Die Landesregierungen spielten als Akteure der sozioökonomischen Transformation Ostdeutschlands eine nicht unbedeutende Rolle. Ihnen gelang es durch den Aufbau eines dichten, personellen und formalisierten Beziehungsgeflechts mit der Treuhandanstalt immer enger in deren Entscheidungsstrukturen eingebunden zu werden. Am Beispiel einzelner Unternehmensprivatisierungen im Bundesland Brandenburg zeigen sich Möglichkeiten aber auch Grenzen regionaler wirtschaftspolitischer Gestaltungsspielräume zu Beginn der 1990er Jahre.
Zu den zentralen Narrativen, die den Folgen der Tätigkeit der Treuhandanstalt (THA) zugeschrieben werden, zählt das Erleben einer millionenfachen „Ohnmachtserfahrung“, die bis heute im kollektiven Gedächtnis der ostdeutschen Gesellschaft nachwirkt. Dabei galt und gilt diese Zuschreibung nicht nur für die betroffenen Beschäftigten in den THA-Betrieben, sondern mithin auch für die ostdeutschen Landesregierungen, denen attestiert wurde, dass sie das dominant-restriktive Auftreten der THA „ohnmächtig hingenommen [hätten], bzw. sich ihrer relativen Ohnmacht jedenfalls mindestens bewusst waren“. Die Möglichkeiten und Grenzen des Einflusses der ostdeutschen Bundesländer auf die Arbeit der Treuhand waren Gegenstand wiederholter öffentlicher Auseinandersetzungen. Mediale und literarische Schlagworte einer omnipräsent-allmächtigen „Kolonialbehörde“ wurden ergänzt durch die Kritik von führenden Landespolitikern wie dem ansonsten öffentlich eher zurückhaltend agierenden Ministerpräsidenten Brandenburgs, Dr. Manfred Stolpe (SPD), der der Treuhand vorwarf, dass sie mit Ihrer Privatisierungspolitik „finstersten Manchesterkapitalismus“ ermöglicht habe. Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) ging 1993 soweit, die THA als „mächtige Nebenregierung“ der östlichen Bundesländer zu bezeichnen.
Trotz dieser Zuschreibungen ist die eigentliche Zusammenarbeit zwischen der THA und den ostdeutschen Landesregierungen bisher nur in geringem Umfang ein (vor allem sozial- und politikwissenschaftlicher) Forschungsgegenstand gewesen. Auf der Basis neu zugänglicher Quellen wird am Beispiel des Landes Brandenburgs die institutionalisierte und formalisierte Kooperation zwischen der Landesregierung und der THA erläutert. Zudem werden Handlungsoptionen bei der Privatisierung von Unternehmen nachgezeichnet.
Die THA und der Prozess der institutionalisierten und formalisierten Einbindung regionalpolitischer Akteure in Brandenburg
Das noch von der DDR-Volkskammer am 17. Juni 1990 verabschiedete Treuhandgesetz gab der THA den Auftrag, dafür zu sorgen, „da[ss] sich durch zweckmäßige Entflechtung von Unternehmensstrukturen marktfähige Unternehmen herausbilden und eine effiziente Wirtschaftsstruktur entsteht.“ Regionale Kooperationen und Abstimmungsprozesse mit territorialen Verwaltungseinheiten wie den zu der Zeit noch existierenden Bezirken der DDR oder der perspektivisch zu erwartenden Wiederbegründung der Länderstrukturen enthielt das THA-Gesetz nicht. Auch der Einigungsvertrag brachte dahingehend nur die Ergänzung, dass im Zuge der Erweiterung des Verwaltungsrates der THA auch die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer anstelle zweier Volkskammerabgeordneter als Mitglieder dieses Gremiums berufen werden sollten. Dabei hatte THA-Präsident Detlev Karsten Rohwedder noch im September 1990 vor der DDR-Volkskammer erläutert, wie er die Rolle der THA in der Zusammenarbeit mit den entstehenden ostdeutschen Bundesländern sah:
