Die Treuhandanstalt (THA) wurde am 1. März 1990 durch einen Beschluss der DDR-Regierung – noch SED-geführt – unter dem Ministerpräsidenten Interner Link: Hans Modrow gegründet. Bis zur ersten freien Volkskammerwahl am 18. März und der Bildung der Regierung unter Interner Link: Lothar de Maizière (CDU) Anfang April fristete sie jedoch ein Schattendasein. Die neue Regierung setzte andere ordnungspolitische Prioritäten und schwenkte auf einen Kurs des Übergangs zur sozialen Marktwirtschaft ein. Somit bekam auch die THA einen neuen Auftrag: Nicht mehr die Bewahrung des ehemals staatlichen Eigentums, sondern dessen Privatisierung hatte nunmehr Priorität. Doch auf welche Weise der Übergang zur Marktwirtschaft organisierte werden sollte, blieb so unklar wie umstritten.
Bonner Behörden boten unter den sich radikal verändernden wirtschaftspolitischen Leitlinien Hilfe an. Bundeswirtschaftsministerium und -finanzministerium erarbeiteten Konzepte und Programme für den ostdeutschen Wirtschaftsumbau. Auch für die nun dem DDR-Ministerpräsidenten de Maizière direkt unterstellte Treuhandbehörde entwickelten Bonner Beamte Aufgabenprofile und Organisationsrichtlinien. In Ost-Berlin waren diese Hinweise zunächst willkommen. Doch bis zum Sommer 1990 verstärkte sich ein deutlicher Dissens zwischen den Regierungen der DDR und der Bundesrepublik im Verständnis dessen, mit welcher Organisationsstruktur die Privatisierung der staatlichen Industrie durch die THA durchgeführt werden sollte. Erstmals im Bundesarchiv Koblenz eingesehene Archivdokumente geben Auskunft über die Versuche der politischen Einflussnahme der Bundesregierung auf die Struktur, Arbeitsweise und Personal der THA im Frühjahr und Sommer 1990. Auf der Grundlage dieser Dokumente soll im Folgenden ein analytischer Blick auf dieses Spannungsverhältnis während dieser kurzen Zeit geworfen werden.
Die Treuhand im Fokus westdeutscher Ministerien im Frühjahr 1990
Die Bonner Ministerien für Wirtschaft und Finanzen nahmen die Überlegungen der Ost-Berliner Regierung über die weitere Behandlung des Volkseigentums nicht nur aufmerksam zur Kenntnis. Bereits in der Regierungszeit Modrows traf sich eine deutsch-deutsche Expertenkommission, in der Regierungsbeamte aus der DDR und der Bundesrepublik über die Vorbereitung einer Währungs- und Wirtschaftsgemeinschaft verhandelten. In einem Zwischenbericht vom 13. März 1990 war davon die Rede, dass eine Strukturanpassung der DDR-Unternehmen mit marktwirtschaftlichen Methoden zwingend notwendig sei. Die Währungsunion sowie eine Wirtschaftsgemeinschaft wurden in dem Bericht als ein zentrales Element bezeichnet, um die Abwanderung von Menschen aus ihrer ostdeutschen Heimat zu stoppen. Die westdeutsche Delegation und deren Leiter Staatssekretär Interner Link: Horst Köhler (CDU) gingen von dem Grundsatz aus, dass eine Übernahme des westdeutschen Wirtschafts-, Steuer- und Sozialrechts unausweichlich werden würde. Nach der Volkskammerwahl übernahm Ende März 1990 Hans Tietmeyer (CDU) als „Beauftragter des Bundeskanzlers“ die Leitung der westdeutschen Delegation, um über die Vorbereitung einer Wirtschafts- und Währungsunion mit einer neuen DDR-Regierung zu verhandeln. Tietmeyer war seit Januar 1990 Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank.
