„Als erster aus der Kurve kommen“
Die Rolle der USA bei der Wiedervereinigung
Hans-Peter Häfner
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In der Reihe „ungehaltene Reden“ ehemaliger Abgeordneter der letzten Volkskammer der DDR ist schon viel über die Rolle des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow 1989/90 reflektiert worden. Der ehemalige CDU-Parlamentarier Hans-Peter Häfner aus Thüringen wirft dagegen einen Blick auf die Rolle des damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush (sen.) und würdigt weitere US-Amerikaner, die 1990 ebenfalls maßgeblich am Prozess der Deutschen Einheit beteiligt waren.
Aus meiner Sicht enttäuschend ist, dass heute weder in Deutschland noch in Amerika kaum oder nur wenig an die so entscheidende Hilfe von US-Präsident George W. Bush (sen.) und seiner Diplomaten bei der Wiedervereinigung Deutschlands erinnert wird. Die Deutschen haben aus meiner Sicht aber Grund, Dank zu sagen und die deutsch-amerikanische Freundschaft zu pflegen – bei allen tagespolitischen Meinungsverschiedenheiten, die auch bei engen Freundschaften nicht ganz zu vermeiden sind. Man sollte daran denken, wie klein das Zeitfenster 1990 für die Einheit war und wie schnell sich 1991 trotz eines gescheiterten Putsches die politischen Verhältnisse in Russland geändert haben.
Und heute ändern sie sich in Moskau wieder sehr radikal. Es könnte sein, dass die Deutschen und die Europäer die Hilfe der Amerikaner erneut brauchen werden. Vielleicht dringender als denn je wegen der Auseinandersetzungen, die Russland und China um Einfluss und Macht in der Weltpolitik führen. Insbesondere vor diesen Hintergründen, und weil sich während der Amtszeit von Donald Trump in den Jahren 2017 bis 2021 die deutsch-amerikanischen Beziehungen alles andere als gut gestaltet haben, ist Erinnern hilfreich.
Wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart und die Zukunft vor Fehlern bewahren. Mit der Wahl des Demokraten Joe Biden zum neuen US-Präsidenten und dessen Vereidigung im Januar 2021 verbindet sich viel Hoffnung auf eine Belebung der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Dabei ist davon auszugehen, dass Präsident Biden auch amerikanische Interessen nicht aufgeben wird, wie zum Beispiel die Steigerung der Bundeswehrausgaben oder die Reduzierung der deutschen Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen.
Ein Buch liest man selten mehrfach. Die 1997 in Deutschland erschienene 664 Seiten umfassende Dokumentation „Sternstunde der Diplomatie“ von Philip Zelikow und Condoleezza Rice über die deutsche Einheit und das Ende der Spaltung Europas ist jedoch solch ein Buch. Es ist in den Medien als die beste Diplomatengeschichte der Wiedervereinigung gelobt worden. Die nachfolgenden Erinnerungen halten sich weitgehend bei den Ereignissen der Jahre 1989/90 an die Darstellung der beiden Autoren. Als Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates von Präsident George Bush saßen sie ab 1989 an der wichtigsten Schaltstelle des damaligen Geschehens.
Ausgangssituation
Kein regierender Politiker in der Welt hatte vor dem Jahr 1989 die Absicht, die seit 1945 offen gebliebene deutsche Frage neu zu regeln. Weder gab es einen Friedensvertrag noch waren die Grenzfragen geklärt. Die Rechte der vier alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges über die Verwaltung in Deutschland hatten immer noch Bestand. Das Land wurde geteilt, beide Staaten verfügten nur über eine beschränkte Souveränität und waren fest eingebunden in westliche und östliche Militär- und Wirtschaftsbündnisse. Die meisten Westdeutschen hatten sich mit der Teilung ihres Vaterlandes abgefunden und erfreuten sich ihres Wohlstandes, in dem sie lebten.
Die Ostdeutschen waren zwar mehrheitlich unzufrieden mit der SED-Herrschaft, wollten aber auf manche vermeintlichen „sozialistischen Errungenschaften“ wie das Sozialsystem oder subventionierte Lebensmittel- und Mietpreise nicht verzichten. Die Supermacht USA war besorgt, dass der Preis für eine Wiedervereinigung die Neutralität sein würde und die Deutschen die NATO verlassen könnten. In Frankreich und England fürchteten sich Politiker*innen vor einem neuen deutschen Nationalismus und glaubten, die westeuropäische Einigung mit einem geteilten Deutschland leichter und vorteilhafter für sich gestalten zu können.
Am meisten zu verlieren hatte die andere Supermacht, die Sowjetunion. Es ging um ihre Kriegsbeute, die DDR. Sie besetzten sie nach 1945 mit den besten Truppen der Roten Armee, es waren am Ende inklusive der Zivilpersonen 500.000 Menschen. Die DDR war Eckpfeiler ihres Sicherheitssystems und größter Handelspartner. Der Stolz über den so opferreichen Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ vereinte die herrschende Partei, die KPdSU, mit ihrer Bevölkerung. Diese Einigkeit war in Gefahr.