„Wir wollen ja nicht im Elfenbeinturm sitzen, sondern wir wollen in einer vernünftigen regionalen Vorortverantwortung unsere Arbeit tun. […] Wir möchten gern durch die Außenstellen, durch die Niederlassungen bei der Konzipierung und Initiierung von lokalen und regionalen Wirtschaftsförderungsprogrammen mitwirken. Wir möchten eine Rolle spielen können bei Industrieansiedlungskonzepten.“
Zwar erklärte Rohwedder wenige Wochen später, dass es nicht die Aufgabe der THA sei, „anstelle der Länder und des Bundes Struktur-, Ansiedlungs-, Energie- oder Regionalpolitik zu betreiben“, doch zeichneten sich gerade hier die zukünftigen Reibungspunkte zwischen der THA und den neugewählten Regierungen der ostdeutschen Bundesländer ab. Während für die Landesregierungen jede THA-Entscheidung über den Verkauf oder die Stilllegung eines Betriebes erhebliche regionale wirtschaftsstrukturelle Auswirkungen hatte, verpflichtete sich die THA selbst zu einer streng betriebswirtschaftlichen Perspektive. In Brandenburg wurden daher bereits Entscheidungen zu großen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten getroffen, als die Landesregierung noch gar nicht die Amtsgeschäfte aufgenommen hatte. So beschloss der THA-Vorstand im Oktober 1990 den Verkauf des Synthesewerks Schwarzheide an BASF, des Kaltwalzwerkes Oranienburg an Krupp sowie des LKW-Werks in Ludwigsfelde an die Daimler-Benz AG. In gleicher Weise erfolgten zu diesem Zeitpunkt erste Abwicklungsbeschlüsse wie für die Ölmühle GmbH und die Prignitzer Zellstoff und Zellwolle GmbH, beides Unternehmen in Wittenberge. Die daraus resultierende Kündigung von 2.500 Beschäftigten in einer äußerst strukturschwachen Region veranlasste Rohwedder dazu, Kontakt mit dem seit dem 1. November 1990 amtierenden Brandenburger Ministerpräsidenten, Manfred Stolpe, aufzunehmen, damit dieser die Strukturanpassung vor Ort „durch regionalpolitische Maßnahmen flankieren könne“. Dabei wusste Rohwedder sehr genau, dass die Landesregierung aufgrund ihrer geringen finanziellen Ausstattung und des parallel erfolgenden Verwaltungsaufbaus vor gewaltigen Herausforderungen stand.
Wenige Tage nach dem Schreiben Rohwedders kam es am 30. November 1990 zu einem ersten Treffen zwischen dem THA-Präsidenten und dem Brandenburger Ministerpräsidenten, das den Beginn der Beziehung zwischen THA und Landesregierung markierte. Im Rahmen dieses Gesprächs einigten sich beide Seiten auf den Ausbau der Beziehungen, insbesondere auf eine verstärkte Informationspolitik durch die THA hinsichtlich ihrer Organisation, aber auch gerade mit Blick auf Unternehmen, die entweder erhebliche ökonomische Probleme hatten oder bei denen eine unmittelbare Privatisierung anstand. Hinsichtlich der institutionellen Einbindung von regionalpolitischen Akteuren wurde zudem die Entsendung je eines Vertreters in die Beiräte der Niederlassungen beschlossen, denen gegenüber die jeweiligen Niederlassungsleiter in Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam quartalsweise rechenschaftspflichtig waren. Dass die THA zu diesem Zeitpunkt selbst noch im Aufbau begriffen war, zeigt eine eigens von der THA für das Treffen erstelle Liste mit Problemfällen von konkursgefährdeten Betrieben im Land: Von den dort genannten sieben Unternehmen lagen drei nicht in Brandenburg, sondern in Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise Sachsen-Anhalt.
