Seit 30 Jahren debattieren Politikerinnen und Politiker, Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie die Öffentlichkeit über die gesellschaftspolitischen Folgen der raschen Entstaatlichung in Ostdeutschland. Die Forschung stützt sich derzeit vor allem auf Zeitzeugenaussagen und arbeitet heraus, vor welchen Herausforderungen das Privatisierungsmanagement stand und welche Chancen und Härten die im Eiltempo vollzogene Entstaatlichung der DDR-Wirtschaft für die Ostdeutschen mit sich brachte.
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Privatisierung fand in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bislang wenig Beachtung. Denn erst neuerdings macht sich die Forschung daran, anhand von schriftlichem Archivgut nachzuvollziehen, wer eigentlich die Entstaatlichungsstrategien in den neuen ostdeutschen Bundesländern und im ehemaligen Ost-Berlin entwickelte und wie diese dann umgesetzt wurden.
Treuhand-Auftrag in den Händen externer Unternehmensberatungsfirmen
Um Ost- und Westdeutschland wirtschaftlich zusammenzuführen, erteilte die Bundesregierung der öffentlich-rechtlichen Treuhandanstalt (Treuhand) einen außergewöhnlichen Auftrag: Sie sollte binnen weniger als fünf Jahren 8.500 ehemalige Staatsbetriebe mit über vier Millionen Beschäftigten verkaufen, abwickeln oder umstrukturieren. Um diese gewaltige Aufgabe zu bewältigen, stützte sich die Treuhand, die zu Spitzenzeiten 4.000 Beschäftigte hatte, in großem Stil auf externe Fachleute. In der Berliner Treuhandzentrale wurde ein unabhängiger Leitungsausschuss geschaffen, der aus etwa 100 Finanzfachleuten führender Unternehmensberatungen bestand. Diese sollten Bilanzen erstellen und anschließend bei der Veräußerung staatlicher oder nunmehr schon marktwirtschaftlich arbeitender Unternehmen von Rostock an der Ostsee bis nach Zittau an der deutsch-tschechisch-polnischen Grenze beurteilen, welche Investoren infrage kamen. Sie formulierten Ausschreibungen, erteilten Ratschläge an Firmen, bei denen Umstrukturierungen bevorstanden, waren zeitweilig im Management der Treuhandanstalt angestellt, legten Bonitätsbewertungen vor und berieten Unternehmen, die den Erwerb von ostdeutschen Betrieben erwogen. Wie stark Beratungsgesellschaften in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre in die Entstaatlichung der ostdeutschen Wirtschaft eingebunden waren, lässt sich an folgenden Zahlen festmachen: 1992 wendete die Treuhand laut Bundesrechnungshof 460 Millionen D-Mark für externe Berater und 360 Millionen D-Mark für die eigene Belegschaft auf, wobei der Löwenanteil der Beratungshonorare an Investmentbanker floss.
Vorrangig wurden Berater rekrutiert, die persönlich oder institutionell eng mit Großbritannien und den USA vernetzt waren und die Defizite der Treuhand aufzeigen sollten. Sogar für die Aufdeckung von Korruptionsfällen – in einigen Treuhand-Niederlassungen kam es bei Verkäufen zu massiven Unregelmäßigkeiten, die in der Öffentlichkeit hohe Wellen schlugen – bemühte die Treuhandanstalt Beratungsfirmen. Der Treuhand-Vorstand richtete Ende 1991 ein weitgehend mit Ausländern besetztes Direktorat „Investor Services“ und ein internationales Ausschreibungsbüro ein. Veräußerungen von Unternehmen erfolgten in der Regel durch Angebote. Damit Interessenten aus dem Ausland die Möglichkeit hatten, Angebote einzureichen, beauftragte die Treuhand nicht nur Beratungsfirmen und Investmentbanken, sondern warb bei sogenannten Management-Buy-Ins, Management-Buy-Outs
Starke Beteiligung ausländischer Finanzberater an der Treuhand
Warum ermächtigte die Bundesregierung die Treuhandanstalt, derart massiv ausländische Finanzberatung einzukaufen? Die Treuhand war eine neue Institution, die vor immensen innenpolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen stand. Personal und Investmentkapital wurden rasch benötigt. Darüber hinaus wollte man Vorwürfen von deutschem Protektionismus und Überbürokratisierung entgegentreten, die in Medien die Runde machten. Hinzu kam, dass die Treuhand – was häufig übersehen wird – sich selbst refinanzieren musste. Während Meldungen über die Umwandlung von Staatsbetrieben in gewinnorientierte Unternehmen und Klagen über die verheerenden sozialen Folgen der schnellen Entstaatlichung Schlagzeilen machten, knüpfte die Treuhand enge Arbeitsbeziehungen mit ausländischen Investmentbankern, um Kredite für ihre stetig anwachsenden Aktivitäten zu bekommen. Zu diesem Zweck band die Treuhand Vermittler ein, die als Investmentexperten fungierten und zugleich die Türen zu sogenannten institutionellen Anlegern öffneten. Während die Privatisierungsteams der Treuhand sich von Unternehmensberatungen mit Personal versorgen ließen, sorgten die Spitzenmanager der Anstalt dafür, die benötigten Geldmittel zu günstigen Konditionen zu beschaffen. Mehr als drei Viertel des Treuhand-Budgets stammte aus Krediten, die auf den Finanzmärkten aufgenommen wurden. 1993 befand sich ein Drittel aller Treuhand-Anleihen im Wert von mehreren Milliarden D-Mark in ausländischer Hand.
