Bildung hat im Judentum seit jeher eine große Bedeutung. So dient sie nicht nur der reinen Wissensaneignung, sondern immer auch der Weitergabe jüdischer Traditionen und als wertvolles Instrument, um eine Gemeinschaft zu schaffen, beziehungsweise diese besonders in der Diaspora zu erhalten. In der Tora und dem Talmud deuten Textstellen auf den eminenten Status von Bildung hin: „Höret, meine Kinder, die Zucht eures Vaters; merket auf, dass ihr lernt und klug werdet!“
Doch dieses Privileg des Lernens blieb jahrhundertelang im halachischen Judentum der Vormoderne allein Männern vorbehalten. Jüdische Erwachsenenbildung fand in der sogenannten „Schul“ statt, die oft Teil einer Synagoge war. Dort lernten ausschließlich Männer. Frauen war sogar die bloße Anwesenheit verboten. Auch wenn Frauen, meist Rabbinertöchter, mitunter Talmudkenntnisse erwarben, geschah dies weder systematisch noch im Lehrhaus. Die Frau war nicht zum Lernen verpflichtet, in praxi blieb sie davon ausgeschlossen. Jedoch spätestens seit der Haskala, der jüdischen Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts, kann man von einer Blütezeit jüdischer Frauenbildung sprechen. Wollen wir heute verstehen, wie eng die Beziehung zwischen Erwachsenen- und Frauenbildung ist, lohnt sich ein Blick auf ihre Wurzeln in Deutschland.
Jüdische Frauenbildung ab dem späten 18. Jahrhundert
Die Haskala in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war auch mit Prozessen der Emanzipation, Verbürgerlichung und Säkularisierung verbunden. Gerade diese Phase brachte Neuerungen mit sich, von denen jüdische Frauen profitierten. Zunehmend wurden Jüdinnen des Bürgertums von sogenannten „Maskilim“, Aufklärern, unterrichtet. Manche erhielten von ihren Eltern die Erlaubnis, sich zu Kindergärtnerinnen oder Lehrerinnen ausbilden zu lassen. Frauen aus dem unteren Bürgertum ergriffen moderne Büroberufe, und Jüdinnen aller Gesellschaftsschichten lehnten erstmals frühe und arrangierte Ehen ab. Sie wurden häufiger in Familiengeschäfte eingebunden. Die Bildung der Frau wurde zunehmend zum Thema, da sie es waren, die „für die kulturelle Atmosphäre in der Familie verantwortlich“ waren und den Bildungsweg der Kinder maßgeblich in ihrem Sinne beeinflussten. Spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts waren alle Richtungen des deutschen Judentums bereit, den Zugang zu Bildung für Frauen zu öffnen. Doch blieb der Bildungszweck noch stark an Heim und Familie gebunden. Das Erlernte sollte vorrangig für die Ausbildung des „weiblichen Sozialcharakters“ nützlich sein, und so richteten sowohl Orthodoxie als auch Reformjudentum ihre Bildungskonzepte am „heiligen und schwierigen Beruf der hingebenden Gattin, trefflichen Hausfrau und treuen Mutter“ aus.
Zu einem weiteren bedeutenden Fortschritt kam es, als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Mädchengymnasien eingerichtet wurden. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kulturelle Kompetenz sollten traditionell-religiöses jüdisches Wissen gewinnbringend ergänzen. Offenbar war der Zugang für jüdische Mädchen auch zu nichtjüdischen Schulen in vielen Orten des damaligen deutschen Kaiserreichs eher möglich und gängiger als für Jungen, sodass die Mädchen hier als Vorreiterinnen der Integration gesehen werden können. Obwohl die Mädchenschulen der Emanzipationszeit nur ein zeitlich beschränktes Phänomen blieben, bedeuteten sie dennoch einen wichtigen Schritt in Richtung der Stärkung jüdischer Frauenbildung. Das Bildungsprivileg des jüdischen Mannes war unwiederbringlich gebrochen und die Jüdin, als Hüterin der jüdischen Religion, Tradition und Familie, zu einem Leitbild im Gesamtprozess der Frauenbildung geworden.
Nach Abschluss des Gymnasiums waren es diese jungen Frauen, die nach der Jahrhundertwende zahlreich unter den ersten Studentinnen vertreten waren. Sie waren eine kleine, aber sichtbare Gruppe von Vorkämpferinnen. „Allein an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin schrieben sich von 1893 bis 1918 etwa 1.600 jüdische Frauen ein, die damit ein Viertel der ersten weiblichen Studierenden ausmachten.“ Im Wintersemester 1911/12 waren 11,2 Prozent der Studentinnen aller preußischen Universitäten jüdisch. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass 1910 nur 615.000 Jüdinnen und Juden im deutschsprachigen Raum lebten und damit gerade einmal ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten.
