Zwei Tage, nachdem die britische Armee am 15. April 1945 das KZ Bergen-Belsen befreit hatte, setzte Brigadegeneral H.L. Glyn Hughes, oberster Sanitätsoffizier der 2. britischen Armee, die Zahnärztin Hadassah Bimko als Leiterin einer Gruppe von überlebenden Ärzten und Krankenschwestern ein, die die Briten im Kampf gegen die grassierende Typhusepidemie und das Massensterben der völlig entkräfteten Häftlinge unterstützen sollte.
Bimko, die 1912 im polnischen Sosnowiec geboren worden war und im französischen Nancy Zahnmedizin studiert hatte, war 1943 zusammen mit ihren Eltern, ihrem Ehemann und ihrem fünfjährigen Sohn nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Sie überlebte als einzige aus der Familie. Von Auschwitz, wo sie in der Krankenstation tätig gewesen war, hatte sie die SS im November 1944 in das Konzentrationslager (KZ) Bergen-Belsen geschickt. Dort hatte sie sich vor allem um die Kinder gekümmert, sie mit Nahrungsmitteln versorgt und medizinisch betreut.
Hadassah Bimko – leitende Funktionärin im DP-Camp
Ihr tatkräftiger Einsatz in den chaotischen Tagen nach der Befreiung prädestinierte Hadassah Bimko für eine führende Rolle in der Selbstverwaltung der jüdischen Überlebenden, die ihren Anfang in dem von den Briten auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers eingerichteten Camps für Displaced Persons – Belsen-Hohne – nahm. Noch im April 1945 wurde Hadassah Bimko Mitglied im von ihrem zukünftigen Ehemann Josef Rosensaft gegründeten provisorischen Komitee der befreiten Juden in der britischen Zone und übernahm die Leitung des Gesundheitsamts des Zentralkomitees.
Die Wertschätzung, die ihr von den Überlebenden, dem „Rest der Geretteten“ (Scher’it Hapleitah), entgegengebracht wurde, belegt ihre Wahl zur Vizepräsidentin des Rates des Zentralkomitees der befreiten Juden in der britischen Zone im Jahr 1947. Bis zur Auflösung des DP-Lagers Belsen im Juli 1950 nahm Hadassah Bimko-Rosensaft diese Ämter wahr und blieb damit die einzige Frau mit einer leitenden Funktionärsposition in der Geschichte der jüdischen Displaced Persons in Deutschland. Unter den administrativen Begriff „Displaced Persons“ (DPs) fassten die Westalliierten ehemalige Zwangsarbeiter_innen und Kriegsgefangene sowie befreite Konzentrationslagerhäftlinge. Im Frühjahr konnten die alliierten Truppen in Deutschland mehrere Millionen DPs befreien; unter ihnen befanden sich auch einige zehntausend jüdische Überlebende der nationalsozialistischen Herrschaft.
Leben in den DP-Camps war ostjüdisch geprägt
Soweit die Befreiten in westeuropäischen Ländern beheimatet waren, konnten sie – wenn es ihr Gesundheitszustand zuließ – rasch repatriiert werden. Bei Juden und Jüdinnen osteuropäischer Herkunft gestaltete sich die Situation schwieriger. Aufgrund der politischen Veränderungen in ihren Herkunftsländern wollten und konnten viele nicht mehr zurückkehren. Deshalb richteten die westlichen Besatzungsmächte – vor allem die USA – sogenannte DP-Camps ein. Sie bestanden aus ehemaligen Kasernen, Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeitslagern, Industriearbeitersiedlungen, Zeltkolonien, Hotels, Sanatorien oder Schulen.
Trotz der Lageratmosphäre und dem fehlenden privaten Umfeld entwickelten sich im Nachkriegsdeutschland in den DP-Camps Zentren ostjüdischen Lebens, besonders in der amerikanischen, aber auch in der britischen Besatzungszone. Nicht nur in ihrer weitgehenden Distanz zur deutschen Umwelt, sondern auch hinsichtlich der innerjüdischen Struktur unterschieden sie sich gänzlich von dem deutschen assimilierten Judentum vor 1933. Im Laufe des Jahres 1946 veränderte sich die Situation der jüdischen DPs grundlegend. Die ursprüngliche DP-Gesellschaft hatte im Wesentlichen aus befreiten Konzentrationslagerhäftlingen bestanden. Seit Herbst 1945, verstärkt aber im Jahr 1946 strömten kontinuierlich Jüdinnen und Juden aus Osteuropa, vorwiegend aus Polen, in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs. Sie hatten den Krieg auf der Flucht vor den Deutschen in der Sowjetunion überlebt und waren um die Jahreswende 1945/46 von dort in ihre Heimat zurückgekehrt. Die verzweifelte Lage in Polen hatte die überlebenden Juden dazu veranlasst, ihre ehemalige Heimat abermals zu verlassen.
