Die vollständige und dauerhafte Entmilitarisierung Deutschlands war auf der Potsdamer Konferenz der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1945 noch eine der wenigen unstrittigen Zielvorstellungen aller Konferenzteilnehmer. Sehr schnell führten jedoch die zunehmenden ideologischen Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion (UdSSR) zu einer Neuorientierung und Neubewertung der künftigen sicherheitspolitischen Rolle des in Besatzungszonen aufgeteilten Deutschlands.
Bereits im April 1945 hatte Stalin gegenüber einer jugoslawischen Delegation angedeutet, dass die Besetzung von Territorium gleichbedeutend mit der Übernahme des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems sein würde. Dies wurde konsequenterweise oft zum Ausgangspunkt des Kalten Krieges und der Entscheidung über die in der Retrospektive als unausweichlich angesehene doppelte Staatsgründung des besetzten Deutschlands gemacht.
Für die deutschen Kommunisten im Exil war vieles ungewiss
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 setzte unmittelbar die Entrechtung und Verfolgung politisch Andersdenkender ein. Zu den ersten Opfern gehörten die Vertreterinnen und Vertreter der organisierten Arbeiterschaft aus Sozialdemokratie, Kommunisten und Gewerkschaften. Die Führungskader der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) hatten sich nach Zwischenaufenthalten in Westeuropa seit 1935 dauerhaft in Moskau organisiert. Als die deutschen Kommunisten im sowjetischen Exil um den späteren DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck und den späteren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht als Ehrengäste Stalins an der Siegesparade der Roten Armee in Moskau anlässlich der deutsche Kapitulation am 9. Mai 1945 teilnehmen durften, war ihre zukünftige Aufgabe völlig unklar: Sollten Sie einen eigenen Staat gründen oder die Einheit Deutschlands wahren?
Offiziere der Wehrmacht schlossen sich im Juli 1943 im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Krasnogorsk unter Führung des Arbeiterdichters Erich Weinert zum Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) zusammen. Im September des gleichen Jahres fand unter Führung von Ulbricht und Pieck im Lager Lunowo die Gründung des Bundes Deutscher Offiziere (BDO) statt. Beide Gruppierungen taten sich unter dem Namen NKFD zusammen und forderten für die Zeit nach dem Sturz der nationalsozialistischen Diktatur die ,,Schaffung einer Volksarmee, die den Interessen des Volkes dient“. Diese Forderungen hatten zu diesem Zeitpunkt auch utopischen Charakter: Einerseits hatte Pieck dieser Gruppe unmittelbar vor seinem Abflug nach Berlin am 1. Juli 1945 versichert, dass diese sehr bald verantwortliche Stellen beim Wiederaufbau Deutschlands nach dem Untergang des ,,Dritten Reichs“ innehaben würde. Andererseits wurde das NKFD auf Weisung Stalins im November 1945 aufgelöst. Das Interesse der Sowjetunion konzentrierte sich in ihrer Besatzungszone nun auf geheime militärische Rüstungsprojekte der Wehrmacht und das technologische Wissen von Wissenschaftlern, die im Einzelfall gemeinsam mit der gesamten Belegschaft von Rüstungsbetrieben in die Sowjetunion verbracht wurden.
Bei den US-Streitkräften wuchs zeitgleich mit der stärker werdenden Konfrontation mit der ehemals verbündeten Sowjetunion das Interesse an der operativen Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs. Ab Januar 1946 wurde Generaloberst a.D. Franz Halder auf Betreiben der Operational History (German) Section als Leiter und Ansprechpartner der fast 300 ehemaligen deutschen Offiziere umfassenden Studiengruppe bestimmt. Halder war seit Beginn des Zweiten Weltkrieges als Chef des Generalstabs des Heeres an maßgeblicher Stelle mit der Planung und Durchführung des Feldzugs gegen die Sowjetunion beteiligt gewesen. Dieses Wissen aus erster Hand wollten die US-Militärs nunmehr für sich nutzen.
Der Kalte Krieg verändert die Zielsetzungen der Besatzungsmächte
Nach der Wahl des Kommunisten Pieck und des Sozialdemokraten Otto Grotewohl zu den Vorsitzenden der aus der Zwangsvereinigung von SPD und KPD hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) stellten sich seit April 1946 auch sicherheitspolitisch konkrete Aufgaben. Stalin selbst forderte seinerseits von den Funktionären die Erarbeitung von Richtlinien für eine künftige Staatsordnung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Dazu gehörte die Schaffung einer 2500 Mann umfassenden Grenzpolizei, die der Deutschen Verwaltung des Innern und damit dem Parteivorstand der SED unterstand.