Welche Motive standen hinter diesem ausgeprägten Wunsch nach Bildung? Zum einen ließ der Geburtenrückgang es zu, dass die Erfolgsaussichten der Töchter, eine qualitative Ausbildung zu erhalten, stiegen. Zum anderen ermöglichten die zahlreichen Gymnasialabschlüsse eine akademische Laufbahn. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug der Anteil jüdischer Mädchen an Gymnasien 24 Prozent, in Berlin sogar 33 Prozent. Während es bei dem Bildungsstreben der jüdischen Jungen vornehmlich um den damit einhergehenden erhofften sozialen Aufstieg ging, spielten solche Überlegungen bei den Mädchen eine eher nebensächliche Rolle. Dies legt nahe, dass es in den jüdischen Familien eine traditionelle Wertschätzung von Bildung gab, die mit steigender Säkularisierung besonders den Mädchen zugutekam. Die Historikerin Harriet Pass Freidenreich spricht in diesem Zusammenhang von „Neuen Frauen“: „Frauen, die die Universität besuchten, waren möglicherweise ›Neue Frauen‹, die einen anderen, neuen Weg wählten. Sie gaben sich nicht damit zufrieden, in die Fußstapfen ihrer Mütter als Hausfrauen oder ehrenamtlich tätige Frauen zu treten, sondern zogen es vor, Ärztinnen, Erzieherinnen, Wissenschaftlerinnen, Anwältinnen oder Sozialreformerinnen zu werden […] Indem sie die Universität besuchten, wollten sie ihr intellektuelles Potenzial als Menschen verwirklichen und sich zumindest von einigen gesellschaftlichen Zwängen gegenüber Frauen emanzipieren.“ Auch eine Heirat war für Frauen mit Hochschulbildung eher eine Option als eine Notwendigkeit und stand nicht weiter im Fokus ihrer gesamten Existenz. Betrachtet man die Studienfachwahl, bevorzugten jüdische Studentinnen Fächer, die sie auf freie Berufe vorbereiteten. So belegten die meisten Jüdinnen die Fächer Medizin, Zahnmedizin, Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Diesen Präferenzen gemäß, fand man die meisten jüdischen Akademikerinnen in den entsprechenden Berufen. Bei einer Gesamtzahl von 1.540 Ärztinnen 1925 in Preußen waren 330 jüdischer Konfession, also 21,4 Prozent. Nicht selten waren diese jüdischen Akademikerinnen Mitglieder in Institutionen, die die Rechte weiblicher Berufsangehöriger schützen sollten, sowie im deutschen Ärztinnenbund, Philologinnen-Verband oder im deutschen Akademikerinnenbund. Als Beispiel für die genannten akademischen sowie ehrenamtlichen Bestrebungen kann die jüdische Juristin Marie Munk angeführt werden. Munk war nicht nur die erste preußische Jura-Studentin in Berlin und Bonn, sondern arbeitete nach ihrer Promotion in Heidelberg auch als Anwältin und später erste Richterin in Berlin. Sie gilt als eine der bedeutendsten Ehe- und Familienrechtlerinnen der Weimarer Zeit. Zusammen mit anderen Juristinnen der Zeit gründete sie 1914 den Deutschen Juristinnen-Verein, welcher bis 1933 für die Belange von Juristinnen eintrat.
Frauenbildung und Sozialarbeit
Auch außerhalb ihrer akademischen Tätigkeiten brachten sich Jüdinnen sozial ein. Eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Engagement nahm dabei der 1904 von Bertha Pappenheim und Sidonie Werner gegründete Jüdische Frauenbund (JFB) ein. Dieser positionierte sich zwischen traditionellen Frauenwohltätigkeitsverbänden und den feministischen Institutionen jener Zeit. Bildungsinhalte deckten zum einen die klassischen Aufgaben des Haushaltes ab, andererseits legte der JFB großen Wert auf eine fundierte Berufsausbildung jüdischer Frauen, um diese auf den Fall vorzubereiten, dass sie in Notlagen für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen konnten. Ferner setzte sich der JFB für die Rechte der Frauen in jüdischen Gemeinden und die Bekämpfung von Mädchenhandel ein. Entstanden aus einem femininen Geist der religiösen Wohltätigkeit, Zedaka, entwickelte sich der JFB schon bald zu einem Ort professionalisierter Sozialarbeit, mit internationalen und nationalen Beziehungen, wie beispielsweise zur Women’s International Zionist Organisation oder der 1917 gegründeten Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, die bis heute in Deutschland wirkt.
