Die Geschichte der DDR-Geheimpolizei ist mittlerweile intensiv erforscht, die der westdeutschen Nachrichtendienste dagegen ein vergleichsweise weißer Fleck. Geheimdienste in einer Demokratie müssen sich aber der Betrachtung stellen, über ihre Geschichte und ihr Wirken in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Blick auf die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren.
Im Mai 2019 beschrieb Christopher Nehring im Deutschlandarchiv Westdeutschlands Nachrichtendienste in den Jahren bis 1969 (Interner Link: Teil I). Nun folgt sein Blick in die 1970er bis 1990er Jahre.
Die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die Ende der 1960er Jahre die Bundesrepublik Deutschland erfassten, machten auch vor den Nachrichtendiensten nicht halt. Bereits 1968 verabschiedete die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD nicht nur die „Notstandsgesetze“, sondern auch das sogenannte G10-Gesetz. Es regelt nachrichtendienstliche Eingriffe in das nach Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis.
Damit wurden einerseits Bedingungen, unter denen Postsendungen geöffnet und Telefonverkehr abgehört werden durfte, formaljuristisch geregelt und spezielle Kontrollgremien für diese Maßnahmen, die „G10-Kommissionen“ des Bundes und der Länder eingerichtet. Andererseits wurden damit in der Praxis Überwachungsaufgaben, die bisher ungeregelt und zumeist von den drei westalliierten Geheimdiensten ausgeführt wurden, dem Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Militärischem Abschirmdienst (MAD) übertragen. Dazu gehörte auch die Übergabe von Überwachungsstellen der Alliierten beziehungsweise deren Neueinrichtung. Die neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten waren dabei jedoch nicht gleichzusetzen mit tatsächlichen operativen Kapazitäten von BND und BfV, die teilweise erst aufgebaut werden mussten.
Eine effektive rechtstaatliche und demokratische Kontrolle dieser weitreichenden Aufgaben wurde jedoch immer wieder ausgehebelt. Hierzu trugen auch die besonderen Rechte der US-amerikanischen, britischen und französischen Geheimdienste bei. Im Vergleich zu den Überwachungspraktiken des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der DDR zeigten sich jedoch nichtsdestoweniger gravierende Unterschiede, sowohl was das Ausmaß, die Auswirkungen und auch die Kontrolle der Maßnahmen anging.
Die Große Koalition brachte auch Personalwechsel bei den Nachrichtendiensten mit sich. Reinhard Gehlen musste am 1. Mai 1968 an der Spitze des BND seinem Stellvertreter Gerhard Wessel weichen, ebenfalls ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier. Nach der Bundestagswahl 1969 übernahm die Aufsicht über den BND im Kanzleramt der neue SPD-Kanzleramtsminister Horst Ehmke und an der Spitze des BfV löste der Sozialdemokrat Günther Nollau 1972 Hubert Schrübbers ab. Am Ende des Jahrzehnts sollte mit Klaus Kinkel 1978 erstmals ein Zivilist die Leitung des BND übernehmen.
Diese Personalwechsel waren jedoch nur die Spitze des Eisberges, galt es doch den BND als bislang ineffektiven und streng abgeschotteten Apparat, der es gewohnt war, in rechtlichen Grauzonen zu agieren, von Grund auf zu reformieren. Diese Reformprozesse wurden zum Spielball tagespolitischer Auseinandersetzungen zwischen der neuen CDU/CSU-Opposition und der Regierung und fanden ihren Niederschlag in Medien.
„Pullach intern-Affäre"
Den Anfang machte im März 1971 die sogenannte Pullach intern-Affäre. Zunächst als mehrteilige Serie, dann in Buchform, veröffentlichte der Der Spiegel eine Reportage über das Innenleben des neuen BND, die von zahlreichen Politikern für ihre Zwecke instrumentalisiert wurde.
