Über 33 Jahre nach seinem Tod wurde in Berlin der Gewerkschaftsjournalist Heinz Brandt für sein widerständiges Leben in der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR geehrt. Der einstige SED-Funktionär hatte die DDR 1958 frustriert verlassen und wurde 1961 dorthin zurück entführt. Eine Zeitreise durch sein Leben und die Geschichte der DDR - aufgezeichnet von Prof. Manfred Wilke.
1. Die öffentliche Ehrung
30 Jahre nach dem Ende der SED-Herrschaft im Osten Deutschlands ehrte kürzlich Tom Sello, Berlins „Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, Dr. h. c. Heinz Brandt (1909-1986). Er enthüllte am 16. August 2019 eine „Berliner Gedenktafel“ für Brandt an jenem Pankower Wohnhaus, in dem dieser mit seiner Familie bis zu seiner Flucht 1958 nach West-Berlin gewohnt hatte.
Öffentliche Ehrungen solcher Art erfolgen oft posthum und sind von vielerlei Zufällen abhängig. In diesem Fall war nicht zuletzt Sello selbst die treibende Kraft; er hatte 1989 in der Berliner Umweltbibliothek zu den Aktivisten der Friedlichen Revolution in der DDR gehört.
Die Aufarbeitung des Widerstandes gegen die Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) konzentrierte sich nach 1990 zunächst auf die Öffnung der Akten der Staatssicherheit, um die eigene Oppositionsgeschichte der Akteure von 1989/90 zu ermitteln, um sie zu veröffentlichen.
Brandts politische Tätigkeit betraf die Zeit vor dem Mauerbau. Damals ging es in der DDR noch um Demokratie, nationale Einheit und einen Friedensvertrag der Siegermächte über und mit Deutschland. Den Aktivisten von 1989 ging es vor allem um die Freiheit in der DDR; gerade unter den Bürgerrechtlern war die Frage der nationalen Einheit der Deutschen kein vordringliches Thema, ihr Banner waren die Menschenrechte, um die Demokratisierung der DDR zu erstreiten. Das Leben von Brandt ist ein Zeugnis für die Bedeutung des geistig-politischen Widerstands gegen die SED-Diktatur lange vor deren Ende.
Somit ist die Ehrung von Brandt ein Schritt zu einer wichtigen Erkenntnis: Opposition und Widerstand gegen die kommunistische Diktatur in der DDR sind integraler Bestandteil der demokratischen Geschichte der Deutschen. Karl Wilhelm Fricke beendete 1984 seinen Report über „Opposition und Widerstand“ gegen die SED mit einer damals in der Bundesrepublik eigensinnigen These:
„Eine wie immer geartete Lösung der deutschen Frage in Freiheit wäre kaum mehr denkbar, wenn der Diktatur der SED nicht mehr Opposition und Widerstand entgegengesetzt würden. Da der reale Sozialismus in der DDR eine wesentliche (obschon nicht die einzige) Ursache der deutschen Teilung ist, sind Opposition und Widerstand gegen die Herrschaft der SED immer auch ein Beitrag zur Wahrung der Wiedererlangung der deutschen Einheit.“
Heinz Brandts Lebensweg würdigte Tom Sello unter anderem mit den Worten, er
„vereint alle Signaturen des 20. Jahrhunderts: seine Utopien und Hoffnungen, seine Täuschungen, Selbsttäuschungen und Katastrophen. Heinz Brandt war Jude, Kommunist, Sozialdemokrat, Grüner. Er wurde von den Nazis verfolgt, überlebte Auschwitz und die Todesmärsche. Er und seine Familie litten unter Hitler und Stalin gleichermaßen: Die Eltern und der jüngste Bruder Wolfgang wurden von den Nazis ermordet, Bruder Richard kam im stalinistischen Terror der dreißiger Jahre um, Schwester Lili wurde für 17 Jahre nach Sibirien verbannt.“<fussnote id="3">Rede des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Tom Sello am 16. August 2019 in der Neumannstraße 50, Berlin-Pankow.
Solidarität war in der sozialistischen Arbeiterbewegung eine verpflichtende individuelle und kollektive Verhaltensnorm, die für Brandt und Siegmund (Siggi) Neumann bindend war. In Berlin waren sie Mitglieder der KPD, sie lehnten aber den „ultralinken Kurs“ der Parteiführung unter Ernst Thälmann und dem Berliner Bezirksleiter Walter Ulbricht ab, den diese KPD-Spitze auf Weisung Stalins verfolgte. Schon damals war für Einsichtige absehbar, dass diese Politik in die Katastrophe für die KPD und Arbeiterbewegung insgesamt führen würde. Gegen diesen selbstmörderischen Kurs gab es auch in der KPD Widerspruch, der aber vom Parteiapparat - bereits damals von „Stalinisten“ geführt - unterdrückt wurde. Die KPD trat als Partei der sozialistischen Revolution auf und intensivierte den Kampf gegen ihre parteipolitischen Feinde, die „National“- und die „Sozial-Faschisten“. Mit dieser Gleichsetzung von Sozialdemokraten mit der Hitler-Partei diffamierte die KPD die Sozialdemokraten und verbaute damit Absprachen zwischen den Anhängern beider Parteien gegen den gemeinsamen Todfeind.
