Am Gängelbad von SED und Politbüro
Die SED-Spitze verlangte in allen gängigen Medien generell eine ihr genehme Berichterstattung und verbot damit auch objektive Informationen über die im August 1989 einsetzende Massenflucht von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern. Die nicht zu verheimlichenden Demonstrationen am und im Umfeld des 40. Jahrestags der DDR am 7. Oktober 1989 erzwangen eine nur in leichten Ansätzen erkennbare Veränderung in der Berichterstattung. Demgegenüber berichtete der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Bundesrepublik täglich über die Flüchtlinge und die mit DDR-Bürgerinnen und Bürgern besetzten Botschaften in Prag und Warschau. Vor diesem Hintergrund unüberschaubarer innen- und außenpolitischer sowie wirtschaftlicher Probleme erzwangen während der Politbürositzung am 18. Oktober 1989
DDR-Radio und -Fernsehen berichten über Demonstrationen im Land
Nach dem 18. Oktober entschuldigten sich eine Vielzahl von JournalistInnen, RedakteurInnen und ModeratorInnen zu Beginn ihrer Sendungen für ihre bisherige einseitige Berichterstattung. Den diesbezüglichen Höhepunkt bildete am 3. November eine entsprechende Erklärung der SED-Kreisleitung des Fernsehens in der Hauptnachrichtensendung. Mit den Direktübertragungen der Demonstration für Informations- und Meinungsfreiheit am 4. November – an ihr nahmen je nach Schätzung eine halbe bis zu einer Millionen Menschen teil – begann die Phase der „mediengenerierten Revolution“. Im ersten Schritt erklärte noch während der Demonstration die Regierung ihren Rücktritt. In der Folgezeit bestimmten eine Vielzahl von Sondersendungen und Direktübertragungen zu aktuellen Problemen der DDR die Programmabläufe. Sogenannte Fernsehuntersuchungen über bisherige Tabuthemen erweiterten den Blick auch in die DDR-Geschichte. MitarbeiterInnen in der Publizistik bezeichneten diese Zeit oft als die der „herrlichen Anarchie“. Während eines Live-Interviews mit dem bekanntesten Moderator von Elf99, Jan Carpentier, trat der Vorsitzende des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), das Politbüromitglied Harry Tisch, zurück. Dieser Schritt exemplifizierte, dass auch die bisherigen Führungsgremien in Hörfunk und Fernsehen als Verfechter einer überholten Medienpolitik zurücktreten mussten. Als neue Generalintendanten setzte die Regierung Modrow am 1. Dezember für das Fernsehen Hans Bentzien und für den Hörfunk Manfred Klein ein. Schließlich trat am 3. Dezember das restliche Politbüro zurück und beendete damit auch formal die bisherige SED-Medienkontrolle. In der Folgezeit trugen für die Hörfunk- und Fernsehprogramme von der Belegschaft gewählte Intendanten und alle von ihr gewählten Leiter auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen die Verantwortung für die neuen und alten Programme. Die Mehrheit der abgewählten FunktionsträgerInnen beendete ihre Arbeit in den DDR-Medien für immer. Die Wahlen der Personalräte im März 1990 schlossen die ersten personellen Veränderungen im Hörfunk und Fernsehen ab.
Um die Jahreswende forderten HörerInnen und ZuschauerInnen immer vehementer eine bessere Überschaubarkeit der Programme. Dies galt verstärkt für Eltern und Großeltern von Kleinkindern, weil der Nachwuchs sich weigerte, ohne den Sandmann ins Bett zu gehen. Auch in der Folgezeit dominierten im Zuschauerinteresse die publizistischen Sendungen. Sie erreichten weiterhin deutlich höhere Quoten und bessere Bewertungen als die der westlichen Konkurrenz. Diese Zahlen, die bisher auch innerhalb der Sender strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden seit Mitte November in der Tageszeitung Junge Welt veröffentlicht.
