0009 DANI
ja ick hab dit im fernsehn jehört_ * hab heutejournal jekuckt um sieben^ (1.1) (2.0) und * zwei nach sieben hab und hab telefoniert dabei so nebenbei fernsehn jekuckt^ * un uff eenma sagt tritt der schabowski dit weeß ick noch wie heute vorne war so pressekonferenz^ vorne stand-n tisch und dann tritt der nach vorne^ nee der saß vorne schon_ un kricht uff eenma-n zettel zujereicht^ von irgendjeman^ * un spaltet den zettel da auseinander^ * un dann hat-a so janz verdutzt jekuckt^ un dann hat-a uff eenma jesacht ja ick teile ihn hiermit 'mit die grenzen (1.0) (1.0) sind offen so hat-a zwar nich jesacht genau den wortlaut weeß ick nich mehr da hab-ick erst ma gleich-n gespräch abjebrochn hab erstma jehört
0010 OL
daß man sich-n visa holen kann? oder so^?
0011 DANI
ja dat man sich-n visa
0012 ASTRID
hm hm
0013 DANI
un dann hab ick gleich ne freundin im haus anjerufn^ (0.2) un die is denn gleich runterjekomm un da ham-ma erstma zusamm noch nachrichten jehört * wir konnten dit jar nich fassen * ja und denn ham-wa noch (ooch noch) andere sender schnell umgeschaltet weil et war ooch eigentlich nürgens wat^ weil keene nachrichtenzeit war^ * ham-wa jesacht jetzt eh fahrn-wa ma los_ und denn sind wa richtung eh brandenburger tor da warn schon menschen massen dit war son-so gegen vielleicht halb neun_ ja^
QuellentextSprache und Kotext
Das Ungewöhnliche der Mitteilung (janz verdutzt jekuckt) wird wiedergegeben. Typisch ist die Reaktion: "wir konnten dit jar nich fassen" (siehe Teil C: Schwitalla "Wie Ost- und Westberliner/innen ihren Unglauben, ihr Unverständnis und ihre Überraschung nach der Nachricht von der Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 narrativ rekonstruieren" in Dittmar/Paul 2019), ebenso typisch die prompte Vernetzung mit anderen (hier die Freundin), um sich wegen der Überraschung auszutauschen und die "Geltung" des Gehörten zu überprüfen.
Dani bedient sich des besten regelhaften Berlinisch: das [g] wird zu [j] palatalisiert, [ei] wird zu [ee], Silben mit Konsonanten werden vereinfacht, Hilfsverben und Pronomina zusammengezogen (hat-a), die Hebung des [a] zu [i] gehört ebenfalls zum modernen Berlinisch.
spaltet den zettel da auseinander: lexikalisch unüblich ausgedrückt; konzeptuell angewählt wird die Konstruktion "faltet … auseinander"; "spaltet" ist dagegen der Ausdruck für das Trennen von kompakter Materie wie Holz (u.a.) in zwei Teile. Papier dagegen lässt sich nicht spalten. Dieses Missverhältnis von kognitiver Anwahl und performativer Realisierung finden wir oft in der Reder der Ostberliner: vermutlich eine Interferenz zwischen dem formalen und dem umgangssprachlichen Register.