Ebenfalls in dieser Zeit gründete die Sozialreformerin Alice Salomon die Soziale Frauenschule in Berlin. Für Salomon war ihre Schule ein Ort „moderner Bildung“, stets mit dem Bezug zur Frauenbewegung. 1925 gründete sie die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit als Weiterbildungseinrichtung für Frauen in sozialen Berufen sowie für Akademikerinnen zur Qualifizierung im Bereich sozialer Arbeit. Unter den Lehrenden waren Sozialarbeiterinnen wie Siddy Wronsky , aber auch Juristinnen wie Margarete Berent. Vorträge und Lesungen wurden jedoch nicht nur von Frauen gehalten. Persönlichkeiten wie Albert Einstein zählten zum Kreis der Referierenden, die bei regelmäßigen Vorträgen über die ethischen, religiösen, sozialen und kulturellen Fragen der Zeit sprachen. Bis heute lebt die Einrichtung als Alice Salomon Hochschule Berlin weiter.
Eine weitere wichtige Institution jüdischer Erwachsenenbildung zu dieser Zeit war das von Franz Rosenzweig 1920 ins Leben gerufene Freie Jüdische Lehrhaus, eine jüdische Volkshochschule, nach deren Vorbild bis heute weltweit Einrichtungen existieren. Allein in Deutschland bestehen aktuell fünf jüdische Volkshochschulen, und in den kommenden Jahren soll in Frankfurt am Main die Jüdische Akademie das Erbe des Freien Jüdischen Lehrhauses antreten. Rosenzweig erkannte, dass das deutsche Judentum sich immer stärker assimilierte; er nutzte seine Institution vor allem dafür, dieser daraus entstehenden Distanz gegenüber jüdischen Traditionen etwas entgegenzusetzen. Doch Frauen kamen als Lehrtätige und als Teilnehmerinnen zu Rosenzweigs Lehrhauszeiten nur selten vor, obwohl er versuchte, Frauen als Referentinnen zu anzuwerben. So gewann er beispielsweise die erwähnte Bertha Pappenheim oder die Geschäftsführerin des JFB, Hannah Karminski. Frauenbildung wurde zu dieser Zeit von Frauen für Frauen betrieben und nicht von Männern getragen. Diese fortschrittliche Bildungsarbeit wurde von den Nationalsozialisten ab 1933 zerstört. Dazu gehörten Schikanen und vor allem Berufsverbote für Jüdinnen und Juden an Bildungseinrichtungen.
Jüdische Erwachsenenbildung für Frauen heute
Die hier genannten Frauen waren Vorkämpferinnen, die die jüdische Bildungsarbeit bis heute prägen. Doch was genau ist Erwachsenenbildung, im Speziellen Jüdische Erwachsenenbildung, im heutigen Deutschland, und welche Rollen nehmen Frauen hierbei ein? Erwachsenenbildung wird definiert als „die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase und in der Regel nach Aufnahme einer Erwerbs- oder Familientätigkeit“. Frauen in Deutschland sind heutzutage so gut gebildet wie noch nie zuvor. In der schulischen Bildung haben sie die Männer nicht nur eingeholt, sondern überholt, an den Hochschulen erlangen Studentinnen inzwischen häufiger einen akademischen Abschluss als ihre männlichen Kommilitonen. Nichtsdestotrotz setzt sich der Trend in der Erwachsenenbildung nicht zwangsläufig fort. Wie bereits früher ist Frauenbildung auch heute noch eine Gelegenheit, wo Frauen aufeinandertreffen, miteinander in Austausch gehen sowie Unterstützung in ihren beruflichen und privaten Lebensbereichen bekommen. Gewandelt haben sich jedoch die Inhalte. Ging es in den dargestellten Anfängen eher um die gleichberechtigte Bildung von Frauen und Männern, geht es heute mehr um Fragen der „geschlechtsspezifischen Strukturierung von Arbeitsmarkt und Berufswahl, um Fragen nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder auch um die weibliche Identität der Frau, Frauenbilder oder das Geschlechterverhältnis“.
Was die JEB betrifft, so existiert keine dominante Definition. Eher wird der Versuch unternommen, sich über Beteiligte, Themen und Angesprochene einer Definition zu nähern. JEB lässt sich demnach als „organisiertes Lehren und Lernen von jüdischen Erwachsenen zu jüdischen Themen für jüdische und nichtjüdische Erwachsene“ definieren. JEB und Frauenbildung verbünden sich bei jüdischer Frauenbildung zu einer fruchtbaren Symbiose zweier Welten. Es sind Veranstaltungen der JEB, bei denen Frauen eine besondere Rolle zukommt.
