Im Jahr 2018 erschien mit „Honeckers letzter Hirsch“ ein weiteres Buch von Helmut Suter zur Jagd in der DDR. Dazu gab er dem Deutschland Archiv Online ein Interview, das in zwei Teilen veröffentlicht wird. Der zweite Teil widmet sich der DDR-Staatsjagd und dem Jagdleben der Repräsentanten der DDR-Staatsführung. Der erste Teil des Interviews beschäftigt sich mit den grundsätzlichen Regelungen der Jagd in der DDR.
DA: Obwohl das Motto „Die Jagd gehört dem Volke“ galt, nutze die DDR-Staatsführung die Schorfheide als Staatsjagdgebiet. Wie kam es dazu?
Helmut Suter: Das hat eine Vorgeschichte: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Bau des Jagdschlosses Hubertusstock unter König Friedrich Wilhelm IV. galt die Schorfheide als Zentrum der geheimen Diplomatie. Er nutzte das Schloss für politische Gespräche und traf dort politische Entscheidungen. Die Frage nach einer preußischen Beteiligung am Krimkrieg im Jahr 1854 soll Friedrich Wilhelm IV. in der Schorfheide entschieden haben – Preußen blieb neutral. Außerdem liegt das Jagdgebiet nah an Berlin. Hier konnte man in der Natur und bei der Jagd jenseits der Etikette in lockerer Atmosphäre Gespräche führen. Das setzte sich auch nach der Monarchie fort. Zur Zeit der Weimarer Republik jagten hier Otto Braun (Sozialdemokrat und preußischer Ministerpräsident) und Paul von Hindenburg (führte ab 1916 die Oberste Heeresleitung und wurde 1925 zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt, DA). Ab 1933 –während der Diktatur der Nationalsozialisten – hielt Hermann Göring (Reichskommissar für Luftfahrt und Reichskommissar für das preußische Innenministerium sowie später Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, DA) Hof in Carinhall, wie ein König. Er empfing dort Staatsgäste und ging teilweise in Fantasie-Jagduniformen zur Jagd. Das Potenzial der Jagd für Politik und Diplomatie wollte auch die DDR-Staatsführung nutzen. Sie entschied, das Erbe in der Schorfheide anzutreten.
DA: Bei dieser Vorgeschichte vor allem ab 1933 …
Helmut Suter: Über ethische Fragen gegenüber der NS-Geschichte setzte man sich hinweg. Walter Ulbricht (Generalsekretär des Zentralkomitees der SED ab 1950, ab 1953 bis 1971 Erster Sekretär, DA) nutzte zum Beispiel das frühere Gästehaus von Carinhall (das schlossähnliche Hauptgebäude war auf Veranlassung Görings 1945 gesprengt worden, DA) – das spätere Hotel Döllnsee – um dort Gespräche zu führen, auch wenn er sich aus der Jagd nichts machte. Es ist ein schwieriges Thema, warum die DDR-Staatsführung die Schorfheide als Staatsjagdgebiet für sich nutzte. Auch sie schätzte die Nähe zu Berlin. Es galt das Motto: „Wir treffen uns da, dann sind wir ungestört.“
Um beim Jagen ungestört Gespräche jenseits des Protokolls zu führen, wurden Staatsgäste zur Jagd in die Schorfheide eingeladen.
DA: Was war das Besondere daran, die Jagd als Mittel zur Pflege von diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten oder von Kontakten zu Wirtschaftsgrößen zu nutzen? Was bot die DDR-Staatsjagd ihren Gästen?
Helmut Suter: Die DDR-Staatsführung wusste aus der Historie heraus, dass die gemeinsame Jagd dazu führt, dass man offen miteinander über politische Probleme sprechen konnte. Wenn man in der Lage war, die Jagd positiv für den Gast zu gestalten, dann wurde der lockerer. Deshalb ist Honecker gern mit den Staatsgästen rausgefahren nach Hubertusstock. Einfach nur ein gutes Essen anbieten, das war nichts Außergewöhnliches. Aber eine besondere Trophäe (ein starker Hirsch mit einem endenreichen Geweih, die Red.), die der Gast nicht in seinem heimischen Revier hatte und die in der Schorfheide herangezüchtet wurde, war der Anreiz. Beim Schüsseltreiben – dem gemeinsamen Essen nach der Jagd – und einer guten Flasche Rotwein wurde dann über Politik, Wirtschaft und über Geld gesprochen. Hier sprach Honecker mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, Franz-Josef Strauß, über den Milliardenkredit für die DDR. Auch der Krupp-Generalbevollmächtigte Berthold Beitz war mehrfach in der Schorfheide.
