Wolf Biermann über Putin: Am ersten Tag des Dritten Weltkrieges
Wolf Biermann
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Am 24. Februar 2022 begann Putins Krieg. Der Liedermacher Wolf Biermann (87) schrieb in der Angriffsnacht einen Kommentar für das Deutschlandarchiv, der seine Aktualität seitdem nicht eingebüßt hat.
Ich war eine atmende Leiche im Sarg. Ich lag da mit Kopfhörern, hörte die Nachrichten die mir der Deutschlandfunk lieferte. Nein falsch: ich lag da wie in einem Vielvölkergrab. Krieg! Es ist Krieg. Und ich bin daran so schuldig wie einst mein Nachbar, der Wandsbeker Dichter Matthias Claudius: gar nicht.
In all den letzten Tagen hatten dermaßen verschiedenen Politiker des Westens, also Macron, Biden, Scholz, Annalena Baerbock auf ihn eingeredet. Alle haben wie Psychotherapeuten versucht, dem Präsidenten Russlands seine Kriegspläne auszureden. Appelle, Vernunftsgründe, Tranquilizer, Belohnungen und Drohungen in mancher Tonart. Putin hat heute Nacht den Dritten Weltkrieg eröffnet, in der Nacht auf Donnerstag, den 24. Februar 2022.
Was tun? Was lassen? Was sagen? Ein paar Gedichte zu all dem habe ich parat, aber keinen Rat zur Rettung vor Putin und seiner Mafia.
In meiner Ratlosigkeit fällt mir ein böses Bonmot des Karl Kraus ein. Dieser penetrante Witzbold formulierte 1933, am Anfang der Nazizeit, in seinem satirischen Magazin Fackel: „Mir fällt zu Hitler nichts ein“ -
Mir fällt zu Putin erstmal dies ein: Er wird von seinen Verabscheuern „Bloody Wladimir“ genannt. Diesen Titel hat er sich in Tschetschenien erworben, auch in Georgien und Externer Link: Syrien. Er hat gelegentlich in seinem Nebenberuf als Hobby-Historiker den Zerfall des Sowjetischen Imperiums als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Der Zusammenbruch dieser stalinistischen Diktatur ist also aus seiner Sicht „schlimmer“ als der Erste Weltkrieg, sei größer als die ebenfalls geopolitische Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, in dessen Schutz und Schatten der Holocaust überhaupt möglich geworden war. Das ist absurd und zynisch und wundert mich nicht.
Aber nun, in diesem klar ausgesprochenen und mit allen modernsten Waffen ausgebrochenen Krieg, erschüttert mich ein irrer neuer Gedanke: Putin könnte mit seiner absurden Behauptung nun doch auf dialektische Weise Recht behalten. Seine Geschichtslüge könnte sich als eine monströse Wahrheit entpuppen. Vielleicht stimmt es also doch, dass das fast krieglose Ende der Sowjetunion schlimmer gewesen sei als alle Kriegskatastrophen des vorigen Jahrhunderts. Der Hilfshistoriker hat womöglich mehr recht mit seiner These als uns recht ist!
Dies sind meine Überlegungen: Ohne Glasnost und Perestroika mit dem Reformer Gorbatschow, das versteht sich, kein Apparatschik Jelzin an der Macht. Ohne den keine Selbstauflösung der Sowjetunion. Ohne Jelzin nicht dessen politischer Total-Erbe Putin als neuer Zar. Der selbstherrliche Staatspräsident ernannte am 31. Dezember 1999, also am letzten Tag des Jahrtausends, als letzte Amtshandlung und eigenmächtig wie ein Zar, den Geheimdienstoffizier Wladimir Putin aus Leningrad zu seinem Nachfolger im Kreml. Der sympathische Säufer Boris Jelzin war dabei stocknüchtern, denn er ließ sich Putins Ermächtigung bezahlen. Und das war sein Preis: Mit der allerersten Amtshandlung erließ Wladimir Putin ein unbegrenztes Dekret: die totale Straffreiheit für alle wirtschaftlichen und politischen Verbrechen Jelzins - inklusive dessen korrupter Familienbande.
Und nun komme ich endlich zu meiner logischen Schlussfolgerung: Wenn Putin jetzt die westliche Welt mit ihren verschiedenen Demokratien in einen Dritten Weltkrieg treibt, dann kann diese zweckpessimistische Voraussage meiner Bilanzballade im 80. Jahr wahr werden:
Zitat
Der Mensch wird sich selbst vertreiben / Von Mutter Erde: Im Letzten Krieg / Hilft keine Vernunft mehr, kein Beten / - ein toter Stern wird der Erdball sein / Planetchen, nackt unter Planeten
Und auf diese Weise würde Putin dann doch recht behalten: Eine selbstausgerottete Menschheit wäre noch schlimmer als diese und jene Weltuntergänge im vorigen Jahrhundert. So nannte die Putinsche Endlösung Karl Kraus vor hundert Jahren sein Theaterstück: „Die letzten Tage der Menschheit“.
