Neue Forschungsarbeiten zur Treuhandanstalt (THA) zeigen, dass ihr Handeln sehr stark in internationale Kontexte eingebunden war und unter anderem von Finanzberatern aus dem englischsprachigen Raum geprägt wurde.
Über die Treuhand Osteuropa Beratungsgesellschaft (TOB) wusste man bislang noch wenig. Neu zugängliche Archivbestände ermöglichen es jedoch seit kurzem, die Tätigkeit der Beratungsgesellschaft genauer darzustellen und einzuordnen. Deutlich werden so nicht nur die internationalen Verflechtungen der Treuhand, sondern vor allem auch deren enge Kontakte mit der Privatwirtschaft.
Nicht genehmigt, sondern zur Kenntnis genommen
Die Geschichte der TOB begann im Januar 1992. Der Treuhand-Generalbevollmächtigte Wolfgang Mueller-Stöfen erarbeitete ein Konzept, indem er die „Mithilfe bei der Privatisierung osteuropäischer Unternehmen“ als wichtige Aufgabe einordnete und empfahl, zu diesem Zweck eine eigene Organisation zu schaffen.
Ohne eine Reaktion abzuwarten, wurde die TOB am 25. März 1992 im Handelsregister eingetragen. An der Spitze der GmbH stand eine Geschäftsführung, mit der zwischen 1992 und 1994 insgesamt sieben Männer – die meisten von ihnen waren entweder vorher oder zeitgleich für die THA tätig – beauftragt wurden.
Dem zügigen Vorgehen bei der Gründung der TOB konnte das Finanzministerium wenig abgewinnen, wie es in einem Schreiben im April 1992 deutlich machte. Ministerialdirektor John von Freyend merkte an: „Ich bedauere sehr, daß damit [= Anmeldung im Handelsregister, Anm. d. A.] nicht abgewartet wurde“. Eine rückwirkende haushaltsrechtliche Genehmigung sei nicht möglich. Die Gründung der TOB könne man deshalb nur mehr zur Kenntnis nehmen.
Geplant, aber nicht realisiert
Schon kurze Zeit nach der Entstehung der Beratungsgesellschaft fasste die Treuhand den Plan, den Kreis ihrer Gesellschafter auszuweiten. Im Juli 1992 willigte der THA-Vorstand in eine Erhöhung des TOB-Stammkapitals von 100.000 DM auf 1 Million D-Mark ein.
Letztendlich blieb die THA bis zur Privatisierung der TOB ihr einziger Gesellschafter. Auch die seit der Gründung bestehenden Pläne, eine finanzielle Eigenständigkeit der Beratungsgesellschaft zu erreichen, gingen nicht auf. 1992 erhielt die TOB 25 Millionen D-Mark und 1993 20 Millionen D-Mark aus Bundesmitteln.
Warum eine Beratungsgesellschaft für Osteuropa?
Schon das oben erwähnte Konzept, das zur Gründung der TOB führte, betonte, dass die Treuhand vor allem deshalb in Osteuropa aktiv werden müsse, um die Erfolgschancen der Privatisierung in Ostdeutschland zu verbessern. Das Wegbrechen der osteuropäischen Märkte sei aktuell zu einem großen Teil für die wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland verantwortlich. In ihrem Gesellschaftsvertrag legte die TOB demnach das Ziel fest, „beratend beim Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in ost- und mitteleuropäischen Ländern mitzuwirken, (…).“
Aus Sicht der TOB war es außerdem wichtig, die in Ostdeutschland gewonnenen Erfahrungen einer Anpassung an die Bedingungen in Osteuropa zu unterziehen. Eine einfache Übertragbarkeit des Treuhandmodells auf andere ehemals sozialistische Länder lehnte Hero Brahms, Vorstand und stellvertretender Präsident der Treuhand bereits im Februar 1992 ab.
Hinter der Gründung der TOB standen also einerseits wirtschaftliche Eigeninteressen und andererseits Motive, die eine eher idealistische, bisweilen auch paternalistische Konnotation hatten. Außerdem war mit der Gründung die Idee verknüpft, dass die Gesellschaft nach dem Ende der Treuhand als neuer Arbeitgeber für ehemalige THA-Angestellte fungieren könnte. Diese Absicht findet sich bereits in einem Vorstandsbeschluss vom Juni 1992 wieder. Dieser sah vor, dass die „TOB personelle und sächliche Mittel der THA in Anspruch nehmen“ sollte, um so „ein Outplacement von Mitarbeitern der THA frühzeitig vorzubereiten (…).“
Treuhand goes East
In den ersten Jahren ihres Bestehens agierte die Beratungsgesellschaft aber noch parallel zu den eigentlichen Treuhandaktivitäten. Das größte Beratungsprojekt fand ab Mitte 1992 in der Region Moskau statt. Vor Ort waren sieben TOB-Berater sowie 30 freiberufliche Consultants.
Neben den Aktivitäten vor Ort verfolgte die TOB mit der Erstellung eines Schulungsbuchs für „mittel- und osteuropäische Führungskräfte“ noch ein weiteres Projekt.
Im November 1993 wurde das Schulungswerk im Rahmen zweier dreitägiger Seminare in Polen evaluiert, die von je 20 Führungskräften aus Wirtschaft und Administration besucht wurden. Im Fokus standen Handlungshinweise, deren praktische Anwendbarkeit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jedoch nur bedingt überzeugen konnte. Während sie alle anderen Aspekte des Seminars, zum Beispiel „Aufbau“ oder „Atmosphäre“ als gut bis sehr gut bewerteten, stuften sie die „Verwertbarkeit“ der vermittelten Inhalte lediglich mit befriedigend bis ausreichend ein.