(b) Ausschnitt Yvonne BW 04 "die mauer (….) is jefalln (…) dit konnt-a jar nich begreifen"
0004 YVONNE
es war 'donnerstag^ * der hochzeitstag * bei 'uns^ * der neunte november neununachzich^ wir waren fünf jahre verheiratet^ und * ich hatte aber viel zu 'tun^ * ich bin lehrerin ich hatte also viel zu 'tun^ zu korrigiern und habe meinn mann zu den zu nachbars geschickt_ die waren dann also kartenspieln * ((Ausatmen)) ich * ähh hatte aber * während meiner korrek'tur den fernseher an^ (0.3) u ss weiß nich * war glaub ich nach zwanzich 'uhr^ * und schabowski sprach im fernsehn? weißt noch? * ond ähh die pressekonferenz_
0005 YVONNE
(0.3) und dann * äh ham-se (denn) berichte gezeigt^ von-da 'bornholmer straße^ (0.5) muß also so um/ um einundzwanzich uhr gewesen sein^ oder noch späta^ * jenfalls ähh konnt-ich gar nich richtich glaubm^ daß ähh da welche rübergegang sind und erstma geschrien ham (0.6) macht doch die * macht doch das 'tor auf * ((Ausatmen)) und ähh jaa_ und denn sacht schabowski * ja (0.8) könn könn jederzeit ähh einreisen^ oder ausreisen^ * man kann also rüberfahrn_ * so irgendwie so ähnlich_ ((Ausatmen)) also jenfalls schien mir_ daß die mauer praktisch dann geöffnet war_ * also * ich gleich zu unsern nachbarn rüber jeklingelt^ und die hattn karten gespielt * nichts angehabt * kein fernseha und kein rundfunk angehabt * und dann sag ich nur * 'name * mir standn die tränn in augn * name die mauer is gefalln_ da sacht-der? was für ne mauer? ((lacht)) ähh (0.3) dachte denn hier bei uns im 'hoof an die mauer *
0006 OL
hm
0007 YVONNE
wo wo die garagen sind^ also wo die parkplätze sind^ ((lacht))
0008 OL
0009 YVONNE
? was * die mauer is umgefalln? und nu weil ick ooch noch treen in augn hatte * hat-a wirklich echt jedacht * daß da irgendwas pa'ssiert is_ * 'nein * die mauer hier * mauer * is is jefalln nu war ja sowieso ne brenzliche sache ähh lage aber trotzdem * dit dit konnt-a jar nich begreifen * wir fernseha an und dann ham wa dit ebend allet so jesehen_ ((Ausatmen)) und wir habm uns sind uns in die arme jefalln und habm jejubelt und jeweint und (0.4) na * war schon * ((Ausatmen)) sehr (0.5) (1.0) sehr schlimm für uns so * ick mein im positiven sinne? wa?
Situativer Kontext
Der 9. Nov ist der fünfte Hochzeitstag für Yvonne und ihren Mann – völlig unerwartet drängt sich der Mauerfall in die Feierstimmung. Wie bei vielen anderen Ostberlinern wird auch hier die "Sensation" durch das Fernsehen bekannt. Und gleich geht es zum Nachbarn, um zu prüfen, was DER weiss Dort war offenbar auch ihr Mann, Karten spielen. Und so wie die meisten Ostberlin dieses Ereignis nicht fassen konnten, so ist Nachbar nicht mal in der Lage, an die Mauer als Grenze zu denken, er dachte an die Mauer im Hof – undenkbar für ihn, dass es die "Grenzmauer" hätte sein können. Wie dramatisch dieser Gegensatz in der Erzählung: Yvonne weint vor Rührung, der Nachbar versteht den Hintergrund überhaupt nicht. Die Emotionen ("jejubelt und jeweint") kommen in der Erzählung stark – dafür ist auch befreiende, "loslassende" Ausatmen ein wichtiges Indiz.
QuellentextSprache und Kotext
Wegen der völlig unerwarteten Ausnahmesituation ist die Erzählung prototypisch. Und im Hintergrund hat das Dictum dit konnt-a jar nich begreifen ein starkes Gewicht. Besonders authentisch wirkt die direkte Rede: Yvonne stehen Tränen in den Augen und mit diesem emotionalen Gestus verbindet sich die an den Nachbar gerichtete emphatische Äußerung: (Name) die mauer is gefalln. Der Zustand der Euphorie über dieses völlig unerwartete Ereigniss wird als "sehr schlimm für uns" bezeichnet. Das emotionale Hochgefühl kann nur mit einem negativen Ausdruck Wort ausgedrückt werden (Kommentar: "ick mein im positiven sinne").