Seit dem Amtsantritt Lothar de Maizières am 12. April 1990 nahmen Berater aus dem Bonner Regierungsapparat nunmehr verstärkt Einfluss auf die Neuorganisation der THA sowie die Ausarbeitung juristischer Rahmenbedingungen für deren künftige Tätigkeit. Das Bundesministerium für Wirtschaft (im folgenden BMWi) und das Bundesministerium für Finanzen (im folgenden BMF) waren sich darin einig, dass der ursprüngliche Beschluss der Modrow-Regierung zur THA-Gründung der auf die Wahrung und eben nicht auf die ihrer Meinung nach unumgängliche Privatisierung des Volkseigentums abzielte. Und dieses Ansinnen war ihrer Auffassung nach falsch. Insbesondere seien die damalige Führungs- und Organisationsstruktur unzureichend gewesen. Laut einem Vermerk beider Häuser vom 7. Mai 1990 lasse die beabsichtigte regionale Aufsplitterung der Behörde keine schnellen Entscheidungen zu. Zudem würden dem THA-Direktorium unter Interner Link: Peter Moreth – ein Politiker der vormaligen Blockpartei LDPD (Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands), der noch von der Modrow-Regierung als Leiter der Treuhand eingesetzt wurde – jeglicher unternehmerischer Sachverstand fehlen. Daher seien dringend externe Experten- und Beratergremien vonnöten.
Diese Einschätzungen basierten hauptsächlich auf einem Gespräch zwischen THA-DirektoriumsmitgliedInterner Link: Wolfram Krause, DDR-FinanzministerInterner Link: Walter Romberg (SPD) sowie Staatssekretär Interner Link: Horst Köhler und weiteren Beamten aus dem BMF am 26. April 1990 in Bonn. Die Vertreter der THA schilderten ihren westdeutschen Gesprächspartnern den aktuellen Stand des Organisationsaufbaus der Anstalt, der ihrer Meinung nach sehr unbefriedigend sei. Die Zentrale in Berlin mit ihren rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei gegenwärtig in die Abteilungen Wirtschaft, Recht, Finanzen und Treuhand-Auftrag gegliedert und nur bedingt arbeitsfähig. Die Ressortzuständigkeit zwischen den DDR-Ministerien Wirtschaft und Finanzen sei umstritten, wobei das Büro von Ministerpräsident de Maizière sowie das Wirtschaftsministerium die Zuständigkeit für die THA weitgehend an sich gezogen hätten. Auch die Umwandlung der volkseigenen Kombinate und Betriebe in Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften und GmbHs) werde gegenwärtig vorrangig vom Wirtschaftsministerium organisiert, an dessen Spitze Gerhard Pohl von der CDU stand.
Anfang Mai 1990 verständigten sich BMF und BMWi auf „Grundsätze zur Privatisierung des Volkseigentums der DDR“, in denen gefordert wurde, sämtliche Vermögenswerte der DDR – einschließlich des staatlichen landwirtschaftlichen Vermögens, des Wohnungs- und Grundvermögens – möglichst umfassend zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft einzusetzen. Die Betriebe sollten zügig veräußert werden, „soweit sie wettbewerbsfähig sind oder nach unternehmenspolitischen Kriterien wettbewerbsfähig zu machen sind. Betriebe, deren Wettbewerbsfähigkeit nicht hergestellt werden kann, sind unverzüglich unter Veräußerung des verwertbaren Vermögens zu liquideren.“ Die Verkaufserlöse sollten zunächst für die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe verwendet werden, die als geeignet für eine Sanierung erschienen. Notwendig sei es, sämtliche Vermögenswerte auf die Treuhand zu übertragen, um sie in die Lage zu versetzen, im Vorgriff auf künftige Privatisierungserlöse und andere Erträge Kredite bis zur Höhe der erwarteten Einnahmen aufzunehmen. Zuschüsse aus dem Staatshaushalt sowie aus öffentlichen Haushalten der Gebietskörperschaften (Kreise und Bezirke) wurden in diesen Grundsätzen strikt ausgeschlossen.
