Ein freies Polen könne nicht frei sein, solange in seiner unmittelbaren Nachbarschaft Unfreiheit und Terror herrschten. Im Namen Polens wolle er ausrufen: »Es lebe die freie Ukraine!« Große Worte, die für lange Zeit ein Wunschtraum blieben. Für die Massen der ukrainischen Bauern, ob in Galizien oder der Zentralukraine, bedeutete die polnische Präsenz in diesen Gebieten eine Existenz als Untertanen und Gutsknechte, eine Missachtung der eigenen Sprache als Bauerndialekt und die Unterdrückung des orthodoxen Glaubens. Kein Wunder, dass das, was die Bolschewiki versprachen – Glaubensfreiheit, eine Bodenreform und Frieden sowie Anerkennung des Ukrainischen –, dagegen enorm attraktiv klang. Davon, dass die Nationalitätenpolitik Lenins nur für einen Übergang gedacht war, war da noch keine Rede. Im Übrigen hielten sich nicht alle polnischen Einheiten an das Versprechen Piłsudskis, für den Schutz und die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu sorgen. Es kam zu Plünderungen und Übergriffen, was die Unterstützung für das gemeinsame Unternehmen erst recht in Grenzen hielt.
Nach der Besetzung Kiews wurde der Marschall in Warschau als Sieger gefeiert. Er habe die polnischen Adler erneut in das Land der alten Adelsrepublik fliegen lassen. Piłsudski wusste mittlerweile, was er von solchen Huldigungen zu halten hatte. Heute würde man ihn mit Blumen und Ovationen empfangen, bei der nächsten Niederlage dann aber wieder mit Steinen bewerfen oder ihm vor die Füße spucken. Dennoch konnte und wollte er sich der triumphalen Rückkehr in die polnische Hauptstadt nicht entziehen. Die nächsten Prüfungen standen bevor, und er war auf breite Unterstützung angewiesen. Als er in Warschau eintraf, wurde er mit Ehrungen und Ovationen überhäuft. Triumphbögen, die an römische Vorbilder und das Goldene Tor in Kiew erinnerten, waren errichtet worden. »Warschau ist besoffen vor Begeisterung«, notierte Charles de Gaulle in seinem Kriegstagebuch. In den Kirchen wurden Messen zelebriert, ein akademischer Chor sang das »Te deum laudamus«, und Parlamentspräsident Wojciech Trąpczyński verglich den Marschall mit dem Piastenherrscher Bolesław dem Kühnen. Der hatte einst im 11. Jahrhundert Kiew tatsächlich eingenommen, allerdings nicht für die Ukrainer, sondern für die Polen.
Kurz vor Piłsudskis Ankunft aus Kiew war Dmowski nach vielen Jahren in Paris nach Warschau zurückgekehrt. Sollte er einen ähnlich triumphalen Empfang erwartet haben, wie ihn sein Konkurrent schon einige Male erlebt hatte, so wurde er enttäuscht. Nur wenige seiner engsten Anhänger waren gekommen. Nach der Anspannung während der Friedenskonferenz hatte ihn eine Lungenentzündung niedergeworfen. Mehrere Kuraufenthalte folgten. Zwar war er in Abwesenheit in die verfassunggebende Versammlung gewählt worden, hatte dort aber aus der Ferne kaum aktiv sein können. Andere rechte Politiker hatten sich vor Ort deshalb längst nach vorn geschoben. Dafür sah er sich nun von einer Menge zweifelhafter Freunde umgeben. Piłsudski konnte für vieles, was ihm selbst fehlte, auf die Angehörigen seiner alten Gruppe und auf loyale Anhänger zählen. Derlei konnte Dmowski kaum von sich behaupten.
