Einleitung
Als Erich Honecker, Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), Peking im Oktober 1986 besuchte, unterhielten die Sowjetunion und China aufgrund des sogenannten chinesisch-sowjetischen Risses
Der Versuch der Reaktivierung der chinesisch-ostdeutschen Beziehungen sollte Honecker wohl auch als Beweis dafür dienen, dass die DDR in der Lage war, eine von der Sowjetunion unabhängige und eigenständige Außenpolitik zu führen. Staatsempfänge in Peking, der Austausch von Universitätsprofessoren, Wissenschaftlern und Studenten und das Unterzeichen von Wirtschafts-und Handelsabkommen in den 1980er Jahren haben allerdings, um es salopp auszudrücken, wenig geholfen. Die 1980er Jahre standen im Zeichen des Ausbaus von Chinas Handels-und Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik.
Die DDR hatte China wenig bis gar nichts anzubieten, was das Land für die Modernisierung seiner Wirtschaft benötigt hätte. Das sollte sich 1989 ändern, als Peking jemanden brauchte, der die dortige Meinung teilte, dass der Panzereinsatz und das Schießen in die Menge auf dem Tiananmen-Platz in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni die „Niederschlagung eines konterrevolutionären Aufstandes“ war. Und die DDR war sofort zur Stelle, um der chinesischen Führung nach der gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz ihre volle Solidarität zu bekunden.
Peking begrüßte die Unterstützung aus Ost-Berlin und die dortige Bereitschaft, die Erklärungen Chinas zu übernehmen. Man revanchierte sich dafür am Ende des gleichen Jahres, nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze, mit der Verbreitung von Falschinformationen rund um den Zusammenbruch der DDR.
Schadensbegrenzung
In den frühen 1980er Jahren begannen ostdeutsche Universitätsprofessoren wieder nach China zu reisen – zu einer Zeit, in der auch die Beziehungen zwischen der SED und der Kommunistischen Partei Chinas (CCP) wiederaufgenommen wurden.
Im Februar 1981 – im Rahmen des zehnten SED-Parteitages – kündigte Honecker an, die Beziehungen mit China zu normalisieren: „Die DDR ist dazu bereit, die Beziehungen mit der Volksrepublik China auf der Basis von Gleichheit, Respekt für Souveränität, territorialer Integrität und Nichteinmischung zu unterhalten.”
Dieser Besuch dauerte fünf Wochen, und interessanterweise gibt es kein Protokoll, aus dem hervorgeht, was die chinesischen Funktionäre in Ost-Berlin besprachen. Das Protokoll des Besuchs unterstrich lediglich, was nicht besprochen wurde: die Beziehungen zwischen beiden Ländern sowie der KP Chinas und der SED.
„Neutralisierung“ Pekings
Ost-Berlin bestritt, von Peking benutzt worden zu sein. Das genaue Gegenteil, behauptete die DDR-Führungsriege, sei der Fall gewesen. Abgesehen davon, dass die DDR China erfolgreich davon abgehalten habe, westdeutschen „Revanchismus“ zu unterstützen, erklärte Ost-Berlin den Genossen in Moskau, dass die Annäherung an China den Zweck habe, Peking zu „neutralisieren“, um es dann später in den Kampf gegen den globalen Imperialismus einzubinden. In einem Brief an das Zentralkomitee der KPdSU erklärte das Zentralkomitee der SED, dass alle Instrumente – Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, Wissenschafts- und Kulturbeziehungen – zu diesem Zwecke eingesetzt werden würden.
Den politischen und geopolitischen Realitäten der zweiten Hälfte der 1980er zum Trotz stellte der Brief in Aussicht, dass nach der Phase der „Neutralisierung“ Chinas das Land einbezogen werde, zusammen mit anderen sozialistischen Ländern den (nicht näher definierten) „Hauptstoß gegen den Hauptfeind, den Imperialismus der USA, zu führen.“ Bevor all das erreicht werde, wurde geschlussfolgert, würde China allerdings wie jeder andere „imperialistische Handelspartner“ behandelt werden.
Im Rahmen der mutmaßlichen „Neutralisierungspolitik“ schlossen Ost-Berlin und Peking Anfang 1983 ihr erstes bilaterales Abkommen im Telekommunikationssektor ab. Im April des gleichen Jahres wurden regelmäßige Treffen eines gemeinsamen Komitees für wirtschaftliche, handelspolitische und wissenschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. Anhand zusätzlicher Abkommen verpflichtete sich die DDR, China in den Bau- und Entwicklungsphasen von mehr als 40 Industrieprojekten zu assistieren. Die Abkommen und die neu vereinbarte und implementierte Zusammenarbeit wurden von gegenseitigen Besuchen 1984, 1985 und 1986 komplementiert.