DA: Und wie passte das zum Grundsatz „Die Jagd gehört dem Volke“?
Helmut Suter: Das war natürlich ein Widerspruch. Bereits 1954 – ein gutes Jahr nachdem das Jagdgesetz in Kraft getreten war, ging es los mit der Privilegierung der Staatsführung. Der damalige DDR-Innenminister Willi Stoph arbeitete daran, attraktive Jagdgebiete exklusiv für die Mitglieder des Politbüros zu reservieren. Und es ging auch darum, die Jagdinteressen der SMAD zu berücksichtigen und penibel einzuhalten.
DA: Wieviel Fläche beanspruchten die Repräsentanten der DDR für ihre privaten Jagden? Und wer von ihnen hatte das Privileg, über ein eigenes Jagdgebiet zu verfügen?
Helmut Suter: Bis 1989 gab es in der DDR 18 Staatsjagdgebiete mit 98.921 Hektar. Dazu kamen noch elf Wildforschungsgebiete mit rund 82.000 Hektar – dort wurde zwar Wildforschung betrieben, aber die Inspektion Staatsjagd (eine Unterabteilung des Landwirtschaftsministeriums) sah auch solche Gebiete als geeignet an, um sie für staatliche Repräsentanten zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich gab es auch noch die Sonderjagdgebiete von Erich Honecker und Erich Mielke. Honeckers Jagdgebiet in der Schorfheide umfasste 20.550 Hektar und Mielkes Gebiet in Neuhaus-Wolletz hatte 23.000 Hektar. Rund zwei Prozent der Jagdfläche der DDR standen allen Repräsentanten der Staats- und Parteiführung zur Verfügung. Dazu kamen noch 6,9 Prozent der Fläche für die sowjetischen Offiziere. Mielke und Honecker konnten nach Gutsherrenart entscheiden, wer in „ihren“ Jagdgebieten jagen durfte und wer nicht.
DA: Was wusste die DDR-Bevölkerung über die Jagdgebiete der Politbüromitglieder?
Helmut Suter: In den Anrainergemeinden der Jagdgebiete der Politbüromitglieder war durchaus bekannt, wer da jagte. Denn aus den Gemeinden kamen viele Beschäftigte, die in den Jagdgebieten tätig waren, wie im Militärforstbetrieb, im Sägewerk oder im Zaunbau. Eine Voraussetzung dafür war, dass sie keine Westverwandtschaft hatten. Die Beschäftigten sind nach anderen Tarifen bezahlt worden, erhielten Prämien und hatten damit auch eine gewisse herausragende Rolle. Dafür haben sie das Jagdleben der DDR-Führung geduldet. Allerdings gab es auch Kritik von angrenzenden LPGen (Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften): Die konnten ihre Felder in der trockenen Jahreszeit nicht ordentlich bewässern und erfüllten ihr Planziel nicht. Dabei bekamen sie mit, dass es für den Wildacker im Sonderjagdgebiet eine Beregnungsanlage gab. Aber diese Kritik wurde von Günter Mittag (von 1966 bis 1989 Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, ab 1976 Sekretär des Zentralkomitees für Wirtschaftsfragen, DA) abgewiegelt, wenn es Beschwerden gab.