Nach einigem Zögern suchte Dmowski das direkte Gespräch mit dem Hausherrn des Belvedere. Es wurde ihre erste Begegnung seit jener in Tokio im Juni 1904, und auch diesmal gab es keine direkten Zeugnisse ihrer Unterredung. Bekannt wurde lediglich, sie hätten sich über die Frage der Ukraine fundamental zerstritten. Dmowski dürfte dabei die Unterstützung des nationalen Lagers seit Kriegsbeginn angeführt haben, nur um im Gegenzug zu hören, welche Hetze dem Marschall vonseiten der Rechten entgegenschlug. Enttäuscht zog er sich auf sein Landgut Drozdow zurück und grübelte über das weitere Vorgehen nach. Die Nachrichten, die in den folgenden Tagen und Wochen aus der Ukraine eintrafen, erstickten schnell jegliche Triumphstimmung. Piłsudski hatte einige seiner engsten Vertrauten zur Unterstützung für den Staatsaufbau der ukrainischen Volksrepublik nach Kiew geholt, darunter Kazimierz Sosnkowski und Walery Sławek. Ihre Berichte waren mehr als ernüchternd. Der Zustrom von Freiwilligen für die ukrainischen Streitkräfte blieb aus, die Rekrutierung lief nur schleppend an. Das Land war von den Kriegsjahren und Folgekonflikten erschöpft, das Misstrauen gegenüber den als Okkupanten betrachteten polnischen Militärs und Zivilisten hielt an. Misstrauen und Ablehnung wurden zu- dem von ukrainischen Nationalisten und linken Kräften befeuert, die sich auf die sowjetukrainische Seite schlugen. Der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung würde sich noch über viele Monate hinziehen, mit ungewissem Erfolg. Angesichts dieser Nachrichten traf Piłsudski eine klare Entscheidung: Die Polen konnten dort nicht ewig bleiben und die polnische Hilfe nicht ewig andauern. Er war bereit, die Ukraine über den Sommer hinweg mit allem, was er vermochte, zu unterstützen. Dann musste sie selbst auf die Beine kommen. Am Ende musste er sich freilich noch früher als geplant, nämlich schon Anfang Juni 1920, mit den polnischen Streitkräften zurückziehen. Sein Rückzug hinterließ ein Vakuum, in das die roten Kräfte mit Erfolg hineinstießen. Der polnische Vorstoß auf Kiew hatte dem Propaganda-Apparat der Bolschewiki eine einzigartige Chance geboten. Die Großoffensive in Richtung Warschau, der Todesstoß für ein unabhängiges Polen, konnte nun als Reaktion auf den polnischen Überfall auf das friedliebende Sowjetrussland, ja als Akt der Selbstverteidigung ausgegeben werden. Diese Moskauer Version der folgenden Kriegsereignisse wurde über den Apparat der Komintern auch international verbreitet. Bereits Mitte Juni 1920 rückten die Einheiten der sowjetischen Südfront erneut vor. Sie besetzten Kiew, bedrängten die abziehenden polnischen Formationen und die Truppen Petljuras. General Budjonny, der Oberbefehlshaber der Südfront, dem Josef Stalin als Politischer Kommissar an die Seite gestellt war, wollte die Lorbeeren des Sieges nicht mit Tuchatschewski teilen. Er wollte Lemberg, Krakau und Südpolen befreien.
Der Text wurde dem Buch „Revolutionär und Staatsgründer. Józef Piłsudski – eine Biografie" von Wolfgang Templin entnommen, erschienen im März 2022 im Ch. Links Verlag Berlin.
Entscheidung an Weichsel und Njemen
Nach der Rückkehr Piłsudskis im Mai nach Warschau schlugen angesichts des schnellen Vormarsches der Roten Armee Euphorie und Begeisterung schnell in Enttäuschung und Panik um. Die plötzlich drohende Niederlage brauchte einen Schuldigen. In ihren Angriffen auf den »Abenteurer« Piłsudski wurde die rechte Presse immer lauter.
Am 1. Juli 1920 wurde ein Nationaler Verteidigungsrat ins Leben gerufen. Er setzte sich aus neun Vertretern der wichtigsten im Parlament vertretenen Parteien sowie drei Militärs zusammen und sollte über grundsätzliche Fragen des militärischen und politischen Vorgehens entscheiden. Für den zivilen Bereich blieb die Regierung zuständig. Im Verteidigungsrat sah sich Piłsudski jetzt mit seinen ärgsten Gegnern konfrontiert, darunter Roman Dmowski, der dort die Nationaldemokraten vertrat. Dmowski nutzte bei der ersten Zusammenkunft des Rates die Gelegenheit, um sich für die im letzten Gespräch erfahrene Zurückweisung und Kränkung zu rächen. Es kam zu endlosen Streitereien und Schuldzuweisungen, zu absurden Vorschlägen. Das Schicksal Polens sollte in die Hände der Alliierten gelegt werden, man wollte den Völkerbund einschalten oder zu einer Verhandlungslösung mit der sowjetrussischen Seite kommen. Realistisch war das alles nicht.
Aus einer Situation der Schwäche heraus mit der sowjetischen Seite zu verhandeln, hätte das Ende Polens als souveräner Staat bedeutet. Für einen Waffenstillstand und ihren Rückzug forderte die Gegenseite nicht weniger als eine Begrenzung der polnischen Armee auf eine Stärke von 50 000 Mann, die Übergabe der überschüssigen Waffen und die Liquidierung der Kriegsindustrie. Piłsudski setzte sein wirksamstes Mittel ein, um handlungsfähig zu bleiben: Er drohte mit dem Rücktritt. Wenn man einen Sündenbock brauche, stünde er als Vertreter der Kriegspartei zur Verfügung. Nach seinem Rücktritt könne man ja zu Verhandlungen schreiten, die er in diesem Moment jedoch für unehrenhaft halte. Natürlich dachte er nicht ernsthaft an Rücktritt und schloss Verhandlungen mit den Bolschewiki nicht prinzipiell aus. Sein Auftritt erzielte die erhoffte Wirkung: Man bat ihn zu bleiben, und er appellierte daraufhin in dramatischen Aufrufen an die Entschlossenheit der Bevölkerung und der Armee. Die an der Front kämpfenden Soldaten sähen sich keiner normalen Armee gegen- über, sondern brutalen Horden von Angreifern, die keinen Unterschied zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten machten, Verwundete töteten, weder Frauen noch Kinder verschonten und eine grauenhafte Spur der Verwüstung hinterließen. Die Appelle wirkten. In den Rekrutierungsbüros kam es tatsächlich zu einem Andrang von Freiwilligen.