Der vielleicht deutscheste Dichter Heinrich Heine schrieb in seinem Gedicht „Enfant Perdu“ „Nur Narren fürchten nichts ...“ also Ängste hatte ich immer wieder genug und kann manches Liedchen davon singen: ich bin nun mal einer, der den Weltkrieg knapp überlebt hat. In den Hamburger Bombennächten 1943 hatte ich, was Wunder, gar keine Angst vorm Krieg, denn wir waren ja schon mitten drin. Der riesige Feuerofen brannte. Die RAF (Royal Air Force) des Generals Arthur "Bomber-Harris" hatte sich einen sinnigen Code-Namen ausgedacht: „Gomorrha“.
Wie konnte ein Kind im Inferno einer brennenden Stadt die Tragödie erfassen. Gar nicht. Ich war sechs Jahre alt. Aber diese Hölle hat sich scharf eingebrannt in mein Gedächtnis. Ich sah alles. Und mich wundert heute noch, dass ich mich immerhin schon darüber wunderte, dass kein Mit-Kind im Feuersturm weinte. Wenn der Schrecken zu groß ist und keine Hilfe in Aussicht, dann lohnt es sich nicht mehr, um Hilfe zu schreien.
Ich krallte mich stumm an die Hand meiner Mutter Emma. Wir hatten Glück. Sie zog mich durch die schwarzen Gewässer des Nordkanals in Hammerbrook aus dem Feuer. Anders gesagt: der Poet Biermann ist ein gebranntes Glückskind.
Über dreißig Tausend Menschen verbrannten und erstickten in diesen zwei Nächten unter dem Englischen Bombenhimmel. Jetzt aber erlebe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine lähmende Angst vor dem Krieg. Treffender gesagt: Ich habe nicht die Ängste, sondern die Angst hat mich.
Mir muss keiner verklaren, dass Krieg noch schlimmer ist als ein Friede unter dem Knüppel. Dennoch passt zu mir nicht der alte Spruch: Gebranntes Kind scheut das Feuer. Für mich galt immer umgekehrt: Gebranntes Kind sucht das Feuer! Und darum singe ich in meiner Ballade „Die Elbe bei Hamburg“:
Zitat
Seit jenem Tag hat mir der Glücksgott meinen Stern bewahrt / Doch blieb ich immer, in der Liebe wie im Haß, verflucht / Durch allen Wandel bin und bleib ich auch mit weißem Bart / Gebranntes Kind, das neugierselig nach dem Feuer sucht.
Also wagte ich mich in das Feuer des Kampfes gegen die Parteibonzen der SED-Diktatur. Ich war immer dafür, dass man sich wehren muss, mit Worten, mit Wahrheiten, mit Geld, aber auch mit Waffen. Ich jedenfalls habe die Heil-Hitler-Deutschen nur überlebt, weil Soldaten aus Russland, England und den USA kämpften und starben, damit ich Kommunistenbalg und Judenkind in der Nazizeit am Leben bleiben konnte. Und genau darum konnte ich auch niemals ein strammer Pazifist sein.
Jetzt haben wir doch alle Angst vorm nächsten Krieg. Putin droht jetzt allen Unterstützern der Ukraine unverhohlen mit seinen Atomwaffen. Ach! und es gibt ja nicht nur dümmliche Klugscheißer, sondern auch sehr sehr kluge. Und ihre Klugheit macht ihre Dummheit noch dümmer. Jetzt im Medienwald wabern und wuchern die klügelnden Ratschläge im Nachhinein: „Hätte der Westen doch ... , hätte die NATO nicht nach 1989 ...die Merkel hätte im Grunde den Putin lieber ...“
Das immerhin weiß ich: Dieser Machtmensch aus Leningrad ist kein Paranoiker, der hat keine Angst vorm Westen, sondern ausschließlich vor seinem eigenen Volk. Er hat sich das Volk wörtlich zu eigen gemacht: auch ´ne Art Volkseigentum. Durch nationalistische Propaganda und rationalen Terror.
Dieser allmächtige Feigling hat panische Angst vor dem Erfolg der Demokratien in all den ehemaligen Ländern des Ostblocks. Und da liegt sein Schweinehund begraben! Angst hat er vor dem lebenden Drachentöter Alexei Nawalny und vor dem Beispiel solcher inspirierenden Märtyrerinnen und Märtyrern wie Anna Politkowskaja und Boris Nemzow. Diesen tiefsitzenden Angsthass können wir ihm mit keinen Zugeständnissen wegtherapieren.