Die Opposition prangerte die angeblich nun erst stattfindende Politisierung des Dienstes durch die SPD an und kritisierte gleichzeitig die neue Ostpolitik der Regierung Willy Brandts. Parallel dazu gründeten einige aus dem BND ausgeschiedene hochrangige Mitarbeiter im Verbund mit Abgeordneten der nun von den Meldungen des BND abgeschnittenen CDU/CSU-Fraktion eine Art eigenen, privaten Nachrichtendienst, der sie weiterhin mit außenpolitischen Informationen versorgen sollte.
Im Laufe der 1970er Jahre rollten weitere Skandale über die bundesdeutschen Nachrichtendienste hinweg. Erst überstand Bundeskanzler Willy Brandt am 27. April 1972 ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestages, mit 247 gegen 249 Stimmen. Dabei hatten offensichtlich zwei Abgeordnete der CDU/CSU für Brandt votiert. Mindestens einer, vielleicht sogar beide, wurden dafür mit angeblich 50.000 DM von der Auslandsspionage der DDR bezahlt, wobei auch Gerüchte durch eine Bestechung aus Kreisen der SPD kursierten. Selten wurde der Einfluss der DDR-Auslandsspionage durch die "Hauptverwaltung A" (HV A) des MfS, die von sich selbst behauptete, im Bundestag eine eigene „Fraktion“ gehabt zu haben, so greifbar wie hier. Zur besonderen Ironie der deutsch-deutschen Geschichte gehörte es dann, dass es just ein Spion der HV A war, der nur zwei Jahre später den Rücktritt desselben Bundeskanzlers Brandt auslöste: Günter Guillaume, ein Referent im Kanzleramt, wurde am 24. April 1974 als DDR-Agent verhaftet und löste mit seiner Enttarnung eine Regierungskrise aus.
Der folgende parlamentarische Untersuchungsausschuss sollte jedoch nicht nur die Frage klären, wie Guillaume trotz Überprüfungen des Verfassungsschutzes unerkannt hatte bleiben können, sondern auch, inwieweit der BND in der Ära Adenauer Inlandsspionage betrieben hatte. Beide Fragen wurden damals durch den Ausschuss nur halbherzig geklärt, ließen jedoch BfV und BND als große Verlierer zurück, um deren politischen Kredit es schlecht stand.
Illegale Abhöraktionen: „Traube-Affäre“ und „Stammheim-Affäre“
Weitere Affären um illegale Abhör- und Überwachungspraktiken in der Bundesrepublik kamen hinzu, wie 1977 die Enthüllung eines „Lauschangriffs“ auf den Atommanager und -gegner Klaus Traube in den Jahren 1975/76 wegen angeblicher Kontakte zur Terrorgruppe "Rote Armee Fraktion" (RAF) („Traube-Affäre“) oder das Abhören von RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim („Stammheim-Affäre“). Diese Negativschlagzeilen der bundesdeutschen Nachrichtendienste führten zu einem neuen Kontrollmechanismus: 1978 wurde das bisherige informelle „Parlamentarische Vertrauensmännergremium“ per Gesetz durch die „Parlamentarische Kontrollkommission" ersetzt und die Kontrollfunktion des Bundestages offiziell ausgedehnt.
Aber immer noch saß der BND weit weg von der Regierung in seinem Münchener Vorort, ein Umzug an den Regierungssitz wurde zwar erwogen (und vom Guillaume-Untersuchungsausschuss zur besseren Steuerung und Kontrolle auch empfohlen), letztendlich aber nie umgesetzt. Also unterhielt der BND eine Vertretung in Bonn, die per Kurier mit Informationen versorgt wurde. Dieses System war gleichzeitig Ausdruck und Mit-Ursache für die Distanz der sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen zum BND. Öffentlich fasste Bundeskanzler Helmut Schmidt, in den 1960er Jahren selbst mit Spiegel-Affäre oder G10-Gesetz befasst, die Einstellung zu „seinem“ BND vernichtend zusammen, als er angab, lieber die Artikel der Neuen Zürcher Zeitung statt die des BND zu lesen.