Auseinandersetzung mit jüdischen Traditionen und Fragen der Gegenwart
Angelehnt an die Traditionen jüdisch-männlichen Lernens bietet beispielsweise das Jüdische Lehrhaus Bamberg in regelmäßigen Abständen den sogenannten Frauen-Schi’ur an, ein Format, wo Frauen Texte jüdischer und christlicher Tradition, oftmals aus der Tora oder dem Talmud, miteinander lesen und diskutieren. Im Gespräch erschließt sich in den alten Quellen ein Sinn für die Gegenwart. So geht es in einer Veranstaltung um das „Ma’asse-Buch: Talmudische Weisheiten für Frauen – jüdische Erzählkunst in Weibertaitsch“, oder um Texte von Bea Wyler, der ersten Rabbinerin in Deutschland nach der Shoah, aber auch um Themen wie „Mein Bauch gehört mir – oder etwa nicht? – Wie steht das Judentum zum Schwangerschaftsabbruch?“
Andere Institutionen wie beispielsweise die Europäische Janusz Korczak Akademie in München wählen ein für die Frauenbildung beliebtes Sozialformat – den Frauenkreis. In der Beschreibung ihrer Frauengruppe Zimmes heißt es: „‘Zimmes‘ ist ein Bildungs- und Begegnungsnetzwerk […] für jüdische Mütter. Ziel sind die Vermittlung und Weitergabe jüdischer Werte, Erziehung und Brauchtums.“ In kleiner Runde werden hier gemeinsam jüdische Feiertage begangen oder Ausflüge zu Orten früheren und heutigen jüdischen Lebens unternommen.
In der JEB können Jüdinnen zu Protagonistinnen der Veranstaltung gemacht werden, obwohl der Zugang dazu auch allen anderen Interessierten offensteht, wie beispielsweise bei dem Vortrag „Die Rolle der Frau im Judentum“ am Jüdischen Lehrhaus Hanau. Dabei müssen Angebote jüdischer Frauenbildung keineswegs geschlechtsverweisend ausgeschrieben sein, um die Bedürfnisse von Frauen zu wecken oder ihre Lerninteressen und Lebenswelten zu treffen. Andererseits werden manche Thematiken, meist noch immer in Verbindung mit Häuslichem, in den Angebotsbeschreibungen direkt Frauen zugewiesen, obwohl diese heutzutage ebenso für alle Geschlechter denkbar sind. Dies zeigt sich an dem Angebot „Küche unserer Heimat“, in welchem explizit die „jüdische Hausfrau“ traditionelle Speisen „nach ihrem persönlichen Lieblingsrezept“ kocht.
Interreligiöser Dialog
Sowohl bei „Schalom Aleikum. Als Freundin hinzufügen“, dem von AVIVA-Berlin im Jahr 2014 initiierten Dialogprojekt, bei dem Jüdinnen und Muslima in einen intensiven Austausch traten, als auch bei dem gleichnamigen Dialogprojekt „Schalom Aleikum“ des Zentralrats der Juden in Deutschland geht es um den jüdisch-muslimischen Austausch. Im Sommer 2019 kam es unter dem Titel „Sichtbar sein. Jüdinnen und Musliminnen im Gespräch“ zu einem Abendevent, bei dem Fragen religiöser Ausgrenzung, die Sichtbarkeit von Frauen in der Stadtgesellschaft und der interreligiöse Dialog im Fokus standen.
