Walter Fiedler beschäftigt sich in seinen „Gedanken zur Lage der Nation“ mit einem selbst gewählten gesellschaftspolitischen Aspekt – die Not von kommunalen Freibädern in Deutschland, die besonders im ländlichen Raum oft ein sozialer Lebensmittelpunkt sind, aber kaum Förderung erfahren. Könnte er heute noch einmal ein Volkskammerrede halten, dann wäre es dieser Text:
Hohes Präsidium, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste!
Meine Rede 30 Jahre nach der Deutschen Einheit ist gewiss eine andere, als viele Beiträge anderer ehemaliger Volkskammerkollegen und -kolleginnen. Denn ich setze bewusst einen inhaltlichen Schwerpunkt, der mir und vielen meiner Mitbürgern und Mitbürgerinnen Jahr für Jahr am Herzen liegt, aber sonst kaum Öffentlichkeit findet.
Mein Name ist Dr. Walter Fiedler, ich komme aus der nördlichsten Stadt des Landes Sachsen-Anhalt, aus Seehausen in der Altmark, der "Serengeti" Sachsen-Anhalts. Ich war vom 5. April bis zum 2. Oktober 1990 Mitglied der CDU/DA – Fraktion der ersten frei gewählten Volkskammer und vom 4. Oktober bis zum 2. Dezember 1990, des 11. Bundestages. Ich bin dann wieder in meinen Beruf als Arzt zurückgekehrt und war und bin nur noch in der Kommunalpolitik in meiner Stadt tätig. Daneben bin ich Vorsitzender von zwei Fördervereinen in Seehausen.
Aus meiner Tätigkeit als Vorsitzender des Fördervereins „Waldbad der Hansestadt Seehausen“ e.V. möchte ich heute ein deutschlandweites Problem- die Situation in Schwimm- und Freibädern und ihre Auswirkungen- am Beispiel unseres Schwimmbades, ansprechen. Unser idyllisches Freibad, mitten in einem Stadtpark gelegen, wurde 1937/38 vom Reichsarbeitsdienst, gebaut. Interessant ist die Entscheidung zum Bau des Bades. Dem Stadtrat lagen zwei Projekte zur Abstimmung vor. Bau eines Freibades mit 50 m Becken und entsprechenden Nebenanlagen oder Neubau von Wasserleitung und Kanalisation in der Stadt. Der Stadtrat hatte sich damals für das erste Projekt entschieden. Wasserleitung und Kanalisation folgten dann erst nach der Wende und es wird heute noch an der Fertigstellung gearbeitet.
Im real existierenden Sozialismus wurden sämtlich Tricks genutzt um das Bad zu erhalten. Beispielsweise wurde 1975 in „sozialistischer Hilfeleistung“ durch eine Brigade eines ansässigen Instandsetzungswerkes für Landtechnik, eine Wasseraufbereitungsanlage gebaut.
Die dazu notwendigen Materialien wurden „sozialistisch umgelagert und besorgt“.Damit war eine Voraussetzung erfüllt, um hygienische Standards zu gewährleisten und das Bad weiter zu betreiben. Das Bad war eine kommunale Einrichtung, als Sport- und Freizeitstätte und auch Kultureinrichtung für die Bevölkerung. Es gab keine großen finanziellen Probleme und es wurde staatlich gefördert.
In den Sommermonaten war es der Hauptaufenthaltsort der Seehäuser Familien und des Umlandes, da die Urlaubsmöglichkeiten im Sozialismus recht beschränkt waren. In unserem rein ländlichen Bereich war es fast die einzige Möglichkeit zur Freizeitgestaltung. 1.000 Badegäste an Sonnentagen waren keine Seltenheit.
Nach der Wende - ab 1991, änderte sich die Situation dramatisch. Bäder wurden als freiwillige kommunale Aufgaben definiert und damit nicht mehr staatlich gefördert. Für alle Kommunen eine besondere Belastung, da allein mit Eintrittsgeldern die Unkosten nicht gedeckt wurden und werden. Mit den neuen Freiheiten änderte sich ab der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 auch die Urlaubsgestaltung deutlich. Plötzlich konnte man überall hinfahren worauf man Lust hatte. Der Besuch des einheimischen Bades ging deutlich zurück, die Besucherzahlen und damit die Einnahmen sanken. Um die Bäder weiter aufrecht zu erhalten wurde an allen Enden gespart, was sich besonders auf notwendige Sanierungsarbeiten und Investitionen auswirkte.
Deutschlandweit 2.000 weitere Bäder betroffen
Heute sind in Deutschland, nach Angabe verschiedener Institutionen wie der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG), über 2.000 Bäder dringend reparaturbedürftig.
Etwa die gleiche Zahl Bäder wurden bereits aus Kostengründen geschlossen. Auch unser Waldbad gehört zu den Bädern, die dringend einer Sanierung bedürfen. Nach 82 Jahren hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen.
Der Beton des Beckens ist marode, die Wasseraufbereitungsanlage, nach fast 50 Jahren überholungsbedürftig. Die Stadt, seit Jahren in der Haushaltskonsolidierung, kann die notwendigen Mittel zu Sanierung nicht aufbringen. Ein 2012 gegründeter Förderverein bemüht sich die dringendsten Probleme in Eigenleistung unter Zuhilfenahme von Spendenaktionen und freiwilligen Arbeitseinsätzen zu lösen. So ist eine "Seniorenbrigade", bestehend aus acht Rentnern, jedes Jahr mit vielen Stunden Arbeitsleistung, bemüht das Bad zu erhalten.