Nachrichtendienste im Zeitalter des Terrorismus
Auf der operativen Seite brachten die 1970er Jahre den nationalen und internationalen Terrorismus auf die Agenda der deutschen Nachrichtendienste. Dies betraf vor allem den linksradikalen Terrorismus der RAF und der „Bewegung 2. Juni“, für den das Bundeskriminalamt (BKA) und der Verfassungsschutz zuständig waren.
Aber auch internationale Verstrickungen mit arabischen Terrorgruppen und in den Ostblock sollte der BND helfen aufzuklären. Das MfS der DDR richtete ebenfalls eine eigene Abteilung ein, die für die Aufklärung und Abwehr von Terrorismus zuständig war. Ziel der DDR war es dabei auch, international gesuchte Terroristen in ihrem Kampf gegen den „imperialistischen Westen“ logistisch zu unterstützen und sie gleichzeitig von Aktionen auf dem eigenen Territorium fernzuhalten.
Bis auf den heutigen Tag ist über die Arbeit von BfV und BND bei der Terrorismusaufklärung und -abwehr dieser Zeit relativ wenig bekannt. Der Verfassungsschutz, allen voran die damaligen Niedersächsischen und West-Berliner Landesämter für Verfassungsschutz, sorgten für Schlagzeilen, als sich herausstellte, dass agentes provocateures in die Szene eingeschleust und gewaltsame Aktionen veranlasst worden waren. Dies betraf zum Beispiel die Sprengung einer Gefängnismauer („Celler Loch“) 1978, um eine Befreiung des vermeintlichen Linksterroristen Sigurd Debus vorzutäuschen. Und im Falle des im Frühjahr 1974 ermordeten V-Mannes Ulrich Schmücker behinderte der West-Berliner Verfassungsschutz die Justiz, unterschlug die Tatwaffe, überwachte den Anwalt der Verteidigung und sorgte so dafür, dass dieser mit 591 Verhandlungstagen bis dahin längste Prozess in der deutschen Geschichte ohne Ergebnis beendet werden musste.
Priorität DDR-Aufklärung
Für den BND hatte die Aufklärung der DDR höchste Priorität. Hier forderten die SPD-geführten Regierungen mehr politische Aufklärung und weniger militärische Details (für die sich jedoch die NATO sehr interessierte). Dabei bedingte die innerdeutsche Grenze ein Umdenken bei der Informationsbeschaffung: Das Anwerben von sogenannten „Objekt- oder Innenquellen“ in der DDR war seit dem Mauerbau schwierig geworden. Stattdessen wurde vermehrt auf sogenannte „Reisequellen“ wie Zugpersonal, LKW-Fahrer oder Rentner gesetzt und DDR-Reisekader vor allem in Drittstaaten angesprochen. Im Januar 1979 gelang zudem ein Zufallserfolg als der HV A-Überläufer Interner Link: Werner Stiller in die Bundesrepublik flüchtete und dem BND die tiefsten Blicke seit Jahren in das Innere des DDR-Geheimdienstes ermöglichte.
Geschickt signalisierte der BND seinen Erfolg indem er ein Foto des DDR-Spionagechefs Markus Wolf in Stockholm, mithilfe dessen Stiller Wolf identifiziert hatte, an den Spiegel weitergab. Umgehend verschärfte das MfS seine internen Sicherheitsvorkehrungen, was die operative Arbeit behinderte. Die aktive Gegenspionage, also das Anwerben und Führen von MfS- oder KGB-Mitarbeitern, hatte der BND bereits seit dem "Felfe-Skandal" und dem Mauerbau 1961 fast nur noch in der Bundesrepublik oder in Drittstaaten betrieben (siehe Interner Link: Teil I).