Zu den zentralen Aufgaben der Treuhand zählten BMF und BMWi eine aktive Privatisierungspolitik sowie die Umsetzung entsprechender Maßnahmen, die „soweit wie möglich“ zu beschleunigen waren. Sie sollte dabei alle Möglichkeiten nutzen, um eine Veräußerung zu marktgerechten Preisen zu ermöglichen. In der Struktur der Treuhand müsse eine branchenmäßige Aufteilung im gewerblichen Bereich unbedingt vermieden werden, hieß es. Zudem wurde die Zuständigkeit der Treuhand für die drei Einzelbereiche gewerbliche Wirtschaft, Wohnungswesen und Landwirtschaft „wegen unterschiedlicher Problemlagen“ für unzweckmäßig erachtet. Stattdessen schlugen die Bonner Beamten vor, für Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, für Wohn- und Grundeigentum sowie für land- und forstwirtschaftliche Flächen jeweils eigene Institutionen mit unterschiedlichen Rechts- und Organisationsformen zu gründen. Die Treuhand wäre in dieser Variante lediglich für die früheren staatlichen Betriebe in der Industrie zuständig gewesen.
Weiterhin war daran gedacht, dass die THA sich während der Dauer ihres Bestehens aus den Privatisierungserlösen und sonstigen Erträgen selbst finanzieren solle. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Bonner Behörden noch von vergleichsweise hohen Einnahmen aus der Privatisierung aus, was damit einem „sich letztlich selbst tragenden Finanzierungskreislauf“ entsprechen sollte. „Nicht nur die ordnungspolitische Erwägung des Rückzugs des Staates aus der Wirtschaft, sondern auch, um das Haushaltsdefizit abzubauen und damit den Kreditbedarf des Staates einzugrenzen, sollte der Sanierungsaufwand für die bisher volkseigene Wirtschaft aus dem volkseigenen Vermögen selbst finanziert und der Staatshaushalt insoweit nicht herangezogen werden.“ Abschließend wurde konstatiert, dass die damalige THA den in diesem Konzept formulierten Grundsätzen keinesfalls entspreche. Zudem müsse unverzüglich geklärt werden, ob die Aufgaben der Treuhand besser in einer privat- oder öffentlich-rechtlichen Form gelöst werden könnten.
Während eines Gesprächs mit Vertretern westdeutscher Banken am 18. Mai 1990 in Frankfurt (Main), an dem u.a. Wolfram Krause als Mitglied des THA-Direktoriums , zwei Vertreter aus dem DDR-Wirtschaftsministerium, ein Referatsleiter aus dem Bundeskanzleramt sowie zwei Mitglieder des CDU-Wirtschaftsrates aus Bonn teilnahmen, forderten die Bankenvertreter eine Umbildung der bisherigen THA in eine „Privatisierungsagentur“, um die volkseigenen Betriebe nach „unternehmerischen Grundsätzen“ zu privatisieren.Zugleich hielt es die Mehrheit der Teilnehmer für entscheidend, den Einfluss der Politik, insbesondere parlamentarische Einflussnahmen, auf die THA so weit wie möglich auszuschalten. Eine paritätische Zusammensetzung der THA-Organe jeweils mit Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber sahen die Teilnehmer dieser Beratung als unannehmbar an. Eine solche Variante entspreche weder der vorrangigen unternehmerischen Ausrichtung der Treuhand noch der nötigen Sachkompetenz, die durch die Zusammensetzung der Gremien gewährleistet werden müsse. Das Hauptproblem sahen die Gesprächsteilnehmer in der notwendigen Kreditbeschaffung und Kreditfähigkeit der künftigen „Privatisierungsagentur“.