Daneben gab es Meldungen für den Sanitätsdienst, Spenden für die Armee, und in den Betrieben formierten sich Arbeiterbataillone. In der zweiten Julihälfte wurde eine Reservearmee gebildet, falls es zum direkten Sturm auf Warschau kommen sollte. In ihren Reihen waren zahlreiche Studenten und Schüler zu finden. Jetzt zahlte sich auch der schnelle Aufbau der polnischen Geheimdienste aus. Der Funkaufklärung war es möglich, chiffrierte Depeschen und Befehle, die von Moskau aus an die Frontstäbe gingen, schneller zu dechiffrieren als die Empfänger in den Stäben selbst. Kenntnisse über die Entwicklung der sowjetischen Angriffspläne waren das eine. Wichtiger noch war, dass sich der Gegner durch die immer deutlichere Rivalität zwischen Tuchatschewski und Budjonny/Stalin selbst schwächte. Stalin gönnte dem »Roten Napoleon« Tuchatschewski nicht den alleinigen Sieg. Er wollte Lemberg erobern und dann nach Westgalizien und Südpolen vorstoßen. Hätten beide Armeegruppen koordiniert an der Weichselfront operiert, wäre die Lage der Polen aussichtslos gewesen. So stieß Tuchatschewski im Juli schnell weiter nach Westen vor und wusste seine rechte Flanke durch das deutsche Ostpreußen gedeckt.
Seine linke Flanke, an der er die Einheiten der Süd-Armee erwartete und brauchte, war offen. Der riskante und zugleich genial einfache Operationsplan Piłsudskis, an dem er im August gegen alle Widerstände festhielt, nutzte diese Erkenntnisse – und wurde zur Grundlage des polnischen Sieges. Inzwischen war die Truppenstärke auf 700.000 Mann angewachsen, aber es fehlte an allem. Und selbst wenn Waffen und andere dringend benötigte Güter beschafft werden konnten, hieß das doch lange nicht, dass sie problemlos und schnell verfügbar waren. So konnte beispielsweise in England entsprechende »Ware« nicht verladen werden, weil die Hafenarbeiter unter dem Einfluss ihrer sozialistischen Gewerkschaft streikten. Das Polen der Junker und Militaristen sollte keine Unterstützung in seinem Kampf gegen die friedliebende Arbeiter- und Bauernmacht in der Sowjetunion erhalten. Die deutschen Hafenarbeiter Danzigs verweigerten wiederum die Entladung endlich eintreffen- der englischer Waffen. Hier setzte der Kommandeur des englischen Kriegsschiffes kurzerhand die eigenen Soldaten zum Entladen ein.
Sorgen bereitete Piłsudski auch ein Teil der eigenen Kommandeure. Sosnkowski war unersetzlich und hatte im Generalstab sowie in einzelnen Abteilungen des Kriegsministeriums hervorragende Leute platziert. Świtalski arbeitete im unmittelbaren Umfeld des Marschalls und hielt ihm den Rücken frei. In den Armeestäben und bei den Feldkommandeuren sah es jedoch anders aus. Unter den kommandierenden Generälen konnte er immerhin auf Edward Rydz-Śmigły und Stanisław Szeptycki setzen, den er nicht umsonst zu seinem Stellvertreter ernannt hatte. Ihm selbst machten Herzprobleme zu schaffen, und er wollte für den Fall der Fälle eine Katastrophe in der engsten Führung verhindern. General Tadeusz Rozwadowski schätzte er trotz gelegentlicher Eigenmächtigkeiten. Anders war es mit Władysław Sikorski und Józef Haller. Sikorski vertrat die Gruppe der »Österreicher« im Offizierskorps, die mit den Legionären konkurrierten und sich in die Politik einmischten. Haller lauerte nur auf eine Gelegenheit, um dem Marschall in den Rücken zu fallen. Auf einer dramatischen Sitzung des Verteidigungsrates am 19. Juli 1920 nutzte Dmowski die Gelegenheit, dass einige der politischen Anhänger Piłsudskis an der Front waren, und stellte die Machtfrage. Er warf Piłsudski militärische Unfähigkeit vor und forderte seine Absetzung. Kompetente Militärs sollten an dessen Stelle treten. Piłsudski wehrte sich. Niemand könne im Verlauf von zwei Jahren eine perfekte Armee aufbauen. Der Einsatzwille und die moralische Haltung der Sol- daten und der Bevölkerung seien entscheidend und könnten die Mängel der technischen Ausstattung ausgleichen. Er habe einen Plan, sei aber nicht bereit, ihn preiszugeben. Entweder gebe man ihm das Ver- trauen, oder man solle eine andere Person wählen. Er hoffe nur, dass die dann besser behandelt werde als er selbst. Mit diesen Worten verließ Piłsudski den Sitzungssaal. Die beiden anderen militärischen Vertreter des Verteidigungsrates folgten ihm. Die Diskussion der verbliebenen Mitglieder des Rates dauerte bis tief in die Nacht, dann wurde über die Vertrauensfrage abgestimmt. Bis auf einen leeren Zettel gab es nur Zustimmung für den Marschall. Wie Roman Dmowski abstimmte und wann er die Sitzung verließ, wurde nicht bekannt. Nach dieser Niederlage mied er die weiteren Sitzungen des Verteidigungsrates.
