Am 22. Januar 1963, fast 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, unterzeichneten der französische Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Élysée-Palast den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, den sogenannten Élysée-Vertrag. Dieses Datum wird seither häufig als Höhepunkt der deutsch-französischen Aussöhnung bezeichnet. Gleichzeitig entstand jedoch im Schatten dieser Annäherung zwischen den ehemaligen „Erbfeinden“ eine zweite deutsch-französische Beziehung: jene zwischen Frankreich und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
Der französische Staat nahm bis 1973 hinsichtlich der diplomatischen Anerkennung des sozialistischen Deutschlands, das in die internationalen Organisationen der sozialistischen Staaten wie den Warschauer Pakt und den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) integriert war, eine abwartende Position ein. Diese ergab sich aus dem Alleinvertretungsanspruch für Deutschland durch die Bundesrepublik im Rahmen der internationalen Diplomatie. Diese Haltung, wurde als Hallstein-Doktrin bekannt, benannt nach dem früheren Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein (1951 bis 1958). Im Sinne dieser Doktrin sah es die Bundesregierung als unfreundlichen Akt an, wenn ein Staat diplomatische Beziehungen mit der DDR einging, und drohte ihrerseits damit, in einem solchen Fall die diplomatischen Beziehungen zu diesem Staat abzubrechen. Allerdings ließ die bis dahin fehlende offizielle Anerkennung der DDR genug Raum für private Initiativen auf der französischen Seite. So kam es bereits 1958 zur Gründung der Association des Echanges franco-allemands (EFA).
Ein Verein auf der Suche nach Legitimität (1958-1963)
1952 gründeten der Historiker und Germanist, Gilbert Badia, sowie der Intellektuelle und Übersetzer der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels, Emile Bottigelli, zwei Mitglieder der französischen Kommunistischen Partei (PCF), die Organisation Cercle Henri Heine.
13 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und neun Jahre nach der Gründung der beiden deutschen Staaten hielt die EFA in ihren Statuten
Bis heute fällt es schwer, die Beziehungen des Vereins zur PCF nachzuvollziehen. Die EFA war eine überparteiliche Organisation, deren Spektrum von den französischen Kommunisten bis zu den Gaullisten reichte und die sich stark am nationalen Einheitsgedanken der Résistance ausrichtete. Die Kommunisten versuchten zwar nicht, den Verein unmittelbar zu kontrollieren, doch sie übten durchaus eine indirekte Kontrolle aus, indem sie die Generalsekretäre sowie die Vorsitzenden in den Départements stellten.
In der Anfangszeit standen an der Spitze des Vereins ein Präsident und ein Nationalsekretariat, das sich um organisatorische Belange kümmerte. Um die Unterstützung französischer Persönlichkeiten aus relevanten Berufsgruppen und mit zum Verein passenden politischen Überzeugungen zu demonstrieren, wurde darüber hinaus ein nationales Komitee mit 91 Mitgliedern eingerichtet. Im Laufe der Jahre wurde das Komitee immer größer – 1972 hatte es 205 Mitglieder, 1987 waren es 258 – und gewann auch immer stärkeren Einfluss auf Entscheidungen. Ab November 1959 gab der Verein auch eine Zeitschrift mit dem Titel Rencontres franco-allemandes heraus („Deutsch-Französische Begegnungen“), die zunächst im Viermonatsrhythmus und vom zweiten Jahr an alle sechs Monate erschien.
Nach dem Tod des Gründungspräsidenten im Jahr 1960 entschied sich der Verein für einen gemeinsamen Vorsitz, den sich zunächst sechs und – nach jahrelangem Wachstum – gegen Ende der achtziger Jahre schließlich 19 Mitglieder teilten, die sich von einem Sprecher vertreten ließen.
Zugleich förderte der Verein eine intensive politische Reisetätigkeit französischer Parlamentarier verschiedener Parteien, zu denen auch die gaullistische Regierungspartei Union pour la nouvelle République (UNR) zählte. In Bonn stießen diese Abgeordnetenreisen auf starke Ablehnung, da die Bundesregierung sie als Zeichen einer bevorstehenden Anerkennung der DDR deutete.