Staat und/oder Privat?
Auch bei den Länderprojekten ergaben sich Probleme und Kritikpunkte. Laut dem Spiegel wurde ein Projekt im Umfang von 1,5 Millionen D-Mark in der russischen Stadt Wladimir nicht von der TOB selbst durchgeführt. Sie beauftragte damit die Unternehmensberatung Roland Berger & Partner. Diese erhielt den Zuschlag ohne eine vorherige Ausschreibung, konnte aber letztendlich nicht die Anforderungen des Auftraggebers erfüllen. Der Spiegel berichtete außerdem, dass der Bundesrechnungshof auf Ungereimtheiten bei der TOB gestoßen sei. Die Beratungsgesellschaft habe „konsequent die vom Finanzministerium für Privatisierungsvorhaben im Osten aufgestellten Kriterien ignoriert.“
Das Projekt in der Moskauer Region war wiederum ein Beispiel für eine enge Verquickung zwischen staatlichen und privaten Akteuren, die bei TOB-Aktivitäten häufig auftrat: Auf russischer Seite federführend war die staatliche Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaftsreformen (GFW). Vizepräsident der GFW war wiederum ein privater Consultant aus Deutschland, der seinerseits ein ehemaliger Treuhandmitarbeiter war.
Gleichzeitig erachtete es die TOB als nicht wünschenswert, dass ihre engen Verbindungen in die Privatwirtschaft zu sehr an die Öffentlichkeit drangen. Insbesondere wollte man nicht „den Anschein erwecken (…), bestimmte private Beratungsunternehmen würden (…) gegenüber anderen Anbietern von Beratungsleistungen vorgezogen.“ Die Zusammenarbeit mit Beratungsunternehmen in Projektgruppen sei zwar grundsätzlich unproblematisch, jedoch sollte die TOB keine Aufträge von privaten Firmen annehmen, sondern stets als unmittelbarer Vertragspartner der osteuropäischen Klienten auftreten.
In einigen Fällen lehnte es die Beratungsgesellschaft ab, gemeinsam mit privaten Beratern an Ausschreibungen für Fördergelder teilzunehmen – aus diesem Grund kam beispielsweise eine gemeinsam mit Roland Berger & Partner geplante Bewerbung um ein rumänisches Projekt nicht zustande.
Von Staat zu Privat
Die Nähe der TOB zur Privatwirtschaft lag auch in ihrer eigenen Entwicklungsperspektive begründet. Ihre Privatisierung nach dem Ende der Treuhandanstalt war von Vornherein geplant gewesen. Dementsprechend wurde der Verkauf der TOB im März 1994 in die Wege geleitet. Im Rahmen einer „begrenzten Ausschreibung“ wurde ein als „streng vertraulich“ gekennzeichnetes Verkaufsmemorandum an 20 Interessenten versendet.
Einen Verkauf an ein Konsortium aus Beratern und Banken erachtete die THA als vorteilhaft, da man so die zukünftige finanzielle Versorgung der TOB absichern wollte. Tatsächlich erfolgte die Privatisierung der TOB zum 1. Juli 1994 an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner aus Nürnberg, die 51 Prozent der Anteile übernahm, und die Berliner Bank AG, die nun 49 Prozent der Anteile innehatte.
In der Folgezeit wurde die TOB auch in Asien und in Afrika aktiv. Im September 1994 lagen der Beratungsgesellschaft Anfragen aus Afghanistan, Albanien, Algerien, China, der Elfenbeinküste, Kasachstan, der Mongolei, Tansania, der Türkei, Usbekistan und Vietnam vor.
In den nächsten Jahre kämpfte die TOB aber zunehmend mit Schwierigkeiten: Es kam zu einigen Wechseln in der Geschäftsführung und bei den Gesellschaftern, die zum Teil auch von Konflikten bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen begleitet wurden. Mit Blick auf das Jahr 1999 resümierte der Geschäftsführer Derk Blink, dass man sich in einer „Situation der finanziellen Krise“ befinde. Im Juni 2001 beschlossen die Gesellschafter die Auflösung der TOB. Ein Insolvenzantrag wurde im März 2002 gestellt, vom Amtsgericht Charlottenburg aber zurückgewiesen. Die Begründung lautete, dass „eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Masse nicht vorhanden“ sei.
Fazit
Zwar existierte die TOB einige Jahre über das Ende der Treuhandanstalt hinaus, doch war die vormals staatlich finanzierte Beratungsgesellschaft letztendlich nicht in der Lage unter privatwirtschaftlichen Bedingungen fortzubestehen. Nichtsdestotrotz belegt ihr Wirken in den Jahren 1992 bis 1994 eindrücklich, dass die THA ihre Aktivitäten nicht nur auf Deutschland beschränkte, sondern auch von einem starken Interesse an einem internationalen Engagement geprägt war. Dabei agierte die Beratungsgesellschaft in einer Gleitzone zwischen Staat und Privatwirtschaft: Eng verbunden mit der THA und angewiesen auf Bundesmittel kooperierte sie bei vielen Gelegenheiten mit Consultingagenturen, die ansonsten auf dem freien Markt tätig waren. Das Beispiel der Treuhand Osteuropa Beratungsgesellschaft verweist damit auf eine Tendenz, die auch aktuell noch in Deutschland wahrnehmbar ist: den Boom der Beraterbranche und die damit einhergehenden engen Verflechtungen zwischen dem staatlichen und dem privaten Sektor.
Zitierweise: Eva Schäffler, Zwischen Staat und Privat: Die Treuhand Osteuropa Beratungsgesellschaft, in: Deutschland Archiv, 17.02.2020, Link: www.bpb.de/305396