Die sozialistischen Wurzeln der Treuhand
Dass die deutschen Privatisierer so stark auf externe Finanzexperten aus dem englischsprachigen Raum setzten, liegt an Umfang und Größenordnung der Herausforderungen nach 1989. Es kamen aber noch weitere Faktoren hinzu. Und hier spielten Verbindungen aus der sozialistischen Vergangenheit eine maßgebliche Rolle. Im Herbst 1989 führten die neuen politischen Konstellationen und auch die Reformzusagen der SED-Führung zu einem deutlich intensiveren Austausch zwischen den beiden deutschen Regierungen. Eine Woche nach dem Mauerfall drängte Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP) den ehemaligen SED-Parteichef von Dresden und neuen sozialistischen Ministerpräsidenten Hans Modrow und seine Wirtschaftsministerin Christa Luft, schnellstmöglich weitreichende Reformen einzuleiten, um Investitionskapital anzulocken. Haussmann und sein Staatssekretär Dieter von Würzen sprachen zunächst pflichtschuldig von der Notwendigkeit, die westeuropäische Integration zu beschleunigen. Sie machten aber gegenüber Modrow und Luft deutlich, die sozialistischen Reformkräfte müssten begreifen, wie zentral die „Kapitalbeteiligung“ für das Funktionieren multinationaler Wirtschaftsordnungen geworden sei.
Mit der Herkulesaufgabe, Investitionen in die ostdeutsche Planwirtschaft zu locken, beauftragten Modrow und Luft innerhalb ihrer reformorientierten sozialistischen Regierung ein zwölfköpfiges Gremium unter Vorsitz eines Mannes aus der sozialistischen Nomenklatura: Wolfram Krause. Der im Moskau der 1950er-Jahre ausgebildete Ökonom war zuvor im Zentralkomitee der SED und von 1974 bis 1979 stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Plankommission gewesen.
Krause hatte sich Ende der 1970er-Jahre mit der ostdeutschen Führung zerstritten. Das Zerwürfnis war jedoch nicht so gravierend, als dass er jeden Einfluss innerhalb der SED verloren hätte. Krause arbeitete die beiden wichtigsten wirtschaftspolitischen Beschlüsse aus, die in den kritischen Monaten der Regierung Modrow verabschiedet wurden: zum einen das sogenannte Joint-Venture-Gesetz, das Anreize für Investitionen aus dem Ausland schuf, und zum anderen den Beschluss zur Gründung einer Treuhandanstalt. Das im Januar 1990 verabschiedete Joint-Venture-Gesetz gestattete ausländischen Konzernen Kapitalbeteiligungen an ostdeutschen Unternehmen von bis zu 49 Prozent. Diese Obergrenze wurde nach den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 für die meisten Unternehmen abgeschafft.