Das Land glich einem riesigen jüdischen Friedhof, die einstmals bedeutenden Jüdischen Gemeinden waren ausgelöscht. Hinzu kam die Weigerung vieler Pol_innen, den Jüdinnen und Juden ihr Eigentum zurückzugeben, womit diese jeglicher Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neubeginns beraubt waren. Als größtes Hindernis aber stellte sich der wiederauflebende Antisemitismus heraus. In vielen polnischen Städten kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, die ihren Höhepunkt am 4. Juli 1946 bei dem Pogrom von Kielce erreichten; 42 jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden infolge eines jahrhundertealten Ritualmordvorwurfs ermordet.
Weit mehr als 100.000 polnische Jüdinnen und Juden ergriffen daraufhin in Panik die Flucht. Gelenkt wurde dieser Flüchtlingsstrom von der im Untergrund agierenden jüdischen Fluchthilfeorganisation Brichah, in der auch Frauen aktiv waren. Die Brichah stellte Transportkapazitäten bereit und schuf Möglichkeiten für illegale Grenzübertritte. Sie operierte im Wesentlichen auf zwei Hauptflüchtlingsrouten, zum einen über Nachod, Bratislava, Wien, Linz oder Salzburg in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands und zum anderen über Stettin in den amerikanischen Sektor Berlins. Im Januar 1946 waren in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands, die den Großteil des Flüchtlingsstroms auffing und in der die meisten DP-Lager eingerichtet worden waren, etwa 36.000 jüdische DPs registriert, im Oktober desselben Jahres 141.000.
Die jüdischen DPs warten auf ihre Ausreise
Die ostjüdischen Zuwander_innen prägten das jüdische Nachkriegsleben in Deutschland. Sie gestalteten die DP-Lager – weitgehend losgelöst von der deutschen Gesellschaft und zunächst auch von den sich allmählich wieder formierenden Jüdischen Gemeinden – zu kulturellen Zentren mit einem regen religiösen Leben, die die alten jüdischen Traditionen noch einmal aufleben ließen. Jüdische Hilfsorganisationen aus den USA, Großbritannien und Palästina unterstützten die Überlebenden nicht nur mit finanziellen Zuwendungen, medizinischer Hilfe und Lebensmitteln, sondern bemühten sich auch um die psychische Unterstützung der traumatisierten Menschen.
In diesen Lagern warteten die Überlebenden des Holocaust auf ihre Auswanderung, die allerdings in vielen Fällen erst Jahre später realisiert werden konnte. Der Großteil der jüdischen DPs verließ das Land erst nach der Staatsgründung Israels und dem Ende des israelischen Unabhängigkeitskrieges sowie der Liberalisierung der Einwanderungsbestimmungen in den Vereinigten Staaten 1948/50.
In dieser Wartezeit entwickelte sich in den DP-Lagern eine eigene Gesellschaft, ein kleiner „Staat im Staate“, der den früheren Schtetln glich und alle Lebensbereiche wie Politik, Verwaltung, Polizeiwesen, Gerichtsbarkeit, Kultur, Erziehung, Berufsausbildung und Presse umfasste, ohne jedoch das Ziel einer möglichst raschen Auswanderung aus Deutschland aufzugeben. Gleichzeitig bedeutete dies aber auch ein Wiederaufleben der traditionellen Geschlechterrollen, die während der Verfolgung durch die Nationalsozialisten obsolet geworden waren. Männer waren ihrer Rolle als Ernährer und Beschützer beraubt worden, viele Frauen mussten die Familie versorgen, nachdem die Männer ihre berufliche Existenz verloren hatten. Nach der Deportation in die Lager wurden Männer und Frauen getrennt voneinander untergebracht, weshalb die Frauen beim Kampf ums Überleben auf sich allein gestellt waren.