Die Welt war trotz gelegentlicher Sonntagsreden zur Wiedervereinigung mit dem erreichten Status quo recht zufrieden. Weil alle Politiker*innen die Nachkriegsrealitäten in Europa für unerschütterlich hielten, konnten die beiden Supermächte über weitreichende Abrüstungen erfolgreich verhandeln. Das nukleare Gleichgewicht und die Unmöglichkeit eines atomaren Krieges gestattete es beiden, in Mitteleuropa einen großen Teil der atomaren Raketen zu verschrotten und die Zahl ihrer dort stationierten Soldaten zu verringern. Weil sich auch in der dritten Welt die Spannungen zwischen den Supermächten entschärften, atmete man überall erleichtert auf. Die Chance, den Kalten Krieg nach mehr als 40 Jahren friedlich zu beenden, war da. Es fehlten noch Lösungen, um die Teilung in Deutschland und Europa zu beenden sowie die Respektierung von Menschenrechten in der sozialistischen Welt zu verbessern.
Neue politische Verhältnisse
Am 7. Dezember 1988 verzichtete Michail S. Gorbatschow, seit 1985 in der Sowjetunion herrschender Generalsekretär der KPdSU, in einer Rede vor der UN-Vollversammlung in New York auf die so genannte Breschnew-Doktrin, welche bis dahin militärisches Eingreifen der Sowjetunion bei drohendem Machtverlust in allen sozialistischen Staaten vorsah. Gorbatschow wollte in seiner Innenpolitik „Perestroika“ (Umbau) und „Glasnost“ (Transparenz) durchsetzen und wünschte sich ein „gemeinsames europäisches Haus mit Anerkennung von demokratischen Werten“. Die Sowjetunion wollte teilhaben an diesem Haus, seine selbst gewählte Isolation beenden und seine Grenzen öffnen für weltweite Handelsbeziehungen. Mit solchen Reformen und der sowjetischen Abrüstung bestimmte Gorbatschow die Schlagzeilen in der internationalen Medienlandschaft. Er wurde mit seinem „neuen Denken“ als Hoffnungsträger, geradezu als Politik-Popstar, in der Welt gefeiert.
In den Vereinigten Staaten beobachtete man zunächst misstrauisch, ob diese Neuerungen dauerhaft bleiben würden. Der gerade frisch gewählte Präsident George W. Bush (sen.) hatte ebenfalls ehrgeizige politische Ziele. Am 16. Dezember 1988 verkündete er vor seinen Beratern: „Wir sollten große Träume träumen!“ Er und sein Außenminister James A. Baker wollten Erfolge im eigenen Land und in der internationalen Politik die gleiche Aufmerksamkeit und Anerkennung wie Gorbatschow. Präsident Bush berief in seinen Nationalen Sicherheitsrat (NSC) und in das US-Außenministerium (US-AM) die Personen, die in den folgenden zwei Jahren die Weltpolitik so lenkten, dass der Kalte Krieg friedlich beendet werden konnte und Deutschland wiedervereinigt wurde. Allen daran beteiligten Amerikanern gebührt Dank und Anerkennung für ihr entschlossenes Handeln. Zunächst sollen 16 Amerikaner*innen mit Namen und ihrer Funktion genannt sein, ehe an ihre Arbeit und Erfolge erinnert wird.
Die Hauptakteure
Dies waren an vorderster Front der Präsident George W. Bush (sen.) und einer seiner engsten Vertrauten, der Außenminister James A. Baker. Als Direktor und stellvertretender Direktor des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) wurden die erfahrenen Diplomaten Brent Scowcroft und Robert Gates berufen. Ihnen zur Seite standen der Stratege Robert Blackwill, der im NSC für Europa und die Sowjetunion zuständig wurde sowie Philip Zelikow als Experte für Europapolitik und Condoleezza Rice als Kennerin der Sowjetunion.
In die Spitzenpositionen im Außenministerium (US-AM) wurden Robert Zoellick und Dennis Ross berufeneingesetzt, die eng mit dem NSC bei der Entwicklung von strategischen Konzepten zusammenarbeiteten. Die leitenden Beamten James Dobbins und Raymond Seitz hatten immer ein gewichtiges Wort in der Diplomatie gegenüber Deutschland mitzureden.
Zu den politischen Entscheidungen wurden natürlich der Verteidigungsminister Richard („Dick“) Cheney und der Vorsitzende der Vereinten Stabschefs, Colin Powell, sowie der stellvertretende Außenminister Lawrence Eagleburger und seine zwei Staatssekretäre Reginald Bartholomew und Robert Kimmitt hinzugezogen. Diese 16 Amerikaner*innen waren die entscheidenden Akteure*innen für die Sicherheitspolitik der USA in den Jahren 1989/90.
Strategie der Amerikaner
Die Bush-Administration leitete eine Revision der Außenpolitik ein, um die Führungsmacht der USA in der Welt zu demonstrieren. Am 20. März 1989 legte der NSC-Stab dem Präsidenten eine Denkschrift vor, die wörtlich folgendermaßen begann: „Heute sollte die oberste Priorität der amerikanischen Europapolitik das Schicksal der Bundesrepublik Deutschland sein.“. Ziel müsse die Überwindung der Grenzen in Europa sein.