Währungsunion soll Ostdeutschland in Bundesrepublik eingliedern
Während Krause und seine Mitstreiter in der DDR sich bemühten, mittels Joint-Ventures ausländisches Engagement einzuwerben, wurden gleichzeitig grundlegende Pläne für eine Währungsunion zur Umsetzung weitreichender Wirtschaftsreformen in der DDR geschmiedet. Das radikale Ziel der vorgeschlagenen Währungsunion bestand darin, Ostdeutschland zügig in die Bundesrepublik einzugliedern. Eine Allianz ostdeutscher konservativer Parteien, die sich mit Helmut Kohls westdeutscher CDU verbündet hatte, errang bei den Wahlen im März 1990 einen Erdrutschsieg. Modrow und Luft schieden aus der Regierung aus. Wolfram Krause indes wechselte zur neu gegründeten Treuhand. Bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 unterstand die Treuhand noch dem ostdeutschen Ministerpräsidenten, danach aber dem Bundesministerium der Finanzen. Während die Leitung der Treuhand in den ersten Monaten ihres Bestehens häufigen Veränderungen unterlag, hatten Krause und andere ostdeutsche Mitarbeitende großen Spielraum. Krause ging mit seiner 91-köpfigen Belegschaft daran, Tausende ostdeutsche Betriebe in Unternehmen nach westdeutschem Beispiel umzuwandeln. Er richtete die erste Privatisierungsabteilung der Treuhand mit 15 Niederlassungen in ganz Ostdeutschland ein, und er traf sich mit ausländischen Investmentexperten. Der Brite John Redwood bot der ostdeutschen Regierung an, Kontakte zu britischen Investmentbanken herzustellen. Diese waren weltweit gefragte Experten, weil sie die Privatisierungsaktivitäten im Großbritannien der 1980er-Jahre mitgestaltet hatten.
Treuhand wird Privatisierungsagentur – Banken reden mit
Als geschäftsführender und später stellvertretender Direktor der Treuhand nahm Krause in den ersten Monaten des Bestehens der Anstalt an wichtigen Treffen mit westdeutschen Kollegen teil und fungierte als Bindeglied zwischen der ostdeutschen Regierung, der bundesdeutschen Politik wie auch der Geldgeberseite. Eine wegweisende Zusammenkunft fand am 18. Mai 1990 statt – just an dem Tag, an dem die Finanzminister Ost-und Westdeutschlands den Staatsvertrag über die Einführung der D-Mark unterzeichneten. An diesem 18. Mai hatten westdeutsche Bankdirektionen und einflussreiche westdeutsche Politikerinnen und Politiker Krause als Alleinvertreter der Treuhand zu einer vertraulichen Besprechung nach Frankfurt am Main geladen. In den Geschäftsräumen der Privatbank Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. diskutierte man über Pläne, die Treuhand durch eine Änderung des Statuts von einer Holding in eine Privatisierungsagentur umzuwandeln. Am Tisch saßen Direktoren führender deutscher Banken wie der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Commerzbank sowie einflussreiche Privatbankiers. Ein weiterer Gesprächsteilnehmer war der Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt, Sighart Nehring.
Die meisten Vorschläge, die bei dieser Zusammenkunft im Mai 1990 vorgebracht wurden, erhielten Zustimmung. In einem Punkt erkannten die Finanzakteure die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens an: Sie wollten die Privatisierungsagentur nicht in ein Unternehmen umwandeln. Nach Meinung der Banker sollte die Treuhand vielmehr eine Anstalt öffentlichen Rechts bleiben, damit sie sich künftig mithilfe von Staatsgarantien günstige Kredite besorgen konnte. Das Ministerium in Bonn und auch der in seinem Auftrag handelnde Wolfram Krause in der Ost-Berliner Treuhand-Zentrale, der formell auch die nach wie vor weitgehend intakte ostdeutsche Industrie vertrat, drängten darauf, den zuvor in der DDR-Volkskammer vereinbarten Kurs beizubehalten. Aber ihr Standpunkt war nicht mehr maßgeblich. Eine Woche nach Krauses Besuch in Frankfurt wiesen Bundesbeamte den neuen ostdeutschen Wirtschaftsminister Pohl nachdrücklich darauf hin, dass ein beschleunigter Privatisierungskurs nicht länger wegen „politischer Vorbehalte in der DDR“ verzögert werden dürfe.
Veränderte Aufgaben für die Treuhand
Mitte Juni 1990 verabschiedete das ostdeutsche Parlament zügig ein neues Gesetz, das die Hauptaufgaben der Treuhand veränderte: Ihr vorrangiges Ziel bestand nunmehr darin, Staatsvermögen zu privatisieren und mit den Verkaufserlösen die steigenden Schulden der Treuhand auszugleichen.