Zuvor verbotene Filme im DDR-Fernsehen und Kooperation mit 3sat
Die inhaltlichen Veränderungen in den Programmen zogen sich durch alle Hörfunk- und Fernsehabteilungen. Bis Ende April 1990 entstanden allein im Fernsehen 40 neue, überwiegend publizistische Formate. Die künstlerische Abteilung nahm noch Ende 1989 erste, ehemals verbotene oder verschwiegene sowjetische Spielfilme ins Programm. Im Zuge der Abgrenzung von der Sowjetunion waren 1988 Aufführungen dieser Filme zusammen mit dem Verkauf der Zeitschrift Sputnik in der DDR verboten worden. Diese Entscheidung hatte Ende der 1980er-Jahre für einen erheblichen Zulauf zu den sich formierenden Oppositionsgruppen gesorgt. In der Folgezeit kamen auch die nach dem 11. Plenum des ZK 1965 verbotenen DEFA-Spielfilme und in anderen Kontexten verbotenen Fernsehproduktionen wie der Monolog für einen Taxifahrer von Günter Kunert oder Geschlossene Gesellschaft von Frank Beyer und Ulrich Poche oder Ursula von Helga Schütz auf den Bildschirm. Im Unterschied zu den zeitnahen publizistischen Sendungen fanden die künstlerischen Produktionen wie auch die veränderten Unterhaltungssendungen weniger Anklang beim Publikum. Einerseits schienen sie aus der Zeit gefallen, weil die ehemaligen Verbotsgründe angesichts der gegenwärtigen Offenheit kaum noch nachvollziehbar schienen. Anderseits wollte das Publikum möglicherweise die verbliebene Freizeit nutzen, um vom (politisierten) Alltag mit all seinen Unsicherheiten abzuschalten. Am 13. Februar unterzeichneten die Intendanten von DFF, ORF, SRG und ZDF ein Papier über die zukünftige Zusammenarbeit bei 3Sat. Am gleichen Tag begann der Medienvertreter und frühere Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR, Günter Gaus, seine Interviewreihe Zur Person - Porträts in Frage und Antwort. Er interviewte in den folgenden Monaten VertreterInnen einer Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen, beginnend mit Friedrich Schorlemmer, um deren unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen dem Publikum näher zu bringen. Die Sendung wurde nach 1991 bis 2004 von Gaus überwiegend mit Persönlichkeiten beider deutscher Staaten weitergeführt.
Nach der Volkskammerwahl am 18. März 1990 endete die basisdemokratische Phase in Hörfunk und Fernsehen. Die neu entstandenen Strukturen und Sendeschemata wurden in den folgenden Wochen durch weitere neue Programmformate wie dem Reisemagazin Azur, moderiert von Maybrit Illner, ergänzt. Die Berichterstattung folgte nun weitgehend den neuen politischen Kräfteverhältnissen und unterschied sich von der westlichen vor allem durch oft kenntnisreichere und ausgewogenere Beiträge über die DDR. Infolgedessen blieben die Einschaltquoten insbesondere der publizistischen Sendungen weiterhin sehr hoch. Die bereits früher existenten Ratgebersendungen befriedigten in der Zeit des Umbruchs das große Orientierungsbedürfnis der Bevölkerung. Ihre Beschränktheit lag in dem sich permanent ändernden Status quo. Schließlich bedeuteten viele dieser schon vor dem Oktober 1989 vergleichsweise beliebten Sendungen in der Zeit permanenter Veränderungen ein Stück Vertrautheit.