Das war die Antwort auf Gorbatschows Idee vom „gemeinsamen Haus“. Bush wurde gedrängt, mit diesen Themen an die Öffentlichkeit zu gehen, um der aufkommenden Kritik angesichts der Popularität von Gorbatschow entgegen zu wirken. Das Argument aus der Denkschrift: („Obwohl so gut wie kein Westdeutscher damit rechnet, dass es noch in diesem Jahrhundert zur Wiedervereinigung kommt, gibt es keinen Deutschen, gleich welchen Alters, der nicht in seinem tiefsten Inneren davon träumen würde“) hat wohl gewirkt. Es stimmte mit Bushs Erlebnissen bei seinem Deutschlandbesuch als Vizepräsident von US-Präsident Reagan im Jahr 1983 überein. Ein untrügliches Gespür, dass die Einheit möglich wird, hatte der neue US-Botschafter Vernon Walters in Bonn schon im April 1989. Sein Optimismus und seine Berichte wurden von den Deutschen damals noch belächelt.
Und der Präsident wurde aktiv. In einem Interview am 16. Mai 1989 in der Washington Post, also schon sechs Monate vor der Maueröffnung, äußerte er, dass „jeder, der ein durch Teilung entzweites Land und durch politische Teilung getrennte Menschen sieht, sollte die Wiedervereinigung …. befürworten“. Auch der Außenminister wurde von seinem außenpolitischen Strategen Robert Zoellick gedrängt, in der Frage der deutschen Vereinigung „als erster aus der Kurve zu kommen“, sonst würde Gorbatschow „sie möglicherweise zuerst aufgreifen“. In einer Rede am 17. Mai 1989 an der A&M Universität in Texas gestand Präsident Bush der Sowjetunion zu, sich aus der Isolation zu lösen und in internationale Systeme zu integrieren. Als in Polen das Verbot der Gewerkschaft Solidarnosc aufgehoben wurde, stellte er Wirtschaftshilfe gegen weitere Liberalisierung in Aussicht. Auf dem NATO-Gipfel am 29./30. Mai in Brüssel verkündete er Schritte in der konventionellen Abrüstung und als Ziele seiner Europapolitik, „die Teilung Europas zu überwinden und eine Einheit zu schmieden, die auf westlichen Werten beruht“.
Die Schlusserklärung enthielt: „Wir streben nach einem Zustand des Friedens in Europa, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.“. Am folgenden Tag hielt Bush eine Grundsatzrede in Mainz. Darin verkündete er als neue politische Aufgabe der NATO, ein ungeteiltes und freies Europa zu schaffen. Der „Eiserne Vorhang“ müsse fallen, so wie es in Ungarn damals schon der Fall war, und „Berlin muss die nächste Station sein“. Die Ereignisse im Mai 1989 legten das Fundament für viel engere amerikanisch-deutsche Beziehungen. Sie wurden auch zu einem großen Erfolg für Bush persönlich und verschafften ihm in der Welt viel Anerkennung. Auch in Moskau nahm man seine Initiativen mit Ausnahme der Wiedervereinigung durchaus positiv auf.
Reaktionen in Bonn und Moskau
Die Passagen zur Vereinigung in der Mainzer Rede trafen die deutschen Bundespolitiker*innen vollständig unvorbereitet. Kennzeichnend ist ein Zitat von Bernhard Vogel (CDU), das jener in den Folgejahren häufiger in Reden und Interviews verwendete: „Wir hatten zwar ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, ein Ministerium für gesamtdeutsche Antworten hatten wir nicht.“. Die Amerikaner waren der Zeit weit voraus, räumte später auch Horst Teltschik ein, der außenpolitische Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU).
Auch am Jahrestag des Mauerbaus, dem 13. August 1989, hatte Bush (sen.) seine Position wiederholt: „Wie wir heute den Jahrestag des Mauerbaus begehen, so werden wir unweigerlich einen Tag erleben, an dem Berlin, das deutsche Volk und Europa nicht länger geteilt sind.“ (Quelle: Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe III, Bd. 7, S. 222).
Gorbatschow hatte beim Besuch von Helmut Kohl im Oktober 1988 in Moskau erklärt: „Die Geschichte hat Deutschland geteilt und jeder Versuch, die Situation durch unrealistische Politik zu ändern, ist unberechenbar und sogar gefährlich.“. Dieser Standpunkt blieb auch beim Besuch Gorbatschows im Juni 1989 in Bonn unverändert. Die Erklärungen von Präsident Bush im Vormonat fanden kein Echo. Die Nachkriegsrealitäten blieben Realität. Die CDU-geführten Bundesregierungen gaben schon seit der Adenauerzeit nicht der Wiedervereinigung die Priorität. Der Schutz durch die USA und die NATO vor sowjetischer Aggression und ihrer Politik „Wandel durch Stärke“ waren vorrangig. Diese Politik änderte die SPD in ihrer Regierungszeit in die neue Ostpolitik „Wandel durch Annäherung“. Sie setzte damit Erleichterungen in den Beziehungen zur DDR und zu Osteuropa durch.
Exodus der DDR-Bevölkerung, friedliche Revolution und Rückkehr von Kohl zur Politik „Wandel durch Stärke“ nach dem Mauerfall
Ab Mai 1989 ließ die ungarische Regierung medienwirksam ihre Grenzanlagen zu Österreich abbauen, im August bekräftigte sie, dass die DDR nicht mehr über Flüchtlinge informiert werde. Es begann der Exodus der Ostdeutschen.