(c) Ausschnitt DOLLY BW 11 (Ost)
0005 DOLLY
…. und ((Ausatmen)) * naja nu hat man da vorm 'fernseha jesessn
(2.0) und des * die pressekonferenz da verfolgt wo günter schabowski da * an seiner großen tafel jesessn hat * und dann kam diesa ausspruch * den a selba nich verkraftn konnte und nochma wiedaholt und nochma wiedaholt und * konnte gar nich sein * die mauern die warn offn und (2.0) wie son (2.0) wie son 'alptraum * man kam sich vor wie * offm 'mond^ * man man wußte übahaupt nich wo man war und
0006 DOLLY
(2.0) det konnte ja nich sein_ * dadurch daß ich nun kleines kind habe * konnt ick nich raus wie die meisten * uff de 'straße un selbst sehn un f: 'anfühln und man konnte durch die mauer inn westteil (2.0) ick selba * kannte det ja nur ausm 'fernsehn und vom spaziergängn wenn man denn irgendwelchen besuch hatte man is da zum brandenburger 'tor jegangn und * man hat da nach hintn jeguckt und da janz weit woandas da wa die siegessäule und * mann da kamst du 'niemals 'hin * det war unvorstellbar * und auf 'einmal sollte det möglich sein und man konnte da * spaziern gehn und allet einkaufn und (2.0) ja der erste moment ((Ausatmen)) * einerseits 'hach 'schö:n das westgeld war da und man hätte 'reisen könn oda man würd reisn könn und man konnte allet 'sehn und* aba man hat natürlich och seine bedenkn jehabt_* bei uns wart gut * die soziale struktur und * als alleinstehende mutta mitm kind * man hatte sich da keine sorgen machn brauchn und irgendwie man hat imma * n 'weg findn könn * und denn fing aba det grübeln halt an *?
Situativer Kontext
Das Ereignis Schabowski (sein Ausspruch "die Grenzen sind offen") ist für Dolly in der Erinnerung höchst undenkbar ("det konnte gar nich sein", "det war unvorstellbar"). Die Absurdität dieses Ereignisses fasst sie in Bilder (Metaphern): es war wie ein "albtraum", sie fühlte sich "wie auf dem mond" bzw. "man wußte übahaupt nich wo man war"; es handelte sich um ein Phänomen, das es eigentlich nicht geben konnte. Die narrativen Anteile an der Erzählungen treten ganz hinter den Ausdruck der emotionalen Befindlichkeiten zurück.
Der Westteil Berlins wie die Siegessäule oder das Brandenburger Tor waren für sie weit weg (so fremd) wie eine Mondlandschaft (und daher konnte das (Ereignis) nicht sein). Unvorstellbar, in den Westteil zu gehen und z.B. dort einzukaufen. Wie sollte es, im Widerspruch zu den ehernen Gesetzen der DDR (= die Mauer zu haben ist überlebenswichtig), jetzt plötzlich möglich sein, sich einfach in den Westen zu begeben? Die Annahme, das könnte möglich sein, stürzt Dolly ins "Grübeln": wäre das überhaupt gut? Hatte man als DDR-Bürger nicht viele soziale Sicherheiten und Vorteile ? In der Rückblende im Gespräch Ende 1993 überwiegen Dollys Zweifel: Sind Sicherheit und soziale Berechenbarkeit wie in der ehemaligen DDR nicht mehr wert als Reisemöglichkeiten und innovativesmateirelles Konsumgut? "denn fing aba det grübeln halt an" ist das Indiz für Ambivalenz, das viele Ostberliner (und Ostdeutsche) miteinander damals (und auch noch heute ?) miteinander teilen.
QuellentextSprache und Kotext
Den Ausspruch, die Grenzen seien nun offen habe Schabowki (nach Dolly) offenbar selber nicht "verkraften" können, d.h. gemeint ist, dass Schabowski selber im Zweifel war, ob er das hätte sagen dürfen. Im Register von Dolly bedeutet nicht verkraften können so etwas sich darüber unsicher sein, ob die gewählte Formulierung legitim ist. - Typisch für das Ostregister zahlreicher Ostberliner ist der Gebrauch des unpersönlilchen Pronomens man. Anstatt, wie üblich, in der Ich-Form zu erzählen (die Erzählerin ist das Subjekt ihrer Erfahrungen), benutzt Dolly fast durchgängig das referenzleere, unpersönliche, weitere anonyme Menschen einschließende Pronomen man. Damit (man) hebt sich die Sprecherin von einer subjektiven Ereignisbeteiligung ab; sie rückt sich in eine fernere Reichweite zur erlebten Wirklichkeit. Gleichzeitig signalisiert das man kollektive Bedeutung: statt Eigenerleben unterstellt es überindividuelles, kollektives Erleben. Das man gestaltet eine Art solidarisch-kollektive Perspektivierung; es ist ein Routinemuster des DDR Sprachgebrauchs.