So wurde es möglich, Bürgerinnen und Bürger der beteiligten Städte als Unterstützer für die diplomatische Anerkennung der DDR zu gewinnen. Die Weigerung des zuständigen Allied Travel Office in West-Berlin, die für eine Reise von DDR-Bürgern nach Frankreich notwendigen temporary travel documents auszustellen, wurde im Sinne der EFA gedeutet und als eine von vielen Gelegenheiten betrachtet, auf die Benachteiligung der DDR hinzuweisen. Die EFA leistete logistische und personelle Unterstützung bei den Austauschfahrten – insbesondere, wenn die jeweiligen Bürgermeister gegen den Austausch waren. Formelle Freundschaftskomitees wurden gegründet, deren Besetzung häufig exakt jener der lokalen EFA-Gruppe in der Stadt entsprach, wie etwa beim Freundschaftskomitee Straßburg-Dresden, das 1964 gegründet wurde.
In Frankreich wächst das Interesse an der DDR (1963-1970)
In den fünf Jahren nach der ersten nationalen Tagung des Vereins entwickelte sich die internationale Situation so, dass die Beziehungen zwischen Ost und West sich nach und nach entspannten. Zunächst öffnete General de Gaulle Frankreich gegenüber den sozialistischen Staaten, und mit Willy Brandt (SPD) als neuem Außenminister der Bundesrepublik lockerten sich ab 1966 auch die deutsch-deutschen Beziehungen. In dieser Phase organisierte die EFA eine Vielzahl von Themenreisen in die DDR, an denen unter anderem Lehrkräfte, Landwirte und SportlerInnengruppen teilnahmen.
Besondere Aufmerksamkeit widmete der Verein Jugendlichen. Damit beabsichtige er, dem 1963 auf der Grundlage des Élysée-Vertrages gegründeten Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) Konkurrenz zu machen. Die EFA versuchte, Jugendliche mit einem Angebot, das aus Urlaubsreise und Ferienarbeit bestand, in die DDR zu locken. Diese Sommeraufenthalte dauerten drei bis vier Wochen. Gleichzeitig organisierten die Ortsgruppen Debatten zur sogenannten Deutschen Frage sowie touristische oder kulturelle Angebote – ein wichtigstes Beispiel sind die sogenannten „DDR-Wochen“ (Semaines de la RDA). Rund um den „Tag der Republik“ am 7. Oktober, an dem die DDR an ihre Gründung im Jahr 1949 erinnerte, organisierten die Lokalkomitees der EFA landesweit jeweils für eine Woche unter anderem Ausstellungen über die DDR, Filmvorführungen, Foto-Ausstellungen und Lesungen.
Da die Erinnerung an die Zeit der deutschen Besatzung in der französischen Gesellschaft damals noch sehr präsent war, weckte die Selbstdarstellung der DDR als pazifistischer und antifaschistischer Staat ein gewisses Interesse. Darüber hinaus sorgten die Wahlerfolge der Rechtsextremen in einer Reihe von Bundesländern 1967 und 1968 sowie die Enthüllung der Nazivergangenheit von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) dafür, dass die Propaganda des DDR-Regimes in Frankreich eine gewisse Glaubwürdigkeit erreichte. Die deutsche Teilung erschien nun vor allem innerhalb der politischen Linken als Bestätigung der französischen Theorie, die an das im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 entstandene Bild von einem aufgeklärten und einem militaristischem Deutschland
Im Juni 1967 wurde auf Initiative des sozialistischen Abgeordneten Louis Périllier in der französischen Nationalversammlung eine Arbeitsgruppe für den deutsch-französischen Austausch ins Leben gerufen. Viele engagierte Linke sahen in der Deutschen Demokratischen Republik ein Beispiel für eine sozialistische Industriegesellschaft (gewissermaßen das andere deutsche Wirtschaftswunder
Allerdings lösten sich solche Hoffnungen weitgehend in Luft auf, nachdem die DDR die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings am 20. August 1968 unterstützt hatte. Daraufhin traten Leiter von EFA-Ortsvereinen zurück, wie etwa der Vorsitzende der Sektion Meurthe-et-Moselle oder jener für Nordfrankreich.
Während der vierten nationalen Tagung, die im April 1970 erstmals außerhalb der Umgebung von Paris in Lille stattfand, gab die Organisation ihrem Namen den neuen Zusatz „Vereinigung für die Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten und die Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik“. Die Anerkennung der DDR wurde nun zum Hauptziel der EFA, für das sich nun alle 12.622 Mitglieder in den 107 Ortsgruppen einsetzen sollten.
1970-1978: Blütezeit des Austauschs zwischen Frankreich und der DDR
Von 1970 bis 1972 sammelte die EFA im Rahmen einer nationalen Petition ungefähr 250.000 Unterschriften für die diplomatische Anerkennung der DDR.
,,Tag der DDR" organisiert von dem Berufskomitee der Marseiller Eisenbahnarbeitern der Association France-RDA. Marseille, 28. Februar 1975. (© Rencontres franco-allemandes. Comité des Bouches-du-Rhône, avril-mai 1975.)
,,Tag der DDR" organisiert von dem Berufskomitee der Marseiller Eisenbahnarbeitern der Association France-RDA. Marseille, 28. Februar 1975. (© Rencontres franco-allemandes. Comité des Bouches-du-Rhône, avril-mai 1975.)
Ende der 1960er Jahre begann die Organisation, auch an Universitäten Präsenz zu zeigen – insbesondere im Bereich der Germanistik. Die EFA bot mit Unterstützung der DDR Stipendien an, die französischen Studierenden Aufenthalte von sechs oder zwölf Monaten in Ostdeutschland ermöglichten und schuf umgekehrt die Voraussetzungen für Lehraufenthalte ostdeutscher Lektoren an französischen Universitäten. Durch diese Aktivitäten der EFA wurde es möglich, auch in einem politischen Klima, in dem sich der Schul- und Hochschulaustausch angesichts des Fehlens diplomatischer Beziehungen schwieriger gestaltete, Kontakte zur DDR zu pflegen. Die EFA hatte praktisch eine Monopolstellung im Bereich der kulturellen Beziehungen zur DDR. Ihre Dienstleistungen, wie die Organisation der Aufenthalte, der Bücheraustausch und die von der DDR kostenlos bereitgestellte Fachliteratur, trugen zum Erfolg bei der Mitgliedergewinnung unter Lehrkräften und Studierenden bei. Der Verein finanzierte sich im Wesentlichen über die Auslandsaufenthalte, deren Kosten zwar die ostdeutschen Behörden übernahmen, aber für den die Teilnehmenden einen „Solidaritätsbeitrag“ zu entrichten hatten. Dazu kamen die Mitgliedsbeiträge und Abogebühren für die Mitgliederzeitschrift Rencontres franco-allemandes. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erkannte die französische Regierung am 9. Februar 1973 die DDR offiziell an. Zwei Monate später veranstaltete die EFA eine außerordentliche nationale Tagung in einem Vorort von Paris. Um jegliche Zweideutigkeiten endgültig auszuräumen, benannte der Verein sich um – er hieß fortan nicht mehr Association des Echanges franco-allemands, sondern Association France-RDA.
Jede einzelne Ortsgruppe konnte 50 oder sogar 100 Mitglieder umfassen, die eine Vielzahl von Veranstaltungen organisierten und als Mittler zwischen Frankreich und der DDR agierten. Auch in Unternehmen wurden Gruppen gegründet, wie zum Beispiel bei den Hafen- und Eisenbahnarbeitern von Marseille. Die Organisation konnte ihre Präsenz – mit Ausnahme des Südwestens und der Mitte des Landes – auf das gesamte Staatsgebiet Frankreichs ausweiten.
Bei der siebten nationalen EFA-Tagung 1975 in Amiens hatte der Verein eine Größe wie nie zuvor oder in nachfolgenden Jahren erreicht: Aus 36 Départements mit 115 Ortsgruppen und insgesamt 15.877 Mitgliedern waren 386 Delegierte angereist.
Insbesondere angesichts der ersten Ölkrise 1973 und des Anstiegs der Arbeitslosigkeit in Frankreich wurde die DDR von der politischen Linken nach wie vor im Sport, im sozialen Bereich und in der Wirtschaft als Vorbild betrachtet. Allerdings waren nun auch innerhalb des Vereins kritische Stimmen zu hören. Im Jahr 1978, bei der achten Tagung, drückten verschiedene Mitglieder ihre Enttäuschung angesichts des Verhaltens ihrer ostdeutschen Partner aus. Viele von ihnen waren, wie es der Vorsitzende für das Département Moselle darlegte, „völlig desillusioniert, was die Beziehungen zu den Menschen in der DDR angeht“.
