„Insgesamt sind wir der Meinung, daß unseren Medien geholfen werden muß, sich in einem fairen Wettbewerb wirtschaftlich besser zu behaupten. Es kann nicht angehen, daß jetzt übergroße Wirtschaftsmacht aus dem Westen die Pressefreiheit einengt und damit Ähnliches tut, was früher die übergroße Staatsmacht getan hat.“ Tagebucheintrag, DDR-Medienminister Gottfried Müller, 27. April 1990
Verpasste Chancen Die Transformation der DDR-Presse 1989/90
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Welche Chancen gab es nach dem Mauerfall für den Aufbau unabhängiger Zeitungen in der untergehenden DDR? Und wie schnell teilten sich Grossisten und Verlage aus dem Westen die "Ostzeitungen" und deren Markt nach der Wiedervereinigung auf? Eine Rekonstruktion.
Mit dem 30-jährigen Jubiläum der deutschen Einheit im Oktober 2020 rückte das Jahr 1989/90 – also die Zeit vom Herbst 1989 bis zum Herbst 1990 – noch einmal nachdrücklich ins Zentrum öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses. Wie waren Reformbestrebungen in der DDR intendiert und von wem getragen, und auf welche Weise wirken diese bis heute nach? Solche Fragen erhalten angesichts aktueller gesellschaftlicher Debatten (Stichwort „Lügenpresse“) eine neue Brisanz. Beschäftigt man sich mit ihren Wurzeln, kommt man um eine präzise Analyse der Transformationsprozesse 1989/90 und der Zeit danach nicht herum.
Waren die politischen Proteste des Herbstes 1989 in der DDR getragen vom Ruf nach Medien- und Pressefreiheit, eröffnete sich mit dem Jahr 1990 bundesdeutschen Verlagen ein neuer Markt, den sie früh durch aggressive Strategien zu erschließen versuchten. Bereits ab November 1989 betrieben sie gezielt Lobbyarbeit, verkauften schon bald ihre Produkte, schlossen unterschiedlichste Verträge und schufen so Fakten, nicht selten auch ohne rechtliche Grundlagen: Bis Juli 1990 sicherten sich die finanzstärksten Medienkonzerne wie die WAZ-Gruppe, MADSACK oder die FAZ-Gruppe Beteiligungen an so gut wie allen etablierten DDR-Zeitungen. Im Fall der vier Großverlage Heinrich Bauer, Gruner + Jahr (G+J), Axel Springer und Burda kam der Aufbau eines exklusiven verlagsabhängigen Pressevertriebssystems dazu. Das hieß, führende Medienhäuser der Bundesrepublik schufen zeitig die Strukturen der sich transformierenden DDR-Presselandschaft gemäß ihren Interessen innerhalb eines deutsch-deutschen Pressemarktes, der faktisch schon ab Mai 1990 vereint war. Wesentliche Reformziele der DDR-Bürgerbewegungen, wie die Zerschlagung struktureller Pressemonopole oder der Aufbau einer basisdemokratischen Presse, blieben damit chancenlos.
Der folgende Versuch, diese Entwicklungen zu umreißen, bietet keine Geschichte „mit klar verteilten Täter- und Opferrollen“
Die Herbstrevolution
Der politische Rahmen für diese Entwicklung wurde auf dem ersten Treffen zwischen Helmut Kohl und Hans Modrow am 19. Dezember 1989 in Dresden gesetzt. In der DDR gab es zu diesem Zeitpunkt einen deutsch-deutschen Zeitungsaustausch nur für eine privilegierte Minderheit. Alle Zeitungen und deren Inhalte waren streng reglementiert, die Presselandschaft befand sich im Parteibesitz und basierte auf den strukturellen Privilegien der Staatspartei SED. Diese hielt mit 16 von 39 Tageszeitungen rund 70 Prozent der gesamten Zeitungsproduktion (6,5 Millionen Exemplare täglich). Dagegen brachten es die Tageszeitungen der Blockparteien (CDU, LDPD, NDPD und DBD) zusammen nur auf eine Auflage von 800.000 Exemplaren.