Die DDR-Staatsmedien wurden derweil angewiesen, ihre positive China-Berichterstattung zu intensivieren. 1982 galt das auch für die Berichterstattung vor Ort in China. Kurt Vogel, Generalsekretär des DDR-Journalistenverbands, schwärmte nach seiner Rückkehr aus Peking im Winter 1982 in der Zeitschrift Horizont, dass sein Besuch „Ein bewegendes Wiedersehen mit chinesischen Genossen und Kampfgefährten aus den fünfziger Jahren, die den Glauben an die Richtigkeit und Überlegenheit unserer Weltanschauung nicht verloren haben, gewesen ist.“
Die nachfolgenden gegenseitigen Besuche hochrangiger Politiker und Funktionäre in den Jahren 1984 und 1985 sahen weiterhin (viel) weniger nach „Neutralisierung“ als vielmehr nach „Einbindung“ oder Engagement aus. DDR-Vizeaußenminister Herbert Krolikowski reiste z. B. im Mai 1984 nach Peking. Ein Besuch, bei dem unter anderem die Weiterführung eines bilateralen politischen Dialoges beschlossen und ein Außenministertreffen vorbereitet wurden. Außerdem beschloss man während des Besuchs die Wiederaufnahme von offiziellen Beziehungen zwischen der DDR-Volkskammer und Chinas Nationalem Volkskongress und eine Reihe von bilateralen Abkommen in den Bereichen Gesundheit, Handel und Wirtschaft sowie Wissenschaft und Technologie.
Im Juli 1985 traf Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Planungskommission, Hu Yaobang, Generalsekretär der KP China.
Selbsternannter Chefvermittler Honecker
1986 entschied Honecker, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und kündigte an, sich als „Vermittler“ zwischen Moskau und Peking einzubringen. Er besuchte China vom 21. bis 26. Oktober 1986 und wurde mit allen Ehren in Peking empfangen. Seine chinesischen Gastgeber sahen in ihm einen Mann, in dessen Augen „Weisheit“ und „Selbstvertrauen“’ zu finden seien.
Mitte der 1980er Jahre allerdings hatte Chinas Führungsriege Abstand von allzu martialisch klingender Rhetorik genommen. Der Generalsekretär der KP Chinas Hu Yaobang ließ Honecker während ihres Treffen in Peking z. B. wissen, dass China fortan nicht mehr von „US-Imperialismus”, „Japanischem Militarismus” und „Westdeutschem Revanchismus” sprechen werde.
Als Peking während des Besuchs an einer Stelle von der „Nation DDR“ sprach, wies Bonn seinen Botschafter in Peking, Per Fischer, an, dem chinesischen Außenministerium zu erklären, dass es nur eine deutsche Nation gebe. Peking erklärte daraufhin (wenig überzeugend), dass es sich bei seinem Konzept einer Nation um ein „idiomatisches Konzept“ handele und nicht um eine Feststellung, dass es zwei deutsche Nationen gibt.
Bis in die frühen 1970er Jahre hatte sich China zuweilen dazu hinreißen lassen, Walter Ulbrichts (abstruse) „Theorie“ zu unterstützen, dass die Teilung Deutschlands nicht nur das Entstehen zweier deutscher Staaten, sondern auch zweier deutscher Nationen gewesen sei – einer friedlichen sozialistischen und einer kapitalistisch-faschistischen.
Im September 1972, einen Monat vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Peking, ließ Chinas Premierminister Zhou Enlai verlautbaren, dass „Niemand den Deutschen das Recht auf Wiedervereinigung verweigern kann. Man darf hoffen, dass sich die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten durch den Grundlagenvertrag verbessern werden.”
Besonders Helmut Kohl wurde während seines neuntägigen Besuches in China im September 1974 mehr als einmal – begleitet von Trinksprüchen beim Abendessen – versichert, dass Peking sich von Ost-Berlins „Zwei-deutsche-Nationen-Theorie" endgültig verabschiedet hatte. Nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil die Politik der CDU unter Parteichef Kohl gegenüber der Sowjetunion in Peking als ein Gegenpol zu Willy Brandts Ostpolitik verstanden wurde (die von Peking gefürchtet wurde, weil sie den chinesischen Interessen entgegenstand).
Der (ernüchternde) Blick aus China
Peking, so schreibt der Politikwissenschaftler Joachim Krüger, habe den Besuch Honeckers in China für seine Zwecke im Rahmen von einer „Differenzierungspolitik“ benutzt. Die angebliche (aber nicht ernst gemeinte) Verbesserung der Beziehungen zur DDR sei darauf ausgerichtet gewesen, einen Keil zwischen Ost-Berlin und Moskau zu treiben.
Glückwünsche aus Ost-Berlin
Als Peking in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1989 entschied, die friedlichen und gewaltfreien Demonstrationen mit militärischer Gewalt zu beenden, platzierte sich Ost-Berlin in der ersten Reihe der Gratulierenden. Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN), die Nachrichtenagentur der DDR, stimmte am 5. Juni mit Peking überein, welches die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz „einen konterrevolutionären Aufstand“ nannte. Es handele sich um eine mutmaßlich vom Ausland finanzierte und gesteuerte Gruppe von „konterrevolutionären Elementen“, die das Ziel hätten, die Regierung in Peking zu stürzen.
