Seit etwa 2011 berichten die Medien zunehmend über den Zuzug von Israelis, Israelinnen und Israeli*nnen
Ein erster Überblick
Die aktuelle mediale Wahrnehmung von Israelis, Israelinnen und Israeli*nnen in Deutschland muss vor dem Hintergrund der deutsch-jüdischen Geschichte und nunmehr deutsch-israelischen-jüdischen Gegenwart verstanden werden.
Warum Berlin?
Berlin spielt für alle Zugewanderten aus Israel eine besondere Rolle: In Berlin lebt die größte Anzahl von Menschen, die aus Israel stammen, sowie von Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik. Darüber hinaus verfügt Berlin über eine reichhaltige Museums-, Erinnerungs- und Gedenkortlandschaft, es ist ein konzeptualisierter Raum für Menschen aus Israel sowie ebenso für Deutsche. Berlin ist quasi durchtränkt von einer langen jüdisch-nichtjüdischen Verflechtungsgeschichte, von den Roaring Twenties über die Weimarer Republik, die Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten nach 1933, den Zweiten Weltkrieg und die daraus folgende Teilung der Stadt bis hin zu ihrem Aufstieg nach dem Mauerfall zur – nunmehr finanziell weniger günstigen – Hipster- und Party-Metropole. Israelinnen, Israeli*innen und Israelis kommen aber auch nach Berlin, weil sie ihren Alltag nicht mehr unter dem Einfluss des Nahostkonflikts und des religiösen Establishments leben wollen.
Wer kommt nach Deutschland und weshalb?
Seltener wird über Israelinnen und Israel*innen berichtet, die sich nicht in einem für die breite Öffentlichkeit interessanten Feld bewegen – was mitunter zu medialen Verzerrungen führt. Die Mehrheit aller Israelinnen und Israel*innen ist qualifiziert bis hochqualifiziert (Bachelor und höherer Abschluss), allerdings erhalten Unternehmerinnen weniger mediale Aufmerksamkeit als Regisseurinnen, Dramaturginnen, Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Schriftstellerinnen oder Wissenschaftlerinnen und zwar unabhängig davon, ob sie sich als Israelinnen oder Israel*innen verstehen
Ein Körnchen Wahrheit steckt jedoch auch in der Überbetonung der künstlerisch und akademischen Berufsbilder. Die Mehrheit aller Immigrantinnen und -*innen hat kultur- und sozialwissenschaftliche Abschlüsse, die in Israel nur bedingt zu größeren Karrieren führen. Dieses hat mehrere Gründe. Zum einen ist der israelische Arbeitsmarkt recht klein, da Israel ein kleines Land mit einer Bevölkerung von etwa neun Millionen Menschen ist. Zudem haben die militärischen Auseinandersetzungen Auswirkungen, die auch den Arbeitsmarkt der Zivilgesellschaft betreffen: So werden die Wege in Berufe im IT- und Hightech-Sektor, die technisches Wissen voraussetzen, oft schon während des Dienstes in der israelischen Armee vorgeprägt, in dem Frauen wiederum seltener exponierte Positionen haben. Zudem sind Kultur- und Sozialwissenschaftlerinnen sowie -*innen in gut bezahlten Positionen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen seltener vertreten.
In Israel besteht ein Gender Pay Gap von 22,7 Prozent.
Ob dies auch in Deutschland so ist, muss sich noch zeigen, da die Migrationsbewegung erst Mitte der Nullerjahre stärker gewachsen ist. In Relation zur Grundgesamtheit aller Israelinnen, Israeli*nnen und Israelis – kommt eine signifikante Anzahl von ihnen über Förderprogramme nach Deutschland, die sich an Künstlerinnen, -*innen und Künstler, Wissenschaftlerinnen, -*innen und Wissenschaftler
Die Mehrheit aller Israelinnen, -*nnen und Israelis kommt heutzutage als Singles nach Deutschland, was wiederum bedeutet, dass sie keine familiären Andockpunkte über eine Partnerin oder einen Partner haben und kein Zugang zu deren Netzwerk besteht. Dieses lässt sich anhand von Facebook-Gruppen gut darstellen: Hier suchen Israelinnen, Israeli*nnen und Israelis bei ihren Landsleuten Hilfe. Dabei geht es häufig um bürokratische Belange oder Hürden des Alltags, für deren Bewältigung ihnen das Lokalwissen in Deutschland fehlt.
