In diesem Kapitel unternimmt Daniela Dahn unter anderem den Versuch, aus ihrer subjektiven Sicht zu erklären, wie der Meinungsumschwung der DDR-Bürger*innen vom November 1989 bis zum März 1990 zustande kam. Denn im Dezember 1989 sprachen sich in einer Umfrage des SPIEGEL noch 71 Prozent der DDR-Bevölkerung deutlich für einen souveränen DDR-Staat aus. Bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 drehte sich die Meinung um 180 Grad, nunmehr wollten über 50 Prozent der Bürger*innen eine sofortige Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Daniela Dahn untersucht, wie in jener kurzen, aber atemberaubenden Zeitspanne die öffentliche Meinung „mit großem Tamtam und Tabus“, nämlich aus ihrer Sicht mit vermeintlichen Falschmeldungen, in eine Richtung gewendet wurde, die eher den Interessen des Westens entsprochen habe. In ihrer Analyse damaliger Medien stellt sie das gängige Narrativ der Wende, dass die Mehrheit der Ostdeutschen die Einheit sehnsüchtig herbeisehnte, infrage. Anhand der von ihr ausgewählten Beispiele kommt Daniela Dahn zu Urteilen, die nicht unbedingt von allen geteilt werden.
Daniela Dahn: TAMTAM und TABU Wie sich der Reformwille 1989/90 in der DDR zum Einheitsstreben wandelte
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Die Autorin und Journalistin Daniela Dahn spricht über ihre Recherche zu ihrem neuen Buch „Tamtam und Tabu“, das sie 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gemeinsam mit dem Psychologen Rainer Mausfeld geschrieben hat. Das Gespräch mit Thomas Grimm von Zeitzeugen TV bezieht sich hauptsächlich auf ihr Buch-Kapitel „Volkslektüre – Eine Presseschau“.
TAMTAM und TABU
Hierzu zwei Zitate von Daniela Dahn aus ihrem Buch „Tamtam und Tabu“:
„Die Mär, wonach im März 1990 so gut wie alle DDR-Bürger so schnell wie möglich mit Westgeld im blühenden Westgarten leben wollten, stimmte schon vor der Wahl nicht, das Wahlergebnis entsprach ihr nicht und die Folgen der Wahl erfüllten solche Hoffnungen nicht. Und dennoch hat sie sich bis heute gehalten.“
„Der eigentliche Wunsch bestand bis zuletzt darin, Eigenes in die Einheit einzubringen. Der Meinungsumschwung war einem Diktat aus Desinformation, Zermürbung und Erpressung geschuldet. Der Kampf um Mehrheiten hatte der Mehrheit geschadet. Sie war einer Pseudo-Entscheidung zwischen zahlungsunfähiger Wirtschaft und dem Heilsversprechen der D-Mark ausgeliefert. Die Leute glaubten, um ihren Besitzstand zu wahren, sei es das Beste, die Kräfte des Geldes zu wählen. Sie lieferten sich den Finanzstarken aus, in der Hoffnung, dadurch selbst stark zu werden. Sie wollten das Kapital und wählten die Kapitulation.“
Zur Vita von Daniela Dahn
Daniela Dahn, geb. 1949, ist freischaffende Journalistin und Autorin. Sie protestierte 1968 als Abiturientin gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR) und 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Dadurch bekam sie fortlaufende Schwierigkeiten in ihrem Beruf als Fernsehjournalistin. 1981 kündigte sie und widmete sich dem Schreiben. Im Herbst 1989 wurde sie Gründungsmitglied der Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch“ und stellvertretende Leiterin des Untersuchungsausschusses zu den Vorkommnissen der Polizeigewalt gegen Demonstrant_innen am 7./8. Oktober 1989 in Ost-Berlin. In diesem Zusammenhang befragte sie Erich Mielke im Untersuchungsgefängnis. In bisher neun Büchern hat sie sich kritisch mit dem Thema der „Wende 1989/90“ auseinandergesetzt. Zuletzt erschienen: Wehe dem Sieger! Ohne Osten kein Westen. 2009, Wir sind der Staat! 2013, Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit – eine Abrechnung, 2019. Mit Rainer Mausfeld Tamtam und Tabu. Die Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung, 2020.
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