Was nicht bekannt war, waren die Kosten, die die Sonderjagdgebiete verursachten. Das war streng geheim. Auch, wer dort was geschossen hatte, blieb unter Verschluss. Dass Honecker, Mielke, Mittag und Stoph Jagdhäuser hatten, wurde dabei gar nicht negativ aufgefasst. Das kannten die Anrainer der Jagdgebiete von früher – so nach dem Motto: Erst war es der Kaiser, dann der Nationalsozialist Göring und nun sind es eben die aus dem Politbüro. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister waren auch ein bisschen stolz, und es gab positive Entwicklungen in ihren Gemeinden: In Groß Schönebeck wurde die Straße asphaltiert. In Schluft gab es ein Abwassernetz, sonst gab es nur Sickergruben. Und als Mielke zugetragen wurde, dass ein Kindergarten gebraucht werde, ließ das Ministerium für Staatssicherheit einen Kindergarten bauen. Die Empfänger dieser Wohltaten, die nach Gutsherrenart verteilt wurden, hielten sich dann mit ihrer Kritik zurück.
DA: Die strengen Regeln des Jagdgesetzes schienen für Honecker und Co. nicht zu gelten. Warum setzten sich die führenden Köpfe über die Vorschriften hinweg?
Helmut Suter: „Die Jagd gehört dem Volke“ – in gewisser Weise traf das Motto zu, aber bei genauer Betrachtung war das eine Farce. Die Staats- und Parteiführung waren diejenigen, die die Arbeiterklasse leiteten und führten. Nach ihrem Verständnis arbeiteten sie so hart für die DDR, dass sie sich auch Besonderes leisten durften. Schon unter Ulbricht entstand das ungeschriebene Gesetz, dass die Repräsentanten von Staat und Partei von Prüfungen befreit waren. Also Honecker besaß weder eine Fahrerlaubnis noch hatte er eine Jagdprüfung abgelegt. Aus diesem Verhalten ließ sich eine Überheblichkeit gegenüber der Bevölkerung ableiten.
Alle Beschaffungen jagdlicher Art für die Staatsführung gingen über Mielkes Schreibtisch
DA: Im Gegensatz zu den einfachen Jägern in der DDR verfügten Honecker, Mielke und Co. über verschiedene Jagdwaffen. Auf welche Weise wurden sie in der Regel beschafft und wer hat sie bezahlt?
Helmut Suter: Honecker bekam als Staats- und Parteichef Jagdwaffen bei Staatsbesuchen geschenkt zum Beispiel von Breschnew, dem Generalsekretär der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion). Der Chef der Kommunistischen Partei der CSSR Gustav Husák schenkte ihm eine Repetierwaffe, die in Brno produziert wurde. Damit ging er am liebsten zur Jagd. Insgesamt hatte er 38 Waffen. Mittag und Stoph (Vorsitzender des Ministerrates der DDR, DA) beschafften sich zu dieser Zeit über die Koko (Kommerzielle Koordinierung) von Alexander Schalck-Golodkowski Jagdoptik und Jagdwaffen aus dem Westen. Das wurde immer aus der Staatskasse bezahlt. Selbst haben die gar nichts bezahlt. Dem Honecker haben Mittag und Co. dann auch mal eine Waffe geschenkt, um ihn sich gewogen zu halten und zu vernebeln, was sie sich so alles im Westen bestellten. Ab den 1980er Jahren wurde es so geregelt, dass alle Beschaffungen jagdlicher Art für die Staatsführung über den Schreibtisch von Mielke gingen. Das bezahlte dann das MfS über einen Devisenfonds.
DA: Außerdem sollen Honecker, Mielke und Co. über teure Fahrzeuge aus dem Westen für die Jagd verfügt haben. Wie war das denn mit dem Devisenmangel in der DDR vereinbar?
Helmut Suter: Ab 1982 wurden insgesamt acht Geländewagen der Marke Land Rover und Mercedes gekauft. Das organisierte Mittag auch über Schalck-Golodkowski und bezahlt hat das MfS. Das lief wieder ähnlich ab: Mittag besorgte die Wagen und schenkte einen Erich Honecker. Seine Wagen ließ er, weil ihm als Diabetiker ein Unterschenkel amputiert worden war, in West-Berlin umbauen. Aber auch die anderen Wagen wurden nach individuellen Wünschen gestaltet. Allein der Umbau der Wagen belief sich auf 1,76 Millionen DM. Angesichts des Devisenmangels und der wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR wird die Abgehobenheit der DDR-Führung deutlich. Mittag kannte die Sorgen der Betriebe und Kombinate, die keine Ersatzteile für Maschinen aus dem Westen beschaffen konnten und improvisieren mussten, um klarzukommen. Außerdem wurden über Mielke drei bis vier Aro-Geländewagen aus Rumänien gekauft, die sonst gar nicht in die DDR eingeführt wurden. Diese wurden dann von anderen Politbüromitgliedern gefahren, die in der Rangordnung niedriger standen. An Mielke, Stoph und Mittag wagte sich keiner ran und die hatten auch die Hand auf den Finanzen. Es wurden Millionen aus dem Staatshaushalt für die Jagd abgezweigt, die ans MfS gingen. Das tauchte nirgendwo in den offiziellen Dokumenten auf. Diese Informationen sind in den BStU-Unterlagen gefunden worden.