Brandt wurde 1933 von der SA in Berlin-Weißensee zusammengeschlagen; nach dem Überleben des Folterkellers der SA forderte ihn Neumann auf, mit ihm nach Paris zu emigrieren. Er hatte für diesen Vorschlag zwei gewichtige Argumente: 1. Die Nazis würden sich lange an der Macht halten und 2. Brandt sei als Kommunist und Jude ein doppelter Todeskandidat. Brandt hörte nicht auf Neumanns Rat.
1933 trennten sich die Wege von Brandt und Neumann für Jahre. Brandt bekannte im Nachhinein, er hätte seinen „Frontfimmel“ gehabt. Wir Nachgeborenen müssen uns heute vergegenwärtigen, dass die Möglichkeiten des zentral gesteuerten totalitären Terrors damals den Zeitgenossen noch unbekannt waren und somit fundamental unterschätzt wurden. Viele Mitglieder von KPD und SPD glaubten, es gäbe nun ein verschärftes Sozialistengesetz, wie unter Bismarck im 19. Jahrhundert.
Die illegale Arbeit von Brandt in Berlin endete schon 1934, er wurde verhaftet und bekam zunächst nur eine Gefängnisstrafe. Sie war der Anfang seines Weges durch die Haftanstalten und Konzentrationslager, der ihn über das KZ Sachsenhausen 1942 nach Auschwitz und 1945 nach Buchenwald führen sollte.
Als wir einander schon länger kannten, fragte ich ihn: Wie konnte ein Häftling in Auschwitz überleben? „Mit Glück“ war seine Antwort. Mit einer Geschichte illustrierte er, was dieses Glück in Auschwitz bedeutete: Zwei Häftlinge eines Arbeitskommandos, dem er selbst zunächst zugeteilt worden war, hatten einen Fluchtversuch unternommen. Bevor die Wachmannschaft die Flüchtlinge suchte, erschoss sie „vorsorglich“ den Rest der Kolonne - mit Überlebensglück war er kurz zuvor zu einer anderen Arbeit abkommandiert worden.
Anfang 1945 befreite die sowjetische Armee Auschwitz; die überlebenden und nach den Maßstäben der SS transportfähigen Häftlinge waren vorher in das KZ Buchenwald bei Weimar verfrachtet worden. Der Schwur der befreiten Häftlinge auf dem Appellplatz von Buchenwald blieb für Brandt das Zeugnis seiner Auferstehung. „Heute eint uns der gemeinsame Abscheu vor den Verbrechen der Vergangenheit. Morgen wird uns die unterschiedliche Beurteilung der neuen Verbrechen trennen. Wir stehen - es ist der 11. April 1945 - fahlhäutige Skelette, auf dem Appellplatz von Buchenwald, die Arme emporgereckt: die Schwurhand zeichnet den Eid von Buchenwald in den Himmel.“ „Wir haben wieder eine Gegenwart. Unser Schwur - in die Zukunft gerichtet- beschwört die Vergangenheit. Was hinter uns liegt bindet uns für immer. Trunken verweilen wir im Augenblick. Und so fragen wir uns nicht, was eigentlich nie wiederkehren soll. Auschwitz? Der Schwur war gegen die Verbrechen der Vergangenheit gerichtet, die sie gemeinsam überlebt hatten.“ Bitter fügt er hinzu: „Morgen schon wird alles fraglich sein. Niemand von uns ahnte das Entsetzliche, schon in wenigen Monaten wird die Bombe auf Hiroshima fallen; wird Workuta in aller Munde sein;…“
Brandt kehrte nach Berlin zurück, meldete sich erneut bei der KPD, die nun geführt von Kadern aus den sowjetischen Exil in der sowjetischen Besatzungszone begann, ihr neues „demokratisches Deutschland“ aufzubauen.
3.Siggi Neumann kämpfte für die spanische Republik
Erst 1946 sollten sich Neumann und Brandt in Berlin wiedersehen. Neumann ging 1933, wie geplant, nach Frankreich und kämpfte ab 1937 für die Republik im spanischen Bürgerkrieg. Neumanns Schicksal in der Emigration erwies sich als ausschlaggebend für seine Entscheidung zugunsten der SPD im Westen nach 1945. Neumann kämpfte im spanischen Bürgerkrieg in der trotzkistisch beeinflussten Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM) für die Republik, er fiel Stalinisten in die Hände, wurde aber von Freunden aus dem Kerker befreit.