Einrichtungen der institutionalisierten Kooperation
Ende 1990 beziehungsweise Anfang 1991 entstanden bei der Treuhand sowie bei der Landesregierung zwei Schlüsseleinrichtungen, die die weitere Zusammenarbeit zwischen Brandenburg und der THA-Zentrale nachhaltig institutionell prägten. In der Treuhandanstalt kam es zur Gründung des Direktorats „Koordination von Länderfragen“ (Länderdirektorat) mit jeweils eigenen Referaten für die einzelnen Bundesländer (Brandenburg wurde gemeinsam mit Berlin in einem Referat betreut). Die Hauptaufgabe des Länderdirektorats bestand in einer Koordinierungs- und Moderatorenfunktion. Das Länderdirektorat sollte durch eine intensive Informationsarbeit für Transparenz, insbesondere aber auch für „Verständnis für die Arbeit der Treuhandanstalt“ sorgen und zugleich durch eine „angemessene Berücksichtigung der Interessen der Länder“ bei Konfliktfällen vorbeugend eingreifen. Im Brandenburgischen Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (MWMT) erfolgte im März 1991 die Einrichtung eines eigenen Treuhandreferats, welches zukünftig als zentraler Ansprechpartner für die THA dienen und durch den regelmäßigen Kontakt zur Treuhandzentrale und zu den Niederlassungen in Brandenburg, „Unternehmen und Privatpersonen aber auch Trägern öffentlicher Einrichtungen behilflich sein [sollte], ihre Anliegen gegenüber der THA durchzusetzen.“
Formalisierte Zusammenarbeit
Noch bevor das Treuhandreferat im MWMT seine Arbeit aufgenommen hatte, begann der Prozess zur formalisierten Zusammenarbeit zwischen der THA und der Landesregierung Anfang 1991 mit der Durchführung von Monatsgesprächen und der Gründung einer „interministeriellen Arbeitsgruppe Treuhandanstalt“. An den seit dem 30. Januar 1991 durchgeführten Monatsgesprächen zwischen Vertretern der Landesregierung und der THA nahmen zahlreiche Vertreter unterschiedlicher Landesministerien sowie der Treuhandzentrale und den Niederlassungen teil. Während in der ersten Jahreshälfte 1991 schwerpunktmäßig Themen des Informationsaustausches, der Abgrenzung von Zuständigkeiten zwischen THA und Land sowie landeseigene Initiativen zum Aufbau von Wirtschafts- und Arbeitsmarktinstrumenten diskutiert wurden, standen ab Herbst 1991 vermehrt Fragen der Gewerbeansiedlung, strukturpolitische Maßnahmen sowie die Entwicklung noch nicht privatisierter brandenburgischer Unternehmen (z. B. in der Braunkohle-, Textil- und Chemieindustrie) im Fokus. Mit einem Kabinettsbeschluss vom 5. Februar 1991 richtete die Landesregierung Brandenburg zudem eine interministerielle Arbeitsgruppe ein, die unter der Leitung des Treuhandreferats 1991 insgesamt sechzehnmal tagte. An den Sitzungen, die wie die Monatsgespräche bis Ende 1994 stattfanden, nahmen Vertreter fast aller Ressorts der Landesregierung sowie regelmäßig die für Brandenburg zuständigen Mitarbeiter des Treuhand-Direktorats für Länderfragen teil. Zu den wesentlichen Inhalten der überlieferten Beratungen gehörten unter anderem Grundstücksfragen, die sich aus dem Abzug der Sowjetischen Streitkräfte ergaben (Konversion), Koordinierungen mit der THA hinsichtlich der Aufstellung und Bearbeitung effizienter Arbeitsstrukturen der Grundbuch- und Liegenschaftsämter sowie die Gründung von Arbeitsförderungsgesellschaften und der Beteiligung der THA.
Anders als bei den Monatsgesprächen oder bei der interministeriellen Arbeitsgruppe sollte dem seit Juli 1991 tagenden Treuhandkabinett des Landes Brandenburg von vornherein nicht nur eine beratende, sondern auch eine Entscheidungskompetenz zugestanden werden. Die Bildung eines solchen Kabinetts basierte auf den „Grundsätzen der Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt für den Aufschwung Ost“ vom 14. März 1991, welche in Folge des galoppierenden wirtschaftlichen Abschwungs und der grassierenden Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland beschlossen wurden. Aus den vorhandenen Unterlagen lässt sich ersehen, dass regelmäßig Vertreter des Vorstandes der THA, gelegentlich auch THA-Präsidentin Birgit Breuel, an den Sitzungen teilnahmen. Die Landesregierung selbst hob intern als wesentliche Ergebnisse der Tätigkeit des Treuhandkabinetts die Streckung des Privatisierungszeitraums hervor, um Investoren aus dem Land Brandenburg die Kapitalbeschaffung zum Erwerb von Unternehmen zu erleichtern. Ebenfalls als einen Erfolg wertete sie die Beteiligung Brandenburgs bei der Auswahl der interessierten Investoren an strukturpolitisch wesentlichen Entscheidungen wie zum Beispiel der Privatisierung der Stahlindustrie. Zudem hatte sie ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, auch Fördermittel für die Treuhandunternehmen einzusetzen, wenn vorab dem Land die Möglichkeit eingeräumt wurde, Sanierungskonzepte, Finanz- und Investitionsplanung der Unternehmen zu beurteilen.