Neben der Spionage durch menschliche Quellen setzten die bundesdeutschen Nachrichtendienste vermehrt auf technische Möglichkeiten. Dies betraf zum einen die Einrichtung neuer Datenspeicher wie das „Nachrichtendienstliche Informationssystem" – NADIS und zum anderen die Telekommunikationsüberwachung des BND. Letztere wurde wiederum im Verbund vor allem mit amerikanischen Diensten durchgeführt. Die markanten „Kuppeln“ eines als „Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr“ getarnten Fernmeldeaufklärungsstützpunktes im bayerischen Bad Aibling stehen symbolisch für diese Art der Informationsgewinnung.
Dass dabei nicht nur in den Osten, sondern auch in die Bundesrepublik selbst „hineingehorcht“ wurde, war schon damals ein offenes Geheimnis. Anhand der BND-Aufklärung der DDR-Wirtschaft lässt sich heute sowohl ein Eindruck über die Quellen als auch der Qualität der Berichterstattung gewinnen.
Zwar sank seit Mitte der 1960er Jahre das Informationsaufkommen generell; die vom BND über die DDR-Wirtschaft angefertigten Berichte nahmen aber deswegen nicht in ihrer Qualität ab. Verringert hatte sich der Anteil der durch menschliche Quellen beschafften Informationen, wohingegen Informationen aus offenen Quellen und der technischen Aufklärung zunahmen. Allerdings boten die BND-Einschätzungen im Vergleich zu den Wirtschaftsanalysen anderer, nicht nachrichtendienstlicher, Stellen offenbar kaum einen messbaren Mehrwert.
Die 1980er Jahre
Die Aufgaben und die operative Lage für BND und BfV änderten sich in den 1980er Jahren kaum. Aufklärung des politischen Extremismus im Inland (bei dem der Extremismus durch ausländische Terrorgruppen langsam zu einem eigenen Arbeitsbereich heranwuchs), RAF-Terror und Spionageabwehr blieben wesentliche Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes. Dazu gesellte sich erst jetzt die Aufklärung sogenannter „aktiver Maßnahmen“. Das waren Desinformationsmaßnahmen der Warschauer Pakt-Staaten und ihrer Geheimdienste. Deren Hochzeit lag eigentlich in den 1970er Jahren, doch erst im Zuge des sich verschärfenden internationalen Konflikts um die atomare Hochrüstung in den 1980er Jahren rückten die „aktiven Maßnahmen“ und Einflussversuche des Ostens auf die Agenda der Nachrichtendienste.
Bei der Spionageabwehr gelang dem Verfassungsschutz nach 1979 mit seiner Operation "Anmeldung“ ein großer Erfolg: Durch die Guillaume-Untersuchungen wurden Methoden der DDR-Spionage aufgedeckt, um ihre Agenten in die Bundesrepublik zu schleusen. Im Zuge systematischer Recherchen konnten so zahlreiche Ost-Agenten enttarnt, verhaftet oder zur Flucht gezwungen werden.
Der BND hingegen musste neben der Aufklärung von DDR und Sowjetunion nun auch vermehrt an anderen Orten tätig werden. Im Nahen Osten wurden Terrorgruppen und deren Zusammenarbeit mit der RAF oder den Warschauer Pakt-Staaten ins Visier genommen; in Libyen beispielsweise meldete der BND die Chemiewaffenherstellung des Gaddafi-Regimes (unter Mithilfe einer deutschen Firma) und in Afghanistan beschaffte der BND jahrelang militärische Ausrüstung der Roten Armee (Operation „Sommerregen“) zur Analyse für die NATO-Staaten.
1980 Agentenhinrichtung in Leipzig
Dem gegenüber stand jedoch ein sinkendes Niveau bei der Hauptaufgabe: der Aufklärung der DDR. Hier scheiterte der BND mit einigen waghalsigen Anwerbungsversuchen, im Zuge derer die DDR 1980 eine dieser Quellen hinrichten ließ und den BND später beschuldigte, nichts für dessen Austausch getan zu haben. Der ehemalige Abteilungsleiter Winfried Baumann aus der Verwaltung der DDR-Volksarmee hatte geheime Unterlagen an Deckadressen des BND übermittelt und wurde 1979 verhaftet. Im Juli 1980 wurde er in Leipzig durch Kopfschuss hingerichtet.