Es gelang ihm, auch den Häschern Francos und Stalins zu entkommen und sich nach Frankreich zu retten. Hier entzog er sich rechtzeitig dem Zugriff der Nazis und floh weiter nach Schweden.“ Nach Kriegsende kehrte Neumann in die britische Besatzungszone zurück und arbeitete im Sekretariat von Kurt Schumacher für den Neuaufbau der SPD, die nur in den westlichen Besatzungszonen zugelassen wurde. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden die Sozialdemokraten zur Fusion mit der KPD zur SED genötigt. 1947 leitete Neumann das Ostbüro beim Parteivorstand der SPD.
1946 besuchte Neumann seinen Freund in Berlin. Er forderte ihn erneut auf, ihm nach Hannover zu folgen und nicht in der sowjetischen Besatzungszone zu bleiben, um für die SED zu arbeiten; schließlich sei er ja kein Stalinist. Erneut folgte Brandt Neumanns Rat nicht, er blieb in Berlin und in der SED, wo sein Aufstieg als Funktionär in der Landesleitung der SED begann. Beide Freunde versprachen einander aber, in Verbindung zu bleiben.
Brandt besuchte die Parteihochschule der SED und übernahm im November 1950 die Funktion als Sekretär der Landesleitung Berlin, er wurde „zuständig für Propaganda, also für die Schulung der Partei sowie für die Abteilungskultur und Erziehung, den Kulturbund und die Funktionärszeitung ‚Neuer Weg‘.“
1949 entstanden zwei Staaten im von den Alliierten besetzten Deutschland, die DDR war fest verbunden mit der Sowjetunion und verkündete nun, dass auf ihrem Territorium eine sozialistische Gesellschaft entstehen sollte. Erst der Tod Stalins 1953, die Volkserhebung in der DDR am 17. Juni 1953, die Absetzung als Sekretär in der Bezirksleitung Berlin, der XX. Parteitag der sowjetischen Kommunisten 1956 und die gewaltsame Niederschlagung der ungarischen Revolution im gleichen Jahr, sollten bei Brandt zum Bruch mit den Stalinisten führen, deren Kopf, Walter Ulbricht, auch nach Stalins Tod weiterhin die SED führte.
Eine Zäsur in der Geschichte des sowjetischen Imperiums war der Tod Stalins am 5. März 1953; eine eiserne Klammer um den sowjetischen Block zerbrach für immer. Die neue kollektive Führung in Moskau versprach einen „Neuen Kurs“. Innenminister und Geheimdienstchef Lawrentij Beria setzte für die Reform ein demonstratives Zeichen.
„Knapp einen Monat nach Stalins Tod, am 4. April 1953 stand auf der zweiten Seite der Prawda ein wahrhaft welterschütterndes, aber auch heute fast vergessenes Dokument, ein Kommuniqué des Ministeriums des Inneren (Berija). Es gab die Freilassung aller noch überlebenden Ärzte bekannt, (die in Stalins Januar-Aktion verhaftet worden waren). Sie wurden für unschuldig erklärt, ihre Geständnisse als falsch, durch Folter erzwungen beschrieben.“ Mit diesem Kommuniqué des sowjetischen Innenministeriums waren die unglaubhaften Geständnisse der Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen erklärt, sie beruhten auf der Folter der Angeklagten.
Die Ergebnisse dieser ersten Reformen der Entstalinisierung waren für das Leben der Menschen in der Sowjetunion eine bedeutsame Verbesserung, vor allen „die Befreiung der Millionenarmee von Gulag-Sklaven“ hob der Auschwitz-Häftling immer wieder hervor. Für Brandt blieb Chruschtschow einer der größten Sklavenbefreier des 20. Jahrhunderts. In der Sowjetunion wurde nun mit Blick auf die Vergangenheit von verletzter „sozialistischer Gesetzlichkeit“ gesprochen, und viele Verurteilte wurden rehabilitiert und freigelassen. Der Neue Kurs hatte auch eine ökonomische Seite. Im Juli 1953 hieß es anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung der bolschewistischen Partei: „Die Partei ist für die maximale Befriedigung der ständig wachsenden Ansprüche des Sowjetvolkes verantwortlich.“ Kunst und Literatur erlebten ein „Tauwetter."
Die Neuorientierung der sowjetischen Politik hatte auch Auswirkungen auf die Staaten im sowjetisch geprägten Imperium. Am 2. Juni 1953 trafen sich in Moskau die Führungen von SED und KPdSU. Thema war die äußerst kritische und unbefriedigende politische und wirtschaftliche Lage in der DDR. Gesellschaftspolitische Problemfelder wie Massenflucht nach West-Deutschland, eine mangelnde Versorgung der Bevölkerung, die Politik der Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft, eine einseitige Bevorzugung der Schwerindustrie sowie die Beeinträchtigung der Privatwirtschaft. Zudem wurde eine falsche Vorgehensweise gegenüber den Kirchen kritisiert.