Diese Punkte tangierten unmittelbar die Privatisierungskompetenz der THA, denn das Land versuchte auf Privatisierungsentscheidungen der Treuhand Einfluss zu nehmen, um deren Auswirkungen auf lokaler und regionaler Ebene begegnen zu können oder diese zumindest zu minimieren. Damit entsprach auch die erreichte finanzielle und organisatorische Beteiligung der THA an Beschäftigungsgesellschaften für die aus den Treuhandunternehmen entlassenen Arbeitskräfte der Zielstellung des Landes, durch einen größeren Einfluss die Folgen der auf ein hohes Privatisierungstempo ausgelegten Strategie der THA abzumildern. Hierzu zählte auch die Einigung, nichtbetriebs-notwendige Grundstücke vor der Privatisierung zu einem möglichst geringen Verkaufspreis an Kommunen zu veräußern.
Die Arbeit der Ansiedlungsgruppe
Ein letztes Instrumentarium, das Anfang Juli 1991 als regelmäßiges Beratungsgremium von THA und Brandenburg geschaffen wurde, war die sogenannte Ansiedlungsgruppe. Die Ziele dieser Einrichtung, die in einer Beschleunigung und Konzentration wichtiger Ansiedlungsvorhaben von Investoren lagen, sollten „mittels frühzeitiger gegenseitiger Unterrichtung, [welche] die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig in die Wege leiten“ erreicht werden. Dies betraf etwa die Entwicklung und Errichtung von Gewerbegebieten, die Ansiedlung von Industrie-, Gewerbeunternehmen sowie Einzelhandelszentren oder den Bau von Freizeitanlagen. Darüber hinaus tagte das Gremium ebenfalls, um über Neuansiedlungen im Umfeld von strukturbestimmenden Unternehmen zu beraten. Die Ansiedlungsgruppe der Landesregierung hatte keinen Einfluss auf die Privatisierung der Unternehmen, sondern betrieb vielmehr eine eigenständige Wirtschafts- und Strukturförderung. Die Einbindung von Vertretern der THA oder der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft (TLG) war dennoch notwendig, sowohl um Regelungen bezüglich der von den Kommunen beanspruchten Grundstücke als auch im Hinblick auf die Preise dieser Grundstücke zu finden.
Einflussmöglichkeiten auf die Privatisierungsentscheidungen der Treuhand hatte das Land im Grunde nur an einer einzigen Stelle: durch den Sitz des Ministerpräsidenten im Verwaltungsrat. Hier bestand aufgrund der Kontrollfunktion die Möglichkeit, steuernd einzugreifen und durch Abstimmungsverhalten einzelne Privatisierungskonzepte zu verhindern. Zwischen Theorie und Praxis klaffte allerdings eine große Lücke, denn die Entscheidungsvorlagen über die Privatisierungsaussichten von Unternehmen wurden grundsätzlich durch den Leitungsausschuss der Treuhandanstalt sowie den Vorstand vorbereitet, der die Empfehlungen dem Verwaltungsrat zur Abstimmung vorlegte. Die umfangreichen betriebswirtschaftlichen Bilanzen und Auswertungen einer komplexen Prüfung zu unterziehen und damit die Privatisierungsaussichten von Unternehmen eigenständig zu beurteilen, konnte dabei nicht durch politische Repräsentanten geleistet werden. Die Mitglieder des Verwaltungsrats hatten nicht die Sachkompetenz und auch nicht die Ressourcen zur Bewertung derart aufwendiger Prüfungen. Über Substanzwerte und/oder betriebswirtschaftliche Bewertungen von Privatisierungen bzw. Abwicklungen von Unternehmen wurde deshalb auch im Verwaltungsrat in der Regel nicht diskutiert, zumal die Unterlagen für die Verwaltungsratssitzungen – wie mehrfach geschehen und von der Brandenburger Staatskanzlei beanstandet – im Vorfeld der Sitzungen erst kurzfristig zur Verfügung gestellt wurden. In der Praxis wurden daher Privatisierungsentscheidungen der THA durch den Verwaltungsrat oftmals einstimmig mitgetragen.