Das Wiederaufleben tradierter Rollenverteilung von Mann und Frau
Die Erfordernisse der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Versorgung mit Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe, die provisorische Einrichtung in den überfüllten DP-Lagern, aber auch die Initiativen, verpasste Bildung und Ausbildung nachzuholen, führten rasch dazu, dass Frauen wieder auf ihre alt-hergebrachten Rollen zurückgeworfen wurden bzw. diese auch bereitwillig übernahmen. Der Großteil der politischen und kulturellen Initiativen in der DP-Gesellschaft ging von den Lagerbewohnern selbst aus. Sie gründeten regionale und überregionale Selbsthilfe- und Selbstverwaltungskomitees, in denen – abgesehen von Hadassah Bimko-Rosensaft – ausschließlich Männer aktiv waren.
Frauen, die vorsichtigen Schätzungen zufolge mit etwa 40 Prozent in den DP-Lagern zahlenmäßig unterrepräsentiert blieben, machten sich jedoch durchaus für ihre Interessen stark. Zum Beispiel gründeten sie im Oktober 1947 im DP-Lager Feldafing einen Verein, der sich für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen einsetzte. Insbesondere junge Frauen engagierten sich für die zionistischen Ideale, die insgesamt in den DP-Lagern einen überwältigenden Zuspruch fanden. Dissens bestand allenfalls über zionistische Detailfragen, die sich in den verschiedenen Parteiströmungen widerspiegelten. An der Notwendigkeit einer Gründung eines jüdischen Staates bestand nach dem Holocaust kein Zweifel. Die Zionisten aus den Reihen der DPs, aber auch jene, die aus Palästina gekommen waren, um die Überlebenden zu unterstützen, verbreiteten in den DP-Lagern neue Hoffnung und halfen vielen DPs, Lethargie und Verzweiflung zu überwinden.
Engagement für ein Leben in Palästina
Eine junge Krankenschwester aus Polen äußerte sich Anfang 1946 im DP-Lager Föhrenwald – stellvertretend für viele – kämpferisch: „Und jetzt will ich nur noch nach Palästina, um dort ein neues Leben zu beginnen. Wir wollen nichts außer diesem winzigen, kleinen Stück Land; warum können sie uns das nicht geben?“ Viele Frauen in den DP-Lagern beließen es nicht bei pathetischen Appellen, sondern schlossen sich der zionistischen paramilitärischen Untergrundbewegung Haganah an, die in den Lagern die Rekrutierung und Ausbildung künftiger Palästinakämpfer organisierte. Aus Pocking/Niederbayern, dem mit 7.645 Bewohnern (Oktober 1946) größten DP-Lager in der amerikanischen Besatzungszone, ist überliefert, dass Frauen mit Kinderwagen eine Demonstration anführten, die eine Öffnung der Grenzen nach Palästina forderte.
Kinder als Zukunft des jüdischen Lebens
Zwei Entwicklungen waren dafür verantwortlich, dass Frauen sich wieder auf ihre Rolle als Mütter und auf soziale Aufgaben konzentrierten: Mit den ostjüdischen Flüchtlingen kamen Familien mit Kindern in die DP-Lager, deren Rollenbilder niemals infrage gestellt worden waren. Zudem stand die Geburtenrate der jüdischen DPs im Jahr 1946 weltweit an der Spitze aller jüdischen Gemeinschaften. Diese vor dem Hintergrund der körperlichen Verfassung, in der sich viele Holocaust-Überlebende befanden, bemerkenswerte Tatsache war auch für die Männer von kaum zu überschätzender Bedeutung, weil die Neugeborenen den Fortbestand jüdischen Lebens garantierten.