Formate von Frauen für Frauen
In der Disziplin der Erwachsenenbildung agieren Planende seismografisch-empfindsam. Sie nehmen gesellschaftliche Trends und Bewegungen sowie individuelle Bedürfnisse auf und setzen diese im Bildungsangebot um. Auch das Vorgehen des jährlich stattfindenden Jewish Women Empowerment Summit des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) und der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) entspricht diesem vorausschauenden Planungshandeln. Auf der mehrtägigen Konferenz werden seit 2019 Vorträge, Workshops, Diskussionsrunden sowie eine gemeinsame Schabbat-Feier ausgerichtet. Unter den Stichworten „Jung-Jüdisch-Weiblich“ wird ein Raum geschaffen, um Netzwerke zu bauen und diverse jüdische Frauenstimmen lauter werden zu lassen, sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb der jüdischen Community. Das Format bietet Denkräume für heutige Vorstellungen von Weiblichkeit, Sexualität und der Vereinbarkeit eines modernen Lebens und jüdischer Religion. Nirgendwo trifft folgende Beschreibung von Frauenbildung so vorbildlich zu wie hier:
„Frauenbildung ist ein Programm: Sie wird von Frauen für Frauen gemacht mit dem Ziel, selbstbestimmte Lernformen, Ziele, Inhalte und Methoden zu entwickeln, die der Lebenslage und den Lebensproblemen der Frauen angemessen sind.“
Ebenfalls im jährlich wiederkehrenden Rhythmus bietet Bet Debora e.V. seit seiner Gründung durch Elisa Klapheck, Lara Dämmig und Rachel Herweg im Jahr 1999 in Form von Tagungen jüdischen Frauen aus ganz Europa einen Ort des Austauschs und für Debatten auf wissenschaftlicher, künstlerischer, religiöser und kultureller Ebene. Ergänzt wird die Arbeit durch die Herausgabe von Publikationen sowie Darstellungen bedeutender jüdischer Frauenbiografien auf der Internetpräsenz von Bet Debora. Anhand der noch unveröffentlichten Promotionsschrift „Jüdische Erwachsenenbildung heute. Eine Analyse ausgewählter Institutionstypen und ihrer Programme in Deutschland“, in der 20 Institutionen der JEB im Fokus stehen, können bereits erste Aussagen über Frauenbildung getroffen werden. Auf Basis von Programmanalysen des Jahres 2019 und ausgewählten ExpertInneninterviews lässt sich sagen, dass rund ein Drittel der Institutionen, sieben von zwanzig, gezielt Veranstaltungen für Frauen im Programm haben. Auch die Anzahl der Leiterinnen entspricht diesem Zahlenverhältnis. Dabei ist allerdings, wie auch in Institutionen außerhalb der JEB, festzustellen, dass Frauen zwar einen großen Anteil der Mitwirkenden innerhalb der Institutionen ausmachen, jedoch seltener in der Leitung vertreten sind.
Parallel zum gesamtgesellschaftlichen Status quo sind auch in den Institutionen der JEB Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert. Umso erfreulicher ist es, dass mit 236 Studentinnen und Promovendinnen von insgesamt 415 StipendiatInnen im Jahre 2020 das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk e.V. (ELES) mehr als die Hälfte der ideell und finanziell geförderten akademischen Exzellenz jüdisch-weiblich ist. 2009 gegründet, ist das ELES das Begabtenförderwerk der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Nach dem Vorbild des Namensgebers prägen Lernen und Lehren sowie innerjüdischer und interreligiöser Dialog die Bildungsarbeit des ELES. Besonders in den letzten Jahren fand das Erbe jüdischer Frauenpersönlichkeiten und ihr Beitrag zur jüdischen Bildung im ideellen Förderprogramm besondere Beachtung. Das Programm „Rosa, Eleanor and Hannah; an interactive seminar reflecting on three groundbreaking Jewish women and their legacy for us today” kann in diesem Zusammenhang genannt werden. Aber auch Kollegs wie „Partizipation und Emanzipation von Frauen in den Gemeinden” beleuchten Bedeutung und Geschichte jüdischer Frauenrollen und die damit einhergehenden Möglichkeiten und Problematiken.
Einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der jüdischen Gemeinden in Deutschland sowie für die Ausbildung und Rolle der Frau in jüdischer Gemeinschaft dürfte dabei das Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramm leisten. Das 2010 gestartete Programm fördert die Bildung von internationalen Rabbiner- und Kantorenstudierenden aller Denominationen des Judentums. Von den gegenwärtig 14 Teilnehmenden des Programms sind sieben weiblich – ein starkes Zeichen und noch immer keine Selbstverständlichkeit. Als jüdische Forscherin zu einem jüdischen Thema in einem nicht-jüdischen akademischen Feld weiß ich aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, für die Relevanz der Thematik und die Teilhabe am Bereich Lernen und Lehren zu kämpfen. Bis heute sind es größtenteils Frauen, die anderen Frauen Wege ebnen und mit Mut als Beispiele vorangehen. Jüdinnen mit großem Wissenseifer zeichneten und zeichnen bis heute die Wege vor, die jüdische Frauen dann beschreiten dürfen. Dabei sind wir längst nicht am Ende angelangt. Jüdische Erwachsenenbildung ist so alt wie das Judentum selbst. Dass die weiblichen Stimmen innerhalb dieser noch lauter und kräftiger werden, bleibt nur zu wünschen.
Zitierweise: Greta Zelener, „Jüdische Erwachsenenbildung in Deutschland und die Rolle der Frauen“, in: Deutschland Archiv, 7.12.2021, Link: www.bpb.de/344476.