(d) Ausschnitt Lore BW 17 (Ost)
0004 LORE
((Ausatmen)) ph: der neunte november * das warn tach an dem wa in der schule n * ne sitzung hattn ((Ausatmen)) ähm: aber alle wußtn daß * irgend so eine pressekonferenz übertragn würde im fernsehn und jeder wollte die eigenlich sehn und die ging bis siebn * und ((Ausatmen)) also ham wa in der schule wie auf kohln gesessn * also jednfalls ich (2.0) wie auf kohln gesessn^ (2.0) bin flugs nach hause * wenn ich mich nich alles täuscht sogar mipm taxi und kurz vor siebn erschien ich dann saß auf meiner couch * hatte die hosn schon in den kniekehln saß dort * äh den fernseher an^
0005 LORE
(2.0) ostn jestellt (1.0) jeguckt^ (2.0) und kam grade zu recht (3.0) wie dieser schabowski^ da so (1.0) äh: angeblich so nembei so äh erzählte^ (2.0) daß man nunmehr also ohne irgendein: scheinchen oder so * äh die grenze passiern könnte * so danach war erstmal stille und ick saß mit offnem mund * habe dit überhaupt nich interpretiern könn gar nich * saß also mit runterjelassn hosn da wie jesacht * ähm: obwohl noch paar presseleute hinterher gefragt haben und er sachte ja ja ja wenn ick dit * den zettel entnehme * denn is dit so * kann man so ohne und so * ich saß immer noch so da * ähm: dann stand ich auf^ * äh: m stellte den: * westn^ weil da * die die * abendschau kommt * zwanzich nach siebn^ * a-er-de (2.0) und da hat der moderator das dann äh:
0006 LORE
(2.0) also noch mal gesacht * in und er hats also auch interpretiert* und da^ hab ich s erst gecheckt * wenn man sich überlegt dis verging mindestens zwanzich * oder dreißich minutn bis das * äh: f richtich vordrang (2.0) daraufhin sprang ich auf * äh: zog die hosn wieder in richtung taille^ schmiß die haustür hinter mir zu (2.0) und wetzte wie verrückt * zu meiner tochter * ähm: * hab ihr das erzählt (2.0)
Situativer Kontext
Lore streicht in ihrer Erzählung das strategische Verhalten von Schabowski heraus: "angeblich so nebenbei" hätte er die Öffnung der Mauer erwähnt. Für sie kam das mehr als überraschend, sie konnte es beim besten Willen nicht interpretieren. Sie war sehr gespannt auf diese Pressekonferenz: sie tut alles, um schnell nachhause zu kommen und rechtzeitig vor dem Fernseher zu sitzen. Bemerkenswert, wie natürlich und frei sie ihre körperlich-emotionale Haltung vor dem Fernseher in Erwartung / Verarbeitung brandneuer Nachrichten ausdrückt. Entspannt auf ihrer Couch sitzend "hatte (sie) die hosn schon in den kniekehln "; nach dem Schabowskischen Ausspruch sitzt sie völlig perplex da "mit offenem mund (…) mit runterjelassn hosen" und sass schliesslich völlig überrascht "immer noch so da", darüber nachdenkend, ob die Nachircht denn wahr sein könne. Als sie die Nachricht im Westfernsehen bestätigt sieht, springt sie auf, " zog die hosn wieder in richtung taille^ (und) schmiß die haustür hinter " sich zu, (2.0) und läuft rüber zu ihrer Tochter. Ein druchgängiges Muster in den meisten Erzählungen ist, dass die Nachricht von der Öffnung der Grenze erst geglaubt wird, wenn der "Westsender" sie bestätigt hat.Kurzum: Lore gerät in Aufregung, verbale und nicht-verbale Emotionen gehen in ihrer Schilderung Hand in Hand.
QuellentextSprache und Kotext
Die narrativen Passagen werden von körperbezogenen Mitteilungen begleitet. Die freimütigen Kommentare zur körperlichen Befindlichkeit sind unseren Beoachtungen nach gebräuchlich im Alltagsdiskurs der damaligen "noch"-DDR Frauen. In Diskursen von Westfrauen haben wir derartige Einsprengsel nicht gefunden. Sie betonen die kniggeunabhängige Natürlichkeit des weiblichen Ostalltags. "ohne irgendein scheinchen" : ironische Formulierung. Lore bedient sich einer mässigen Variante des Berlinischen. Last and least: es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis das was Schabowski mitteilen wollte, richtich vordrang. Wieder ein Problem der Wortwahl: bis man in etwa verstanden hatte, was er mitteilen / sagen wollte, so lässt sich der Ausdruck paraphrasieren.