Runder Medientisch und Medienkontrollrat
Am 20. Dezember 1989 tagte erstmals der „Runde Medientisch“, an dem Vertreter der Regierung, aller gesellschaftlich relevanten Gruppen, Kirchen, Berufsverbände, ExpertInnen und WissenschaftlerInnen teilnahmen. Das Ziel war die Erarbeitung eines Mediengesetzes unter der Federführung des Ministeriums für Justiz. Als Übergangslösung einigte man sich auf die von den Berufsverbänden erarbeiteten zehn Thesen. Sie dienten laut Beschluss der Volkskammer am 9. Januar 1990 als Rahmen für die mediale Umgestaltung. Das Papier verbot erstmals in der DDR-Geschichte ausdrücklich eine Zensur. Hörfunk und Fernsehen wurden als „Volkseigentum“ und als „unabhängige öffentliche Einrichtungen, die nicht der Regierung unterstehen“ definiert. Das Dokument erkannte mit der Staatsferne die Rolle der Medien als vierte Gewalt an, definierte sie aber nicht näher aus. Ein Medienkontrollrat, der in der institutionellen Zusammensetzung der des Zentralen Runden Tisches entsprach, allerdings auch die Kirchen sowie die jüdischen Gemeinden mit einbezog, bekam die Aufgabe, die externe Kontrolle der administrativen Medienpolitik zu übernehmen. Am 23. März schloss Hans Bentzien mit der Firma Information et Publicité Paris einen Werbevertrag für eine vorläufige Laufzeit bis zum 31. Dezember 1991 ab, um die finanzielle Sicherstellung des Programms zu gewährleisten.
Schon vor dem überwältigenden Sieg jener Parteien, die sich für eine schnelle Vereinigung mit der Bundesrepublik ausgesprochen hatten, begannen vor allem im Osten des zu vereinigenden Deutschlands auf den verschiedenen Ebenen die Diskussionen über eine zukünftige Medienordnung. Unter der Leitung von Manfred Klein legte die zentrale Programmkommission des Hörfunks am 30. Januar 1990 einen Entwurf für ein Reformprogramm vor. Die vier Vollprogramme Radio DDR-Radio aktuell, Berliner Rundfunk, DT64 und DS Kultur, der aus der Fusion von Radio DDR II und dem Deutschlandsender entstanden war, sollten ebenso wie der Auslandsender Radio Berlin International erhalten bleiben. Die Frequenzen von Radio DDR II stand damit neuen Programmen zur Verfügung Die bestehenden Bezirkssender sollten zu Regionalprogrammen der sich im Aufbau befindlichen Länder firmieren und über einen längeren Zeitraum zu Vollprogrammen ausgebaut werden. Die zukünftigen Regionalprogramme konnten auf die Studiokapazitäten der Bezirkssender zurückgreifen. Die geplante Regionalisierung war daher aus technischer und personeller Perspektive relativ unproblematisch.
Die Regionalisierung beginnt
Im Verlauf der Diskussionen um die zukünftigen Strukturen warb Hans Bentzien vehement dafür, den DFF in eine eigenständige öffentlich-rechtliche Anstalt zu überführen, die in einem vereinten Deutschland der „spezifischen DDR-Identität“ Ausdruck verleihen sollte. Gleichzeitig genehmigte er den Aufbau von Regionalstudios, die mit eigenen Programmen den sich herausbildenden neuen Bundesländern Ausdruck verleihen sollten. Dieses Vorhaben war im Bereich des Fernsehens schwieriger zu verwirklichen als im Hörfunk. Das in den 1950er-Jahren in der DDR geplante zweite Fernsehzentrum wurde nie realisiert. Fast alle Sendungen wurden deshalb in Berlin produziert. Standleitungen von Berlin existierten nur zu den kleinen Studios in Rostock und Halle. Das Studio in Dresden besaß keine technische Anbindung. Die Aufzeichnungen der dort produzierten Sendungen wurden bis dahin per Auto oder Motorrad nach Berlin transportiert und dort ausgestrahlt. In Brandenburg und Thüringen gab es keine Fernsehstudios. Da auch die Sendeanlagen nicht mit den zukünftigen Ländergrenzen übereinstimmten, setzte die Regionalisierung erhebliche Investitionen in die Infrastruktur und die Sendetechnik voraus. Darüber hinaus galt es, in Adlershof Fachkräfte zu gewinnen, die bereit waren, kurzfristig umzuziehen oder permanent zu reisen, um vor Ort die neuen Aufgaben zu übernehmen. In den folgenden Monaten wurden die Standorte zum Teil mit Unterstützung der Landesrundfunkanstalten und Landesfunkhäuser der ARD für ihre zukünftigen Aufgaben ausgebaut. In Thüringen wurde das ehemalige Kulturhaus der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in Gera gekauft. Für das erste provisorische Studio stellte der Hessische Rundfunk seine gerade ausrangierte Technik zur Verfügung. Gleiches passierte in Dresden mit Hilfe des Bayerischen Rundfunks. Im April übernahm Radio Charivari die Werbeakquisition für den Bezirkssender Karl-Marx-Stadt. Den Umbau in Rostock finanzierte die Berliner Zentrale. Die Sendungen für Berlin/Brandenburg wurden mangels fehlender Alternativen zunächst weiter in Berlin produziert. Als Einstieg in die späteren Regionalprogramme startete am 25. März im Fernsehen die Sendereihe „Länder live“ aus Berlin. Das Magazin lief übergangsweise sonntags im 2. Programm. Gesendet wurden neben regionalen Nachrichten und Beiträgen zu verschiedenen weiteren Themen auch Veranstaltungshinweise.