DA: Die Bewirtschaftung der nicht öffentlich zugänglichen Jagdgebiete war insgesamt sehr aufwendig. Was führte zu den hohen Kosten?
Helmut Suter: Die Kosten für die Sonderjagdgebiete entstanden zum überwiegenden Teil durch den Umbau und die Unterhaltung der Jagdhäuser sowie und durch Neubau. Die Jagdhäuser wurden repräsentativ gestaltet. Auch der Chef des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) Harry Tisch hat sich in Born (Mecklenburg-Vorpommern, die Red.) ein Jagdhaus neu ausbauen lassen. Weil seiner Frau die Schrankwand nicht gefiel, wurde die wieder rausgerissen und eine neue eingebaut – sie mussten es ja nicht bezahlen. Für die Jagdhäuser haben Honecker und die anderen übrigens nur eine Miete nach den Grundsätzen der DDR entrichtet. Das entsprach in etwa einer Miete, die DDR-Bürger für eine Neubauwohnung gezahlt haben. Aber die Kosten für Heizung und Strom haben sie nicht beglichen. Das lief über die Verwaltung der Waldsiedlung in Wandlitz, der geschlossenen Wohnanlage für Politbüromitglieder (heute Brandenburg, die Red.). Die Kosten wurden so insgesamt vertuscht. Die weiteren Kostentreiber in den Jagdgebieten waren der Zaunbau, der Bau von Jagdkanzeln (auch Hochsitz genannt, die Red.) und Jagdschirmen (eine zu ebener Erde errichtete Jagdeinrichtung hinter der Wild beobachtet und geschossen werden konnte) und die Wildfütterung. Für diese Aufgaben gab es jeweils eigene Betriebe.
Im Jahr 1970 betrug der Zuschuss für die gesamten Staatsjagdgebiete und Sonderjagdgebiete 5 Millionen Mark (Ost). 1987 waren es schon 20,5 Millionen Mark. Dabei hatte sich die Anzahl der privilegierten Jäger gar nicht verändert. Für 1990 waren schon 12,7 Millionen Mark für Instandsetzungen im DDR-Haushalt veranschlagt und weitere 31,4 Millionen Mark zur Stützung sollten aus der Rohholzerzeugung dazukommen. Allein für das Staatsjagdgebiet Schorfheide wurde für 1989 ein Verlust von 8,7 Millionen Mark ausgewiesen. Die Einnahmen betrugen nur 1,27 Millionen Mark. Die kamen aus den Abschussprämien, dem Verkauf von Wildfleisch an die Interhotels und aus dem Export, zum Beispiel an Restaurants in West-Berlin. Die Lücke von rund 7,4 Millionen Mark wurde mit Steuereinnahmen gestopft, die eigentlich dem Staatshaushalt und damit der Allgemeinheit zufließen sollten.
DA: Anders als die einfachen Jäger in der DDR, konnte die Staatsführung offensichtlich so viel Wild jagen, wie sie wollte. Woher kam dieser Drang so viel Wild zu erlegen?
Helmut Suter: Ein Mitglied in einem Jagdkollektiv musste sich unterordnen, hervorragende Leistungen erbringen und im Durchschnitt zehn bis zwölf Jahre warten, bis er mal einen reifen Hirsch zugewiesen bekam, den er strecken durfte. Für die privilegierten Jäger gab es keine Reglementierung. Da fielen fünf bis sechs Hirsche an einem Tag. Man fuhr raus zur Jagd, um Beute zu machen. Dabei sollte nicht der schwächste Bock geschossen werden, sondern immer starke Hirsche. Bei Günter Mittag musste der Jagdleiter stramm stehen, wenn er mit der Jagd unzufrieden war.