Am 24. Juli ernannte Piłsudski eine Regierung der Nationalen Einheit mit dem Bauernführer Wincenty Witos als Premierminister und Ignacy Daszyński als dessen Stellvertreter. Einen Tag später traf eine militärisch-diplomatische Mission des Hohen Rates der Alliierten ein. Mit dem französischen General Maxime Weygand an der Spitze sollte sie offiziell der polnischen Unterstützung dienen. Der wahre Zweck der Mission war ein anderer. In Pariser Kreisen hatte Dmowski nach Kräften die Vorurteile geschürt, die es ohnehin gegen den Sozialisten und militärischen Abenteurer Piłsudski gab. Dmowskis wichtigster Mann in Paris, Władysław Grabski, hatte den Franzosen angesichts der jüngsten Entwicklungen ganz offen erklärt, Piłsudski sei verrückt geworden. Es gab folglich einen Plan, General Weygand mit der eigentlichen Führung der polnischen Armee zu betrauen, mindestens aber Piłsudski durch einen geeigneteren Kandidaten zu ersetzen.
Weygand stellte nach seiner Ankunft fest, dass er im polnischen Generalstab bestenfalls als Berater akzeptiert war – und auch das nur widerwillig. Die Autorität Piłsudskis war ungebrochen, und der Marschall hatte Weygand schon bei der Begrüßung ironisch gefragt, wie viele Divisionen er denn mitbringe. In den Augusttagen entwickelte sich zwischen beiden eine Beziehung eigener Art. Die wechselseitige Achtung voreinander wuchs.
Piłsudskis Plan, den er mit Weygand diskutierte, sah vor, Tuchatschewski nicht direkt zu stellen, sondern ihn zu täuschen, zu umgehen und ihm dann in den Rücken zu fallen. So lange wie möglich wollte der Marschall den Eindruck erwecken, alles auf die Verteidigung der Hauptstadt zu konzentrieren und im Norden präsent zu sein. In einer schnellen Umgruppierung sollten jedoch südlich von Warschau entscheidende Kräfte in den Rücken Tuchatschewskis vorstoßen. Die Entscheidung würde nicht an der Weichsel, sondern am Narew fallen. Weygand stützte sich auf seine Erfahrungen in der Marne-Schlacht und lehnte den Plan als viel zu riskant ab. Auch Generalstabschef Rozwadowski zögerte zunächst. Was, wenn die Verteidigungslinien vor Warschau nicht lange genug standhielten, wenn die berüchtigten Reiterschwadronen in die Hauptstadt eindrangen und dort ein Blutbad anrichteten? Und was, wenn es den roten Truppen im Norden gelang, die Verteidiger noch weiter zurückzuwerfen, sodass sie Warschau von der ungeschützten westlichen Seite angreifen konnten? Piłsudski war sich des hohen Risikos voll bewusst, stützte sich aber auf die Kriegserfahrungen Napoleons. Dessen Geheimnis eines Sieges mit zahlenmäßig unterlegenen Kräften war die schnelle Umgruppierung und Konzentration von Truppen an einem strategisch entscheidenden Ort. Dort zu einer bestimmten Zeit die Übermacht zu haben, destabilisierte die Gesamtkräfte des Gegners und konnte zum Erfolg führen.
Weygands anfängliche Ablehnung und Skepsis verwandelten sich allmählich in zögernde Zustimmung. Hier stand jemand vor ihm, der an das scheinbar Unmögliche glaubte und es auch durchsetzen wollte. In den folgenden Tagen ergänzte er den Operationsplan mit seinen militärischen Erfahrungen. Vor allem blieb er in den kritischen Tagen in Warschau, um dann Piłsudski an die Front zu begleiten, während sich die übrigen Mitglieder der französischen Militärmission auf Anweisung aus Paris nach Łódż absetzten.