Das Rundfunküberleitungsgesetz entsteht
Von bundesdeutscher Seite machte der Bundesverband Kabel und Satellit einen ersten Vorstoß zur Zukunft der audiovisuellen Medien in einem vereinten Deutschland. Er forderte unter anderem, die ungenutzten Frequenzen in der DDR den privaten Hörfunk- und Fernsehanbietern zur Verfügung zu stellen. Die ARD- und ZDF-Intendanten forderten Wochen später, dass die ARD um fünf neue Landesrundfunkanstalten erweitert werden und das ZDF sein Hoheitsgebiet auf diese Länder ausdehnen sollte. Die Berliner Kultursenatorin Anke Martiny (SPD) schlug den Erhalt des DFF auf der Basis eines Staatsvertrages vor sowie eine Kooperation mit dem Sender Freies Berlin (SFB). Hans Hege, Direktor der Landesmedienanstalt Berlin, schloss sich der Meinung von Martiny mit dem Hinweis auf die produktions- und programmtechnischen Stärken des DFF an. Ansprechpartner auf Seiten der DDR war das von der Regierung unter Führung von Lothar de Maizière (CDU) neu gegründete Medienministerium, das seinerseits keine eigenständigen Vorstellungen über die Zukunft von Hörfunk und Fernsehen entwickelte.
Stattdessen orientierte sich der verantwortliche Staatssekretär Manfred Becker (SPD) an den Empfehlungen westdeutscher Berater und konzentrierte sich auf die Ausarbeitung eines Rundfunküberleitungsgesetzes.
Im Vordergrund der Umstrukturierung von Hörfunk und Fernsehen stand in den folgenden Monaten deren Föderalisierung. Antenne Brandenburg wartete einen offiziellen Sendeauftrag gar nicht erst ab, sondern sendete ohne direkten Auftrag als erstes regionales Hörfunkprogramm auf den Frequenzen und aus dem Gebäude des ehemaligen Bezirkssenders Potsdam. Um zusätzliche Frequenzen für die anstehende Regionalisierung zu gewinnen, wurden am 16. Juni 1990 zwei landesweite Sender, Deutschlandsender und R DDR II zum neuen DS-Kultur zusammengelegt. Am 1. Juli 1990, dem Tag der Währungsunion, schlug die Geburtsstunde des neuen Hörfunks für die neugegründeten Landesdirektionen in Schwerin für Mecklenburg-Vorpommern, in Leipzig für Sachsen, in Halle für Sachsen-Anhalt und in Weimar für Thüringen. Die neuen Einrichtungen, die erstmals ein 20-stündiges Hörfunkprogramm ausstrahlten, besaßen die volle Programmhoheit, unterstanden aber disziplinarisch und juristisch noch der Berliner Zentrale in der Nalepastraße. Der Erfolg in Bezug auf die Regionalisierung bedeutete für den Hörfunk in Berlin die Ankündigung von ersten Massenentlassungen am 22.Juni 1990.
Der Aufbau der Landessender
Am 13. Juni wurde Hans Bentzien von seiner Funktion als Generalintendant entbunden. Zu seinem Nachfolger wurde einen Tag später der Kameramann