Berlin, die vereinigte Hauptstadt
Mitten durch Berlin verlief bis 1989 die Berliner Mauer. Teile der Stadt, darunter der Kurfürstendamm, das Schloss Charlottenburg und das Reichstagsgebäude gehörten zum Westen, andere Teile wie die Museumsinsel und das Gebiet des historischen Stadtzentrums gehörten zu Ostdeutschland. All das ist lange her. Dort, wo zur Zeit der Mauer der sogenannte Todesstreifen verlief, sind heute neue Gebäude und Stadtviertel entstanden, wie das Regierungsviertel und die Gebäude um den Potsdamer Platz. Die Mauer ist an vielen Orten in Berlin noch erkennbar, aber im Osten und im Westen Berlins gibt es wenige Unterschiede.
Ein Land, zwei Teile
So wie in Berlin sieht es aber nicht in ganz Deutschland aus. Während es im Westen viele große, wachsende Städte wie München, Frankfurt am Main, Hamburg oder Köln gibt, sind es im Osten vor allem ländliche Gebiete, in denen die Bevölkerungszahl zurückgeht. Zwar haben sich in den großen Städten in Ostdeutschland wie Dresden oder Leipzig nach der Wende einige Unternehmen niedergelassen und viele westdeutsche und internationale Konzerne haben dort Standorte eröffnet, aber auf dem Land ist die Lage anders: Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren weggefallen oder werden es voraussichtlich in den nächsten Jahren (zum Beispiel durch den Kohleausstieg), ganze Gemeinden veröden, Kitas und Schulen sowie Bahnhöfe werden geschlossen und viele Menschen wandern ab.
Dies ist auch in der Lutherstadt Eisleben im südlichen Sachsen-Anhalt so. Eisleben ist der Geburts- und Sterbeort Martin Luthers. Man kann dort das Geburts- und das Sterbehaus Luthers besichtigen. Seine Spuren sind überall in der Stadt, aber Besucher findet man wenige. Die meisten Geschäfte in der Innenstadt haben schon um 16.00 Uhr geschlossen und am Markt, dem Hauptplatz der Stadt, sind nur wenige Menschen unterwegs. Die Stadt hat eine gute Lage, im Mansfelder Land, nicht weit von den Industriezentren in Halle (Saale) und Leipzig, doch trotzdem ist sie von Bevölkerungsrückgang betroffen. An Statistiken über die geschätzte Bevölkerungsentwicklung 2017 bis 2035 kann man ablesen, dass der Landkreis Mansfeld-Südharz 20 oder mehr Prozent der Bevölkerung verlieren wird.
Der Strukturwandel
Wenn wir uns solche Statistiken anschauen, erkennt man dort ganz klare Strukturen: In Süddeutschland wachsen die meisten Regionen, darunter die Region München und einige Universitätsstädte sogar um mehr als 10 Prozent. Im restlichen Westdeutschland wachsen die großen Städte wie Hamburg, Bremen, Frankfurt (Main), Hannover und einige Ruhrgebietsstädte und Umgebung sowie Universitätsstädte wie Münster, aber auch ländliche Regionen. Von starkem Bevölkerungsrückgang (minus 10 bis minus 20 Prozent) sind nur einzelne Regionen betroffen.
In Ostdeutschland wachsen mehr als zehn Prozent nur Berlin, Potsdam und Leipzig, bis zu zehn Prozent wachsen große Städte wie Dresden, Halle (Saale), Erfurt, Magdeburg und Rostock. Der Rest Ostdeutschlands schrumpft, dabei der ländliche Raum allerdings noch mehr als Klein- und Mittelstädte.
Die Wirtschaft
Den Grund für diese Verschiedenheiten findet man in der Zeit nach der Wende: Nach der Wiedervereinigung musste sich die ehemalige DDR von der Planwirtschaft auf die Marktwirtschaft umstellen. Dies war ein schwerer Schritt für Ostdeutschland, bei dem viele Menschen ihre Arbeit verloren. Viele Unternehmen aus der ehemaligen DDR gingen Pleite oder wurden aufgelöst. Es gingen circa 75 bis 80 Prozent der Arbeitsplätze in der ehemaligen DDR verloren. Allerdings sind auch neue Arbeitsplätze, vor allem im Dienstleistungssektor entstanden.