Die Auschwitz-Überlebende Livia Shacter schilderte ihre Gefühle, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr: „I was so happy – at least I had something to my own.“ Sie sah in dem Kind eine Art Ersatz für ihre ermordete Familie. Ihre Freude wurde zunächst allerdings ein wenig getrübt, weil sie zeitgleich mit der Nachricht über ihre Schwangerschaft erfuhr, dass sich damit ihre genehmigte Ausreise in die USA verzögern würde. Im Falle einer Einwanderung musste das Kind mindestens sechs Monate alt sein. Irving Heymont, bis Mitte November 1945 Direktor des DP-Lagers Landsberg, beobachtete: „Sie halten es für jedermann’s Pflicht, möglichst viele Kinder zu haben, um die Stärke der jüdischen Gemeinschaft zu erhöhen.“ Die Entscheidung, Kinder auf die Welt zu bringen, war nicht länger eine rein private, sondern auch eine politische: Sie sollten die Zukunft des gesamten jüdischen Volkes sichern. Diese Erwartungserhaltung sollte für die damals geborenen Kinder eine große Herausforderung für die Zukunft bedeuten, die viele Zeit ihres Lebens begleitete.
Zunächst allerdings zählten andere Dinge: Unter den zum Teil armseligen und schwierigen Bedingungen in den DP-Lagern waren die Mütter mit der Versorgung der Babys und Kinder absorbiert. Allein die Beschaffung von geeigneten Nahrungsmitteln – wie etwa Milch – kostete viel Zeit und Energie. Weil dies vorrangig Aufgabe von Frauen war, wurden die klassischen Familienstrukturen und Rollenverteilungen reaktiviert. Auch viele Frauen, die keine Kinder bekommen wollten oder konnten, sahen es als ihre Aufgabe, sich in der Versorgung, Betreuung und Erziehung der Kinder zu engagieren. Einmal mehr bedeutete dies die Betonung herkömmlicher Rollenbilder.
Frauen organisieren Schul- und Ausbildung
Bevor der Babyboom in den DP-Lagern Einzug hielt, stand im Vordergrund, die verpasste Schul- und Ausbildung nachzuholen. Das Bildungssystem hatte in den DP-Lagern von Anfang an einen hohen Stellenwert. Lehrerinnen spielten dabei eine entscheidende Rolle und knüpften damit an die traditionell starke Stellung von Frauen in Erziehungsberufen an. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte des Lehrpersonals Frauen waren. Chana Blatt z. B. gründete bereits im Oktober 1945 einen Kindergarten im DP-Lager Feldafing, zwei Monate später richtete Helena Wrubel ein Gymnasium in Belsen ein. Frauen, die sich im Erziehungsbereich engagierten, berichteten von den positiven Auswirkungen ihrer Arbeit auf ihre eigene psychische Verfassung und ihr Selbstwertgefühl. Auch ultraorthodoxe Juden etablierten in den DP-Lagern eigene Schul- und Bildungseinrichtungen. Bei der Organisation und im Unterrichtsbetrieb der religiösen Beth-Jakow-Schulen für Mädchen spielten ultraorthodoxe Frauen unter den DPs eine maßgebliche Rolle. Sie machten damit deutlich, dass sie sich nicht auf ihre Rolle als Mütter reduzieren lassen, sondern ihren Anteil am Wiederaufbau des ultraorthodoxen Judentums leisten wollten. Darunter fiel ihrem Verständnis nach auch das Erlernen von Berufen, um ihre Familien ernähren zu können, damit ihre Männer ungestört dem Studium der Torah nachgehen konnten.
Zumeist ergriffen die Frauen solche Berufe, die sich an den religiösen Bedürfnissen orientierten. In Belsen etwa lernten ultraorthodoxe Frauen in einer Näherei, Gebetsmäntel und -schals zu schneidern. Einige ultraorthodoxe Frauen stellten ihre eigene Familienplanung hintan, weil sie sich zunächst um die Belange ihrer Glaubensgenossen in den DP-Lagern kümmern wollten. Zudem war ihnen bewusst, dass Schwangerschaft und Kinder einer illegalen Auswanderung nach Palästina bis zur Staatsgründung Israels im Wege standen. Im Grunde widersprach ein solches Verhalten ultraorthodoxen Traditionen, die keine Geburtenkontrolle zuließen.