In den acht Jahren unseres Bestehens haben wir etwa 150.000 Euro in Eigenleistungen zum Erhalt des Freibades investiert. Mit Erfolg. Die Bevölkerung hat das Bad wieder angenommen, steigende Besucherzahlen, bis über 20.000 Gäste, sind zu verzeichnen.
Aber alles was wir jetzt machen ist im Grunde „Flickschusterei“, da eine Generalsanierung letztendlich notwendig ist. Wir möchten dabei kein „Schickimicki-Bad“ entstehen lassen, sondern den historischen Charakter des Bades erhalten. Was uns fehlt sind rund 2,5 Millionen Euro.
Sowohl die Stadt, als auch der Förderverein, haben verschiedenste Anträge auf Fördermittel gestellt, wobei es stets Absagen, mit teils lächerlich anmutender Begründung, gab. Da wir Eintritt erheben, seien wir kommerziell und nicht förderwürdig, (ich kenne allerdings kein Schwimmbad indem man kostenlos baden kann). Da unser Bad zu 80 Prozent von der Bevölkerung und nur zu 20 Prozent von Touristen genutzt wird, gilt es ebenfalls als nicht förderwürdig. (Ist die Bevölkerung nur ein notwendiges Übel?) Da das Freibad nicht ganzjährig für sportliche Aktivitäten genutzt wird, ist es auch nicht förderwürdig. (Aber welches Freibad kann ganzjährig genutzt werden?)
Die Erstellung der Förderanträge ist jedes Mal ein großer bürokratischer und zeitaufwendiger Vorgang. Wenn man dann derartige Ablehnungen erhält, könnte man schon mutlos werden. Manchmal hegte ich schon den Verdacht, dass das gewollt ist.
Dabei ging es uns in Deutschland wirtschaftlich noch nie so gut, wie heute. Auch die Auswirkungen von Corona werden das nur unwesentlich ändern, da bin ich optimistisch. Und wir stehen mit unseren Erfahrungen nicht alleine. So wie uns geht es auch den, von mir bereits genannten, 2.000 anderen Bädern. Wenn in den nächsten fünf Jahren hier nicht ein Umdenken erfolgt, sind die Auswirkungen dramatisch.
Bäder, müssen zu einer Aufgabe der kommunalen Daseinsfürsorge werden, damit sie ordentlich bewirtschaftet und unterhalten werden können. Schon jetzt sind die Folgen von Bäder-Schließungen zu spüren. In vielen Schulen ist ein ordnungsgemäßer Schwimmunterricht nicht mehr möglich. Nach einer Erhebung können 60 Prozent der Schulkinder in der 4. Klasse nicht schwimmen.
Der Ertrinkungstod ist die häufigste Todesursache bei kindlichen Unfällen. Schwimmen als Gesundheitsfaktor gerät immer mehr in den Hintergrund. Schwimmsport auf hohem Niveau setzt vorhanden Bäder voraus.
Der Autor dieses Beitrags, der ehemalige Volkskammerabgeordnete Walter Fiedler (CDU/DA). (© Privat)
Der Autor dieses Beitrags, der ehemalige Volkskammerabgeordnete Walter Fiedler (CDU/DA). (© Privat)
Deutschland gehörte früher zu den führenden Ländern im Schwimmsport. Die Erfolgsbilanz bei internationalen Wettbewerben ist derzeit eher bescheiden. Grundlage für erfolgreichen Spitzensport ist der Breitensport auf regionaler Ebene. Dazu bedarf es aber der Grundlage, die noch vorhandenen Bäder müssen erhalten bleiben. Gerade in Regionen, wie der von mir genannten Altmark, sind vorhandene Kultur-Sport- und Freizeitstätten zu erhalten, um der weiteren Abwanderung der Bevölkerung zu begegnen.
Für das Allernotwendigste sind wir ständig auf Spenden angewiesen, unerlässlich wären aber staatliche Fördergelder um endlich eine zukunftssichere Grundsanierung anpacken zu können. Es wäre doch grotesk, wenn eine solche Einsicht schwerer fallen würde, als früher in der DDR.
In diesem Sinne. Wenn Corona vorbei ist, lade ich Sie herzlich zum Besuch unseres Waldbades und der Altmark ein - wer dann noch 2,5 Millionen Euro als Spende oder Finanzhilfe mitbringt, ist besonders willkommen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Zitierweise: „Nicht förderungswürdig“, Walter Fiedler, in: Deutschland Archiv, 10.4.2020, Link: www.bpb.de/307590. Weitere "Ungehaltene Reden" ehemaliger Parlamentarier und Parlamentarierinnen aus der ehemaligen DDR-Volkskammer werden nach und nach folgen. Eine öffentliche Diskussion darüber ist im Lauf des Jahres 2021 geplant. Es sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
In dieser Reihe bereits erschienen:
- Sabine Bergmann-Pohl,
- Rüdiger Fikentscher,
- Hinrich Kuessner
- Klaus Steinitz,
- Richard Schröder -
- Maria Michalk,
- Markus Meckel,
- Hans-Peter Häfner,
- Konrad Felber,
- Walter Fiedler,
- Hans Modrow,
- Joachim Steinmann, "
- Christa Luft,
- Dietmar Keller, "
- Rainer Jork,
- Jörg Brochnow,
- Gunter Weißgerber, "
- Hans-Joachim Hacker,
- Marianne Birthler -
- Stephan Hilsberg -
- Ortwin Ringleb -
- Martin Gutzeit,
- Reiner Schneider -
- Jürgen Leskien -
- Volker Schemmel -
- Stefan Körber - "
- Jens Reich -
- Carmen Niebergall -
- Susanne Kschenka -
- Wolfgang Thierse -
- u.a.m.
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- Film-Dokumentation
- Analyse von Bettina Tüffers: