Prolog
Große Veränderungen und Umstürze, seien sie in der Astronomie, der Gesellschaft oder der Politik, lehrte uns Bert Brecht in seinem Stück über das Leben des Galilei, finden oftmals in Sackgassen statt. Politisch war die neue Ostpolitik der Bundesrepublik gegenüber der Sowjetunion die Umkehr aus einer solchen Sackgasse ihrer Deutschlandpolitik. Die Sowjetunion grenzte ihren aus der eigenen Besatzungszone entstandenen Klein- und Klientelstaat DDR strikt von der Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen ab und blockierte das Zustandekommen einer Vereinbarung der vier Siegermächte über einen Frieden mit Deutschland. Die deutsche Teilung verfestigte sich und bekam mit dem Bau der Berliner Mauer ihr sichtbares Symbol.
Nach dieser machtpolitischen Lektion aus Moskau begann in der westdeutschen Politik das Nachdenken über eine neue Ostpolitik auf Basis des territorialen Status quo. Damit ging es nicht mehr um Verhandlungen über eine Wiedervereinigung, sondern um eine Regelung des innerdeutschen Status quo zwischen den beiden Teilstaaten. Um dieses erreichbar erscheinende Teilziel zu realisieren, war eine grundlegende Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion notwendig. Sie erreichte die Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) mit dem Moskauer Vertrag 1970. Er war der Erfolg eines Kurswechsels der bundesdeutschen Ostpolitik, die sich als Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion verstand und vom territorialen Status quo im seit Kriegsende 1945 geteilten Europa ausging. Auch die Deutschen konnten – das war die zu Grunde liegende Erkenntnis – die Teilung ihres Landes nicht aus eigener Kraft überwinden.
Die vier Siegermächte von 1945 verfolgten in ihrer Deutschlandpolitik unterschiedliche Konzeptionen. Sie liefen in der Konsequenz auf die Verfestigung der deutschen Teilung im Ost-West-Konflikt hinaus. Die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt löste die Gesprächsstarre zwischen Bonn und Moskau und beendete das Verharren in der ostpolitischen Forderungs-Sackgasse der Bundesrepublik. Gegenstand dieses Textes sind Stationen des Weges zum Moskauer Vertrag von 1970. Der Text gliedert sich in drei (einzeln anklickbare) Kapitel:
I. 1961 - 1963:
II. 1964 - 1968:
III. 1969 – 1970:
Zitierweise: Manfred Wilke, "Vor 50 Jahren: Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik und der Moskauer Vertrag 1970" (I-III), in: Deutschland Archiv, 01.08.2020, Link: www.bpb.de/312612.