Vorbereitung und Ausbildung für ein Leben im Kibbuz
In den bzw. im Umfeld der DP-Lager entstanden im Laufe der Zeit Kibbutzim und Hachscharoths, also Gemeinschaftssiedlungen und landwirtschaftliche Ausbildungsfarmen, die eher einem sozialistischen Gesellschaftsmodell entsprechen, aber durchaus auch eine starke religiöse Prägung haben können. Junge ultraorthodoxe Frauen aus dem DP-Lager Belsen spielten eine maßgebliche Rolle bei der Gründung und dem Betrieb des ersten ultraorthodoxen Kibbuz Hafetz Hayyim beim DP-Lager Zeilsheim nahe Frankfurt. Dort sollten die Frauen für die Auswanderung nach Eretz Israel (Land Israel) vorbereitet werden. Der Kibbuz diente als Modell für ähnliche Einrichtungen ultraorthodoxer Ausrichtung in mehreren DP-Lagern oder deren Umgebung. Diese Annäherung der vor dem Krieg strikt antizionistischen Orthodoxie an die zionistische Idee einer jüdischen Heimstätte in Palästina war eine unmittelbare Konsequenz aus den Jahren der NS-Verfolgung.
Neben der Erziehung der Kinder kam besonders der Berufsausbildung eine wichtige Funktion für die Zukunftsplanung der DPs zu. Jacob Oleiski legte im DP-Lager Landsberg den Grundstein für die Arbeit der Organisation ORT (Organisation – Reconstruction – Training), die schon 1880 in St. Petersburg gegründet worden war, um den russischen Juden den Zugang zum Handwerk und zur Landwirtschaft zu erleichtern. Nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte sie vor allem in der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland Tausenden jüdischer DPs eine Berufsausbildung, die sie für eine Auswanderung nach Palästina vorbereiten sollte. Es wurden unter anderem Ausbildungsstätten für Krankenpfleger_innen, Schneider_innen, Schlosser_innen, Schuhmacher_innen, Zimmerleute, Chauffeur_innen, Elektriker_innen, Uhrmacher_innen und Friseur_innen eingerichtet. Auch in der Berufsausbildung zeigte sich, dass Frauen – wie in den 1930er-Jahren –wieder stark zu den klassisch weiblichen Berufen im Bereich Medizin, Erziehung und Schneiderhandwerk tendierten. Für Dezember 1945 ist für das DP-Lager Landsberg überliefert, dass 47 Prozent der Kursteilnehmer weiblich waren und die meisten sich zur Schneiderin ausbilden ließen. Arbeitsmöglichkeiten boten sich als Köchinnen, Wäscherinnen, Näherinnen und Sekretärinnen dann u.a. auch bei den Besatzungsmächten, den Hilfsorganisationen und in den Lagerkomitees.
Neuer Lebensmut durch Kultur – auch geprägt von Frauen
Bemerkenswerte Aktivitäten entwickelten die jüdischen DPs auf kulturellem Gebiet. Sie gründeten Theatergruppen, veranstalteten Vortragsreihen, richteten Bibliotheken ein, und nahezu jedes Lager publizierte seine eigene Zeitung. Die Presselandschaft prägten Männer. Erst 1948 richtete die überregionale Jidisze Cajtung, Nachfolgerin der Landsberger Lager Cajtung, die Rubrik „Winkel Froyen“ (Frauenseite) ein, wodurch frauenspezifische Belange wenigstens thematisiert wurden. Dem berühmten, bereits im Juli 1945 von dem überlebenden polnischen Regisseur und Schauspieler Samy Feder gegründeten Kazet-Theater im DP-Lager Belsen gehörten 16 Frauen und 14 Männer an. Gemeinsam mit Samy Feder stand mit Sonia Baczkowska eine Frau an der Spitze der Kulturabteilung beim Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone.
Im DP-Lager Föhrenwald war Shifra Trapsko eines der Gründungsmitglieder der Amateurtheatergruppe Mapilim, die auch von ihr verfasste Stücke aufführte. Die Schauspielerin Berta Litwina, die in „Lang ist der Weg“ – dem einzigen in den Bavaria Filmstudios gedrehten Spielfilm mit und über jüdische DPs – mitspielte, war Gründungsmitglied und Vorsitzende der „Vereinigung der jüdischen Berufsschauspieler in der amerikanischen Zone“.