Kurz vor den entscheidenden Tagen machte Piłsudski auf dem Weg an die Front einen Umweg, um sich von Aleksandra und den beiden Töchtern zu verabschieden. Die kleine Jadwiga, im Februar 1920 geboren, war erst wenige Monate alt. Sein Vertrauter Wladysław Baranowski war einer der Ersten, der ihn mit der Jüngsten sah. Auf die Frage des Freundes, ob er sich nicht lieber einen Sohn gewünscht hätte, antwortete der nicht mehr ganz junge Vater, dass es besser so sei. Hätte er einen Sohn bekommen, würde den sein ganzes Leben lang die Last begleiten, an der Größe des Vaters gemessen zu werden. Wie schwer diese Last sein könne, zeigten historische Beispiele. Wieder einmal war schwer zu sagen, ob Piłsudski hier seine wahren Gefühle versteckte oder mit der Geschichte spielte. Im Moment des Wiedersehens merkte Aleksandra ihm die physische und psychische Anspannung überdeutlich an. Es konnte ein Abschied für immer sein.
Am 13. August wurde um die östlich von Warschau gelegene Kleinstadt Radzimin gekämpft, die aus einer Hand in die andere ging. Es gab Gerüchte, dass der direkte Sturm auf Warschau in der kommenden Nacht losbrechen würde und dass sich Piłsudski nach Süden abgesetzt habe, um sich mit den dort stehenden Truppen nach Tschenstochau zurückzuziehen. Eine Quelle dieser Gerüchte, die ihre Wirkung nicht verfehlten, waren Angehörige des polnischen und des französischen Militärstabes, welche die Lage als verloren ansahen. In Warschau brach Panik aus. Während die Verteidiger der Stadt alles taten, um die Stellungen zu befestigen, packten andere bereits die Koffer. Ein Großteil des diplomatischen Korps setzte sich nach Posen ab. Weygand blieb und mit ihm der päpstliche Nuntius Achille Ratti, der spätere Papst Pius XI. In Posen bereitete Roman Dmowski den nächsten Putsch vor. Er hielt sich schon seit dem 4. August in der Hochburg der nationalistischen Rechten auf, hatte dort zahlreiche politische Treffen und sprach auf mehreren großen Veranstaltungen. In Warschau hatte er keine Aufgabe mehr, der Sejm tagte nicht. Er kam mehrere Tage vor seinem 56. Geburtstag in der Stadt an, war aber nicht in Feierlaune. Noch nicht. Posen war voll von Flüchtlingen und Botschaftspersonal. Sollte es zur Besetzung Warschaus durch die Bolschewiki kommen, wäre hier die Hauptstadt, das Herz Polens. Vielleicht konnte es zur Hauptstadt einer westpolnischen Republik werden?
Beunruhigt von den Ereignissen oder vielmehr davon, dass er von der neuen Machtzentrale ausgeschlossen sein könnte, traf am 13. August auch Premierminister Wincenty Witos in Posen ein. Er vermied alle direkten Angriffe auf Piłsudski, sprach aber immer wieder von den schweren Fehlern und den Verantwortlichen dafür, traf mit Klerikern wie dem erzreaktionären Priester Stanisław Adamski zusammen und fand auch noch Zeit für einen kurzen Besuch in Gnesen, um dort am Grab des heiligen Adalbert zu beten. Der Bauernführer hielt sich alle Türen offen. Kurze Zeit später verschaffte sich eine Abordnung aus Posen in Warschau Zutritt zum Verteidigungsrat. Als der Delegationsleiter Adamski dort Piłsudski vor sich sah, hob er die Hand zu einer theatralischen Geste und sagte: »Der Verrat, welcher unser Land heimsucht, hat einen Namen, und ich sehe diesen Namen vor mir.« Dabei zeigte er auf den Marschall, der sich schweigend umwandte. Das bittere Wort von der stolzen Nation, die so viele Strolche und Lumpen hervorbrachte, kam ihm nicht nur einmal über die Lippen. Ein im ostpolnischen Siedlce gedrucktes und verteiltes Flugblatt verkündete voreilig, dass Warschau am 15. August 1920 eingenommen worden sei. Den polnischen Arbeitern wurde zugesichert, dass die Stadt nach Vertreibung der weißen Banditen in ihre Hände überginge wie auch die noch zu befreienden Städte Krakau und Posen. Das gesamte zivile Leben solle seinen geordneten Lauf nehmen und werde von den neuen revolutionären Organen gesichert. Jeder Angriff auf die Kräfte der Befreier werde mit den härtesten Strafen belegt. Einwohner besetz- ter Städte, in denen diese Flugblätter bereits geklebt wurden, brachen in Tränen aus. Künftige Historiker sollten hier einen schönen Beleg für den Wahrheitswert schriftlicher Dokumente erhalten.
Schon im Juli 1920 hatte man auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale die Weichen für das künftige Polen gestellt. Eine polnische Revolutionsregierung war vorbereitet und wartete in Białystok auf ihren Einsatz. Im Tagungssaal der Internationale hing eine Karte, vor der sich jeden Tag die Delegierten drängten, um die neuesten Fortschritte der roten Truppen zu bejubeln oder selbst die Fähnchen umzustecken. Mitte August wurde in Moskau eine Botschaft verkündet, deren Schlusssätze lauteten: »Warschau ist gefallen, und mit ihm ist das bisherige Polen zur Geschichte geworden. Heute ist es nur noch eine Legende, und was existiert, ist die rote Wirklichkeit. Es leben die Sowjets. Es lebe die unbesiegbare Rote Armee.« Auf der Sitzung des Politbüros am 19. August hielt man die Angelegenheit Polen bereits für erledigt.