(e) Ausschnitt Egon BW 47 (West)
EGON (34, aus Wilmersdorf,West-Berlin) hat am Aufbau der SPD im Osten (Raum Halle) entscheidend mitgewirkt. Aufmerksam hat er die Republikaner und den beginnenden Rassismus in den 90iger Jahren beobachtet.Er war lange und oft im Osten, setzte sich mit allen politischen Strömungen auseinander und war offen für "andere" ….
0002 EGON
((Ausatmen)) * eh: * ja den neunten elften eh: hab ich so erlebt ich kam ich weiß nich mehr woher jedenfalls-kam ich ((Ausatmen)) eh: abends nach hause und eh: hab mich einfach vor-n fernseher gesetzt und eh: wollte so die (1.0) ((Ausatmen)) neuen politischen ereignisse mitverfolgen am fernseha nachrichten undsoweita und hab denn eh: diese pressekonferenz eh: * von diesem herrn schabowski eh: im fernsehn miterlebt also diese live veranstaltung sozusagen
0003 BL
? wofür war die nochmal genau damals?
0004 EGON
ehm: naja es ging darum eh: ef um die leicht reiseerleichterungen für die ddr bürger
0005 BL
ahja
0006 EGON
da war also n neues reisegesetz ehm: hatte man vorbereitet das also ddr bürger die möglichkeit gehabt haben oda hätten für dreißich tage im jahr sozusagen (0.2) eh: och in-n westen fahrn zu könn ((Ausatmen)) eh: und dis hat wurde gleich wieda verworfen und diesr herr schabowski gab also eh: dort vor der interanationalen presse ein interview und eh: ich hab gesehn wie diesem mann irgendjemand was in die tasche gesteckt hat und als diese pressekonferenz wirklich schon fast zu ende war da zog er diesen zettel aus der tasche rauf raus und ehm: las ihn vor und ehm: und übalegte dreima ((Ausatmen)) und meinte dann EBEND heute ab vierunzwanzig uhr wern die grenzen geöffnet ((Ausatmen)) und eh: ich konnte es übahaupt nich glauben und eh: (0.9) (1.0) bin denn so zwei stunden später und dis wa denn auch kurz vor vierunzwanzig uhr bin ich denn eh: zum grenzübagang sonnenallee gelaufen dis is also nur nen paar meta von mir zu hause ((Ausatmen)) und hab denn also denn die eh: menschen rübakomm sehn ((Ausatmen)) und eh: also dis wa-n gefühl dis also wirklich nur leute beschreiben könn die dis eh: auch so wirklich tatsächlich miterlebt haben.
Situativer Kontext
Egon erzählt nicht, sondern beschreibt die Vorgänge um Schabowski. Aus der Perspektive des Nicht-Betroffenen (den es aber etwas angeht) schildert er "was Sache war". Er bringt die Sachverhalte auf den Punkt, so als müsse er als Sachkundiger seiner Gesprächspartnerin erklären, worum es ging. Seine emotionslose Beschreibung aus der Distanz ist korrekt. Denn die damit verbundenen Gefühle könnten "wirklich nur leute beschreiben (…) die dis eh: auch so wirklich tatsächlich miterlebt haben". Immerhin hat sich Egon persönlich davon überzeugt, ob die Nachrichten stimmen – er ist spät abends zum Grenzübergang Sonnenallee gegangen.
QuellentextSprache und Kotext
Die Formulierungen sind umgangssprachlich formuliert (typisch West-Berlin) – keine auffälligen Spuren des Berlinischen. Egon ist ein sehr interessierter Beobachter der Vorgänge, besondere Emotionen spiegeln seine Äußerungen aber nicht wieder.
Fragemöglichkeiten an Schülerinnen und Schüler
Aufgaben zum Thema
(a) Versuche zu rekonstruieren, wie der Hergang der Pressekonferenz war und welche Sprechhandlung Schabowski offenbar vollzogen hat, um die "Offenheit der Grenze" zu deklarieren. Fragt euch, welche "Legitimität" die Nachricht auf dem Zettel gehabt haben muss.
(b) Vergleiche die emotionalen Reaktionen auf diese überraschende Mitteilung. Beschreibe mit deinen eigenen Worten die Gefühlslage der ostberliner Fernsehzuschauer.
(3) Konfrontiere zwei sehr unterschiedliche verbale Stile, mit denen das Ereignis der "Mitteilung" über den Fernseher dargestellt wird.