Zwar erhielten DDR-Zeitungen großzügige Subventionen, jedoch bestimmten mangelnde Ressourcen (vor allem Papierknappheit) und veraltete Infrastruktur und Technik die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen und Druckereien. SED-Zeitungen genossen hier materielle und personelle Privilegien (in Papierzufuhr, Druckzeiten, technischer Ausstattung und so weiter). So waren die auflagenstarken 14 SED-Regionalzeitungen (jede mit acht bis zu 23 Kreisausgaben) den „lokal weniger differenzierten Zeitungen der DDR-Blockparteien klar überlegen“. Demzufolge oblag die Kontrolle über die Lokalberichterstattung ebenfalls der SED.
Im Herbst 1989 nahmen die Rufe oppositioneller Gruppen nach der Zerschlagung dieses SED-Informationsmonopols und nach freien Medien, nach Meinungs- und Informationsfreiheit unaufhaltsam zu. Der freie Zugriff auf westdeutsche Presseerzeugnisse war eine der politischen Forderungen, die an die Modrow-Regierung gerichtet wurden. Daher unterstrichen Modrow und Kohl auf ihrem Treffen im Dezember 1989 „die große Bedeutung einer freien und umfassenden Information durch Zeitungen“ und „kamen überein, wechselseitig den Vertrieb und Bezug von Zeitungen und Zeitschriften zu ermöglichen“.
Der DDR-Pressefrühling
Das erste deutsch-deutsche Mediengespräch fand am 8. Februar 1990 im Bundesministerium des Innern (BMI) in Bonn statt. Während diesem betonte der damalige Staatssekretär Hans Neusel das große Interesse der Bundesregierung an einer freien Presse in der DDR. Erst wenige Tage zuvor, am 5. Februar 1990, hatte die Volkskammer der DDR den Beschluss zur Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit verabschiedet. Dieser hatte laut Neusel große Aufmerksamkeit in der Bundesrepublik erregt, denn er sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Diesem Beschluss folgte ein wahrer Boom von Zeitungsneugründungen: Einer Umfrage des DDR-Nachrichtendienstes ADN zufolge gab es Anfang Februar 1990 bereits 16 Neuerscheinungen in der DDR, vier mit Unterstützung von westdeutschen Investoren. Bis zum 15. Februar kamen elf Titel hinzu, bis zum 28. Februar zwölf weitere.
Gleichzeitig vollzogen etablierte DDR-Zeitungen interne Reformen; neue Chefredakteure wurden gewählt, Redaktionsstatute aufgesetzt. Mehrere SED-Bezirkszeitungen erklärten sich politisch unabhängig; ihre Auflagen und Abonnementzahlen blieben stabil. Die Auflagen überregionaler Tageszeitungen wie des Neuen Deutschlands und der Jungen Welt sank dagegen rapide; ein Verlust, der aber laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) durch die vielen Neugründungen fast gänzlich ersetzt wurde.
Allerdings war der MKR mit seinen Arbeitsaufgaben überfordert, vor allem wenn die Legislative oder Exekutive gefragt waren. Unter der Regierung de Maizière wurden ihm deshalb das MfM und ein Volkskammerausschuss zur Seite gestellt. Denn auch Lothar de Maizière unterstrich, dass es für plurale Medien zwar „soviel Markt wie möglich und soviel Staat wie nötig“ brauche, um aber Medien nicht der Gefahr neuer Monopole auszuliefern, sollten sie nicht sich selbst überlassen werden.
Die DDR-Pressereform und die Bundesrepublik
Auch auf bundesdeutscher Seite wurde über die Entwicklungen der DDR-Presselandschaft ausführlich nachgedacht und beraten. Zwar war der DDR-Markt, wie der damalige Vorstand für Zeitungen und Zeitschriften des Axel Springer Verlags, Christian Herfurth, im Juni 1990 unterstrich, weiter weg als „Frankreich, England oder Spanien“.