Die Jagdleiter hatten dafür Sorge zu tragen, dass ausreichend Kraftfutter da war und Ruhe im Jagdrevier herrschte – also keine Fremden Pilze suchten oder spazieren gingen. Wenn Wild so gehalten wird, dann wird es zahm wie eine Herde Rinder. Dann kann man die Uhr danach stellen, wann der Hirsch an die Kirre (Futterstelle, die Red.) kommt. Wenn der Jagdleiter zu Mittag sagte: „Um 18:00 Uhr steht der Hirsch“, dann war der um 17:45 Uhr am Hochsitz, der Hirsch kam und Mittag hat geschossen. Der ging nicht auf die Pirsch im Wald. Das wurde bereits seit der Zeit vor Kaiser Wilhelm I. so organisiert. Deswegen sind die Sitzungen des Politbüros zur Brunftzeit im August und September so gelegt worden, dass man zeitig zur Jagd gehen konnte.
DA: Die Fotos der Jagdhäuser, die im November 1989 aufgenommen wurden, zeigen Innen- und Außenwände, die voll waren mit Trophäen. Es gab Berge von weiteren, die noch einmal dekorativ aufgehängt wurden, was hatte das zu bedeuten?
Helmut Suter: Nur die stärksten Trophäen wurden repräsentativ aufgesetzt. Die Messingteile ließ Mielke teilweise in der Metallwerkstatt im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen mit dem Abschussdatum und dem Ort gravieren. Das hatte Brisanz, dies von den politischen Gefangenen machen zu lassen, aber die wussten nicht, was sie da taten und für wen.
Honecker, Mittag und Co. hatten nachher so viele Trophäen, dass sie gar nicht mehr alle aufhängen konnten. Manch einer von den Jägern aus den Jagdkollektiven wäre froh gewesen, wenn er eine Trophäe bei sich in der Wohnstube gehabt hätte. Bei Mittag ging es irgendwann nicht mehr um die Trophäe, sondern nur noch ums Schießen. Honecker verschenkte Trophäen auch an Mitarbeiter aus dem Personenschutz. Ansonsten gingen die auch nach Thüringen in eine Knopffabrik. Wenn die Repräsentanten Trophäen verkauft haben, dann haben sie – bis auf Honecker – das Geld in die eigene Tasche gesteckt. Das lief auch bei den Abschussprämien so. Die hat auch jeder Kollektivjäger bekommen. Für ein Wildschwein gab es 15 oder 10 Mark. Die Prämien wurden am Ende eines Jagdjahres ausbezahlt. Nur Honecker hat das an den Prämienfonds des Militärforstbetriebes weitergleitet und es wurde an dessen Mitarbeiter ausbezahlt.
DA: In Ihrem Buch beschreiben Sie auch die Waldschäden, die durch den hohen Wildbestand entstanden. Was wurde dagegen unternommen?
Helmut Suter: Bis Ende 1989 galt in den Staatsjagdgebieten ähnlich wie zur Kaiserzeit und wie unter dem führenden Nazi Göring der Grundsatz: Wild vor Wald. Der Wald war also nur Mittel zum Zweck. Das Wild hat aus Langeweile die Bäume geschält. Diese wurden dann durch Einzelbaumbehandlung durch ein Drahtgeflecht geschützt. Bei Tausenden von Bäumen, ist das ein enormer finanzieller Aufwand.
Am 8. November schoss Honecker seinen letzten Hirsch in der Schorfheide.
DA: Selbst im Herbst 1989 ging Honecker noch zur Jagd. Wie kam es, dass er trotz der friedlichen Revolution und der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR weiter seinem Hobby frönte, als sei nichts gewesen?