Finanzkonzepte setzten sich in der Treuhandanstalt schließlich durch, weil in- und ausländische Banken sich beharrlich dafür stark machten und vorbrachten, dass die Treuhand auf ein internationales Expertentum angewiesen sei, das sich mit der Veräußerung von Staatsvermögen auskannte. Entsprechend eindeutige Weisungen kamen zudem auch aus dem Bonner Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt. Im Herbst 1990 fassten die Direktoren der Treuhand und ihr Finanzchef Krause den Plan, sich bis Ende 1991 die für deutsche Verhältnisse schwindelerregende Summe von 25 Milliarden D-Mark zu leihen.
Treuhandanstalt wird international mit „alten Bekannten“
Die Eintrübung der Konjunkturaussichten Anfang 1991 führte dazu, dass das Bemühen um intensivere Beziehungen der Treuhand zu ausländischen Bankern zur Chefsache wurde. Ende April 1991 ermunterte Bundeskanzler Helmut Kohl die neue Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel zur Gründung eines Büros in der Weltfinanzmetropole New York.
Zusammenfassung und Ausblick
Versuche von Politik und Regierung, die Entstaatlichung voranzutreiben, gingen nie allein von Westdeutschland aus. Die Verantwortung für die Abschaffung von Kollektiveigentum zugunsten von Privateigentum in Ostdeutschland lag in den Händen von gewählten Mandatsträgerinnen und -trägern, von Bundes- und Landesbehörden, Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Ihr Handeln bei der Veräußerung des ostdeutschen Staatsbesitzes und beim Einwerben von internationalem Investitionskapital verlangt danach, genauer erforscht zu werden. Gleiches gilt für die Empfehlungen transnationaler Finanzakteure. Sie zogen oftmals weniger Aufmerksamkeit auf sich als das Handeln von Regierung, Politik und Behörden, hatten jedoch maßgeblichen Einfluss darauf, wie Handlungsspielräume genutzt und welche Entscheidungen gefällt wurden.
Aus der Sicht der deutschen Privatisierer und ihrer gut bezahlten internationalen Berater waren die unzähligen Schwierigkeiten bei der „Transformation“ des Ostens Ergebnis von zwei Generationen Sozialismus sowjetischer Prägung. Akteurinnen und Akteure aus der sozialistischen Vergangenheit wirkten Anfang der 1990er Jahre jedoch ganz konkret am Umbau mit. Das raue Eintauchen Ostdeutschlands in eine international vernetzte Wirtschaft wurde von erfahrenen sozialistischen Planwirtschaftlern mitgestaltet. Die Treuhand war ihre Schöpfung, und einige wichtige Mitglieder der Nomenklatura hielten bis 1992 einflussreiche Positionen und übernahmen zentrale Aufgaben. Sie sorgten dafür, dass Treuhand-Firmen Bilanzen in D-Mark vorlegten, warben im In- und Ausland um Investitionen und Refinanzierung und gestalteten die Zukunft der Treuhand als Beratungsanbieter für Osteuropa mit, um so Beziehungen, die das sozialistische Regime Ostdeutschlands in den 40 Jahren seines Bestehens aufgebaut hatte, neues Leben einzuhauchen. Hochrangige Akteurinnen und Akteure aus sozialistischer Zeit traten ab 1992 nicht mehr in Erscheinung. Jedoch spielten die innerdeutschen Beziehungen, die vor 1989 gewachsen waren, in den frühen 1990er Jahren für Ost- wie auch für Westdeutsche (und ausländische Investoren) eine entscheidende Rolle. Um nur ein Beispiel anzuführen: Detlev Rohwedder, bis April 1991 Präsident der Treuhand, hatte in den 1970er- und 1980er-Jahren in erheblichem Umfang Geschäfte mit DDR-Betrieben getätigt. Als Vorstandsvorsitzender des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch versuchte Rohwedder nach dem Mauerfall, seine Beziehungen zu ostdeutschen Wirtschaftsführern gewinnbringend zu nutzen. Als er im Dezember 1989 ein Telefonat mit dem DDR-Minister für Maschinenbau führen wollte, bekam er diesen nicht selbst zu sprechen, sondern geriet stattdessen an Wolfram Krause, seinen künftigen Finanzchef bei der Treuhand.
Zitierweise: "Internationale Finanzakteure und das Echo des Sozialismus “, Keith R. Allen, in: Deutschland Archiv, 11.12.2019, Link: www.bpb.de/302083