Die Konstatierung der beiderseitigen Fehler endete mit der nüchternen Feststellung: Das alles schaffe eine Art Gefahr für die politische Beständigkeit der Deutschen Demokratischen Republik. Zur Verbesserung der politischen Situation und zur Stabilisierung der Lage sei ein "Neuer Kurs" einzuschlagen.
Das zentrale Stichwort fiel in Moskau, personalpolitische Konsequenzen wurden nicht gezogen, Ulbricht und Grotewohl behielten ihre Funktionen und sie sollten die Kurskorrektur der SED auch ausführen. Bei Brandt und anderen Funktionären der SED keimte die Hoffnung auf, Veränderungen durch den auch für die DDR verkündeten Neuen Kurs erwarten zu dürfen.
Dazu sollte es nicht kommen, denn wenige Tage später kam es in Berlin und anderen Städten der DDR am 16./17. Juni 1953 zu Streiks und Demonstrationen. Moskau entschied, die Grenzen des Imperiums auch in Deutschland zu verteidigen.
5. Zeuge des 17. Juni 1953
Aber die Konsequenzen aus dieser Anweisung mussten in Berlin gezogen werden. Immerhin gab es keine angeordneten Personalentscheidungen in Moskau, im Unterschied zu dem Gespräch mit der ungarischen Führung, die vor diesem Treffen mit der SED stattfand.
Die SED musste öffentlich Selbstkritik üben für einige politische „Fehler“ gegenüber den Kirchen und Bauern. Ausgenommen von Reformen blieb die angeblich herrschende Arbeiterklasse: Ihr verordnete die SED dagegen eine Lohnkürzung in Gestalt der Erhöhung der Arbeitsnormen. Brandt als Sekretär der Berliner Bezirksleitung der SED wurde Zeitzeuge, als die empörten Bauarbeiter von der „Stalinallee“ am 16. Juni in das Zentrum Berlins zogen, um gegen die Normerhöhung zu protestieren. Ihr Marsch entfaltete eine mobilisierende Wirkung, nicht zuletzt dank der Berichterstattung des Rundfunks im amerikanischen Sektor (RIAS).
In vielen Großbetrieben der DDR streikten und demonstrierten am 17. Juni die Belegschaften. Zeitgleich zum Aufbegehren der Bauarbeiter tagte am 16. Juni routinemäßig das SED-Politbüro. Brandt überzeugte seine Kollegen im Berliner Bezirks-Sekretariat, dass die SED müsse sofort reagieren müsse. Angesichts der Demonstration fasste das Sekretariat der Bezirksleitung einen Beschluss, mit dem sie das SED-Politbüro aufforderte, die Lohnkürzung („Normerhöhung“) zurückzunehmen. Brandt wurde beauftragt, das Politbüro über die Demonstration der Berliner Bauarbeiter zu informieren, um die Rücknahme der Lohnkürzung zu erreichen - in Diskussionen mit Ulbricht erreichte er dieses Ziel.
Aber die Maßnahme kam zu spät, um die Streiks und Massenproteste am 17. Juni noch zu verhindern. Sie konnten nur unterdrückt werden; diese Aufgabe übernahmen sowjetische Truppen, die die Macht der SED vor „ihrer Arbeiterklasse“ sicherten. Auf der Demonstration wurden auch Forderungen nach einer deutschen Wiedervereinigung erhoben. Vor aller Augen wurde sichtbar: Die sowjetischen Truppen sicherten die SED-Führung unter Walter Ulbricht, Stalins deutschem Gefolgsmann. Nun war es seine Aufgabe die Macht der SED wieder zu befestigen. Neben Gerichtsprozessen gegen Beteiligte an Streiks und Demonstrationen wurden die Abweichler im Parteiapparat abgestraft. Brandt gehörte dazu. Seine realpolitische Position vom 16. Juni galt nun in der Partei als „kapitulantenhaftes Zurückweichen vor dem Klassenfeind.“
Er verlor seine Funktion als Sekretär der Berliner Bezirksleitung der SED und damit im Apparat der SED. „Im August 1953 wurde Brandt zusammen mit Jendretzky als Sekretär abgelöst. Seine Hoffnungen auf eine vom kommunistischen Machtzentrum ausgehende neue Politik zerstoben.“
6. Enttäuschte Hoffnungen auf einen Neuen Kurs der SED
Für Brandt begann als Folge des 17. Juni und seines Ausschlusses aus dem Sekretariat der Berliner Bezirksleitung der SED „ein politischer Isolierungsprozess.“ Im August 1954 wurde er in „die Archivabteilung des Verlags Die Wirtschaft versetzt.“ Brandts Hoffnung auf Freiheit im Sozialismus verflog endgültig im Herbst 1956, als sowjetische Panzer in Ungarn im November den Volksaufstand gegen die dortige Diktatur blutig beendeten. Bis 1958 blieb die Familie Brandt trotzdem in Ost-Berlin wohnen. Die Hoffnungen auf Liberalisierung in der DDR nach dem XX. Parteitag der sowjetischen Kommunisten 1956 hatten sich als Illusion erwiesen, der Kreml betraute weiterhin Ulbricht mit der Aufgabe, in der DDR für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen.