Mitunter war eine gewisse Bitterkeit zu spüren, und einige fragten sich, ob der starke Rückgang der DDR-Kontakte vielleicht auf mangelndes Interesse seitens der ostdeutschen Partner zurückzuführen sei. Die achte Tagung markierte auch den Wendepunkt: Von da an begann die Mitgliederzahl zu stagnieren oder gar zu sinken – nach offiziellen Angaben ging sie von 1975 bis 1978 von 15.877 auf 15.710 zurück.
Zeitenwende (1978-1991)
Von den frühen 1980er Jahren an war der Verein von Mitgliederschwund und Überalterung geplagt. Ähnlich wie bei der Kommunistischen Partei Frankreichs – der viele Vereinsmitglieder nach wie vor nahestanden – schien die aktive Basis bald nur noch aus langjährigen Mitgliedern zu bestehen, die teils schon in den 1960er Jahren eingetreten waren. Darüber hinaus hatte der Wahlsieg des sozialistischen Kandidaten François Mitterrand am 10. Mai 1981 widersprüchliche Auswirkungen auf die Association France-RDA: Einerseits fing Frankreich an, echte zwischenstaatliche Beziehungen zur DDR aufzunehmen, andererseits verlor der Verein dadurch seine Bedeutung.
Bei den Tagungen von 1981 und 1984 sowie in der Vereinszeitschrift wurden der Rückgang der Mitgliederzahlen und die geringe Erneuerung der Zielgruppe beklagt. Tatsächlich beraubte das Kulturzentrum der DDR in Paris, das im Dezember 1983 eröffnet wurde, mit seinem reichhaltigen Angebot insbesondere die Ortsvereine der Pariser Region jeglicher Grundlage für ihre kulturellen Aktivitäten. Für das übrige Frankreich traf dies jedoch nur in geringerem Maße zu. Immerhin hatte der Verein 1987, als er seine letzte Tagung vor dem Ende der DDR ausrichtete, noch 14.222 Mitglieder – er hatte also nach wie vor treue Anhänger.
Im Januar 1988 reiste Erich Honecker, Generalsekretär des ZK der SED, zu seinem ersten Staatsbesuch nach Frankreich. Der Vorstandssprecher des Vereins, Georges Castellan, nahm bei dieser Gelegenheit an einem Treffen der beiden Staatschefs teil, was für seine Organisation eine außerordentlich hohe Auszeichnung war. Im Jahr 1990 war eine nationale Tagung im Département Ardennes vorgesehen, aber die rasante politische Entwicklung und der Fall der Mauer brachten die Vereinsmitglieder aus dem Takt. Ende November 1989 versuchte der Vorstand mit einem Rundschreiben, die Ortsvereine zur Fortsetzung ihrer Aktivitäten zu bewegen, doch zahlreiche Mitglieder – einschließlich Georges Castellan – verließen die Organisation.
Bei der nationalen Tagung vom März 1991 in Ivry-sur-Seine sollte eine Neugründung auf der Tagesordnung stehen. Der Untergang der DDR führte nicht nur zu einer tiefgreifenden moralischen Krise, sondern warf auch existenzielle finanzielle Fragen auf. Einen Großteil der Einnahmen hatte der Verein bisher über seine Reiseabteilung erzielt, doch war ihm sein wichtigstes Betätigungsfeld und damit auch seine wichtigste Einnahmequelle abhandengekommen. Angesichts der deutschen Wiedervereinigung entschieden die 135 Delegierten, zur ursprünglichen Vereinsbezeichnung als deutsch-französische Austauschorganisation zurückzukehren und die Vereinsaktivitäten fortzusetzen – insbesondere den Städteaustausch und die Förderung der Deutschen Sprache als Fremdsprache in Frankreich. Einige Ortsgruppen der EFA haben sich bis in die heutige Zeit hinübergerettet, und ihre ältesten Mitglieder erinnern sich wehmütig, aber mit klarem Kopf an ihr Engagement für die DDR – das „verschollene Land“.
Zitierweise: Franck Schmidt, "Der Freundschaftsverein „EFA“: Motor des französischen Interesses an der DDR ", in: Deutschland Archiv, 01.09.2020, Link: www.bpb.de/314791
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