Zusammenarbeit in der Praxis: Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme
Anhand von drei Beispielen sollen die Einflussmöglichkeiten und Handlungsoptionen der Landes Brandenburg im Rahmen der generellen Privatisierungspraxis der THA kurz umrissen werden:
1991 verkaufte die THA das im Havelland gelegene Chemiefaserwerk Premnitz (Märkische Faser AG) an das Schweizer Unternehmen Alcor. Von den ehemals 6.300 Beschäftigten sollten noch 2.100 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Der Käufer, selbst nur ein kleiner Betrieb mit 15 Beschäftigten, plante einen Weiterverkauf an russische Investoren, der aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten allerdings scheiterte. Alcor blieb daraufhin für das Chemiefaserwerk verantwortlich, war allerdings mit der Führung des Unternehmens personell und finanziell völlig überfordert. Die THA wehrte sich vehement gegen eine Zurücknahme des Betriebes. Der zuständige THA-Vorstand Schucht notierte dazu: „Wir müssen ablehnen. Der erste Fall dieser Art würde eine Lawine auslösen. Wir sehen hier die Spitze eines Eisberges.“ Als das Chemiefaserwerk unmittelbar von der Schließung bedroht war, kontaktierte Ministerpräsident Manfred Stolpe die nordrhein-westfälische Landesregierung, um mögliche Investoren für eine Zwischenlösung in Premnitz zu finden und den unliebsamen Eigentümer Alcor loszuwerden. Auf Stolpes Anfrage hin kam der Kontakt zur Westdeutschen Landesbank Girozentrale mit Sitz in Düsseldorf (West LB) zustande, welche seit den 1970er Jahren in Krisen geratene Unternehmen wie Preussag, die Ruhrkohle oder Hoesch unterstützte. Über eine Tochterfirma für ostdeutsche Beteiligungen wurde ein Unternehmenskonzept erarbeitet. Die THA stimmte 1994 der Weiterveräußerung des Betriebes von Alcor an die Tochterfirma der West LB zu. Nach einer zweijährigen Übergangs- und Sanierungsphase erfolgte schließlich der Verkauf der Unternehmensteile an Investoren aus Spanien und Singapur.
Auch im Fall der Schwermaschinenbau Wildau AG (SMB AG) konnte die Landesregierung ihren Einfluss geltend machen. Der südöstlich von Berlin gelegene Betrieb, welcher vor 1989 mit 3.500 Beschäftigten Kurbelwellen für den Schiffbau und Anlagen für Stahlwerke im In- und Ausland fertigte, geriet nach der Währungsunion durch wegbrechende Aufträge in akute Schwierigkeiten. Mitte 1992 wurde die SMB AG im Rahmen eines Neuansatzes zur Sanierung von defizitären Unternehmen mit geringen Privatisierungsaussichten einer Holding unter dem Dach der THA, der Urban Management Kommandit Gesellschaft (Urban MKG), unterstellt. Nach erheblichem Personalabbau legte die Urban MKG Anfang 1994 ein Konzept vor, das die kurzfristige Schließung des größten Produktionsbereiches vorsah. Im Rahmen eines Krisengesprächs verständigten sich die Vertreter der SMB, der MKG, der THA sowie der Landesregierung auf die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, welche ein tragfähiges Sanierungskonzept zur Fortführung des Maschinenbaus vorlegen sollte. Nachdem die Arbeitsgruppe erklärt hatte, dass eine Weiterführung nur durch eine rasche Privatisierung zu erreichen sei, beauftragte die THA die West Merchant Bank im Juni 1994 mit der Privatisierung des Maschinenbaus. Entgegen den Erwartungen von THA und MKG fanden sich mehrere Interessenten, sodass der Erhalt des Betriebsteils durch den Verkauf an die ostdeutsche Hydraulik Nord GmbH realisiert werden konnte.
Im Falle der Privatisierung des Halbleiterwerkes in Frankfurt an der Oder (HFO) kam es zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen THA und Landesregierung. Als Standort der in den 1970er und 1980er Jahren von der SED forcierten Mikroelektronik umfasste die Produktpalette des HFO Bauelemente für die Industrie- und Konsumgüterelektronik. 1990 wurde jedoch schnell klar, dass der technologische Rückstand gegenüber der westlichen und asiatischen Konkurrenz sowie der wegbrechende Export nach Osteuropa einen erheblichen Arbeitsplatzabbau bei den bis dahin etwa 8.000 Beschäftigten nach sich ziehen würde. Die THA versuchte zunächst, das HFO zusammen mit den anderen großen Mikroelektronikstandorten in Erfurt und Dresden zu privatisieren. Nachdem der Treuhandvorstand allerdings keine Interessenten finden konnte, die Betriebe gleichzeitig aber enorme Verluste verzeichneten, beschloss er, dass eine Fortführung der Mikroelektronik nur durch ein Engagement der betroffenen Länder denkbar sei. Die THA sehe sich andernfalls gezwungen, „betriebswirtschaftliche Optimierungsmaßnahmen vorzunehmen“, was auf die Schließung des Standortes Frankfurt hinauslief. Damit unternahm die THA erstmalig den Versuch, die Verantwortung für Unternehmen, an deren Privatisierungsfähigkeit sie nicht mehr glaubte, an die Länder zu übertragen, die an den Standorten aus regional, sozial- und strukturpolitischen Gründen festhalten wollten. Die Landesregierung Brandenburgs lehnte diesen Vorschlag im Gegensatz zu Sachsen und Thüringen zunächst ab. Manfred Stolpe forderte, dass sich der „Bund als Eigentümer der Treuhandbetriebe nicht aus der Verantwortung stehlen darf, indem er den Ländern Anteile andient.“ Da sich die Landesregierung im Rahmen der Einzelprivatisierungen der Mikroelektronikunternehmen mit dieser Position zunehmend isoliert sah, entschied sie sich Ende 1993 schließlich doch noch zu einer direkten Beteiligung an einer Privatisierung, welche erhebliche Kosten durch mehrfach gescheiterte Projekte nach sich zog. Das HFO wurde zu einer Belastungsprobe der Beziehungen zwischen THA und Landesregierung, wenngleich die Zusammenarbeit mit der THA aus der Sicht Potsdams ansonsten vom Wirtschaftsministerium grundsätzlich als positiv und „beispielhaft“ charakterisiert wurde.