Bessere wirtschaftliche Chancen und die berufliche Weiterentwicklung sind die beiden Hauptauswanderungsmotive von Israelinnen, Israel*innen und Israelis. Dieses heißt allerdings nicht, dass sie für sich extrem hohe Gehälter erhoffen. Sie möchten in ihrem beruflichen Tätigkeitsfeld lediglich genug verdienen, um gut zu leben und einen Lebensentwurf realisieren können, den sie sich wünschen. Dieser Wunsch manifestiert sich mitunter darin, dass sie sich der israelischen Gesellschaft entziehen möchten, die an Frauen bestimmte Anforderungen stellt. In diesem Sinne sind die Israelinnen der Gegenwart unter anderen Prämissen ausgewandert als Frauengenerationen vor ihnen. Dieses lässt sich historisch kurz umreißen.
Migration von Frauen – eine historische Betrachtung
Migration wird von Frauen anders erlebt als von Männern. Dies wurde allerdings erst spät ein zentraler Topos in der Migrationsforschung.
Die Migration von Israelis und Israelinnen nach Deutschland existiert bereits seit der Gründung Israels: Ronald Webster, Historiker an der kanadischen York University,
Die Ehemänner waren laut Webster und meiner eigenen, seit 2002 vorgenommen Feldforschung meist die treibenden Kräfte, in die Bundesrepublik oder nach Westberlin einzuwandern. Der Hauptgrund, der dafür benannt wurde, war, dass sie in Israel (nach 1948) ökonomisch nicht über die Runden kamen und sich auch erhoffen konnten, vor Ort in Westdeutschland schneller Entschädigungszahlungen zu erhalten (nach 1952). In selteneren Fällen folgte eine unverheiratete Frau einem Mann aus Liebe nach Deutschland, um dort mit ihm eine Familie zu gründen. In einigen Fällen hinterließen sie Tagebücher oder wurden interviewt:
Über diese frühe Einwanderinnenkohorte aus der Generation der Überlebenden lässt sich also festhalten, dass die Ein- oder Rückwanderbewegung von Geschlechterungleichheit geprägt war und dass spezifische Gründe hervorstachen. Frauen waren seltener unabhängige Einwanderinnen oder Rückkehrerinnen.
Eine weitere, sehr kleine Gruppe waren die aus Israel mitmigrierten Kinder. Ältere Kinder drückten häufig ihren Unwillen aus, nach Deutschland einzuwandern. In einem weithin beachteten Fall kehrte eine junge Israelin 1958 nach Israel zurück, nachdem sie ohne Wissen ihrer Eltern des Familienpasses, 1.000 D-Mark und eines Flugtickets habhaft geworden war.
Generative Unterschiede
Den diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1965 waren Begegnungen im Bereich von Sport und Wissenschaft vorgelagert. Israelinnen, die auf diesem Weg nach (West-)Deutschland kamen, waren schon in Israel geboren und aufgewachsen. Auch wenn einige von ihnen Kinder von Geflüchteten aus Deutschland waren und sie Kenntnisse der deutschen Sprache hatten, so war ihre Selbstverortung anders als die ihrer Eltern: Sie waren Israelinnen. Wie viele der Israelinnen und Israelis, die in Deutschland studierten, blieben, lässt sich leider nicht ermitteln.
Ein Blick in die aktuelle Statistik zu Israelinnen und -*nnen in Deutschland
Zwar gibt es einige Statistiken beim Bundesamt für Statistik, die allerdings nicht sehr detailliert sind. So lebten am 31.12.2019 insgesamt 9.000 Männer und 6.000 Frauen mit israelischer Staatsangehörigkeit in Deutschland und 15.000 Menschen mit engerem und weiterem Migrationsbezug zu Israel, Alterskohorten sind nicht ersichtlich.
Zudem ergibt die Statistik nicht, ob die Israelinnen, die in der Gesamtzahl enthalten sind, von Jahr zu Jahr dieselben Personen sind – also wie volatil sich diese Gruppe verhält. Ethnographisch lässt sich feststellen, dass Israelinnen zum Studieren nach Deutschland kamen und ungeplant blieben. Sie lernten während des Studiums einen Mann oder eine Frau kennen, verliebten sich und beschlossen, mit ihm oder ihr in Deutschland zu bleiben.