Unvermindert schwer blieb das Anwerben von Quellen hinter der Mauer, was allerdings auch für die CIA galt, deren DDR-Quellen fast sämtlich als Doppelagenten für das MfS arbeiteten. Ein Erfolg des BND war jedoch zweifelsohne die Quelle „Lenchen“, eine Übersetzerin in der Dresdner Filiale des KGB, die unter anderem Informationen über den dort eingesetzten KGB-Offizier (und heutigen Staatspräsidenten) Wladimir Putin lieferte.
Erkenntniszuwächse zur Aufklärung der maroden DDR-Wirtschaft durch den BND brachten mindestens sieben hochrangige DDR-Wirtschaftsfunktionäre, die in den 1980er Jahren in die Bundesrepublik überliefen. In der Berichterstattung schlug sich dies wiederum kaum messbar nieder. Der letzte BND-Präsident des Kalten Krieges, Hans-Georg Wieck, beharrt bis heute darauf, der BND habe Ende der 1980er Jahre – als einziger – den finanziellen Kollaps der DDR vorhergesagt (was bislang nicht verifiziert werden konnte).
Es wäre jedoch nicht das einzige Mal gewesen, dass die Bundesregierung unter Helmut Kohl nicht auf den BND gehört hätte. So sollen auch vom BND unter DDR-Flüchtlingen durchgeführte Umfragen, wonach eine Mehrheit eine politische Vereinigung der beiden deutschen Staaten wünschte, ignoriert worden sein.
Das schlechte Verhältnis zwischen Wieck und der Regierung Kohl macht deutlich, wie gering das Ansehen des Auslandsnachrichtendienstes in der Politik war. Nach eigenen Aussagen hatte sich der Karrierediplomat Wieck darum bemüht, die Berichterstattung des BND zu modernisieren und besser auf die Bedürfnisse der Entscheidungsträger in Bonn abzustimmen. Trotzdem lässt sich seinerzeit kein politisches Großereignis feststellen, bei dem die Berichterstattung des BND Einfluss auf die Entscheidung der Bundesregierung fand.
Anhaltendes Desinteresse an den Nachrichtendiensten?
Umgekehrt zeigte sich das Desinteresse an den Nachrichtendiensten auch darin, dass über die gesamten 1980er Jahre keine neuen Initiativen zur Steuerung, Regulierung und Kontrolle der Dienste durch die Regierung ausgingen. Wenn überhaupt waren es Gerichtsurteile, die zu Praxisänderungen führten, beispielsweise dazu, dass betroffene deutsche Staatsbürger nachträglich von Abhörmaßnahmen der Nachrichtendienste in Kenntnis gesetzt werden müssen (auch wenn dies in der Praxis immer wieder aktiv verzögert wurde).
Auch Medienrecherchen führten dazu, dass Politiker regulierend eingriffen. Ein grundlegendes Problem war, dass BND und MAD immer noch ohne gesetzliche Grundlage operierten und zudem die alliierten Geheimdienste in der Bundesrepublik quasi unkontrolliert agieren konnten, dies änderte sich erst nach dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre.
Auch die 1980er Jahre brachten Nachrichtendienstskandale hervor: Der größte war die „Kießling-Affäre“ um den Bundeswehr-General Günter Kießling 1983/84. Kießling wurde vom MAD-Vorläufer Amt für Sicherheit der Bundeswehr (ASBw) wegen angeblicher Homosexualität als Sicherheitsrisiko eingestuft und im Dezember 1983 entlassen. Als der Vorgang öffentlich wurde und die Untersuchungen zeigten, dass die Vorwürfe auf bloßen Gerüchten basierten, waren die Schlagzeilen groß. Als Folge wurde nicht nur Kießling rehabilitiert, sondern auch das ASBw in den MAD umgewandelt und erstmals Zivilisten in dessen Leitung aufgenommen.