Obwohl das Schauspiel, zumindest was die Akteurinnen betrifft, durchaus eine Berufssparte ist, an der Frauen partizipieren, waren DP-Frauen auch in diesem Bereich unterrepräsentiert, wie dies übrigens bis heute im Theaterbetrieb der Fall ist. Frauen waren allerdings stark engagiert bei der Gründung der Historischen Kommission des Zentralkomitees der befreiten Juden in der US-Zone, die Aufzeichnungen, Statistiken, Dokumente und Zeitzeug_innenaussagen aus der Zeit der Verfolgung sammelte. Die Erfahrungen und Zeugnisse für die Nachwelt zu bewahren, war den Frauen ein ganz besonderes Anliegen. Das Archiv der Kommission diente etwa den DP-Zeitungen als Fundgrube und wurde schließlich 1949 nach Israel transferiert, wo es bis heute ein wichtiger Bestandteil des Archivs von Yad Vashem in Jerusalem ist.
Deutschland als Transitland für die Ausreise
Trotz der beeindruckenden kulturellen, religiösen und bildungspolitischen Initiativen verloren die jüdischen DPs nie ihr Hauptziel auf den Augen: die schnellstmögliche Auswanderung aus dem Land, das die Ermordung ihrer Angehörigen und die Zerstörung ihrer Heimat zu verantworten hatte. Fast alle betrachteten Deutschland nur als eine Durchgangsstation, als Sprungbrett auf dem Weg in die neue Heimat. Immerhin gelang es etwa 69.000 Jüdinnen und Juden, aus Deutschland und Österreich bis zur Staatsgründung Israels im Mai 1948 auf illegalen Wegen Palästina zu erreichen.
Auch Frauen nahmen diesen gefährlichen Weg auf sich. Für viele endete dieser Versuch in Internierungslagern auf Zypern. Die knapp 17-jährige polnische Jüdin Alicia Jurman etwa, einzige Überlebende ihrer Familie, engagierte sich für die illegale Auswanderung jüdischer Überlebender ins britische Mandatsgebiet Palästina. 1947 ging sie selbst an Bord der Theodor Herzl, das Schiff wurde jedoch kurz vor Haifa von der britischen Royal Navy aufgebracht und die Passagiere in Lagern auf Zypern interniert. Erst acht Monate später durfte Alicia Jurman nach Palästina ausreisen. Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948/49 diente sie in der israelischen Marine. Die eigentliche Auswanderung begann jedoch erst nach der israelischen Staatsgründung im Mai 1948 und der im Januar 1949 erlassenen Aufhebung jeglicher Einwanderungssperren. In den ersten sieben Jahren seit seiner Gründung nahm Israel etwa 100.000 jüdische DPs auf. Gleichzeitig hatten die USA, die ebenfalls ein begehrtes Emigrationsziel darstellten, ihre Einwanderungsgesetze liberalisiert. Bis Ende 1950 konnten die meisten DP-Lager aufgelöst werden, weil alle DPs, die auswandern wollten und auch physisch dazu in der Lage waren, Deutschland verlassen oder sich den wiedergegründeten Jüdischen Gemeinden angeschlossen hatten. Die Zurückgebliebenen wurden in Süddeutschland in den Lagern Föhrenwald, Landsberg am Lech, Feldafing am Starnberger See, Lechfeld bei Augsburg und Gabersee bei Wasserburg zusammengeführt. 1952 kamen alle in das letzte noch bestehende DP-Camp nach Föhrenwald.
Fazit
Abgesehen von wenigen Ausnahmen knüpften die Geschlechterbilder in den DP-Lagern an die Vorkriegstraditionen an. So wenig Frauen vor dem Krieg in politischen Institutionen, Verbänden und Unternehmen vertreten waren, so wenig übernahmen sie Positionen in den Interessensvertretungen der jüdischen DPs. Das bedeutet, dass sie in der relativ guten Quellenüberlieferung zur Organisationsgeschichte der DPs ebenfalls kaum Erwähnung finden. Hinzu kommt, dass sich genderspezifische Aspekte in den Nachkriegsjahren auch in den Bereichen, in denen Frauen durchaus eine tragende Rolle spielten, in den Quellen häufig nicht niederschlugen. Damit unterschied sich die Situation damals in der DP-Gesellschaft nicht wesentlich von den Verhältnissen in der nicht-jüdischen Umgebung.
Zitierweise: Angelika Königseder/Juliane Wetzel, "Frauen in Lagern für jüdische Displaced Persons", in: Deutschland Archiv, 30.11.2020, Link: www.bpb.de/322025
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