Aber die neuen Arbeitsplätze konnten den Verlust der alten nicht ausgleichen. Die meisten neuen Arbeitsplätze entstanden in den Städten wie Leipzig, Dresden oder Jena. Der ländliche Raum wurde vernachlässigt. So mussten viele Bewohner des ländlichen Raums in die Städte oder in den Westen ziehen. Heute hat sich schon einiges verbessert: Die Arbeitslosenquoten in Ostdeutschland sank von 17,7 Prozent (1991) auf gegenwärtig 8,3 Prozent
Im Westen verlief die Geschichte der Wirtschaft ganz anders: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wirtschaft in Westdeutschland durch amerikanische Wirtschaftshilfen, den sogenannten Marshallplan, wiederbelebt. Ludwig Erhard (CDU), Wirtschaftsminister von 1949 bis 1963 und Bundeskanzler von 1963 bis 1966, führte die soziale Marktwirtschaft, eine Kombination aus freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft ein. In den 1950er und 1960er Jahren führte der steigende Konsum und steigende Exporte zum sogenannten Wirtschaftswunder.
Tourismus
Während man in Westdeutschland schon nach dem Zweiten Weltkrieg Kulturdenkmäler, die im Krieg zerstört worden waren, aufbaute, wurden in Ostdeutschland viele Altstädte und Kulturdenkmäler vernachlässigt. Die historischen Stadtkerne von Städten wie Erfurt oder Quedlinburg, die heute tausende Touristen anlocken, lagen in Trümmern und die DDR-Regierung hatte oft kein Interesse daran, diese Gebäude zu sanieren. Die Menschen wollten lieber in den modernen Gebäuden am Stadtrand leben, die heute spöttisch „Plattenbauten“ genannt werden.
Was das Verreisen angeht, gab es in der DDR nicht viele Möglichkeiten, weshalb die meisten Ostdeutschen Inlandsurlaub machten. Die mecklenburgische Küste, die Sächsische Schweiz oder die Seen rundum Berlin waren schon damals beliebte Urlaubsziele.
Das beste Beispiel für einen gelungenen Wiederaufbau ist die Altstadt von Dresden, welche noch bis zur Wiedervereinigung in Trümmern lag: Das historische Residenzschloss war eine Ruine. Um den Neumarkt herum, mitten in der ehemaligen Altstadt, standen neue Plattenbauten und von der weltberühmten Frauenkirche existierten nur noch Trümmer. Heute ist das anders: Das Residenzschloss ist heute ein Museum, es strahlt wieder im alten Glanz. Die alten Gebäude um den Neumarkt herum wurden wiederaufgebaut und die Frauenkirche thront wieder mit ihrer Kuppel über der ganzen Stadt. 2018 wurden im Freistaat Sachsen erstmals mehr als 20 Millionen Übernachtungen gebucht. Mehr als sieben Millionen Touristen kommen jährlich aus Deutschland, aber es kommen auch viele aus anderen Ländern. Die meisten kommen nach Dresden, nach Leipzig (unter anderem zur Buchmesse) oder in die Sächsische Schweiz, aber auch in die malerischen Altstädte von Görlitz und Bautzen.
So wie in Sachsen ist es an vielen Orten in Ostdeutschland. Mecklenburg-Vorpommern ist das beliebteste Reiseziel der Deutschen im Inland, noch vor Bayern und Schleswig-Holstein. Von diesem Tourismus profitieren vor allem die Badeorte an der Küste und es kommen jährlich viele Menschen in die alten Hansestädte Stralsund, Wismar oder Rostock. Knapp ein Viertel der Menschen dort arbeitet in der Tourismus-Branche.