Mehrheitlich junge Familien reisten im Frühsommer als Urlauber nach Ungarn, besetzten die westdeutschen Botschaften in Budapest, später in Prag und in Warschau und flüchteten über die Grenze. 1989 waren das insgesamt etwa 340.000 Menschen, die deutliche Lücken und viel Gesprächsstoff in der DDR-Gesellschaft hinterließen. Die SED reagierte mit Lügenpropaganda, mit Grenzschließungen und zunehmender Gewalt, Erich Honecker wollte den Flüchtenden „keine Träne nachweinen“, so kommentierte er am 2. Oktober unter einem Kürzel im Neuen Deutschland. Das rüttelte noch mehr Menschen in der DDR auf, sie gingen in den Folgewochen nicht nur in Leipzig mit Kerzen zu friedlichen Demonstrationen auf die Straßen.
Eine revolutionäre Situation wuchs heran, weil ein Wahlbetrug geleugnet und Versorgungsmängel unerträglich wurden. Die Abwahl Honeckers und der Wechsel zu Egon Krenz im Oktober in der SED 1989 erschien vielen als unglaubwürdig. Die Friedliche Revolution in der DDR siegte mit den Rücktritten in SED und Regierung. Durch hilfloses und hektisches Handeln der immer noch herrschenden Staatspartei fielen am 9. November 1989, vom DDR-Regime ungeplant und ungewollt, die Mauer in Berlin und die innerdeutsche Grenze. Viele Deutsche jubelten „Wahnsinn!“ und lagen sich nach 28 Jahren der Trennung in den Armen. In der ersten Woche reisten 9 Millionen DDR-Bürger*innen in den Westen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Die politische Spitze der USA reagierte besonnen. In einem rückblickenden Interview mit der Deutschen Welle am 6.11.2014 sagte George Bush (sen.): „Obwohl mich das, was sich augenscheinlich ereignete, persönlich begeisterte, habe ich mich davor gehütet, den Medien vorschnell Statements zu geben. Wir mussten mit Vorsicht und Bedacht auf die guten Nachrichten reagieren. Dabei ging es darum, wie Präsident Gorbatschow sich verhalten würde, aber auch wie seine Gegner in der Sowjetunion reagieren würden. Schadenfreude war nicht gefragt.“. Bush wollte auch sein erstes persönliches Treffen mit Gorbatschow vier Wochen später auf Malta nicht belasten. Es fand am 2. und 3. Dezember statt.
Auch Moskau griff nicht ein, es gab für die sowjetische Führung wichtigere Krisen. Russland war von Nationalitätenunruhen umzingelt und wirtschaftlich in Schwierigkeiten. In Polen verloren die Kommunisten Wahlen, die Gewerkschaft Solidarnosc bildete die Regierung. Die CSSR befiel am Jahrestag der Okkupation von 1968 der Virus des Aufruhrs. In den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen kam es am 50. Jahrestag ihrer Okkupation zu Demonstrationen und Streiks, die Unabhängigkeitswünsche wurden zum Konfliktthema. In den fünf Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Armenien, Moldawien, Georgien und Ukraine entflammten ethnische Konflikte und Unruhen. Militär wurde eingesetzt.
Gorbatschows Ziel, die Reformen steuern zu können, schien gescheitert. Da wirkte aus sowjetischer Perspektive die Entwicklung in der DDR wie eine Nebensache, die Brisanz der Krise wurde nicht erkannt. Gorbatschow empfahl Honecker völlig vergeblich, mit Reformen auf die Krise zu reagieren. Als Kohl im September 1989 in einer Parteitags-Rede in Bremen ausloten wollte, was zur Belebung der offenen deutschen Frage möglich sein könnte, erntete er noch empörte Kommentare von Gorbatschow selbst und in der sowjetischen Presse. Und noch im Oktober 1989 verwiesen Helmut Kohl, Willy Brandt, Egon Bahr, Oskar Lafontaine und andere Bundespolitiker*innen eine Veränderung des Status quo in der sowjetischen Deutschlandpolitik ins Bereich der Fantasie.
Aber Helmut Kohl hörte im November 1989 mehr auf die unterstützenden Verlautbarungen aus Amerika. Als schließlich aus Moskau Signale zu einer Verhandlungsbereitschaft kamen, brachte Kohl ohne Absprache mit der eigenen Regierung am 28. November seinen 10-Punkte-Plan zur Neuregelung der deutsch-deutschen Beziehungen und zur Lösung der deutschen Frage in den Bundestag ein – ein überraschender Coup, wonach zunächst eine „Vertragsgemeinschaft“ anzustreben wäre und ein vereintes Deutschland als „ein Zeichen für die Vereinigung Europas“ zu betrachten sei.
Bedingungen und Verhandlungen für die Einheit
Aber im November 1989 war es noch weit bis zu Verhandlungen über eine Wiedervereinigung. Die Amerikaner erkannten sofort, dass Kohl mit seinem 10-Punkte-Plan ein großes Risiko eingegangen war und Hilfe brauchte. In enger Zusammenarbeit von NSC und US-AM arbeiteten die Diplomaten vier Bedingungen als Standpunkte des Präsidenten aus: - Unterstützung der Deutschen auf ihr Recht zur Selbstbestimmung, - Deutschland bleibt NATO-Mitglied, - die Verhandlungen müssen friedlich und allmählich erfolgen sowie die Rechte der Alliierten berücksichtigen, – die Grenzen in Europa bleiben unverändert.
So gerüstet reiste Präsident Bush am 3. Dezember1990 zu seinem ersten persönlichen Treffen mit Generalsekretär Gorbatschow nach Malta. Obwohl die Atmosphäre entspannt war und Gorbatschow zu Bush Vertrauen gewinnen konnte, blieb die Sowjetunion zunächst bei ihrer harten Linie: Der Verlust der DDR würde „dem östlichen Sicherheitssystem das Herz herausreißen“. Einheitsverhandlungen sollten der KSZE-Konferenz übertragen werden. Das lehnte Bush ab., bei 35 KSZE-Ländern drohe jahrzehntelange Uneinigkeit. Positiv war, dass Gorbatschow versprach, im Baltikum kein Militär einzusetzen. Einig zeigten sich beide auch darin, dass sie sich nicht mehr gegenseitig als Feinde zu betrachten. Der Kalte Krieg war zu Ende. Bei den Amerikanern blieb der Eindruck, dass Gorbatschow in der Deutschlandpolitik „beeinflussbar“ war.
Als schwierig für Bush erwies sich auch eine Tagung der 16 Regierungschefs der NATO-Staaten in Brüssel am 4. Dezember 1990. Er wollte die Bündnispartner auf Kohls 10-Punkte-Programm verpflichten, was nur mühsam und gegen erheblichen Widerstand aus England und Frankreich gelang. In seiner Erklärung zur Zukunft in Europa versprach er, dass die USA durch ihre Truppenstationierung eine zuverlässige Schutzmacht bleiben würde. Die NATO sollte nicht nur weiterhin Garant der Sicherheit bleiben, sondern als neue politische Aufgabe die Freiheit in Osteuropa fördern.
Helmut Kohl hatte im Dezember bei der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg in eher eisigem Klima Mühe, eine gemäßigte Erklärung zur deutschen Frage zu erreichen. Aus Moskau kamen von Gorbatschow vor einer ZK-Tagung des Zentralkomitees der KPdSU unannehmbaren Forderungen: Die Einigungsverhandlungen seien nur durch die vier Alliierten, also die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien führen zu lassen und bei Treffen der vier Botschafter ohne Beteiligung der Deutschen. Gorbatschow musste damit offenkundig auf Kritik der Hardliner in der KPdSU reagieren. Doch es gelang durch Druck der Amerikaner und der Deutschen, dass es die drei westlichen Alliierten wegen des sowjetischen Vetorechtes ablehnten, in diesen zwei Gremien über die deutsche Einheit zu verhandeln.
Unterstützung erhielt Kohl durch eine Rede des US-Außenministers Baker, die jener am 12. Dezember vor dem Berliner Presseclub zu den vier Standpunkten der Amerikaner und zur Architektur eines neuen Europas hielt. Hinter den Kulissen wurde in den diplomatischen Begegnungen offen über die gemeinsame Strategie der westlichen Seite geredet. So hielt am 14. Dezember 1989 Ministerialdirektor Dieter Kastrup in einem Fernschreiben aus Brüssel an das Auswärtige Amt fest: „Einigkeit bestand, dass der Westen die Agenda setzen und Gorbatschow nicht die Initiative überlassen sollte.“.
Noch wichtiger wurde Kohls Reise am 19. Dezember 1990 nach Dresden. Die Fernsehbilder der ihm zujubelnden Menschen führten aller Welt sichtbar Rückhalt aus der DDR für eine Wiedervereinigung vor Augen. Bush und Baker hatten sich hinter Kohls Programm gestellt und darüber hinaus die NATO-Mitgliedschaft fest verankert. Die amerikanische Diplomatie verfolgte nun die Absicht, die Sowjets zu beruhigen und die Verbündeten daran zu hindern, in überwundene nationale Feindseligkeiten zurückzufallen.
2+4-Verhandlungen
Anfang des Jahres 1990 entstanden zuerst in Amerika geheim gehaltene Überlegungen, die Einigungsverhandlungen zu beschleunigen. Sie brauchten dazu die Deutschen gleichberechtigt mit den Alliierten. Die Amerikaner wollten eine schnelle Einheit, um die NATO-Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zu sichern und sie nicht durch sowjetische, englische oder französische Querschüsse stören zu lassen. Condoleezza Rice schrieb in einem NSC-Papier gegen mögliche Bedenkenträger: „Ich glaube (und dies ist eine reine Vermutung; wenn wir uns daran halten, werde ich wahrscheinlich eine Menge Zeit in der Kirche verbringen, um dafür zu beten, dass ich recht behalten möge), dass die Sowjets den Deutschen nicht einmal drohen werden.“.
Die Idee wandelte sich danach von alliierten Viererverhandlungen in 2+4-Verhandlungen. Die zwei deutschen Staaten saßen nicht länger „am Katzentisch“, sie wurden zu gleichberechtigten Teilnehmern. Die Amerikaner bereiteten gleichzeitig eine bedeutende Abrüstungsinitiative mit einer Obergrenze von je 295.000 amerikanischen und sowjetischen Soldaten in Mitteleuropa vor. Kohl verabschiedete sich im Januar – wahrscheinlich auf Anregung der Amerikaner – von seinem Stufenplan zur Einheit, weil der DDR-Regierung immer mehr die Macht entglitt.