Was für Deutschland als Zielland sprach und spricht
Deutschland wurde aus verschiedenen Gründen als Wohnsitz gewählt. In manchen Fällen wollte der aus Deutschland stammende Part die überlebenden Eltern nicht verlassen,
Die dritte Generation im Fokus
Mit der dritten Generation von Israelinnen und -*nnen, die ab Anfang der Nullerjahre nach Deutschland einwanderten, zeigt sich eine größere Bandbreite. Sie wanderten allein, als verheiratete, unverheiratete, als heterosexuelle, LGBTQI-verortete, als Mütter, Karrierist*innen, Künstler*innen, Student*innen oder temporär nach Deutschland ein. Im Gegensatz zur Generation ihrer Mütter waren sie seltener mitmigrierende Ehefrauen und häufiger mit deutschen Nichtjüdinnen und Nichtjuden verheiratet oder verpartnert, ebenso waren sie häufiger Singles und lebten also nicht heteronormative Lebensentwürfe: Sie übten offen und öffentlich Kritik an den Genderverhältnissen in Israel und leb(t)en den * (Genderstern) offen.
Diese Diversität sollte wiederum nicht darüber hinwegtäuschen, wie klein die Gruppe von Israelinnen und Israeli*nnen in Deutschland nach wie vor ist. Von den bundesweit 6.000 Israelinnen lebten am 31.12.2019 2.204 Frauen mit israelischer Staatsangehörigkeit und 779 mit deutsch-israelischer Doppelstaatsangehörigkeit in Berlin. Berlin, das so zentral in der Berichterstattung ist, war für 3.278 Israelis und 977 mit deutscher und israelischer Staatsbürgerschaft der bundesweit 9.000 Israelis melderechtliche Heimat.
Lifestyle-Migration und Gender in Israel
Israelinnen (und Israeli*nnen) der dritten Generation sind selbstbestimmter in ihrer Migrationsentscheidung als vorherige Generationen. So lässt sich an Israelinnen und Israel*innen als Migrantinnen aufzeigen, welche Veränderungen Frauenrechte und Feminismus für Frauen erreicht haben und welche Herausforderung des Genderbinärs (die Festlegung auf das weibliche oder das männliche Geschlecht) und heteronormativer Ordnungen durch LGBTIQ-Bewegungen entstanden sind.
Im gegenwärtigen Israel gebären Frauen im Durchschnitt 3,1 Kinder; in Deutschland sind es nur 1,6.
Dieser Norm widersetzen sich Israeli*nnen, die sich als queer verorten, was mitunter Emigration nach sich ziehen kann. Allerdings sollte festgehalten werden, dass Israelinnen und Israeli*nnen, die in den Nullerjahren einwanderten und der dritten Generation angehören, mehrheitlich
Lesbians, Queers, Heteros – Geschlechtsspezifika israelischer Migrant*innen
Dass Menschen, die freiwillig migrieren, sich generell von der nichtmigrierten Bevölkerung unterscheiden,
Iraelinnen in Deutschland: Von Israelinnen zu Israeli*nnen
In ihrer auf Berlin zentrierten Studie stellte Ruth Preser Israelinnen, die sich als lesbisch verorteten, in den Mittelpunkt. Die Kritik ihrer Studienteilnehmerinnen an den gesellschaftlichen Zuständen in Israel war ausgeprägt, die binär konstruierte, normative Geschlechterordnung kritisier(t)en sie. In Berlin fühlten sich diese Israeli*nnen freier, ihre Sexualität auszuleben, sich auszuprobieren und sie begegneten ‚anderen’, also nicht-israelischen Männern. Dieses mündete mitunter darin, dass einige der Studienteilnehmerinnen, die sich ursprünglich als lesbisch definierten, sich von deutschen Männern angezogen fühlten, die sie als weich empfanden und als mitunter feministisch; anders als israelische Männer, denen sie zuvor begegnet waren. Dieses eröffnet die Frage der Fluidität menschlicher Sexualität und Begierde und deren Situativität.