In Wirklichkeit handelte es sich bei der kleinen Gruppe von „Konterrevolutionären“ um eine landesweite Bewegung von ca. 100 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die von der Regierung einforderten, was diese in den 1980er Jahren versprochen aber nicht geliefert hatte: soziale und politische Reformen.
Im September wurde Egon Krenz, stellvertretender Vorsitzender des Staatsrates der DDR, nach Peking entsandt, um Chinas politischer Führung zu der erfolgreichen Niederschlagung des „konterrevolutionären Aufstands“ persönlich und im Namen des SED-Politbüros zu gratulieren. Krenz und Qiao Shi, Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros, waren sich einig, wer für die Demonstrationen und Gewalt auf dem Tiananmen-Platz verantwortlich war: Die USA und der Westen, zusammen mit „reaktionären Kräften“ in Taiwan, Hong Kong und Macao.
Ein interner SED-Bericht kam wenig überraschend zu dem Schluss, dass „ausländische Verschwörer“ dafür verantwortlich seien, dass Peking in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1989 mit Gewalt reagieren musste. Außerdem stimmte die DDR-Führung ihren Genossen in Peking zu, dass KP-Generalsekretär Zhao Ziyang, der am 19. Mai gegen den Willen der Partei auf den Tiananmen-Platz die Studenten in einer emotionalen Rede
Eine parallele Realität
Ende 1989 war Peking an der Reihe, seinen ostdeutschen Waffenbrüdern seine Solidarität zu bekunden, tat das aber nur indirekt. Die auf den Straßen Ost-Berlins, Leipzigs und Dresdens demonstrierenden Bürgerinnen und Bürger, war in der chinesischen Presse zu lesen, wären nicht der Anfang vom Ende, sondern im Gegenteil das Bestärken des Sozialismus in der DDR.
Die Fehlinformation der chinesischen Regierung erreichten einen vorläufigen Höhepunkt, als die People’s Daily am 11. November 1989 berichtete, dass das Öffnen der innerdeutschen Grenze eine von der DDR-Regierung aus freien Stücken gefällte Entscheidung gewesen sei.
Ein anderer Artikel in der People’s Daily vom 5. November berichtete, dass zwei ostdeutsche Bürger, die im September 1989 nach Westdeutschland geflüchtet waren, sich entschieden hätten, wieder in die DDR zurückzukehren, weil sie in der Bundesrepublik nicht die Konditionen vorfanden, die sie erwartet hätten. Die People’s Daily zitierte dabei einen Artikel der DDR-Zeitung Junge Welt, die berichtete, dass die beiden Bürger enttäuscht in die DDR – mit der (angeblichen) ausdrücklichen Erlaubnis der DDR-Behörden – zurückgekehrt seien, weil sie weder Arbeit noch eine für sie bezahlbare Wohnung finden konnten sowie mit zu hohen Lebenshaltungskosten konfrontiert gewesen seien.
So gestaltete sich die Berichterstattung von Staatsmedien einer Diktatur, die sechs Monate zuvor in die Menge von Studierenden schießen ließ, die nur das erreichen wollten, was DDR-Bürgerinnen und Bürgern wenig später gelang: Demokratie und Reformen. Als dann auch die chinesische Staatsführung zugeben musste, dass die DDR Geschichte war bzw. dabei war, Geschichte zu werden, ließ sie einen Artikel in der Zeitung Guangming Ribao veröffentlichen, in dem stand, dass der Kollaps der DDR keineswegs für den Zusammenbruch des globalen Sozialismus stehe. In einer abschließenden Analyse, die sich wohl nur für diejenigen plausibel anhört, die den wirtschaftlichen und politischen Kollaps der DDR der letzten Monate – umgangssprachlich gesagt – nicht mitbekommen hatten, hieß es in dem Artikel, dass „Die Widersprüche des kapitalistischen Systems sich im Zuge der Wirtschaftsentwicklung der BRD verschärft haben, während das sozialistische System die Probleme im Laufe der Wirtschaftsentwicklung effektiv gelöst hat.“
Dann fand der Niedergang der DDR endlich auch seinen Niederschlag in chinesischen Staatsmedien: Peking erklärte zu Beginn des Jahres 1990, dass es sich immer für die deutsche Wiedervereinigung eingesetzt, das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes respektiert und sich stets gegen Ulbrichts „Zwei-Nationen-Theorie“ ausgesprochen habe.
Wie Peking entschied sich auch die DDR-Volkskammer für eine „Korrektur“ einer früheren Erklärung. Im Juni 1990 veröffentlichte das erste frei gewählte DDR-Parlament eine Entschuldigung seiner neu gewählten Mitglieder dafür, dass ihre Amtsvorgängerinnen und -vorgänger ein Jahr zuvor der chinesischen Führung zur Niederschlagung des „konterrevolutionären Aufstands“ auf dem Tiananmen-Platz gratuliert hatten.
Zitierweise: Axel Berkofsky, China und die DDR in den 1980er Jahren – Feinde, Schönwetterfreunde und Komplizen, in: Deutschland Archiv, 17.01.2020, Link: www.bpb.de/303741