Mit einem radikalen Kurswechsel zur alten Politik „Wandel durch Stärke“ schlug er den direkten, schnellen Weg zur Einheit mit dem Anschluss der DDR nach Artikel 23 GG vor. Das war vor den Volkskammerwahlen in der DDR und einem damals von Demoskopen vorausgesagten Wahlsieg der SPD, die einen anderen Weg zur Einheit gehen wollte, ein gewaltiges Risiko. Wohlüberlegt half er der Sowjetunion gleichzeitig mit einer Lebensmittellieferung, die mit 220 Millionen D-Mark subventioniert wurde. Das schaffte Dankbarkeit bei Gorbatschow.
Nun gerieten die Diplomaten in hektische Aktivität, innerhalb von nur zwei Wochen reisten die französischen und englischen Außenminister zur Abstimmung nach Washington, Baker und nach ihm Kohl brachen nach Moskau auf, und in Ottawa trafen sich alle Außenminister der NATO und der Warschauer Vertragsstaaten. Baker erreichte, dass der Kreml die Einheit nicht mehr verhindern wollte. Er brachte zwei überzeugende Argumente vor: Man dürfe Deutschland wegen der sowjetischen Militärmacht nicht bis zur Wehrlosigkeit entwaffnen, und das vereinigte Deutschland sei in der NATO unter amerikanischer Kontrolle ohne eigene Atomwaffen besser für die europäische und sowjetische Sicherheit als ein neutrales Deutschland mit Atomwaffen.
Das wurde entscheidend für den Erfolg des Moskaubesuchs von Kohl. Er reiste mit dem schriftlichen Versprechen von Bush: „Auf keinen Fall werden wir zulassen, dass die Sowjetunion den Viermächtemechanismus als Druckmittel gegen Sie nutzt, um Sie dazu zu zwingen, ein Deutschland nach den Vorstellungen und dem Tempo, die Moskau vorgibt, zu schaffen.“ (nachzulesen in den Akten des Bundeskanzleramts, DzD, Dok. Nr. 170 (der private 171), S.784 f.).
Gorbatschow empfing Kohl freundlich und gab entgegen aller Erwartungen grünes Licht zur deutschen Einheit. Die Deutschen könnten selbst über die Bedingungen und das Tempo und ihre Regierungsform bestimmen. Ein historischer Erfolg für Kohl am 12. Februar 1990, der der Ost-CDU auch zum Wahlsieg im März in der DDR verhalf. In Ottawa wurde international zugestimmt zum eingeengten 2+4-Mechanismus, nur die äußeren Aspekte der Vereinigung zu beraten und die inneren Probleme den Deutschen nach der Wahl in der DDR zu überlassen.
George A. Baker setzte neben dem Konferenzablauf in mehr als 15 Vieraugengesprächen durch, dass eine KSZE-Konferenz erst stattfinden sollte, wenn der Truppenabbau auf jeweils 295.000 Mann Truppenstärke unterschriftsreif sei.
Nach der Ottawa-Konferenz konnte Bush stolz verkünden, dass schon nach seinem ersten Präsidentschaftsjahr die Führungsmacht USA ein freies und ungeteiltes Europa möglich mache. Aber er und Kohl hatten ehrgeizigere Ziele. Die Sowjets gruben sich ein mit der Forderung, dass ein Deutschland in der NATO unannehmbar sei. Sie stellten Deutschland vor die Wahl: Einheit oder NATO-Zugehörigkeit. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse und Gorbatschow schlugen außerdem einen Friedensvertrag vor, an dem 110 ehemalige deutsche Kriegsgegner zu beteiligen seien. NSC und US-AM erstellten für den Präsidenten ein Memorandum, in dem festgehalten wurde: „Der Westen hat den Forderungen Moskaus nicht nachgegeben, als es 1952 unter Stalin stark war. Kohl wird sicher zustimmen, dass wir jetzt, wo die Sowjetunion schwach ist, es ganz gewiss nicht tun sollten.“.
Beim Treffen in Camp David am 24. Februar mit Kohl verabredeten beide die Eckpfeiler der gemeinsamen Sicherheitspolitik. Das erste 2+4-Treffen in Beamtenrunde sollte im März, das erste Ministertreffen im Mai vor dem Gipfeltreffen von Bush mit Gorbatschow stattfinden. Die KSZE-Konferenz im Herbst dürfe zu keinem Friedensvertrag oder zu Einheitsverhandlungen führen. Dies müsse später als die Wiedervereinigung stattfinden. Als Kohl auch die offene Grenzfrage mit Erklärungen entschärfte, keinerlei Gebietsansprüchen gegenüber Polen zu hegen, konnten die Verhandlungen zum Abbau der Alliiertenrechte am 4./5. Mai in Bonn beginnen.
Amerikaner und Deutsche wollten die NATO-Mitgliedschaft erreichen, indem sie Änderungen der Politik von NATO und in der KSZE in Aussicht stellten – als Gegenleistung für die Zustimmung der Sowjetunion. Kohl bot zusätzlich bilaterale Wirtschaftshilfe und Kreditgewährung an. Die Sowjets blieben jedoch zunächst unerbittlich: Ein vereinigtes Deutschland habe neutral zu sein und außerhalb des westlichen Bündnisses zu bleiben.