Mit der Rehabilitierung und Entlassung deutscher Emigranten aus sowjetischer Lagerhaft holten die dreißiger Jahre die SED ein. Zu den in der Sowjetunion freigelassenen Lagerhäftlingen gehörten auch KPD-Mitglieder, die in der sowjetischen Emigration Schutz vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gesucht oder im Apparat der Kommunistischen Internationalen gearbeitet hatten. Ihre Ausreise in die DDR konnte nun beginnen; für manche von ihnen zog sie sich noch Jahre hin. Das Thema selbst blieb in der DDR tabu, die SED versorgte die Rückkehrer mit Arbeit und Wohnungen, rehabilitierte sie, verhängte aber gleichzeitig ein Redeverbot über ihre Erlebnisse in Stalins Sowjetunion wie über die Rehabilitierung.
Karl Schirdewan war zu dieser Zeit der Kaderchef der SED. Bei ihm lagen die „Kaderakten“ der in der Sowjetunion repressierten deutschen Altkommunisten. Aus ihren Erlebnisberichten ging klar hervor, dass Ulbricht – übrigens gemeinsam mit Herbert Wehner - ein williger Helfer bei der Selektion der deutschen Emigration in Moskau durch Stalins Geheimpolizei gewesen war. „Schirdewan vertrat die Ansicht, Walter Ulbricht sei es nur darum gegangen, Parteiführer zu bleiben.“
Ulbricht vermied dieses Thema, dafür rechnete er im Rechenschaftsbericht auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 mit Schirdewan und seinem Mitstreiter Ernst Wollweber in der SED-Führung ab. Er warf ihnen vor, sie, „wollte[n] der Generallinie der Partei eine opportunistische Linie entgegensetzen“.
Chruschtschow wählte Berlin als Ort, um seine Berlin-Offensive gegenüber den Westmächten zu eröffnen; für sie brauchte er eine geschlossene Führung der SED, und die garantierte ihm Ulbricht. Ein Wechsel an der Spitze der SED, auf den Brandt wohl bis zuletzt gehofft hatte, fand nicht statt. Der Ausschluss der Ulbricht-Gegner aus der Führung der SED erfolgte vor dem V. Parteitag der SED, auf dem Chruschtschow die ungelöste Westberlin-Frage aufwarf und damit die zweite Berlin-Krise auslöste, die mit dem Bau der Mauer 1961 ihren Abschluss fand.
Diese politischen Ereignisse, die unterbliebene Entstalinisierung in der DDR und das Festhalten an Ulbricht durch Moskau, beförderten bei Brandt den Entschluss, mit seiner Familie in Berlin die Stadtteile zu wechseln. Noch waren die westlichen Sektoren vom sowjetischen in der Stadt nicht durch eine Mauer getrennt. Erneut bewährte sich eine Freundschaft: Neumann vermittelte den Kontakt zum Ost-Büro der SPD, im Gegenzug informierte Brandt über Interna der SED. Er verstand dies nach seinen Erfahrungen nicht als Spionage für den Westen, sondern als sozialistischen und gesamtdeutschen Widerstand gegen die Diktatur der von dem Moskau Kader Ulbricht geführten SED.
Chruschtschows Rede auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 war tatsächlich der Auftakt für die zweite Berlin-Krise. Chruschtschow forderte einen Friedensvertrag mit Deutschland und die Lösung des „Westberlinproblems“. Ulbricht verdeutlichte den Kern dieser Lösung im Interesse des SED-Regimes: „Die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik ist Berlin. Ein Teil der Hauptstadt, West-Berlin, wird gegenwärtig noch als Stützpunkt des kalten Krieges, der Spionage und Sabotage gegen die DDR und die anderen Länder des sozialistischen Lagers missbraucht. Die Aufgabe ist, diesen unnatürlichen, auch gegen die Interessen der Einwohner West-Berlins herbeigeführten Zustand zu ändern, die Verhältnisse in Berlin zu normalisieren und die ganze Stadt zur Stadt des Friedens und des Fortschritts zu machen.“
Ulbrichts Entwurf der Zukunft von West-Berlin beschwor einen internationalen Konflikt herauf, der gegen die Präsenz der Westmächte in der Stadt gerichtet war. Berlin war seit 1945 von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges kontrolliert worden, die die Stadt in vier Sektoren gegliedert hatten; im Ostteil der Stadt hatte die Sowjetunion Oberhoheit, und die drei Westmächte übten sie in West-Berlin bis 1989 aus. Hinter den wohltönenden Worten Ulbrichts verbarg sich das Ziel, den Abzug der Westmächte aus Berlin durchzusetzen.
