Mein gewähltes Thema hängt mit konkreten Erinnerungen aus dem Jahr 1990 zusammen, als ich von April bis Oktober 1990 der DDR-Volkskammer angehörte.
Zahlreiche Interessenvertreter suchten damals Kontakte zu uns Abgeordneten. Manche dieser Begegnungen waren für uns erstmal kurios. Zum Beispiel wurde ich von Mitarbeitern des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Ost-Berlin eingeladen. Es waren Leute aus der dritten Etage der Hierarchie. Sie klagten über das „Westfernsehen“, was ich als „Ossi“ überhaupt nicht akzeptieren mochte. Die Besucher vom Rhein beschworen mich, den Einigungsprozess, die Vertragswerke und ein Rundfunküberleitungsgesetz als einmalige Gelegenheit zu nutzen, das alt-bundesdeutsche Rundfunkwesen gründlich zu reformieren. Damals verstand ich das Anliegen nicht, später aber wohl.
Meine damalige Aufgabenbezeichnung in der letzten DDR-Volkskammer (VK) als „rundfunkpolitischer Sprecher der CDU/DA-Fraktion“ war eigentlich eine Amtsanmaßung. Dazu kam es, weil ich mich im VK-Ausschuss Presse und Medien auf Rundfunkfragen konzentrierte. Ansonsten pflegte ich die Kontakte zu den neu gewählten Vertrauensleuten der Belegschaft des DDR-Hörfunks und Fernsehens.
Ins Parlament geriet ich als totaler Amateur. Von Haus aus war ich Kunstpädagoge, arbeitete unfreiwillig freischaffend als Graphiker (wegen Lehrverbots) und schrieb gelegentlich für die Ost-CDU beziehungsweise. die kirchliche Provinzpresse. Nach einem Zwischenspiel im Landtag Mecklenburg-Vorpommern im Anschluss an meine kurze Volkskammerzeit arbeitete ich von 1992 bis 2004 als Direktor der Landesrundfunkzentrale Mecklenburg-Vorpommerns (LRZ), danach wieder künstlerisch.
Würde ich heute noch einmal ein parlamentarisches Rederecht erhalten, dies wäre mein fiktiver Redetext:
"Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als rundfunkpolitischer Sprecher meiner Fraktion nehme ich Stellung zum Regierungsentwurf eines Rundfunküberleitungsgesetzes. Besonders wichtig ist mir die Betonung der Staatsferne des Rundfunkwesens in der Präambel des nun neu vorgelegten Entwurfes. Diese Säule der Demokratie ist verfassungsrechtlich geboten. Aber dem wird gerne entgegnet, seit der alliierten Besatzungszeit wäre doch alles klar und bestens bewährt, es bestehe keinerlei Reformbedarf. Mit solchen Redeweisen wird unser Gesetzentwurf in ersten Reaktionen voreilig abgewunken.
Meine andere Sicht bezüglich bislang fehlender Staatsferne richte ich auf die Rundfunkgremien, vor allem auf deren angeblich plurale Zusammensetzung. Sogar in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) installierten die Sowjets 1946 einen Landesrundfunkausschuss in Mecklenburg. Seltsam heutig mutet die Struktur eines vermeintlich vielfältigen Gremiums an, in dem genau festgelegt worden war, welche Strömung Gremienmitglieder entsenden durfte. Doch rein praktisch blieb dieser Rundfunkausschuss eine demokratische Tarnung. Dessen Alibiveranstaltung endete 1952. Irgendwie ehrlicher schuf die SED ein „Staatliches Komitee für den Rundfunk“ und Jahre später auch „für das Fernsehen der DDR“. Staatsferne war dort ein Fremdwort. Das ist bekannt.
Und in den alten Bundesländern? Alles bestens bewährt, keinerlei Reformbedarf bei den Beschluss- und Entscheidungsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder bei den Landesmedienanstalten? „Ja!“, wird gerufen. Es gäbe schließlich genügend Stellschrauben, um die Gremienbesetzung bei Bedarf zu justieren. Gesellschaftliche Präsenz und demokratischer Proporz seien gestaltbar und so weiter und so fort. Einspruch, Euer Ehren!