Fazit
Insbesondere das Jahr 1991 war geprägt vom Auf- und Ausbau weit verzweigter Kommunikationsstrukturen, die zu einer engen Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung Brandenburgs und der Treuhandanstalt führten. Beide Seiten trafen sich auf verschiedenen Arbeitsebenen zum Teil mehrmals wöchentlich. Am Primat der Privatisierungspolitik der THA konnte das Land Brandenburg damit jedoch nicht rütteln. Vielmehr dienten auf der einen Seite die zahlreichen Kommunikationskanäle der Verdichtung von Informationen sowie auf der anderen Seite dem Versuch der gemeinsamen Ausrichtung einer effizienten Ansiedlungs- und Strukturpolitik. Bei der Formalisierung der Arbeits- und Austauschbeziehungen handelte es sich allerdings weniger um eine „nachträgliche Demokratisierung“ der THA-Länderbeziehungen. Vielmehr versuchte die THA die Landesregierung in ihre Arbeit und Entscheidungen soweit miteinzubeziehen, als dass eine offene Konfrontation über die generelle Ausrichtung der THA vermieden werden konnte. Insofern handelte es sich bei den institutionalisierten Kooperationen (Verwaltungsrat, Länderdirektorat THA, Treuhandreferat MWMT, Beiräte der Niederlassungen) sowie der formalisierten Zusammenarbeit (Treuhandkabinett, Monatsgespräche, Interministerielle Arbeitsgruppe, Ansiedlungsgruppe) aus THA-Sicht im Frühjahr 1991 zunächst um „Neutralisierungsmechanismen“ zur Abwehr überbordender politischer Kritik. Dennoch ergab sich für die Landesregierung daraus die Möglichkeit, in Einzelfällen unmittelbar in den Privatisierungsprozess wichtiger Standorte des verarbeitenden Gewerbes eingreifen zu können.
Erstaunlich war dabei vor allem die Tatsache eines offenkundigen Widerspruchs in der Beurteilung der Kernaufgaben der THA: Während die Treuhand sowohl unter Rohwedder als auch unter Birgit Breuel am Mantra „Privatisierung ist die wirksamste Sanierung“ festhielt, galt für die Vertreter des FDP-geführten Wirtschaftsministeriums in Potsdam der Grundsatz, dass „eine behutsame Sanierung, […] immer vor einer Privatisierung erfolgen mu[ss].“ Dass aus diesem grundsätzlichen Dissens keine ersichtliche dysfunktionale Störung der Zusammenarbeit zwischen der THA-Zentrale und den zuständigen Vertretern der Landesregierung Brandenburgs erfolgte, zeugt von der Ambivalenz der gegenseitigen Beziehungen. Dies lag nicht zuletzt auch an der Tatsache, dass sich beide Akteure trotz der unterschiedlichen Ausgangslagen aufgrund des öffentlichen Drucks und der sozioökonomischen Herausforderungen ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten bewusst waren. Insofern war die Landesregierung zwar keineswegs ohnmächtig gegenüber der THA; sie erkannte aber sehr wohl ihren begrenzten Handlungsspielraum.
Zitierweise: Wolf-Rüdiger Knoll, "Mehr als ohnmächtig? Zur Zusammenarbeit zwischen Treuhandanstalt und Brandenburg", in: Deutschland Archiv, 16.06.2020, Link: www.bpb.de/311498.