7. Exkurs: Widerstand gegen zwei Diktaturen
Es sind zwei Diktaturen, denen sich Brandt widersetzte. Seine Feindschaft zu den Nationalsozialisten hatte schon vor ihrer „Machtergreifung“ begonnen. Die Frage des Sturzes der „Hitler-Diktatur“ lösten nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 die alliierten Armeen. Sie besetzten Deutschland als „besiegten Feindstaat“, teilten sein verbliebenes Territorium in vier Besatzungszonen und übernahmen die oberste Regierungsgewalt. Brandt erlebte das Kriegsende im KZ Buchenwald als Befreiung.
Er blieb in der KPD, es befremdete ihn zwar, dass er in Berlin im Büro der KPD gefragt wurde, mit welchen „Parteifeinden“ er in der Haft zusammengearbeitet habe. Aber er war willens, aktiv am Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Republik mitzuwirken, die die KPD programmatisch als Etappenziel auf dem Weg zum Sozialismus propagierte.
Brandts Biografie in der nationalsozialistischen Diktatur ist schon durch seine langen Haftjahre als politischer Gefangener des NS-Regimes zweifelsfrei als Widerstand gekennzeichnet. Diese eindeutige Klarheit verliert sich zunächst in der SBZ/DDR. Brandt wird nicht nur Mitglied, sondern höherer Funktionär der SED, der diktatorischen Staatspartei dieses deutschen Teilstaates. Zentral ist für die Verknüpfung und Bewertung seines Widerstandes in beiden Diktaturen der Begriff des Widerstandes selbst.
In ihrer Biografie über den Großvater Claus v. Stauffenberg verwendet Sophie von Bechtholzheim einen plausiblen Begriff, der auch für Brandt galt: „Maßgeblich sei das konkrete Handeln der Menschen trotz aller existenziellen Bedrohung, die Absicht, Alternativen zu entwickeln, Änderungen herbeizuführen und angesichts des immensen Übels das Bessere anzustreben. Darunter sei der Wille zu verstehen, mit den eigenen Möglichkeiten menschliche Würde, Mitmenschlichkeit bis zu einem funktionierenden Rechtsstaat zu erwirken. Das Notwendige tun, um Unrecht zu überwinden, um Menschen zu ihrem Recht und zu ihrer Freiheit zu führen, sei die wahre Legitimation für Widerstand.“
Der Versuch, die nationalsozialistische Diktatur durch illegale Organisationen zu unterlaufen, scheiterte und hatte für den Kommunisten Brandt die Haft im Konzentrationslager einschließlich Auschwitz zur Folge. Durch Flugblätter war Hitler nicht zu besiegen. Genau darin liegt die historische Bedeutung und Tragik der Tat des 20. Juli 1944, als Stauffenberg die Bombe zündete.
Für seinen Neuanfang in der SBZ/DDR nach der Befreiung Deutschlands vom Nazi-Regime gilt es, von Brandts damaligem Selbstverständnis auszugehen: Er wollte als Kommunist einen sozialistischen Staat und eine entsprechende Gesellschaftsordnung. Der Wunsch nach der ideologischen Gewissheit über den Gang der Geschichte, wurde aber immer wieder konfrontiert mit einer Realität, die neue Ungleichheiten und Unterdrückung für die Menschen hervorbrachte. Die politische und soziale Realität der kommunistischen Diktatur stellten ihn erneut vor die Frage des Verhältnisses der Mittel zum Erreichen des humanen, sozialistischen Ziels.
Der Funktionär der SED geriet in inneren Widerspruch zur Praxis der von Stalinisten geführten Partei, über deren Politik letztlich in Moskau entschieden wurde. Die Realität der Diktatur ließ ihn in der DDR zum „Reformkommunisten“ werden, diese versuchten, die Diktatur von innen zu modifizieren. Die zentralistische Struktur kommunistischer Parteiherrschaft ließ im Prinzip eine reformistische Politik außerhalb ihrer Reihen nicht zu, dies widersprach dem totalitären Machtanspruch der kommunistischen Partei. Trotzdem kam es in der Geschichte des Kommunismus immer wieder zu Veränderungen, die durch Reformkommunisten bewirkt worden waren.
Kehren wir zurück zur Lebensgeschichte von Brandt, als diese Ereignisse noch im Dunkel der zukünftigen Entwicklung lagen.
8. Entführung aus West-Berlin durch die Staatssicherheit der DDR
Der SED-Parteiapparat vergaß den „Abweichler“ Brandt nicht. Die „Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus“, die im Sommer 1958 an Widerstandskämpfer in der DDR verliehen wurde, sollte der Auschwitz-Überlebende nicht bekommen. Es war ein Signal, das Brandt ernst nehmen musste. Seine Flucht im September 1958 nach West-Berlin war für Brandt selbst kein politischer Neuanfang, aber in sozialer Hinsicht, vor allem auch für die Familie, eine erhebliche Umstellung.