Wendepunkte
Vor dem zweiten Gipfeltreffen mit dem im März 1990 zum Präsidenten der Sowjetunion gewählten Gorbatschow Ende Mai 1990 in Washington und Camp David zeigte sich Bush pessimistisch. Dann kam es zur überraschenden Wende. Nachdem beide Seiten ihre unversöhnlichen Standpunkte vorgetragen hatten, brachte Bush mit einer einfachen Frage die Mauer des sowjetischen Widerstandes zum Einsturz. Er erinnerte Gorbatschow an das in der KSZE-Akte verankerte Recht aller Staaten, ihre Bündniszugehörigkeit frei zu wählen. Und Gorbatschow stimmte spontan zu, seine Begleiter waren entsetzt. Später sprachen sie von einem amateurhaften Handeln vor den Augen und Ohren der Amerikaner, der Skandal sei nicht mehr ungeschehen zu machen. Als Bush über seinen Erfolg mit Kohl, Thatcher und Mitterand telefonierte, konnten alle drei die neue Sachlage erst nach mehrfacher Wiederholung begreifen. Bush gab im Gegenzug grünes Licht für Wirtschaftshilfen mit einem Handelsvertrag und versprach eine neue Ausrichtung der NATO.
Beim zweiten 2+4-Treffen am 22. Juni in Berlin wollte Moskau wiederholt eine schnelle Einheit mit unannehmbaren Forderungen ausbremsen. Der sowjetische Außenminister stand dabei unter dem Druck der Hardliner im Politbüro, dem er sich vor dem Parteitag der KPdSU beugen musste. Er signalisierte jedoch, dass bei veränderter NATO-Politik Kompromisse möglich würden. Und das bereiteten die amerikanischen Diplomaten vor. Unter größter Geheimhaltung bis zwei Tage vor dem NATO-Gipfel am 5. Juli in London formulierten NSC und US-AM in die Rede von Präsident Bush, wie sich die NATO von der atomaren Erstschlagstrategie in die atomare Strategie des „letzten Rückgriffs“ wandeln werde. Weitere vertrauensbildende Maßnahmen wie östliche Militärmissionen bei der NATO, einseitige Truppenreduzierungen bis zu 50 Prozent, die Bildung von multinationalen Streitkräften, ein Verzicht auf die „Vorneverteidigung“ und ein neuer Kurs bei der KSZE sollten helfen, die sowjetischen Sorgen zu zerstreuen. Der Westen hatte damit ein weitreichendes und letztes Angebot gemacht, um die sowjetische Einwilligung zur deutschen Einheit und zur NATO-Zugehörigkeit zu erhalten. Das Presseecho war überwältigend. Die Amerikaner schickten die neue NATO-Strategie sofort nach Moskau.
Vor dem 11-tägigen Parteitag der KPdSU im Juli 1990 brauchte Gorbatschow diese Hilfe. Er hatte innenpolitisch die Litauenkrise für beendet erklärt, weil die Balten ihre Unabhängigkeitserklärungen bis 1992 aufgeschoben hatten. Auf dem Parteitag setzten er und Schewardnadse sich noch einmal gegen die Partei-Hardliner durch, die Londoner NATO-Erklärung half dabei entscheidend. Beide waren auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Gorbatschow wollte die alle Welt schon Jahrzehnte belastende deutsche Frage endlich vom Tisch haben. Kohl erreichte bei seinem Besuch Mitte Juli 1990 in Moskau und im Kaukasus, dass die Sowjets der NATO-Mitgliedschaft zustimmten, die Stärke der Bundeswehr mit 370.000 Mann tolerierten, die Vier-Mächte-Rechte aufhoben und gegen Finanzhilfen von 15 Milliarden D-Mark ihre Streitkräfte bis 1994 aus Deutschland abzogen. Das war ein Wechsel der Politik wie Tag und Nacht, Schewardnadse sagte: wie Himmel und Erde. Die Welt nahm die sensationellen Entscheidungen mit Erstaunen und Erleichterung auf.
Ein vorletztes 2+4-Treffen zwei Tage später in Paris ordnete die nun gelösten Fragen und legte die abschließende Tagung auf den 12. September in Moskau fest. In dieser letzten 2+4-Verhandlungsrunde gaben die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges nach 45 Jahren ihre Rechte über Deutschland ab und den Weg zu einem vereinigten, souveränen deutschen Staat frei. Mit der deutschen Einheit war auch die Trennung in Europa überwunden. Der Kalte Krieg war vorüber und Europa ungeteilt und frei.
Mich erfüllt noch heute tiefe Dankbarkeit für die Vereinigten Staaten und ihre Rolle in diesem mühsamen Vereinigungsprozess. Niemals seit der Neuordnung Europas nach 1945 war der amerikanische Einfluss auf die europäische Entwicklung so groß wie 1990. Für die deutsch-amerikanische Freundschaft war die Haltung der Bush-Administration ein Höhepunkt, der aus meiner Sicht immer noch nicht hinreichend gewürdigt worden ist. Darum: Danke, Amerika!