Ich wechsele die Position, sozusagen weg von der Perspektive „staatlicher Obrigkeit“ hin zum Fokus des ganzen normalen Gebühren-, pardon Beitragszahlers. Die interessieren sich nicht für Glasperlenspielereien um Gremiensitze. Sie sind inhaltlich am Programm interessiert und zwar als Konsumenten. Genau das sollte Abbildung erfahren in unseren Rundfunkgremien.
Folgendes gebe ich zu bedenken:
Die bisherigen Kriterien der Entsendung in die Rundfunkgremien folgen der Tradition, also Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Verbände der Freizeit-Wirtschaft dort vertreten zu sehen. Aber gewährt das auch in ausreichendem Maße demokratischer Meinungsvielfalt? Ginge es nach der Anzahl der zu Vertretenden, so müssten in jedem Rundfunkausschuss beispielsweise auch der Anglerverband oder der ADAC vertreten sein. Ketzerische Fragen folgen: Rechtfertigt eigentlich die Prominenz der Glaubensgemeinschaften mit Sitzen und Stimmen die tatsächliche Programmhäufigkeit oder gar die Eigenschaften?
Ihren Zwischenruf Frau Kollegin W. weise ich zurück. Ich bin kein volkstümlicher „Quotenheini!“ - Aber zu ihrer Beruhigung, ich bin sehr wohl dafür, dass die Einrichtungen der politischen Bildungsarbeit stärker vertreten sein sollten.
Zurück zur Staatsferne: Eine rechtsaufsichtliche Begleitung der Arbeit der Rundfunkgremien ist unstrittig. Damit ist klar: Rederecht, ja. Stimmrecht, nein! Auch die Legislative - immerhin eine der Gewalten - bleibt draußen. Ersatzlos entfallen die Mitgliedschaften von im Parlament vertretenen Parteien.
Die Anzahl der Gremienmitglieder wird auf 15 Personen beschränkt, die gruppendynamisch effektivste Größe. Darin sogenannte politische „Freundeskreise“ - heute durchaus üblich - zu bilden, dürfte schwierig sein. Ideologemen Menschen tut das weh.
Wie sollte die Entsendung von Mitgliedern in Zukunft praktisch organisiert werden? Es werden sogenannte „Bänke“ gebildet, auf denen Vertreter der wichtigsten sozio-kulturellen Milieus Platz finden, wie sie durch die SINUS-Studien ermittelt worden sind
Deshalb hebe ich abschließend das Banner der Staatsferne in die Höhe. Möge der gesellschaftliche Frieden befördert werden, wenn auch nur in der schlichten Form der Programmzufriedenheit des wertschätzenden zahlenden Publikums.
Ich bitte um Überweisungen in die Ausschüsse. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zitierweise: Joachim Steinmann, "„Antrag auf Staatsferne“, in: Deutschland Archiv, 26.06.2020, Link: www.bpb.de/311730. Weitere "Ungehaltene Reden" ehemaliger Parlamentarier und Parlamentarierinnen aus der ehemaligen DDR-Volkskammer werden in den nächsten Monaten folgen. Es sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
In dieser Reihe bereits erschienen:
- Sabine Bergmann-Pohl,
- Rüdiger Fikentscher,
- Hinrich Kuessner
- Klaus Steinitz,
- Richard Schröder -
- Maria Michalk,
- Markus Meckel,
- Hans-Peter Häfner,
- Konrad Felber,
- Walter Fiedler,
- Hans Modrow,
- Joachim Steinmann, "
- Christa Luft,
- Dietmar Keller, "
- Rainer Jork,
- Jörg Brochnow,
- Gunter Weißgerber, "
- Hans-Joachim Hacker,
- Marianne Birthler -
- Stephan Hilsberg -
- Ortwin Ringleb -
- Martin Gutzeit,
- Reiner Schneider -
- Jürgen Leskien -
- Volker Schemmel -
- Stefan Körber - "
- Jens Reich - Revolution ohne souveränes historisches Subjekt (folgt)
- Steffen Reiche - "Rückblick und Ausblick" (folgt)
- Carmen Niebergall - "Eine persönliche Bilanz" (folgt)
- Susanne Kschenka - "Und weiter?" (folgt)
- Wolfgang Thierse - "30 Jahre später - Trotz alldem im Zeitplan" (folgt)
- u.a.m.
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