Kurz nach dem ersten deutsch-deutschen Mediengespräch fand am 14. Februar 1990 im Bundesministerium des Innern (BMI) ein Treffen der Mitglieder des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) statt, einem der zwei größten bundesrepublikanischen Verlegerverbände. Im Mittelpunkt stand die Frage des Vertriebs westdeutscher Titel in der DDR. Anwesend war auch ein Vertreter des Axel Springer Verlags. Seit Dezember 1989 hatte der Verlag (erst allein, ab Mitte Januar 1990 zusammen mit G+J, Bauer und Burda) vergeblich an der Gründung eines Pressevertriebs-Joint-Ventures mit dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen (MPF) der DDR gearbeitet. Über dieses sollten 100 Titel (70 Prozent von den vier Großverlagen) in die DDR importiert werden. Der DDR-Ministerrat und der Runde Tisch stoppten dieses Vorhaben auch aufgrund starker Proteste mittelständischer Verlage aus der Bundesrepublik. Nun, so argumentierte Springer, seien für die „notwendige schnelle Versorgung der DDR-Bevölkerung mit bundesdeutscher Presse“ vor den Wahlen vor allem eine „schnelle Startphase“ und eine „flexible und unkonventionelle Handlungsweise“ erforderlich.
Der „Presse-Coup der ‚"Großen Vier"
Anfang März 1990 nahmen Springer & Co. den DDR-Pressevertrieb dann in ihre eigenen Hände. Sie teilten die DDR in vier Vertriebsgebiete auf – Bauer übernahm den Norden, G+J die Region Berlin und Frankfurt/Oder, Burda die Region Suhl in Thüringen und Springer den Rest des Südens. Die Verlagsauslieferung mit ungefähr 73 (vor allem eigenen) Titeln startete dann an circa 3.300 Verkaufsstellen. Zum gegenseitigen Vertrieb ihrer Presseerzeugnisse verpflichtet, landeten sie so den „Presse-Coup der "Großen Vier", wie die Deutsche Presse-Agentur dpa es nannte.
Trotz massiver Proteste von DDR-Verlagen und Gewerkschaften gegen die „neokolonialistische Aufteilung des DDR-Medienmarktes“ blieb der verlagsabhängige Vertrieb der „Großen Vier“ in abgeänderter Form bis zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 bestehen
Die Folgen für die DDR-Zeitungen, die weiterhin vom völlig überforderten DDR-Postzeitungsvertrieb (PZV) abhingen, hatten keinerlei Relevanz. Dabei funktionierte der PZV trotz hoher Gebühren (zeitweise mehr als 50 Prozent des Zeitungsverkaufspreises) schlecht. DDR-Zeitungen berichteten über verspätete oder stornierte Lieferungen, Zeitungen druckten in dieser Zeit viele Beschwerdebriefe ihrer Leser ab. Die Zeitungen überhaupt auf die Ladentische zu bekommen, war für viele DDR-Verlage ein täglicher Kampf.
Verdrängungswettbewerb durch Dumpingpreis-Presse
Dank des Pressevertriebssystems der Großverlage war aus dem Ziel des deutsch-deutschen Presseaustausches bis Ende März ein einseitiger Pressetransfer geworden. Zudem lieferten sich finanzstarke Verlage aus der Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt einen verschärften Preiskrieg untereinander: Sie verkauften ihre Titel im Währungsverhältnis 1:1 (nicht zum offiziellen Währungskurs 1:3), also zu etwa einem Drittel des westdeutschen Verkaufspreises. Die billige Westpresse fand unter ostdeutschen Lesern zunächst reißenden Absatz. Allerdings konnten Verlage so weder ihre Produktionskosten decken, noch hatten kleine und mittelständische Verlage sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR ein Mindestmaß an Chancengleichheit. Denn es war ein Minusgeschäft, bei dem allein finanzstarke Verlage auf der Jagd nach künftigen Lesern miteinander konkurrierten. Ab Mai 1990 wurden dann alle West-Titel zum 1:1 Preisverhältnis verkauft.
Wolfgang Fürstner, verantwortlich für die Ostaktivitäten des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), dem zweiten großen Verlegerverband der Bundesrepublik, kritisierte dieses marktstrategische Vorgehen scharf. DDR-Verlage erlitten dadurch erhebliche Wettbewerbsnachteile. Die „Qualitätsstandards der Drucktechnik, die Papierqualität, das Anleihengeschäft und die vorhandenen Vertriebswege“ der DDR-Zeitungen könnten „in keiner Weise dem Wettbewerb mit westdeutschen Produkten standhalten“, mahnte er im März 1990.
Die Verlage aus der Bundesrepublik leugneten ihr Vorgehen nicht. „Wir können uns nicht anders als marktgerecht verhalten“, erklärte Axel Springer-Sprecher Heiner Bremer, während G+J-Sprecher Christoph Keese immerhin sein Bedauern darüber äußerte, „daß durch diese Entwicklung DDR-Verlage in Gefahr geraten können“.