1985 liefen Hansjoachim Tiedge, Gruppenleiter im Referat für Gegenaufklärung DDR des BfV sowie die Sekretärin im Bundeswirtschaftsministerium „Sonja Lüneburg“ (eigentlich Johanna Olbrich) in die DDR über. Tiedge war offenbar getrieben von Spielschulden und Alkoholsucht, Olbrich hingegen war eine seit Ende der 1960er Jahren in der Bundesrepublik aktive Agentin der DDR-Aufklärung. Beide fügten dem Ansehen und der operativen Arbeit von Verfassungsschutz und BND großen Schaden zu.
Das Jahr 1989
Der Kalte Krieg war eine, vielleicht sogar die, Hochzeit der Geheimdienste weltweit. Als er 1989/90 abrupt in seine finale Phase eintrat, waren die Geheimdienste – in Ost wie West – nicht nur überrascht, sondern blieben als Akteure fast gänzlich außen vor. Sowohl KGB als auch MfS verfügten über so viele Ressourcen wie nie zuvor, wiesen einen Höchststand an Mitarbeitern und Befugnissen auf – und konnten die sozialistische Einparteiendiktatur trotzdem nicht an der Macht halten.
Das lag nicht nur daran, dass in den entscheidenden Wochen und Monaten 1989 kaum ein Akteur, die Staatssicherheitsdienste eingeschlossen, sich wirklich handlungsfähig zeigte, sondern auch daran, dass die Dienste zu lange der politischen Führung gefällige statt wahre Informationen geliefert hatten. Im Westen, vor allem der Bundesrepublik, hatte man sich hingegen lange Zeit (gerne) über den wahren Zustand und die Stabilität der DDR hinweggetäuscht. Was den BND anging, so waren dessen Einschätzungen einerseits durch die Entscheidungsträger kaum gefragt und lieferten andererseits keine bahnbrechenden Erkenntnisse. Dies galt 1989 auch für die Frühwarnfunktion: Die politischen Umbrüche in ihrer Gänze ahnte der BND ebenso wenig voraus wie das Auswärtige Amt oder andere Behörden und Ministerien.
Punktuell konnten zwar Informationen aus der Spitze der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) beschafft werden, wobei „Selbstanbieter“ wie eine Quelle mit Decknamen „Enrico“ besonders hochwertige Informationen lieferten. Der Informant hatte Karriere im diplomatischen Dienst und dem Außenministerium der DDR gemacht und viele persönliche Zugänge ins Zentralkomitee und Politbüro der SED. Nun lieferte er unter den Codenamen „Leo I“ und „Leo II“ rund 150 Meldungen „von überragender Qualität“, sei es über den (sich stetig verschlechternden) Gesundheitszustand Erich Honeckers, militärische Lagebilder über das Nicht-Eingreifen der Roten Armee in der DDR sowie die Einschätzung, dass die UdSSR unter Gorbatschow die Hardliner in der DDR nicht mehr länger bedingungslos an der Macht halten würden.
Dies reichte jedoch nicht aus, um den (ohnehin entschlossenen) Entscheidungsbildungsprozess der Regierung Kohl-Genscher 1989/90 zu unterstützen. Damit stand der BND allerdings nicht alleine, denn auch CIA oder MI6 waren – nach heutigem Kenntnisstand – ihren Regierungen in dieser Zeit keine entscheidende Hilfe. Die Frage, ob dies bei einem Ereignis wie der spontanen Öffnung der Berliner Mauer am Abend des 9. November 1989 überhaupt möglich gewesen wäre, hat hier allerdings auch ihre Berechtigung.