Etwa zur gleichen Zeit, Mitte Mai 1990, sprach sich das BMWi in einem Organisationskonzept nun nachdrücklich dafür aus, das gesamte volkseigene Eigentum nicht einer einzigen Treuhandeinrichtung zuzuweisen. Stattdessen schlug die dortige Abteilung I – Wirtschaftspolitik – vor, das zu verwaltende Vermögen in drei Bereiche mit unterschiedlichen Rechts- und Organisationsformen zu trennen, in: a) gewerbliche Wirtschaft, b) Wohnungswesen sowie c) Landwirtschaft. „Alle drei Treuhandeinrichtungen sind auf eine aktive und zügige Umstrukturierungs- und Privatisierungspolitik unter Beachtung marktgerechter Preise zu verpflichten.“ Die für Privatisierung und Sanierung der Unternehmen zuständige Treuhandeinrichtung sollte nicht als Anstalt des öffentlichen Rechts, sondern in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft weitergeführt werden. Die Vorteile dieser Rechtsform sah das BMWi darin, dass damit unternehmerischer Sachverstand in den Leitungsgremien sichergestellt werden könne. Hierzu müssten allerdings konzernerfahrene Unternehmer sowie externe Berater gewonnen werden. Notwendig seien zudem schnelle und flexible unternehmerische Entscheidungswege. Im Zuge der Neuorganisation der THA, so hieß es im BMWi-Konzept, müsse insbesondere eine politische Einflussnahme auf Einzelentscheidungen sowie eine branchenmäßige Untergliederung verhindert werden. Zugleich ging das BMWi von der Annahme aus, die THA könne sich durch eine zügige Privatisierung nicht nur selbst, sondern auch den wirtschaftlichen Strukturwandel finanzieren: „Aus der Mobilisierung des volkseigenen Vermögens dürften namhafte Finanzmittel zur Modernisierung der Wirtschaft aus eigener Kraft zu gewinnen sein.“
In einem Vermerk für Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP) vom 17. Mai 1990 bezeichnete der zuständige Abteilungsleiter im BMWi die Präferenz für eine Treuhand-Aktiengesellschaft im gewerblichen Vermögen als zwingend. Insbesondere könne in einer unternehmerisch tätigen Privatgesellschaft der Einfluss politischer Instanzen begrenzt werden. Die Einflussmöglichkeit der Regierung ergäbe sich dann aus den Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung, die von der DDR zu übernehmen sei. Danach seien die Veräußerungen maßgeblicher Anteile an vom Bund beherrschten Unternehmen an die Zustimmung des Finanzministers gebunden.
In sämtlichen Konzepten für eine Neuorganisation der THA gingen die Bonner Beamten im April/Mai 1990 wie auch die DDR-Regierung noch von der Annahme aus, das bisherige staatliche Eigentum der DDR mit beachtlichem Gewinn veräußern zu können, sodass die Behörde auf Hilfen aus dem Staatshaushalt der DDR bzw. dem Bundeshaushalt nicht angewiesen sein würde. Im Sommer 1990 deutete sich allerdings schon an, dass sich aus dem gesamten Privatisierungsgeschäft der Treuhand letztlich wohl kein Gewinn erzielen lassen würde. In Bonn wuchs die Sorge vor einem Szenario, in dem die THA zu einem Milliardengrab des Bundes zu werden drohte.
Der deutsch-deutsche Diskurs über ein Treuhandgesetz
Seit Mitte Mai 1990 befasste sich eine von Ministerpräsident de Maizière eingesetzte Arbeitsgruppe mit der Neufassung des Treuhandgesetzes. Zum engeren Kreis der Arbeitsgruppe gehörten fünf Personen, die von de Maizière persönlich ausgewählt und ernannt wurden: Fritz Holzwarth, bislang Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im Konrad-Adenauer-Haus in Bonn und jetzt persönlicher Berater des Ministerpräsidenten, Wolfram Krause, stellvertretender Vorsitzender des Direktoriums der THA, Interner Link: Stephan Supranowitz, Leiter des Amtes für Rechtsschutz des Vermögens der DDR, Interner Link: Thomas de Maizière (CDU), zuvor Referatsleiter in der West-Berliner Senatskanzlei und seit dem Frühjahr 1990 juristischer Berater im Amt des DDR-Ministerpräsidenten sowieInterner Link: Ludwig Penig, Leiter der Rechtsabteilung des DDR-Ministerrates und juristischer Berater de Maizières.