Nach einem Jahr ungesicherter Verhältnisse in West-Berlin, fand er durch die Unterstützung von Neumann eine Arbeit als Redakteur der Mitgliederzeitung "metall“ in der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt/M. Die Mainmetropole wurde zum neuen Lebensmittelpunkt der Familie. Doch nach Brandts Übersiedlung in die Bundesrepublik begangen im DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Planungen für seine Entführung, er sollte in der DDR für seinen "Verrat" vor Gericht gestellt werden.
Am 16. Juni 1961 schlug die Stasi zu und entführte Brandt aus West-Berlin, wo er als Redakteur von metall an dem Kongress der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen teilnahm. Der Einladung einer Dame aus Steglitz zu einem Drink konnte er nicht widerstehen, zumal deren Wohnung auf dem Weg zu Prof. Ossip Flechtheim lag, bei dem er übernachten wollte. Der Drink der MfS-Agentin betäubte ihn und er kam erst wieder zu sich im Untersuchungsgefängnis des MfS in Berlin-Hohenschönhausen.
Das Datum der Entführung hatte sowohl für Brandt als auch für Ulbricht symbolische Bedeutung: Am 16. Juni 1953 war es Brandt, der die SED-Führung zu einer Kurskorrektur veranlasste, die durch den sowjetischen Truppeneinsatz am 17. Juni im Nachhinein als Rückzug vor dem Volk erschien. Die Vorbereitungen für den Mauerbau am 13. August 1961 in Berlin seitens der SED hatten bereits begonnen.
9. Solidarität mit dem Entführungsopfer
Dieser "Menschenraub" eines Überlebenden von Auschwitz aus West-Berlin löste, für die SED überraschend, sogar internationale Proteste aus. Amnesty international war in London 1961 gerade gegründet worden und nominierte Brandt umgehend zum ersten politischen Gefangenen, für dessen Freilassung sich die Organisation weltweit einsetzte. In der Bundesrepublik solidarisierte sich vor allem die unabhängige politische Linke für ihn, aber auch der DGB sammelte Unterschriften für die Freilassung des metall-Redakteurs.
Die Solidarität mit Brandt war unter den Funktionären der Gewerkschaften durchaus umstritten. So rieten kommunistische Gewerkschafter mir, dem jungen Kollegen, eindringlich von der Unterschrift ab; sie hielten sich an die offizielle Sprachregelung der SED, man habe Brandt als Agenten in der Nähe von Potsdam verhaftet. „Agenten verdienen keine Solidarität!“ Es war eine Propaganda-Lüge. In Wahrheit hatte das MfS diese Aktion in Steglitz im amerikanischen Sektor von Berlin durchgeführt.
Mit meiner Unterschrift unter die Petition des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) trat Brandt auch in mein Leben, aber erst nach seiner Entlassung aus der Haft 1965/66 lernte ich ihn persönlich kennen. Wir trafen uns in seinem Büro in der Vorstandsverwaltung der IG-Metall in Frankfurt/M, er trug ein kurzärmliges Hemd, und auf dem linken Unterarm sah ich erstmals die SS-Sklavennummer aus Auschwitz: 69912.
Ich erstarrte innerlich und war gleichzeitig zornig. Solche Kennzeichnungen kannte ich als Fleischersohn vom Schlachthof in Kassel, Schlachtvieh wurde auch markiert. Diese Begegnung zeigte mir anschaulich, dass Menschen imstande sind, ein solches Verfahren auch auf Menschen anzuwenden.
Die historischen Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht und die Deutsche der Menschheit verschafft haben, führten dazu, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik mit dem Schutz der Menschenwürde in Artikel 1 beginnt: sie „ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Der IG-Metall-Vorstand beauftragte die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Gustav Heinemann/Dr. Diether Posser aus Essen mit der Wahrnehmung der Vertretung Heinz Brandts. Die Kanzlei konnte nicht selbst in der DDR tätig werden, da westdeutsche Rechtsanwälte dort vor Gericht nicht zugelassen waren. Deshalb beauftragten die Rechtsanwälte Heinemann/Posser in Ost-Berlin Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolf mit der Vertretung Brandts.
10. Prozess vor dem Obersten Gericht der DDR
Bevor der Prozess vor dem Obersten Gericht der DDR stattfand, entschied das SED-Politbüro, wer angeklagt wird und über das Strafmaß für die Angeklagten in diesem politischen Prozess. Schon im November 1961 legte Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit, das in diesem Fall als Untersuchungsorgan fungierte, dem SED-Zentralkomitee einen Bericht über den Stand der Ermittlungen und die Zielsetzung des Prozesses vor. Mielke: „Aber ich frage Euch, Genossen, wie kann man kämpfen, wenn solche Leute wie Schirdewan und Wollweber, Raddatz und Brandt, die auf hohen und wichtigen Funktionen saßen, von allen Maßnahmen, die wir zur Festigung unserer Republik ergriffen, den Feind informierten, die Verteidigungskraft zersetzten und sich hinterhältig verhielten.“
Der Ansatz des Ministers für Staatssicherheit lief auf einen Schauprozess gegen die innerparteilichen Gegner an der Spitze der SED hinaus, Schirdewan und Wollweber hatten bereits ihre Positionen verloren. Dieser Ansatz wurde vom SED-Politbüro verworfen. Mielke wurde beauftragt, die Anklage auf Brandt, Raddatz vom Ausschuss für deutsche Einheit und Fickenscheer zu beschränken. „Raddatz und Brandt waren politisch am bedeutsamsten, Fickenscheer war durch die tatsächliche Verbindung zum Bundesnachrichtendienst interessant.“ Den Angeklagten wurde schwere Spionage vorgeworfen. Brandt sollte zu 13 Jahren Zuchthaus, Fickenscheer zu zwölf Jahren und Raddatz zu sieben Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt werden.