Es gibt, vermute ich, ein Schlüsselerlebnis in Putins Leben. Das passierte 1989 in Dresden, als er dort, mit nur einer Pistole bewaffnet, sich allein einer Meute endlich mal mutig gewordener Wut-Sachsen gegenüber sah, die seine KGB-Villa stürmen wollten. Er hat ihnen gedroht zu schießen, und die gelernten Untertanen trollten sich. Nie will Putin wieder Leute vor sich haben, die ihn fortjagen oder lynchen könnten.
Ein klugdummer Meinungsmogul belehrte uns vor paar Tagen, dass der Westen zu naiv sei im Machtspiel gegen Putin. Dieser Expertise muss ich zustimmen. Ich spiele gern mal Schach. Es ist ja ein lehrreiches Gleichnis für Machtpolitik: man opfert einen Bauern, um einen Läufer zu schlagen, einen Springer, um eine Dame zu erwischen. Und man verkalkuliert sich dabei, weil der Gegner ja auch bis Drei zählen kann.
In der aktuellen Lage aber scheint mir das uralte Gleichnis vom Schachspiel fast irreführend. Wenn ich die weltpolitischen Strategien der Demokratien gegenüber den Diktaturen in aller Welt beobachte, denke ich oft: Diktatoren wie Putin und Xi Jinping spielen Schach, aber der Westen würfelt und spielt Mensch-ärgere-Dich-nicht. Zugleich aber ist die Freiheit in den Demokratien das überlegene Lebenselixier. Freiheit tut auch weh, denn sie funktioniert mühsamer als der Terror in totalitären Diktaturen. Ich denke dabei an die effektive Bekämpfung der Corona-Pandemie und an die bunten Bilder der Olympischen Spiele in China.
Ach, ich kann all das bündiger in Gedichten sagen und besser in Lieder singen.
Vor paar Monaten widmete ich ein Lied der tapferen Marija Koleshnikowa, die nun wohl die 11 Jahre Knast in Minsk absitzen muss, wenn sie nicht vorher ermordet wurde von Putins Kanaille Alexandr Lukashenka.
Kleines Lied von den bleibenden Werten
1.
Die großen Lügner, und was
Na, was wird bleiben von denen?
- nu was schon, was was was was was:
daß wir ihnen geglaubt haben!
Die großen Heuchler, und was
Na, was wird bleiben von denen?
- daß wir sie endlich durchschaut haben!
2.
Die großen Führer, und was
Na, was wird bleiben von denen?
- nu was schon, was was was was was:
daß sie endlich gestürzt wurden!
Und ihre Ewigen Großen Zeiten
Na, was wird bleiben von denen?
- daß sie erheblich gekürzt wurden!
3.
Sie stopfen der Wahrheit das Maul mit Brot
- mit Peitsche und mit Zuckerbrot
- mit Gnaden-Brot und Fladenbrot
Und was wird bleiben vom Brot ?
- daß es gegessen wurde!
Und dies zersungene Lied,
Und was wird bleiben vom Lied?
- ewig bleiben wird von meinem Lied
daß es vergessen wurde.
Mich fragte vor paar Tagen ein Journalist: Warum gibt es mehr Verständnis für Russland in der ehemaliger DDR als im Westen und bei Ihnen? Ich wußte keine Antwort ... und rettete mich in das schnoddrige Couplet meines Sonetts „Angela Merkel ins Poesiealbum“
Zitat
Der Wiedervereinigungsrausch ist passé - gelernten Sklaven tut Freiheit halt weh.
Ich will mich, trotz aller kompliziertesten Kompliziertheit, auch immer wieder entscheiden, so wie es in der Bibel steht: „Eure Rede sei: Ja! Ja! Nein! Nein! ...“ Ich blutjunger Greis sage also „Nein!“ zu dieser Putin-Diktatur. Und „Ja“: deren Zusammenbruch will ich noch selber und bei wachem Verstand erleben.
Wolf Biermann für das Deutschland Archiv der bpb am 24./25. Februar 2022.
Zitierweise: Wolf Biermann, "Wolf Biermann über Putin: Am ersten Tag des Dritten Weltkrieges", in: Deutschland Archiv, 25.2.2022, www.bpb.de/505558.
Der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann (85) siedelte 1953 von Hamburg in die DDR über und veröffentlichte 1960 erste Lieder und Gedichte. Vom überzeugten Kommunisten wandelte er sich zu einem scharfen Kritiker der Sozialistischen Einheitspartei SED und der DDR, weswegen 1965 ein Auftritts- und Publikationsverbot gegen ihn verhängt wurde. 1976 wurde ihm nach einem Konzert in Köln die Wiedereinreise in die DDR verweigert, und er wurde ausgebürgert. Diese Entscheidung des SED-Politbüros löste in der DDR breite Proteste aus und führte zur Ausreise bzw. Ausbürgerung zahlreicher weiterer KünstlerInnen. Mehr unter diesem Externer Link: Link.
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