Denn Dumpingpreis-Strategien allein waren nicht der Grund, warum es DDR-Zeitungen unmöglich war, gleichberechtigt am Wettbewerb teilzunehmen. Durch die massiven Zeitungsimporte dank des exklusiven Vertriebssystems kam nicht nur die billige Westpresse in die DDR – eine werbefinanzierte, dem Markt verhaftete, flexibel agierende Presse traf auf eine staatlich finanzierte, von Planstrukturen abhängige und sich transformierende Parteipresse. Stand der Import westdeutscher Titel zunächst für eine Pluralisierung der DDR-Presselandschaft, setzten die aggressiven Marktstrategien der West-Verlage im Kampf gegeneinander die DDR-Presse gleichzeitig unter hohen wirtschaftlichen Druck. Das öffnete die Türen für westdeutsches Kapital.
Zeitungshochzeiten und die Treuhandanstalt
Schon im April 1990 las man in der tageszeitung, dass es keine DDR-Zeitungen mehr gäbe, „bei denen nicht bereits Kaufverhandlungen“ liefen.
Diese deutsch-deutschen Allianzen wurden in einer rechtlichen Grauzone geschmiedet, wobei die Verhandlungen so schnell abliefen, dass nur die Beteiligten wussten, wer mit wem verhandelte. Zwar lag die Zustimmung über Presse-Joint-Ventures offiziell beim MKR, der Minderheitsbeteiligungen westdeutscher Verlage erlaubte, in der Praxis jedoch wurden Verträge inoffiziell und an allen staatlichen Einrichtungen vorbei ausgehandelt. Laut G+J-Vertreter Andreas Ruppert hatten die westdeutschen Verlagshäuser bereits im Mai 1990 die DDR-Verlage untereinander aufgeteilt.
Medienminister Gottfried Müller war über diese Entwicklung alles andere als glücklich. In seinem Ministertagebuch notierte er die Befürchtung, „das alte SED-Monopol bei Bezirkszeitungen“ ginge zusammen „mit neuem Monopol aus dem Westen“.
An diesem Tag stimmte der THA-Verwaltungsrat dem vorläufigen Verkauf von zehn ehemaligen SED-Bezirkszeitungen an „ausgewählte Erwerbsinteressenten“ zu, also an zwölf finanzstarke westdeutsche Presseunternehmen. Der Preis: 850 Millionen DM und ein Investitionsvolumen von 1,3 Milliarden DM. Die Prüfung privater Restitutionsansprüche stand noch aus, aber der Deal war besiegelt.
Pressesterben und Marktkonzentration nach 1990
Nach der deutschen Einheit ging die Zahl der Zeitungen in Ostdeutschland drastisch zurück. Von den ursprünglich 120 Zeitungen, die 1990 neu gegründet worden waren, waren im Mai 1992 nur noch etwa 65 Zeitungen aus etwa 50 Verlagen übrig. Bis November fiel die Zahl auf 50 Zeitungen aus 35 Verlagen. Der Verband der Lokalpresse nannte dies ein „trauriges Ergebnis“.
Diese „Übernahme“ – und das wollte dieser Beitrag zeigen – war allerdings nicht allein dem Markt geschuldet, sie bedurfte politischer Rahmenbedingungen. Laut Historiker Konrad Dussel war sie der politischen Entscheidung der Bundesregierung „gegen jedes Experiment“ geschuldet.
Bereits 1991 konnten (mit regionalen Unterschieden) nur noch gut 62 Prozent der Ostdeutschen zwischen zwei Lokalzeitungen wählen, 1994 waren es nur noch 40 Prozent. 1995 wurden fast zwei Drittel aller ostdeutschen Landkreise und kreisfreien Städte von einer einzigen regionalen Abonnementzeitung (stets die ehemalige SED-Bezirkszeitung) dominiert.