Helmut Suter: Honecker nahm die Stimmung in der DDR und die Rufe nach Veränderungen durchaus wahr, aber er vertraute offensichtlich auf die Versicherungen Mielkes, dass die Proteste vom Westen gesteuert seien, nicht von Dauer sein würden und alles unter Kontrolle sei. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation soll auch nach Auskunft von Honeckers Personenschützer Bernd Brückner (Major des MfS, die Red.) Günter Mittag vieles vertuscht und abgewiegelt haben. Man habe alles im Griff und er müsse sich keine Sorgen machen, hieß es stets. Honecker hatte allem Anschein nach kein gesundes Misstrauen gegenüber seinen Getreuen. Er holte keine eigenen Erkundigungen ein, sondern glaubte, was ihm vorgelegt wurde. Er verstand auch nicht, dass alles um ihn herum zusammenbrach. Dass er weiter zur Jagd ging, ist wieder ein Beleg für die Abgehobenheit und die Missachtung der Bevölkerung. Noch am 14. Oktober 1989 jagte Honecker zusammen mit Mittag. Nach seinem erzwungenen Rücktritt am 18. Oktober hatte sein Nachfolger Egon Krenz ihm zugesagt, dass er wie bisher seiner privilegierten Jagd nachgehen könne. Am 8. November schoss Honecker seinen letzten Hirsch in der Schorfheide.
An der Müritz, wo Stoph sein Jagdgebiet hatte, gab es im November 1989 Unruhe und die Häuser wurden gestürmt.
DA: Der Großteil der Bevölkerung erfuhr erst ab November 1989, was in den Sonderjagdgebieten vor sich ging. Wie reagierte sie auf das, was sie dort sah?
Helmut Suter: Vor allem an der Müritz, wo Stoph sein Jagdgebiet hatte, gab es Unruhe und die Häuser wurden gestürmt. Die Bürgerinnen und Bürger sahen, dass er aufwendige Gewächshäuser betrieb und was dort an Trophäen herumlag. Dabei wurde auch deutlich, dass Honecker im Vergleich zu Stoph doch eine gewisse Akzeptanz in der Bevölkerung hatte. Denn in der Schorfheide blieb es ruhig. Honecker hatte die Bürgerinnen und Bürgern der DDR nicht am Zutritt der Schorfheide gehindert. Man konnte an seinem Jagdhaus vorbeigehen. Er hat sich nur auf seinen Personenschutz verlassen. Bei Stoph dagegen und auch bei Mittag galt strenge Abschottung. Mittags Familie hat auch sofort gepackt und das Jagdhaus über Nacht geräumt. Als dort die Bürger sahen, dass er ein Schwimmbad hatte, das im November 1989 beheizt wurde, waren sie vollkommen entsetzt.
DA: Wie wurden die Jagdprivilegien der DDR-Staatsführung in der Wendezeit betrachtet?
Helmut Suter: Die Jagdprivilegien der DDR Staats- und Parteiführung und die damit verbundenen Kosten wurden zunächst durch den Untersuchungsausschuss der Volkskammer der DDR zur Überprüfung von Amtsmissbrauch, Korruption und der persönlichen Bereicherung ab Ende 1989 öffentlich bekannt. Honecker, Mielke, Mittag, Stoph und Tisch kamen später wegen Korruption und Amtsmissbrauch vor Gericht, aber keiner von ihnen wurde zu einer Strafe verurteilt, weil sie entweder verstarben oder aus Gesundheitsgründen die Haft nicht mehr antreten konnten.
DA: Zum Abschluss noch eine Frage: Wer darf heute in der Schorfheide jagen?
Helmut Suter: Heute kann jede Bürgerin und jeder Bürger einen Jagdschein machen und einen sogenannten Begehungsschein bei der Forstverwaltung erwerben, um in der Schorfheide zur Jagd zu gehen. Je nach Geldbeutel können auch Pirschgebiete gepachtet werden. Außerdem gibt es Vorgaben, was geschossen werden darf. Wer eine große Trophäe schießen will, muss dafür bezahlen.
Interview: Anja Linnekugel
Hier können Sie den ersten Teil des Interviews nachlesen:
Zitierweise: „Jagdfieber von Honecker und Co. zahlte die Bevölkerung“ – Teil II: Jagdprivilegien der DDR-Staatsführung, Interview mit Helmut Suter, in: Deutschland Archiv, 22.5.2018, Link: www.bpb.de/291693