Epilog
Am 3. Oktober 1990 trat die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland bei. Deutschland war wiedervereint in einem souveränen Staat. Welch riesengroßes Glück die Deutschen hatten, wird deutlich an der weiteren Entwicklung in der Weltpolitik.
Präsident Gorbatschow und sein Außenminister Schewardnadse erwiesen sich auf sowjetischer Seite als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges und für das Ende der Teilung Deutschlands und Europas. Bush, Baker und deren Diplomatenteams auf der amerikanischen. Das zur Verfügung stehende historische Zeitfenster haben beide Seiten optimal genutzt. Im Dezember 1990 trat Schewardnadse aus Protest zurück, weil Gorbatschow in Panik mit seinen Parteifeinden einen faustischen Pakt einging, den diese trotzdem am 19. August 1991 mit einem Putschversuch verrieten. Obwohl dieser Putsch scheiterte, war Gorbatschow der Verlierer. Boris Jelzin löste ihn als (am 12. Juni 1991) neu gewählter Präsident ab. Die KPdSU wurde gegen alle Absichten Gorbatschows verboten und die Sowjetunion löste sich am Jahresende 1991 auf. Es wäre sicher unmöglich geworden, dann mit soeben unabhängig gewordenen 15 Staaten der ehemaligen Sowjetunion über die Zukunft von Deutschland zu verhandeln.
Auch Präsident Bush wurde von anderen Problemen in Anspruch genommen. Ab 1. August 1990 wurde der Krieg gegen den Diktator Saddam Hussein im Nahen Osten zum beherrschenden Thema. Die Vereinigten Staaten mussten sich der Gestaltung einer neuen Weltordnung zuwenden, die wenig mit Europa, aber viel mehr mit Bürgerkriegen und Konflikten in anderen Weltregionen zu tun hatte. Die USA wurden, nachdem sich die sowjetischen Streitkräfte hinter die Grenzen Russlands zurückgezogen hatten, die einzige Militärmacht mit globaler Präsenz und Verantwortung. Statt die Übernahme dieser Verantwortung durch Präsident Bush zu würdigen und begeistert zu sein über seinen Sieg im Kalten Krieg, erntete Bush viel Kritik im eigenen Land und verlor seine Wiederwahl im November 1992.
Umso mehr sollten aus meiner Sicht an die damals so erfolgreichen US-Diplomaten erinnert werden. Mit Hilfe Helmut Kohls und Bernhard Vogels gelang es im Jahr 2005 – auf Initiative des Gründers der Gedenkstätte „Point Alpha“, Berthold Dücker, und dem von ihm extra geschaffenen Kuratorium „Deutsche Einheit“ –, die drei Staatmänner Bush, Gorbatschow und Kohl persönlich in die Rhön einzuladen und mit dem „Point-Alpha-Preis für Verdienste um die Einheit Deutschlands und Europas in Frieden und Freiheit“ zu ehren.
Berthold Dücker hat erlebt, wie elektrisiert der 81-jährige George Bush sich den ihm aus seiner Amtszeit gut bekannten wichtigsten deutschen Beobachtungspunkt der amerikanischen Streitkräfte, „Point Alpha“, angesehen hat. Er wusste nicht, dass die gesamte Anlage originalgetreu von der Gedenkstätte erhalten worden war. Er bedauerte, nicht mehr Zeit zum Aufenthalt eingeplant zu haben.
Auch US-Präsident Bill Clinton wollte bei seinem Deutschlandbesuch 1998 außer der Wartburg auch die Gedenkstätte besuchen. Dringende Gesprächstermine wegen des Nordirland-Konfliktes haben das verhindert, so dass er nur mit dem Hubschrauber über den Point geflogen ist. Und der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand aus Fulda hat bei einem Treffen mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger erlebt, wie intensiv noch dessen Erinnerungen an Fulda und den Beobachtungspunkt „Point Alpha“ waren.
Es wäre gewiss eine hohe Ehre und ein Riesenerfolg, wenn es gelingen würde, den jetzigen US-Präsident Joe Biden bei einer sicherlich in den nächsten Jahren anstehenden Deutschlandreise zum Besuch der Gedenkstätte einzuladen. Sie wurde gegründet, um die 45 Jahre andauernde Wache amerikanischer Streitkräfte an der innerdeutschen Grenze gegen sowjetische Aggressionsabsichten zu würdigen. Diese Erinnerung in der Region ist noch lebendig. Ich denke, zahlreiche dankbare Deutsche aus Thüringen und Hessen würden Joe Biden herzlich begrüßen.
Zitierweise: Hans-Peter Häfner: „Als erster aus der Kurve kommen. Die Rolle der USA bei der Wiedervereinigung“, in: Deutschland Archiv, 01.03.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/327724. Weitere "Interner Link: Ungehaltene Reden" ehemaliger Parlamentarier und Parlamentarierinnen aus der ehemaligen DDR-Volkskammer folgen nach und nach. Es sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Der Bergbau-Ingenieur Hans-Peter Häfner (83) stammt aus Schmalkalden. 1990 war er CDU-Abgeordneter in der letzten DDR-Volkskammer und gehörte danach dem Thüringer Landtag bis 1999 an. Bis 2009 war er für die CDU Vorsitzender des Stadtverbands Vacha sowie Mitglied des Stadtrats und des Kreistags.
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