Auch im Pressevertrieb wirkt der „Presse-Coup“ der „Großen Vier“ und deren Aufteilung regionaler DDR-Vertriebsgebiete nach. Zwar zerschlug das Kartellamt das Verlagskartell nach der deutschen Einheit, der Streit zwischen verlagsabhängigen und -unabhängigen Grossisten zog sich allerdings bis Juli 1992. Bis heute ist die Anzahl verlagsnaher Grossisten in Ostdeutschland proportional höher als in den alten Bundesländern
Kritik und Fazit
Die DDR-Pressetransformation 1989/90 kann nicht ohne die eng verflochtenen Beziehungszusammenhänge mit den westdeutschen Politik- und Wirtschaftsinteressen, dem Einfluss westdeutscher Verlage und deren Interessendurchsetzung nach 1990 verstanden werden. Hier spielte das BMI eine zentrale Rolle. Anfang 1990 unterstützte es aktiv die Idee, dass eine freie Presse in die DDR kommen und weniger von innen wachsen sollte. Das Ministerium wollte den Informationsfluss vor der März-Wahl sichern, die West-Verlage den DDR-Markt erschließen. Gemeinsames Ziel war es vor allem, die westdeutsche Presse und deren Informationen in die DDR zu bringen. Auch deshalb war der deutsch-deutsche Pressemarkt im Mai 1990 praktisch schon vereint.
Mit der Beschreibung dieser Zusammenhänge ist nicht die Behauptung verbunden, „dass Verlage und alle westdeutschen Journalisten aus dem Kanzleramt ferngesteuert Propaganda verbreiten“.
Das Argument, dass vor allem die in der DDR vorhandene große Nachfrage nach Zeitungen aus der Bundesrepublik eine frühe Ursache für diese Abhängigkeiten war, erklärt nicht die Wucht und Reichweite westdeutscher Interessendurchsetzung. Denn zum einen hielten sich die ursprünglich hohen Verkaufszahlen westdeutscher Titel nicht; ostdeutsche Leser blieben ihren Stammzeitungen (vor allem den ehemaligen SED-Bezirkszeitungen) treu. Wichtiger aber war, dass der wirtschaftliche Druck bundesdeutscher Verlage auf allen Ebenen – also der Verkauf ihrer Titel, der Ankauf ostdeutscher Zeitungen und der Aufbau von Vertriebsstrukturen – zum bestimmenden Faktor der DDR-Pressetransformation wurde. Nicht die Interessen einer sich transformierenden DDR-Presse standen hier im Vordergrund, sondern die Expansion der eigenen Marktmacht.
In diesem Zusammenhang von den „Gegebenheiten kapitalistischer Pressemärkte“ zu sprechen, wird der historischen Realität nicht gerecht.
Auch hier gab es kein einheitliches orchestriertes Vorgehen, sondern ein komplexes Interessengeflecht, in dem Kooperation und Konkurrenz der West-Verlage untereinander den Ton bestimmten. Das Resultat war ein Verdrängungswettbewerb auf dem Boden der DDR, der weiterhin seinesgleichen sucht und der in der Bundesrepublik illegal gewesen wäre.
Das heißt, nicht die Spielregeln des Marktes, sondern (nicht nur, aber eben auch) Regelbrüche bestimmten den sich entwickelnden Pressemarkt im Osten, in dem wiederum Eigengründungen, wie die im Januar 1990 von DDR-Bürgerrechtler*innen gegründete Wochenzeitung die andere nicht lange mithalten konnten. Damit wurden westdeutsche Verlagshäuser die zentralen Akteure in der DDR-Pressetransformation, die den Prozess früh vor allem entsprechend ihren Eigeninteressen vorantrieben und die ostdeutsche Presselandschaft schließlich weitgehend übernahmen. Das Ziel der demokratischen Pressetransformation in der DDR wich so vor allem der Erfahrung einer marktgesteuerten Übernahme.
Zitierweise: Mandy Tröger, "Verpasste Chancen – die Transformation der DDR-Presse 1989/90", in: Deutschland Archiv, 10.1.2022, Link: Externer Link: www.bpb.de/345600. Alle Texte im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Der Text dem bpb-Band entnommen „(Ost)Deutschlands Weg. 80 Studien & Essays zur Lage des Landes", herausgegeben von Ilko-Sascha Kowalczuk, Frank Ebert und Holger Kulick in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, der am 1. Dezember 2021 in einer zweiten und ergänzten Auflage
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Weitere Inhalte
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. E-Mail Link: mandy.troeger@ifkw.lmu.de
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