In die Erarbeitung des Entwurfs für ein neues Treuhandgesetz wurden Beamte aus den Bonner Bundesministerien für Wirtschaft, Finanzen und Justiz sowie aus dem Bundeskanzleramt einbezogen. Die entsprechenden Gesetzentwürfe der von de Maizière eingesetzten Arbeitsgruppe wurden den Bonner Dienststellen zugeleitet, dort diskutiert und überarbeitet. Auf der anderen Seite bildeten Entwürfe aus dem BMWi und BMF die Basis beiderseitiger Stellungnahmen und Gespräche zwischen Bonn und Ost-Berlin. So fand am 25. Mai 1990 eine Beratung von Vertretern der DDR-Ministerien für Wirtschaft sowie Finanzen, des THA-Direktoriums, des Büros des Ministerpräsidenten mit Beratern aus dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium der Bundesrepublik in Ost-Berlin statt. Während der Beratung über den vom BMWi und BMF vorgelegten Gesetzentwurf kamen die verschiedensten, zum Teil auch sehr gegensätzlichen Ideen und Vorschläge zur Sprache. Einig war man sich vor allem über die politischen Rahmenbedingungen, unter denen die THA künftig tätig werden sollte. So müsse eine direkte Beziehung der Treuhand zum Parlament aus dem Gesetzentwurf unter allen Umständen herausgelassen werden. Vielmehr solle die Regierung die alleinige Aufsicht über die Treuhand nicht nur als Rechtsaufsicht, sondern auch über die von ihr zu verwaltenden Sachbestände ausüben.
In den letzten Maitagen wurde die Arbeit an den Gesetzentwürfen in den Bonner Ministerien noch einmal intensiviert. Nach einer gemeinsamen Beratung von Vertretern des Bundeskanzleramtes, des BMWi und des BMF entstand ein Entwurf, über den Staatssekretär Horst Köhler in einem Schreiben an das Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank Hans Tietmeyer vom 28. Mai 1990 informierte. In dem Schreiben hielt es Köhler für unbedingt notwendig, die Frage zu klären, wie wohnungswirtschaftliches Vermögen künftig zu behandeln sei. Es sei zu entscheiden, ob das Wohnungsvermögen einen eigenen Holding-Bereich der THA darstellen sollte – wie die DDR-Vertreter vorgeschlagen hatten – oder den Kommunen zuzuordnen sei. Nach Köhlers Auffassung sei es absehbar, dass mit der Zuweisung an die Kommunen der notwendige Subventionsabbau und die Entlastung des Staatshaushalts stark beeinträchtigt würden. Köhler verwies auf die Notwendigkeit, alle Liegenschaften einer zu gründenden Treuhand AG zuzuordnen, die Grundstücke für Investoren bereitstelle und deren Erträge der THA zugeführt werden müssten. Diese Idee wurde mit der Gründung der „Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt mbH“ (TLG) im März 1991 umgesetzt.
In den zuständigen Referaten des BMWi hielt man den von der Arbeitsgruppe des DDR-Ministerpräsidenten vorgelegten Entwurf eines neuen Treuhandgesetzes für wirtschaftspolitisch problematisch. Nach Ansicht der Bonner Beamten müsse mit der DDR-Seite in jedem Fall noch einmal über die im Entwurf vorgesehene Aufgliederung des Treuhandvermögens in Holdings für verschiedene Industriebranchen geredet werden. Dem Bundesministerium missfiel insbesondere die unklare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den geplanten Holdings in Form von großen privatwirtschaftlich organisierten Aktiengesellschaften und der THA als Anstalt des öffentlichen Rechts. Zudem sei bislang völlig unklar, mit welchen Ansprechpartnern Erwerbsinteressenten aus dem Westen über Beteiligungen und Veräußerungen verhandeln sollten. Die THA wäre überfordert, wenn sie diese Verhandlungen selbst führen wollte. Daher plädierten die Beamten des BMWi für direkte Verhandlungen auf betrieblicher Ebene. Generell sollten in die Vorstände und Aufsichtsräte der Treuhandunternehmen sowie der zu bildenden Treuhandholding-Aktiengesellschaften so weit wie möglich westliches Know-how und Management Einzug halten.
Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann beurteilte die Gründung von branchenbezogenen Treuhand-Holdings ebenso skeptisch, wie er am 7. Juni 1990 an den Chef des Bundekanzleramtes Rudolf Seiters (CDU) schrieb. „Dies würde die Tendenz fördern, beim Herangehen an die zentrale Privatisierungsaufgabe die sektoral orientierten Perspektiven in den Vordergrund zu rücken und damit eine Vielzahl von unter betriebswirtschaftlichen Aspekten dringend anstehenden Entscheidungen zu verzögern.“ Auch in einem Schreiben an den DDR-Wirtschaftsminister Pohl riet Haussmann von einer branchenbezogenen Auffächerung ab: „Eine breite Auffächerung würde meiner Überzeugung nach entgegen dem ersten Anschein die unabdingbare Dezentralisierung der notwendigen Entscheidungen behindern und sie erneut auf die öffentlich-rechtliche Anstalt konzentrieren.“
Haussmann warnte zudem vor übereilten Schritten, um die ostdeutsche Planwirtschaft in ein marktorientiertes Wettbewerbssystem zu überführen. Für dringlich hielt er westliches Kapital, das rasch in die DDR fließen müsse. Doch westdeutsche Unternehmen hielten sich bei Investitionen auffallend zurück, was der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Interner Link: Tyll Necker, in einem Schreiben an Haussmann vom 2. Mai 1990 mit unkalkulierbaren Risiken begründete: „Schon heute ist aber zu erkennen, dass die Ungewissheit über die bilanzielle Situation vieler DDR-Unternehmen, ungeklärte Eigentumsfragen sowie drohende Altlastverpflichtungen aus der Kontaminierung von Böden bei vielen westlichen Unternehmen eine reservierte Haltung in bezug auf DDR-Investitionen verursachen.“
Auch das BMF sah den mehrfach überarbeiteten Entwurf der Arbeitsgruppe de Maizières für ein neues Treuhandgesetz, insbesondere die vorgesehene Gründung der Treuhand-Aktiengesellschaften als Branchenholdings überwiegend kritisch. Der Leiter der Arbeitsgruppe Innerdeutsche Beziehungen im BMF, Thilo Sarrazin, hielt die schließlich im Treuhandgesetz gewählte Organisationslösung für eine völlige Fehlkonstruktion. Mit der dreistufigen Organisationsstruktur (Zentrale – Treuhandholdings – Treuhandunternehmen) wären auf der Ebene der Treuhandzentrale in absehbarer Zeit keine Privatisierungserlöse zu realisieren. Denn mögliche Privatisierungserlöse, so argumentierte er, würden zunächst an die Treuhand-Branchenholdings abfließen. „Abführungen an die Treuhandanstalt wird eine Treuhand AG jedoch erst dann erwirtschaften, wenn der Verlustausgleichs- bzw. Kapitalzuführungsbedarf aller der Treuhand AG unterstehenden Kombinate gedeckt ist.“ Für die Treuhandzentrale würde dies bedeuten, dass sie auf längere Zeit keine oder nur sehr bescheidene Einnahmen aus Privatisierungserlösen haben werde. Sarrazin schlug als Alternative vor, auf die Ebene der Branchenholdings zu verzichten und die Treuhandunternehmen sowie ihre bisherigen Töchter unmittelbar der Treuhandzentrale zu unterstellen. Der zuständige Referent im BMF, Fritz Knauss, rechnete zudem mit langwierigen Kompetenzstreitigkeiten und Konflikten zwischen Zentrale und Treuhand-Branchenholdings.
Ostdeutsches Beharrungsvermögen
Trotz der mehrfach vorgetragenen Einwände westdeutscher Regierungsbeamter hielt die DDR-Seite an dem Holding-Konzept fest. Sie brachte während einer letzten Besprechung am 31. Mai 1990 im Gebäude des DDR-Ministerrates der DDR klar zum Ausdruck, dass über den jetzt vorliegenden Entwurf nicht mehr diskutiert werden könne. In einem Vermerk aus dem Bundesjustizministerium (BMJ) für Staatssekretär Klaus Kinkel (FDP) vom 1. Juni 1990 hieß es: „Die Vertreter der DDR wiesen vor Beginn der Erörterungen mehrfach darauf hin, dass der Entwurf noch heute dem Ministerpräsidenten zugeleitet werden müsse und dass deswegen keine großen Änderungen an der Konzeption des Entwurfs möglich seien.“ Insbesondere vertraten Thomas de Maizière, Ludwig Penig sowie Wolfram Krause von der Arbeitsgruppe des Ministerpräsidenten die Auffassung, dass die Lösung mit drei oder vier branchenbezogenen Treuhand-Aktiengesellschaften zweckmäßig und auch wirtschaftlich sinnvoll sowie notwendig sei. Es müsse eben eine Zwischenebene geschaffen werden, die nicht nur den Aspekt der Privatisierung zu berücksichtigen habe, sondern auch unternehmerische Entscheidungen treffen müsse. Würde man diese Aufgabe der Treuhandzentrale zuweisen, so würde dort ein „Wasserkopf“ entstehen. Es sei unmöglich, dass dieser die wirtschaftliche und unternehmerische Steuerung von 8 000 Kapitalgesellschaften übernehme. Abschließend wurde im Bericht an Kinkel darauf verwiesen, dass BMJ, BMF und BMWi der vorliegenden Fassung des Entwurfs nicht in allen Punkten zustimmen könnten. Es bestehe vielmehr noch weiterer Beratungsbedarf.