Der Siegesgewissheit Lenins und seiner Genossen schloss sich in den Juli- und Augusttagen auch die deutsche Seite an. Einheiten der Reichs- wehr standen bereit, um in Großpolen und ins Ermland einzurücken sowie den Korridor zu besetzen. Tuchatschewski hatte durch Ostpreußen nicht nur seine rechte Flanke gesichert. Von dort aus wurde ihm auch Hilfe durch Freiwillige und Ausrüstung zuteil. In Schlesien brach der nächste Aufstand los, diesmal auf deutscher Seite. Er wurde von Freikorpstruppen unterstützt. Rechte Abenteurer und Nationalbolschewisten träumten von einem weiteren Vordringen der Roten Armee und einem gemeinsamen Marsch auf Paris. Die wichtigsten Vorstöße und Gefechte, die den Sieg der polnischen Truppen, den Rückzug und die panische Flucht der Armeen Tuchatschewskis bewirkten, fielen in die Zeit zwischen dem 17. und dem 22. August 1920. Piłsudski, der immer wieder von Weygand begleitet wurde, besuchte in den Tagen vor und während der Schlacht verschiedene Einheiten. Er machte klar, was auf dem Spiel stand, rüttelte die Soldaten auf und übernahm an einzelnen Abschnitten selbst das Kommando. Die durch Rückzug und Niederlage deprimierten Kämpfer schöpften mit einem Mal neuen Mut: Sie nahmen ungewöhnliche Strapazen auf sich, fassten den Gegner in der ungedeckten Flanke, drangen in seinen Rücken vor.
Im September standen die polnischen Truppen an Bug und Njemen. Tuchatschewski und seine Kommandeure konnten nicht fassen, dass ihnen der schon sicher geglaubte Sieg aus den Händen geglitten war. In der ersten Augusthälfte war ein Teil des polnischen Operationsplanes bei einem gefallenen Ordonnanzoffizier gefunden worden und zu Tuchatschewski gelangt. Der hatte ihn aber schlicht für zu abenteuerlich gehalten, um ihn ernst zu nehmen. Der Plan musste eine Finte sein. Noch am 20. August nahm der rote Oberbefehlshaber die spätere Losung von Stalingrad vorweg: »Keinen Schritt zurück.« Doch da waren die Würfel bereits gefallen. Tuchatschewski sollte in seinen Erinnerungen festhalten, dass es Stalin und der »Analphabet Budjonny« waren, die in Galizien ihren Privatkrieg geführt hätten. Stalin konnte sich solche Schuldzuweisungen sehr gut merken. Im Jahre 1937 war Tuchatschewski der ranghöchste hingerichtete Militärführer.
Mit der Abwehr des sowjetrussischen Vordringens auf Warschau hatte der Krieg noch nicht seinen Abschluss erreicht. Die nach Norden und Osten zurückgewichenen roten Divisionen stellten weiter eine Bedrohung dar. Einheiten Tuchatschewskis hatten sich auf ostpreußisches Territorium begeben und konnten sich dort in aller Ruhe umgruppieren und neu ausstatten. Für die folgenden entscheidenden Kämpfe trat der Njemen an die Stelle von Narew und Weichsel. Im Verlauf des Septembers wurde ganz Ostgalizien von den polnischen Truppen erobert, auf den Territorien Wolhyniens und Belarus näherte sich die Kampflinie der Front von 1916. Damit lag sie weit östlich der von den Alliierten noch im Sommer geforderten Curzon-Linie an San und Bug als Ostgrenze Polens.
Der Text wurde dem Buch „Revolutionär und Staatsgründer. Józef Piłsudski – eine Biografie" von Wolfgang Templin entnommen, erschienen im März 2022 im Ch. Links Verlag Berlin.
Der Weg in die Unterdrückung der Ukrainer*innen
Die junge polnische Nation siegte zwar militärisch, doch am Ende ihrer Kräfte schloss sie im Oktober 1920 einen Waffenstillstand und stimmte in den folgenden Friedensverhandlungen einem von den
Der wirkliche Gewinner des Friedensvertrages war die Moskauer Seite. Viele Ukrainer*innen wollten an die Abkehr der Bolschewiki von ihrem ursprünglichen Terrorkonzept glauben, sahen ihre eigenen sozialen Hoffnungen und Visionen mit einer freien sozialistischen und wirklich föderativen Sowjetunion verbunden, in der es Platz für eine eigene ukrainische Identität geben sollte. Emigrant*innen kehrten zurück, wurden hofiert und mit Aufstiegschancen bedacht. In der Konfrontation mit Polen hielt die sowjetische Seite an ihrem Ziel der Herrschaft über die gesamte Ukraine fest. Die auf polnischem Staat lebenden Ukrainer*innen wurden als Opfer nationaler Unterdrückung und sozialer Ausbeutung angesprochen und zu bewaffnetem Widerstand gegen den polnischen Staat und seine Vertreter angestachelt.