Fazit und Ausblick in die 1990er Jahre
Noch bevor die Tinte unter dem Einigungsvertrag getrocknet war, nutzten die bundesdeutschen Nachrichtendienste die neue Situation. Die politische und wirtschaftliche Aufklärung hatte die Lage zwar nicht vorhergesagt, das änderte jedoch nichts daran, dass BND und Verfassungsschutz sie nicht zu nutzen wussten. Die „Aufarbeitung“ des Geheimdienstkrieges zwischen Ost und West nahm so bereits kurz nach dem Mauerfall ihren Anfang. Bis zum Sommer 1990 wurden zehn in der DDR untergetauchte ehemalige RAF-Terroristen ausfindig gemacht und verhaftet.
Darüber hinaus versuchten sowohl Verfassungsschutz als auch BND möglichst viele MfS-Offiziere zur Kooperation zu gewinnen, um Ost-Agenten in den eigenen Reihen zu enttarnen und MfS-Unterlagen zu beschaffen. Es sollte bis Ende der 1990er Jahre andauern bis dieser Prozess – auch strafrechtlich – abgeschlossen war. Ein Husarenstück gelang dabei der CIA, die offenbar 1991 in Warschau von einem ehemals in Ost-Berlin stationierten KGB-Offizier Kopien der Daten der DDR-Auslandsspionage aus dem Jahr 1988 erwarb. Spätestens 1993 standen diese Informationen auch dem BfV zur Verfügung und wurden anschließend zur Strafverfolgung genutzt. Doch auch die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) sollen eifrig MfS-Offiziere und Unterlagen beschafft und ausgewertet haben. Zum Vorschein kam dabei, dass es der Gegenspionage der DDR-Aufklärung im Kalten Krieg gelungen war, sowohl in BND, BfV, LfVs als auch im MAD hochrangige Quellen zu führen. Ähnlich wie enttarnten DDR-Top-Spionen in NATO, Parteien, Ministerien und Behörden wurde ihnen nun der Prozess gemacht. Dieses besondere Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte endete erst Jahre nach der Deutschen Einheit.
Imageverlust durch Infiltrierung
Für Verfassungsschutz und BND bedeute die Aufdeckung des Ausmaßes der Infiltrierung durch Ost-Agenten einen weiteren Imageschaden. Es zeigte sich, dass der Osten im Geheimdienstkrieg erfolgreicher war, als vermutet. Die Informationsbeschaffung der DDR-Auslandsspionage in der Bundesrepublik verlief besser als umgekehrt (fussnote id="46">Vgl.: Thomas Wegener Friis/Helmut Müller-Enbergs (Hrsg.): DDR-Spionage. Von Albanien bis Großbritannien, Berlin 2018. ); dies lag jedoch auch in den ungleich größeren Ressourcen, politischen und rechtlichen Freiheiten sowie der einmaligen Teilungssituation begründet. Die Verarbeitung der im Westen beschafften Informationen war jedoch geprägt durch die ideologischen Scheuklappen und Feindbildklischees sozialistischer Partei- und Geheimdienstfunktionäre. Politisch genutzt hatte die DDR-Spionage also wenig.
Dies reflektierte auch auf die westlichen Nachrichtendienste zurück, deren Daseinsberechtigung zu Beginn der 1990er Jahre ebenfalls zur Diskussion stand. Die sozialistischen Staatssicherheitsdienste waren aufgelöst, der Kalte Krieg gewonnen, ein Zeitalter des Friedens, der Prosperität und das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) wurden ausgerufen. Als „Friedensdividende“ könnten nun auch BND & Co. aufgelöst werden, lauteten Forderungen aus dem politischen Raum. Nachrichtendienstgegner argumentierten, BND und Verfassungsschutz entsprächen einer „Stasi 2.0“, da auch sie heimlich abhörten, möglicherweise manipulierten und Rechtsbruch begingen.