Die Politik
Wenn man die Bundestagswahl- oder Landtagswahlergebnisse vergleicht, wird auf den ersten Blick folgendes klar: Im Westen liegen meistens CDU/CSU oder SPD vorne, gefolgt von Grünen und Liberalen.
Wahlplakat der AfD im Rheinsberg 2019. (© bpb / Holger Kulick)
Wahlplakat der AfD im Rheinsberg 2019. (© bpb / Holger Kulick)
In allen Bundesländern im Osten belegt dagegen die AfD den zweiten Platz, in Thüringen und Sachsen bei der Bundestagswahl 2021 sogar den ersten. Außerdem ist im Osten Die Linke vergleichsweise stark vertreten, etwa bei der Landtagswahl in Thüringen 2019 erhielt sie die meisten Stimmen.
Den Grund für diese Unterschiede findet man in der Geschichte des geteilten Deutschlands: Während in Westdeutschland schon in den 1950er und 1960er Jahren viele Arbeitskräfte aus ganz Europa (zum Beispiel aus der Türkei, Portugal und Spanien) kamen, stammten in Ostdeutschland eher weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland, wenn überhaupt aus sozialistischen Bruderstaaten (zum Beispiel Mosambik oder Vietnam). Nach der Wiedervereinigung wanderten viele Menschen aus Ostdeutschland aus. Viele Ostdeutsche sehen sich vernachlässigt. Die AfD nutzte dies und konnte viele Bürger, die sich vernachlässigt fühlten, (sogenannte Protestwähler) für sich gewinnen.
Fazit
Westdeutschland und Ostdeutschland waren zwar für 28 Jahre durch eine Mauer getrennt und noch länger zwei verschiedene Staaten. Es gibt bis heute einige Unterschiede, sowohl in der Politik, als auch in der Wirtschaft. Es hat sich aber seit der Wiedervereinigung viel getan und es war und es ist keine einfache Aufgabe zwei solch verschiedene Länder zu vereinen.
Ost und West – Fragen an Autor Jonathan Radkowski
Jonathan, wie bist Du zu dem Thema gekommen?
Ich interessiere mich schon lange für Geschichte. Über die Unterschiede heute zwischen Ost und West habe ich einige Zeitungsartikel gelesen, weshalb ich mich auch entschlossen habe, selbst einen Artikel über dieses Thema zu schreiben. Besonders eine Reportage zum Strukturwandel in Deutschland, die einzelne Interviews mit Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, enthielt, hat mich neugierig gemacht. Hierdurch habe ich mich inspiriert gefühlt, mich mit Statistiken zu auch heute noch bestehenden Unterschieden zwischen der ehemaligen BRD und DDR zu beschäftigen. Obwohl mir schon vor meiner intensiven Recherche bewusst war, dass es Unterschiede zwischen Ost und West gab, ist mir das Ausmaß der starken Orientierung der ehemaligen DDR-Region an den westlichen Lebensverhältnissen erst mit dem Verfassen des Artikels vor Augen geführt worden.
Welche Rolle spielt das Thema DDR und Mauer bei Euch eigentlich noch im Unterricht?
Das Thema ist im bisherigen Unterricht noch nicht behandelt worden. Es wird aber voraussichtlich in der Oberstufe einen Themenschwerpunkt bilden. Ich denke, das Thema ist besonders wichtig, weil es ein zentraler Abschnitt der neuen deutschen Geschichte war. Allerdings spielt es keine sehr große Rolle in unserem Schulalltag. Für NRW und Bochum hat sich durch die Wiedervereinigung weniger verändert als in anderen Bundesländern. Trotzdem ist es ein spannendes und vielschichtiges Thema.
Zitierweise: Jonathan Radkowski, "Ost und West", in: Deutschland Archiv, 29.09.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/340957. Sein Beitrag ist der Schülerzeitung "WIR" des Neuen Gymnasiums Bochum entnommen. Weitere Schülerzeitungstexte unter