Die polnische Nationalitätenpolitik, welche zunehmend weniger von Piłsudski und seinen Anhängern, die immer stärker von den rechten Nationaldemokraten bestimmt wurde, trug entscheidend dazu bei, dass sich die ukrainische Seite radikalisierte. Entgegen eines staatsbürgerlichen Nationenverständnisses setzten Roman Dmowski
Als sich in der Sowjetunion in den Diadochenkämpfen nach Lenins Tod endgültig Stalin durchgesetzt hatte, stürzte ab 1928 millionenfache Gewalt und Terror auf alle Regionen und sozialen Schichten der Ukrainer*innen ein. Ein zentraler Fünfjahresplan mit gigantischen Entwicklungszielen gab der Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerde-Böden in den südöstlichen Regionen und den Steinkohle- und Eisenerzvorkommen im Donbass einen besonderen Stellenwert. Das Dniprokraftwerk mit seinem gewaltigen Staudamm, Stahlkombinate in Saporischja, die Zentren der Rüstungsindustrie in Charkiv und Dnipropetrowsk ließen die Ostukraine zum entscheidenden Zentrum der sowjetischen Schwerindustrie werden.
Gerade in der Ukraine regte sich aber auch der größte Widerstand. Während ein Teil der ukrainischen Kommunisten bereit war, sich bedingungslos unterzuordnen und die erfolgreiche Kollektivierung binnen eines Jahres versprach, hielt ein anderer Teil an einem besonderen nationalen Weg fest. Ukrainische Intellektuelle und Künstler wollten sich nicht auf die Rolle als Sprachrohr sozialistisch-sowjetischer Phraseologie reduzieren lassen, keine Ingenieure der Seele werden. Die ukrainischen Klein- und Mittelbauern verweigerten sich der Kollektivierung. Damit sprachen zahlreiche Ukrainer ihr Todesurteil aus und wurden zur Flucht gezwungen. Sie wurden hunderttausendfach deportiert oder liquidiert.
Dem Mord durch Hunger, dem Holodomor, fielen als unfassbare Steigerungsstufe des Terrors in den Jahren 1932-1934 bis zu fünf Millionen Ukrainer, aber auch Russen und Angehörige anderer Nationen zum Opfer.
Die Holodomor-Gedenkstätte bei Kiew erinnert an bis zu 3,5 Millionen ukrainischen Opfer der großen Hungersnot (ukrainisch „Holodomor“) in der kommunistischen Sowjetunion von 1932/33. Mit dem Gedenken an die Opfer, die in sowjetischer Zeit tabu gewesen sind, distanziert sich das Land von der stalinistischen Gewaltherrschaft. Die Ukraine bemüht sich um die internationale Anerkennung als Völkermord. (© picture-alliance/dpa)
Die Holodomor-Gedenkstätte bei Kiew erinnert an bis zu 3,5 Millionen ukrainischen Opfer der großen Hungersnot (ukrainisch „Holodomor“) in der kommunistischen Sowjetunion von 1932/33. Mit dem Gedenken an die Opfer, die in sowjetischer Zeit tabu gewesen sind, distanziert sich das Land von der stalinistischen Gewaltherrschaft. Die Ukraine bemüht sich um die internationale Anerkennung als Völkermord. (© picture-alliance/dpa)
Der Holodomor sollte zum zentralen Trauma der jüngeren ukrainischen Geschichte werden. Für Stalin und seine Helfershelfer in der Moskauer Zentrale sollte die unbotmäßige ukrainische Nation ein für alle Mal gebrochen werden und das, was von ihr blieb, in den Schmelztiegel der Sowjetnation eingehen. Auch an diesem Auslöschungswerk waren ukrainische Kommunisten beteiligt. Mit dem Überfall auf Polen 1939, eine der Folgen des Verbrechenspaktes mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich, gerieten alle ukrainischen Territorien unter sowjetische Kontrolle und wurden ab 1941 als „Bloodlands“ zu den Schauplätzen von Massenvernichtung und Zentren des Holocaust.
