Im Zeitzeug_innen-Gespräch mit Thomas Grimm (Zeitzeugen TV) berichten Ruth und Hans Misselwitz über die Gründung des Pankower Friedenskreises 1981 und dessen Arbeit. Ruth Misselwitz begann damals ihre Tätigkeit als Pastorin in der Ost-Berliner evangelischen Kirchengemeinde Alt-Pankow. Nach 36 Jahren trat sie 2017 in den Ruhestand was nicht heißt, dass sie sich wirklich zur Ruhe gesetzt hat. Als sie ihre Pfarrstelle vor bald 40 Jahren zu DDR-Zeiten antrat, gründeten sie und ihr Mann mit Martin Hoffmann, Freya Klier und Vera Lengsfeld einen öffentlichen Friedenskreis gegen die atomare Aufrüstung, der sich ganz bewusst nicht im Geheimen traf und bis heute besteht.
Schon nach seinen ersten Treffen galt dieser öffentliche Kreis als oppositionelle Veranstaltung. Denn er betrachtete die offizielle „Friedenspolitik“ der DDR als nicht wahrhaftig, setzte sich mit der SED-Propaganda und den ideologischen Feindbildern auseinander, um sie zu entlarven und dazu zu motivieren aus diesem Kurs auszusteigen.
Im westdeutschen Bonn hatten im Oktober 1981 rund 300.000 Menschen gegen die Nachrüstung mit atomaren Mittelstreckenwaffen, den sogenannten Nato-Doppelbeschluss, protestiert. Nach diesem Großereignis wollte der Pankower Friedenskreis ein Zeichen setzen, dass DDR-Christ_innen mit Nachdruck die atomare Abrüstung auch im eigenen Land forderten.
Dem Ehepaar Misselwitz war es von Beginn an wichtig, dass der Pankower Friedenskreis öffentlich und frei zugänglich agiert. Dazu gehörte eine offene Diskussionskultur. Jede und jeder, der zu den Treffen kam, stellte sich kurz vor. Das mussten dann auch die Stasi-Leute tun, die das Ministerium für Staatssicherheit zur Destabilisierung und Einschüchterung – kurz: Zersetzung – des Kreises schickte. Ruth Misselwitz muss noch heute lächeln, wenn sie sich daran erinnert: „Als wir nach deren Namen gefragt haben, sagte der Erste: ‚Ich heiße Lutz Meier‘, der Nächste hieß Lutz Lehmann und der Übernächste Lutz Müller. Da haben wir uns totgelacht. Wir nannten sie immer die Lutzis“. Aber alle Zersetzungsaktionen hat die Pfarrersfamilie nicht von ihrem konsequenten Engagement abgebracht. Der Pankower-Friedenskreis war der größte seiner Art und viele Mitglieder wechselten am Ende der DDR in andere oppositionelle Gruppen.
Die Familie Misselwitz gehörte zu jenem Teil der DDR-Opposition, die für eine von Grund auf reformierte DDR stand, die selbstbestimmt die Verhandlungen für ein vereintes Deutschland aufnehmen sollte.
Den Friedenskreis gibt es bis heute und die Pastorin a. D. ist der festen Überzeugung, dass es sich weiterhin lohnt, soziale Probleme zu benennen und sich einzumischen. So war der Friedenskreis in der Zeit der großen Transformation des DDR-Systems in das der Bundesrepublik in den Jahren 1990 bis 2000 für viele Menschen ein Ort der Seelsorge und Hilfe, an dem man sich aussprechen konnte. Heute unterstützt der Kreis Aktivitäten gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen soziale Benachteiligung und Ausgrenzung und er erinnert an das Erbe der DDR-Opposition, niemals den Glauben an Veränderungen aufzugeben. Der Pankower Friedenskreis ist der älteste noch existierende Friedenskreis aus der Zeit der DDR.
Vita von Hans-Jürgen Misselwitz,
geb. 1950, studierte Biophysik in Jena und Berlin. Er war wissenschaftlicher Assistent am Zentralinstitut für Herz-Kreislaufforschung der Akademie der Wissenschaften in Berlin und an der Humboldt-Universität Berlin. Nachdem er eine Einberufung zur NVA-Reserve ablehnte, verlor er seine Stelle an der Universität. Daraufhin begann er ein Theologie-Studium am evangelischen Sprachenkonvikt in Berlin. Er engagierte sich 1989 bei der Gründung der SDP (Sozialdemokratische Partei in der DDR) und leitete von 1991 bis 1999 die Landeszentrale für politische Bildung in Brandenburg. Danach war er bis 2015 im SPD-Parteivorstand tätig.
Vita von Ruth Misselwitz,
geb. 1952, arbeitete nach ihrem Abitur 1971 als Schwesternschülerin am St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin-Mitte. Anschließend studierte sie Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1981 bis 2017 war sie Pfarrerin in der Gemeinde Alt-Pankow. 1989 nahm sie als Delegierte der evangelischen Kirche der DDR an der Europäischen Ökumenischen Versammlung für Frieden und Gerechtigkeit in Basel teil. Sie moderierte den Runden Tisch in Pankow zur Aufklärung der Fälschung der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989. Seit 1998 arbeitet sie im Bürgerkomitee gegen Rechtsextremismus und Gewalt. Sie ist Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Friedliche Revolution in Leipzig.