Auch in einer zentralen Frage, der Rechtsform der THA, konnte sich das Bonner Wirtschaftsministerium nicht durchsetzen. Denn die Grundidee im ursprünglichen Gesetzentwurf des BMWi, den gesamten gewerblichen Bereich der THA in eine vom Staat unabhängige Aktiengesellschaft umzuwandeln, hatten der Ministerpräsident selbst und sein Büro verworfen. In einem Vermerk für Haussmann vom 5. Juni 1990 war davon die Rede, dass von dem Konzept des BMWi so gut wie nichts mehr übrig geblieben sei, „d.h. nahezu alle wesentlichen Entscheidungen obliegen wiederum der öffentlich-rechtlichen Anstalt mit allen immanenten Gefahren der Politisierung und Bürokratisierung.“ Die Entscheidung für eine öffentlich-rechtliche Anstalt, so hieß es in dem Vermerk weiter, wäre aber auch im Sinne des Bundesfinanzministers getroffen worden. „Er tritt von Anfang an für eine starke Anstalt ein. Er begründet dies mit der bundesdeutschen Erfahrung, dass starke AGs sich als wenig privatisierungsfreudig erwiesen hätten. Er berücksichtigt dabei aber nicht, dass in der DDR von der Situation der Betriebe und vom (nunmehr sehr eindeutigen) gesetzlichen Privatisierungsauftrag her eine ganz andere Situation herrscht.“ Wie sich später zeigen sollte, gab es nicht nur in diesem Punkt ganz unterschiedliche Ausfassungen zwischen den Bonner Bundesministieren darüber, unter welchen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die THA ihr Privatisierungsgeschäft abwickeln sollte.
Ganz offensichtlich fanden die Bonner Ministerien mit ihren mehrfach vorgetragenen Bedenken und Einwänden kaum Gehör, woraus geschlossen werden kann, dass der politische Einfluss von BMF und BMWi auf die Erarbeitung eines neuen Treuhandgesetzes eher als gering veranschlagt werden muss. Dies lag nach Ansicht von Sarrazin auch daran, dass die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die THA und das Treuhandgesetz in der Bundesregierung im Sommer 1990 noch nicht klar verteilt worden waren. Denn die vom BMF geforderte Zuordnung der THA zum Bundesfinanzminister blieb nicht unwidersprochen. So forderte Bundeswirtschaftsminister Haussmann noch im August 1990, die THA nach den ersten gesamtdeutschen Wahlen der Rechts- und Fachaufsicht des BMWi zu unterstellen. Dabei spielte wohl auch eine wichtige Rolle, dass die zwei Ressorts von unterschiedlichen Koalitionspartnern geführt wurden, womit im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl eine Konkurrenzsituation gegeben war. In den Gesprächen zur Vorbereitung des Einigungsvertrages einigte man sich zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium des Bundes rasch darüber, dass der Bundesminister der Finanzen die Fachaufsicht im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft wahrnehmen sollte.