Ukrainerinnen und Ukrainer kämpften in der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland
Die Rote Armee, in der neben Russ*innen Millionen von Ukrainer*innen und Angehörige aller anderen in der Sowjetunion zwangsvereinigten Nationen und Nationalitäten kämpften, wurde zur entscheidenden militärischen Kraft beim Sieg über Hitlerdeutschland und zahlte dabei den höchsten Blutzoll. Der Massenmörder und Usurpator Stalin war der entscheidende Verbündete der Westalliierten und konnte seine Rolle als Militärführer und Befreier zahlreicher von Hitlerdeutschland besetzter Staaten nutzen, um dort Vasallenstaaten zu installieren. In der formal selbstständigen Sowjetukraine, die nach 1945 durch die 1939 besetzten Territorien der Westukraine erweitert wurde, erlosch der Widerstand, der Kampf um eine freie Ukraine nie. Er wurde in den ersten Jahren nach Kriegsende als bewaffneter Partisanenkampf geführt, in den späteren Jahrzehnten als politischer Widerstand und als Ringen um den Erhalt der ukrainischen Sprache, Kultur und Identität. Im sowjetisch besetzten Polen, welches mit Unterstützung polnischer Kommunisten zur Polnischen Volksrepublik erklärt wurde, erlosch der nationale Widerstand ebenfalls nicht. Polnische und ukrainische Oppositionelle fanden sich mit der Losung „Für eure und unsere Freiheit“ zusammen. Vor allem polnische Oppositionelle und Angehörige des polnischen Exils im Westen, die der Tradition polnischer Sozialisten folgten, standen dabei vor einer schwierigen Aufgabe. Sollten sie die durch Stalin und den Krieg geschaffenen territorialen Realitäten anerkennen und den Verlust der „polnischen Ostgebiete“ akzeptieren?
Sie entschieden sich dafür und gerieten damit in heftigen Gegensatz zu anderen Teilen des Exils und des polnischen Widerstands, die sich mit dem Verlust von Lemberg und Wilna nie abfinden wollten. Die Vorboten der europäischen Befreiungsrevolutionen von 1989 sahen Delegationen polnischer Oppositioneller und Ukrainefreunde um Adam Michnik
Ab 1991 – eine unabhängige Ukraine
Der Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 – von Wladimir Putin als Jahrhundertkatastrophe bezeichnet – ließ die Ukraine zum souveränen Staat werden, der sich in den folgenden Jahrzehnten – anders als sein russischer Nachbar – in Richtung einer Demokratie und eines Rechtsstaat bewegte . Wenn in dieser Zeit Reformen ins Stocken gerieten, oder wie mit Wiktor Janukowitsch prorussische Kräfte in der Ukraine nach der Macht griffen, waren es patriotische, europäisch orientierte Ukrainer*innen, die erneut aufstanden und einen eigenen Weg für die Ukraine einforderten. Das galt für die Studierendenbewegung der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, für die Revolution in
Putin erhebt Anspruch auf die Ukraine und beginnt den Krieg
Die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangene Russländische Föderation (GUS) wählte einen anderen Weg. Konnte unter dem Präsidenten Boris Jelzin
Ein polnischer Fußballfan zeigt seine Unterstützung für die Ukraine während eines internationalen Freundschaftsspiels zwischen Schottland und Polen im Hampdan Park Stadium in Glasgow, 24.3.2022 (© picture-alliance/AP)
Ein polnischer Fußballfan zeigt seine Unterstützung für die Ukraine während eines internationalen Freundschaftsspiels zwischen Schottland und Polen im Hampdan Park Stadium in Glasgow, 24.3.2022 (© picture-alliance/AP)
An ihre Spitze setzte sich im Jahre 2000 der ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin, der mit seinen Geheimdienstlern und Militärs, den Silowiki, Russland zu dem werden ließ, als das es heute seinen Nachbarn entgegentritt: eine hochgerüstete Militärmacht, vor der man sich vorsehen, die man fürchten muss, die mit der Forderung nach Einflusszonen halb Europa für sich beansprucht. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs bereit zu allen Formen verdeckter, hybrider, aber auch offener Kriegführung. Einem solchen offenen Krieg ist der ukrainische Nachbar seit der Besetzung der Krim im März 2014 und der nachfolgenden Einsetzung der Besatzungsregime in Territorien von Donezk und Luhansk ausgesetzt. Dieser Krieg, der durch den Willen Putins und seiner Umgebung trotz aller politischen und diplomatischen Bemühungen um einen Kompromissfrieden anhielt, erfährt seit dem 24. Februar 2022 seine entsetzliche Steigerungsstufe.
Mit den massiven Verbrechen eines auf die gesamte Ukraine gerichteten unmenschlichen Angriffskrieges hat sich Russland selbst aus dem Kreis zivilisierter Staaten ausgeschlossen. Wann und in welcher Weise es in die Staaten- und Völkergemeinschaft zurückkehrt, müssen die Russ*innen selbst entscheiden. Eine unermessliche Last an Mitschuld und Mitverantwortung liegt schon jetzt auf ihnen.
Auf Putin und seine verbrecherische Machtclique wird letztendlich , so die Hoffnung in Westeuropa, ein Platz auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag warten. Ob es ihnen zuvor gelingt, die Ukraine in einem Krieg, der nicht zu gewinnen ist, in ein Ruinenfeld zu verwandeln, muss die internationale Staatengemeinschaft mitentscheiden.
Zitierweise: Wolfgang Templin, „Wurzeln einer unabhängigen Ukraine Ein Blick zurück: Kiew und Warschau 1920“, in: Deutschland Archiv, 24.3.2022, Link: www.bpb.de/506609.
Externer Link: Zeitenwende? 40 weitere Stimmen zum Ukrainekrieg im Deutschland Archiv.