Der Prozess gegen Brandt und seine Mitangeklagten fand vor dem Obersten Gericht der DDR am 10. Mai 1962 statt. Zuvor hatte die Führung der SED – von der auch die DDR-Justiz vollständig abhängig war - über Anklage und Strafmaß entschieden: Im März 1962 legte das Politbüro fest, „dass die Anklageschrift gegen Raddatz, Brandt und Fickenscheer nur auf die drei Angeklagten zu konzentrieren sei.“
Seine Haft verbüßte Brandt im Hochsicherheitsgefängnis Bautzen II. Die Zahl der Gefangenen dort schwankte zwischen 150-180. Wie Brandt waren viele der Gefangenen in Einzelhaft und hatten keinerlei Kontakt zueinander und so gut wie keinen nach draußen, außer zu ihren Bewachern.“
11. Die Kraft der Solidarität oder der Beginn der Entspannungspolitik?
Knut Andresen fragt in seiner Biografie über Heinz Brandt, welche Faktoren seine Befreiung aus Bautzen II bewirkt haben: War es die Solidaritäts-Kampagne, die auf ihn konzentriert blieb, oder war es die nach dem Passierscheinabkommen in Berlin 1963 einsetzende innerdeutschen Entspannungspolitik? Sicher ist, dass beide Komponenten für die Entscheidung Ulbrichts eine Rolle gespielt haben dürften. Neben Brandt waren auch Raddatz und Fickenscheer inhaftiert, aber die Kampagne konzentrierte sich auf Brandt; seine Mithäftlinge kamen erst später in der wissenschaftlichen Literatur zu diesem spektakulären Fall in den Blick.
Nach seiner Entlassung kehrte Brandt an seinen Arbeitsplatz in der Redaktion von metall in der IG-Metall-Hauptverwaltung zurück. Er blieb seiner Linie treu und als „Atompazifist“ aktiv in den außerparlamentarischen Bewegungen gegen Atomwaffen und Kernkraftwerke. Solidarität bekundete er für die Reformkommunisten 1968 in der Tschechoslowakei, den Aktivisten der polnischen Solidarnosc und der Opposition in der DDR. Solidarität blieb für ihn eine Verpflichtung. Als die SED-Führung 1976 einen Hausarrest über seinen Freund Robert Havemann in der DDR verhängte, beteiligte er sich an einer Solidaritäts-Aktion für Havemann, sie verdient es im Gedächtnis zu bleiben. Der Aufruf ehemaliger "Brandenburger Häftlinge aus der Nazi-Diktatur" richtete sich an "die Antifaschisten in Ost und West“. In diesem Zuchthaus war auch Erich Honecker eingesperrt. Die Unterzeichner, zu denen auch Heinz Brandt gehörte, obwohl er nicht in Brandenburg inhaftiert war forderten:
„Wir, seine ehemalige Mithäftlinge im Zuchthaus Brandenburg, erinnern daran, dass Robert Havemann seinerzeit aus der Todeszelle heraus durch die illegale Zuchthaus-Zeitung ‚Der Draht‘ sowie mithilfe eines von ihm gebastelten illegalen Kurzwellen-Empfängers den Widerstand der Häftlinge maßgeblich unterstützte. Diese Aktion hat entscheidend dazu beigetragen, das Überleben zahlreicher, politischer Häftlinge zu ermöglichen: Zu ihnen gehörte auch der derzeitige SED-Chef Honecker.“
Am 8. Januar 1986 verstarb Heinz Brandt in Frankfurt am Main. Über 33 Jahre dauerte es, bis er posthum in Berlin geehrt wurde, als Streiter für einen „humanen Sozialismus“, wie es auf jener zu Beginn dieses Textes erwähnten Gedenktafel an seinem alten Wohnhaus in Pankow heißt. Dass ehemalige DDR-Bürgerrechtler diese überfällige Würdigung angestoßen haben, ehrt ihn besonders.
Prof. Dr., Soziologe, Zeithistoriker und Publizist, Projektleiter am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München, Berlin. 1992 war er Mitbegründer des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin, dessen Leiter er bis 2006, zusammen mit Klaus Schroeder war.
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