Der Ministerrat bestätigte schließlich am 6. Juni 1990 den von der Arbeitsgruppe des Ministerpräsidenten vorgelegten „Entwurf zum Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)“ und leitete diesen an den Wirtschaftsausschuss der Volkskammer zur Beratung weiter. Der nach den Gesprächen zwischen Bonn und Ost-Berlin mehrfach modifizierte Gesetzentwurf markierte in erster Linie einen klaren Bruch mit den bestehenden ordnungspolitischen Strukturen in der DDR, indem er sich an der westdeutschen Wirtschafts- und Unternehmensstruktur bzw. den Prinzipien der „Sozialen Marktwirtschaft“ westdeutscher Prägung orientierte. Der Gesetzentwurf formulierte das Ziel der Treuhand, „die staatliche unternehmerische Tätigkeit so rasch und so weit wie möglich zurückzuführen, die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern und Grund und Boden für Investitionen zur Modernisierung der Wirtschaft bereitzustellen“. Die vorgesehene Verknüpfung von zentraler und dezentraler Organisationsstruktur bildete die grundlegende Idee im Gesetzentwurf, indem unter dem Dach einer Anstalt des öffentlichen Rechts branchenspezifische Treuhand-Aktiengesellschaften mit regionalen Standorten gebildet werden sollten.
In Anbetracht einer gewissen Distanz zu den Bonner Treuhandkonzepten im Ministerbüro de Maizière wollte das Bundeskanzleramt nach der Verabschiedung des neuen Treuhandgesetzes in der Volkskammer am 17. Juni 1990 stärkeren Einfluss auf die praktische Umsetzung des Gesetzes nehmen. „In jedem Fall“, so antwortete der Chef des Bundeskanzleramtes Rudolf Seiters (CDU) auf ein Schreiben Haussmanns am 20. Juni 1990, „sollten wir die praktische Umsetzung des Treuhandgesetzes durch bilaterale Gespräche intensiv begleiten.“ Seit Mitte Juni 1990 reiste Staatssekretär Dieter von Würzen (BMWi) regelmäßig nach Ost-Berlin, um sich mit Ministerpräsident de Maizière, seinen Staatssekretären, Wirtschaftsminister Pohl oder Vorstandsmitgliedern der THA zu treffen. Der Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt, Johannes Ludewig, führte im Juli und August 1990 mehrere Gespräche mit dem Verwaltungsratsvorsitzenden Detlev Karsten Rohwedder und Treuhandpräsident Reiner M. Gohlke. Der nunmehr intensivierte politische Einfluss Bonner Behörden sowie auch die Gutachten namhafter Unternehmensberaterfirmen wie McKinsey und Roland Berger führten schließlich dazu, dass die Gründung von gesetzlich vorgeschriebenen branchenbezogenen Holdinggesellschaften der THA aufgegeben wurde. Die ca. 8 000 bisherigen volkseigenen Kombinate und Betriebe wurden nunmehr nicht durch Treuhand-Aktiengesellschaften, sondern von der THA unmittelbar geführt.
Fazit und Ausblick
Zumeist herrscht die Annahme vor, die Bonner Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen sowie auch das Bundeskanzleramt hätten einen großen Einfluss auf den Entstehungsprozess der Treuhandanstalt im Frühjahr und im Sommer 1990 gehabt. Die Bonner Beamten versuchten durchaus, die juristischen Rahmenbedingungen für die Arbeit der THA (Treuhandgesetz und Treuhandstatut) maßgeblich zu bestimmen. Wie die jüngsten Aktenfunde im Bundesarchiv in Koblenz offenbaren, zeigten sich sowohl die Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière sowie auch die Treuhand-Spitze zunächst außerordentlich distanziert. Obwohl es zahlreiche Treffen und Besprechungen in Bonn und Berlin zwischen Vertretern der DDR-Regierung und den Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen sowie dem Bundeskanzleramt gab, folgten sowohl das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 als auch das Treuhandstatut vom 18. Juli 1990 nicht uneingeschränkt den Empfehlungen und Vorgaben der Bonner Regierungsbeamten. Auf welchen Ebenen die politische Einflussnahme Bonner Behörden auf die Neugestaltung und weitere Profilierung der THA nach der deutschen Einheit seit dem Herbst 1990 erfolgte, dokumentieren die relevanten Unterlagen der Bundesministerien im Bundesarchiv Koblenz, die jetzt zugänglich gemacht wurden und zu überraschenden Befunden führen.
Zitierweise: "Im Schlepptau der Bonner Behörden? Die Treuhand und die Einflussnahme der Bundesregierung im Frühjahr/Sommer 1990“, Andreas Malycha, in: Deutschland Archiv, 16.4.2020, Link: www.bpb.de/307832