Hila Amit stellt in ihrer Arbeit „A Queer Way Out: Unheroic Resistance to Zionism“ die Verbindung zwischen queerer und politischer Identität von Israelinnen in Berlin, Paris, London und New York dar. Ihre Forschungsteilnehmerinnen verorten sich als queer, was für sie bedeutet, dass sie dem Heteronormativ widersprechen. Dies heißt nicht, dass sie homosexuell sind oder keine Kinder haben: Sie lehnen die binäre Geschlechterordnung ab, aber setzen diese ins Verhältnis zu israelischer Ideologie und Politik. Viele dieser Israeli*nnen waren in Nichtregierungsorganisationen (NRO) und politisch im linken Spektrum aktiv. Sie empfanden ihre Situation in Israel als ausweglos, und als queere Israeli*nnen sahen sie für sich keinen Platz in der dortigen Gesellschaft - obwohl es in Israel eine Gesetzgebung gibt, die sich langsam nichtheterosexuellen Lebensentwürfen öffnet. Anstatt gegen diese Gesellschaft anzukämpfen, räumten sie ‚unheroisch‘ das Feld, widersetzten sich dem zionistischen Ethos durch Emigration und verfolgen ihren Aktivismus aus dem Ausland weiter. Auch in Berlin engagieren sich einige Israelinnen, Israel*innen und Israelis in dem LGTBIQ-Verein Keshet (hebräisch für Regenbogen), der im Jahr 2018 in Berlin gegründet wurde.
Im Gegensatz zu Ruth Preser und Hila Amit, die die Fluidität von Sexualität und das Geschlechterbinär dekonstruierten, gilt die Aufmerksamkeit von Hadas Cohen Israelinnen in Berlin. Ihre Studienteilnehmerinnen empfanden ihre Migration nach Berlin als Befreiung aus dem israelischen Heteronormativ sowie dem gesellschaftlich vorgezeichneten Weg als Ehefrau und Mutter. Sie verorteten sich in der Mehrheit als heterosexuell und leben sich außerhalb Israels in polyamourösen, unverbindlichen und multiplen Beziehungen aus, ohne dass gesellschaftliche Sanktionen erfolgen – zumindest ohne, dass sie davon betroffen sind.
Eine Frage, der diese Forschungsarbeiten nicht nachgehen, ist die nach der ‚Sondersituation’ in Berlin: Berlin repräsentiert ebenso wenig Deutschland wie Tel Aviv Israel. Auch die bewusste Positionierung als Migrantin beziehungsweise Migrant*in
Im Gegensatz zu diesen qualitativ basierten Studien führten Uzi Rebhun, Heinz Sünker und ich ein bundesweites Forschungsprojekt durch, das die Migration israelischer Jüdinnen und Juden nach Deutschland seit 1990 auf quantitativer und qualitativer Basis analysiert.
Ob diese Befunde sich in drei oder fünf Jahren replizieren lassen, bleibt abzuwarten, allerdings liegt die Vermutung nahe, dass mit dem Ankommen in Deutschland der Bewusstseinsraum für lokale Geschlechtsspezifika wächst, und ebenso, dass Berlin und andere deutsche Großstädte liberalere Identitätsspielräume bieten als konservativere, ländliche Regionen. Des Weiteren wird sich zeigen, wie sich Israelinnen und Israeli*nnen in Deutschland als Elternteile zurechtfinden. Während am Anfang unserer Forschung Elternschaft eher wenig diskutiert wurde, nahm diese Thematik inzwischen zu. Diese Beobachtung teilt auch Lianne Merkur,
Fazit
Israelinnen und Israelis, und die, die sich bewusst als Israeli*nnen positionieren, sind kontinuierlich und als diverse Gruppe nach Deutschland eingewandert. Neben der besonderen Aufmerksamkeit, die ihnen als Jüdinnen und Juden zukommt, erlauben sie Einsichten in die Dynamiken von Geschlechterbeziehungen und Selbstverortungen. Die seit Anfang der Nullerjahre eingewanderte Gruppe ist politischer und diversifizierter und fordert das Geschlechterbinär heraus. Diese Gruppe legt Geschlechtsspezifika offen, da sie den Dissens mit dem Heteronormativ lebt. Allerdings legen die bisherigen Forschungsunterfangen offen, dass der Wunsch nach ökonomischem Fortkommen, Bildung und Lifestyle mitunter mit Geschlechterfragen verknüpft wird. Ebenso bleibt festzuhalten, dass ökonomische und bildungstechnische Gründe die Auswanderung dominieren, diese allerdings direkt mit einem gewünschten Lifestyle korrelieren und dass, in der Konsequenz, Frauen dieses offener aussprechen als Männer, da sie von Geschlechterungleichheiten stärker betroffen sind.
Zitierweise: Dani Kranz, "Israelinnen und Israeli*nnen in Deutschland", in: Deutschland Archiv, 22.3.2021, Link: www.bpb.de/329053.
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