Aus der Gleichheit von Überwachungsmethoden, die Nachrichtendienste weltweit anwenden, wurde und wird allzu gerne auf eine Wesensgleichheit geschlossen. Aber BND und Verfassungsschutz waren nie Geheimpolizeien. Die Unterschiede, die in der Verwendung der beschafften Informationen, der Übernahme exekutiver Funktionen, der Trennung zu Staatsanwaltschaft und Gerichten, der rechtlichen Verfassung und Begrenzung, wurden und werden oftmals ausgeblendet. Auch die parlamentarische Kontrollmöglichkeit oder die Chance zur Reformierbarkeit machen den Unterschied zwischen der Geheimpolizei einer Diktatur und einem demokratischen Nachrichtendienst aus.
1990 neue gesetzliche Grundlage für BND und MAD
Aufgelöst wurden die bundesdeutschen Nachrichtendienste 1990 nicht. Stattdessen wurden BND und MAD erst jetzt auf eine neue gesetzliche Basis gestellt. Das Desinteresse der Bundesregierung(en) an nachrichtendienstlichen Fragen, die Geheimniskrämerei, Abschottung und Tabuisierung bestanden jedoch fort. Erst Ende der 1990er Jahre erhielten die - ohnehin bekannten - Nachrichtendienstzentralen auch offizielle Behördenschilder und noch länger dauerte es, dass auch nachgeordnete technische Einrichtungen entsprechend gekennzeichnet wurden. Erst unter der rot-grünen Bundesregierung ab 1998 wurde der Umzug des BND an den neuen Regierungssitz Berlin beschlossen (und 2019 weitgehend vollzogen). Doch mittlerweile standen mit den Balkan-Kriegen der 1990er Jahre, dem aufkommenden islamistischen Terrorismus, internationaler Online- und Rauschgiftkriminalität und dem Handel mit Massenvernichtungswaffen bereits neue Themen auf der Agenda. Sie erst sollten das Prestige der Nachrichtendienste wieder steigen lassen und ihnen zu einer neuen Daseinsberechtigung in der öffentlichen Wahrnehmung verhelfen.
Nachrichtendienstliche Fragen und Belange waren über den gesamten Zeitraum zwischen 1945 bis 1990 ein politisches Minenfeld. Die Verbrechen von Gestapo und MfS galten als Negativvorlage, NS-Kontinuitäten, das unkontrollierte Agieren der alliierten Dienste, rechtliche Grauzonen und Kompetenzüberschreitungen, Geheimniskult sowie eine lange Reihe von Medienskandalen führten zu durchweg negativen Assoziationen mit dem Thema, die bis heute anhaften.
Doch vielleicht brachten die öffentlich gewordenen Nachrichtendienstskandale in der Bundesrepublik auch einen Nutzen, da so erst die schwelenden, aber vermiedenen Fragen nach dem Sinn von Nachrichtendiensten, ihrer rechtlichen und politischen Verfasstheit, Kontrolle, Grenzen und ihren Aufgaben angegangen wurden. Alle diese Fragen bleiben auch heute aktuell. Denn eine lebendige Demokratie muss die Frage nach der Verfasstheit und Kontrolle ihrer Nachrichtendienste und deren Kompetenzen immer wieder neu beantworten und regeln. Die Geschichte von Verfassungsschutz und BND in der alten Bundesrepublik bis 1990 war hierfür ein lehrreiches Negativbeispiel. Umso mehr brauchen Politik und Gesellschaft heute historisches Orientierungswissen über ihre Nachrichtendienste, deren Rolle und Handeln in der Demokratie.
Zitierweise: "Nachrichtendienste in Deutschland. Teil II“, Christopher Nehring, in: Deutschland Archiv, 6.8.2019, Link: www.bpb.de/293389
Dr., wissenschaftlicher Leiter im Deutschen Spionagemuseum Berlin, Studium in Heidelberg und St. Petersburg, Mitarbeiter der bulgarischen Stasi-Unterlagenbehörde, Promotion zur Geheimdienstgeschichte.
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