Erste Überlegungen zur Sicherheitspolitik der westlichen Besatzungszonen stellte ein Gremium an, das am 15. April 1947 mit Zustimmung der US-Regierung von den Ministerpräsidenten in der amerikanischen Besatzungszone ins Leben gerufen wurde: Das Deutsche Büro für Friedensfragen. Unter Einbeziehung ehemaliger Offiziere wurde unter Federführung des ehemaligen Generalleutnants Dr. Hans Speidel ein Gutachten verfasst, das feststellte, dass die militärische Sicherheit Westeuropas ohne Einbezug des westdeutschen Potenzials unmöglich sei.
Das streng geheime Memorandum erreichte den Vorsitzenden des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer. Als Adenauer am 15. September 1949 zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, wusste der 73-Jährige laut seiner eigenen Memoiren, dass zum einen die ,,Zeit für eine Bewaffnung Westdeutschlands noch nicht reif war“, zum anderen aber auch, dass die Westmächte in der Bundesrepublik zumindest langfristig einen gleichberechtigten Partner im Ost-West-Konflikt erkennen mussten.
Seit April 1948 steigerte sich in der SBZ das Interesse an den bestehenden zentral geführten und kasernierten Polizeibereitschaften, die durch die Zuführung von Granatwerfern und schweren Waffen aus Beständen der Roten Armee bereits mehr an militärische Verbände erinnerten. Nichtsdestotrotz betonte die SED offiziell den polizeilichen Charakter der Verbände und beauftragte Erich Mielke aus dem Zentralkomitee (ZK) der SED mit der Rekrutierung von 4774 ehemaligen Wehrmachtssoldaten unmittelbar aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, um die Verbände mit Polizisten aufzufüllen. Zur Überraschung der Funktionäre brachten die ehemaligen Soldaten laut dem Abschlussbericht über die Heimkehrertransporte vom Herbst 1948 eine ,,starke Abneigung gegen Uniformierung und Kasernierung“ und eine ,,weit verbreitete antisowjetische Haltung“ mit. Dies erschwerte die angestrebte Verwendung der Heimkehrer, die sich offensichtlich etwas anderes unter dem Polizeidienst vorgestellt hatten als „Kasernierung und Ausbildung am Großgeräte (Panzer, d. Verf.)“. Der Bericht lässt den Schluss zu, dass sie eher das Bild vom Schutzmann der Weimarer Republik oder des Kaiserreichs vor Augen hatten. Schwieriger wurde die Situation zusätzlich dadurch, dass die SED ihre gewonnene Gestaltungsmöglichkeit auf diesem Politikfeld durch die Konzentration auf Arbeiter und kommunistische Teilnehmer am Spanischen Bürgerkrieg unter Verzicht auf Wehrmachtsoffiziere umsetzen wollte.
Der Elitenwechsel, der sich in der SBZ spätestens seit 1946 mit der Kollektivierung der Landwirtschaft angedeutet und Verwaltungen, Schulen, Universitäten sowie Unternehmen erfasst hatte, sollte sich auch in diesem für den künftigen Staat sensiblen Bereich spiegeln. Letztlich sah sich aber die Führung der SED nolens volens aus Effizienzgründen veranlasst, fünf kriegsgefangene Generäle und 100 weitere Offiziere der Wehrmacht weiter zu verwenden. Dabei betrug der Anteil der Offiziere mit Vordienstzeiten aus der Reichswehr und der Wehrmacht lediglich 2,1 Prozent am gesamten Offizierskorps. Als Stabschef wurde im Einvernehmen mit der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) der durch seine Tätigkeit im NKFD bereits bekannte ehemalige Generalleutnant Vincenz Müller bestimmt. Bis zur offiziellen Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) am 7. Oktober 1949 wurde der Aufbau von 24 Infanterie-, acht Artillerie-, drei Panzerbereitschaften sowie einiger Ausbildungsschulen unter Aufsicht sowjetischer Berater abgeschlossen.
Ebenfalls noch vor der Wahl Adenauers zum ersten Bundeskanzler hatte sich das US-State Department am 23. März 1949 in einem Geheimpapier auf die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte festgelegt. Allerdings unter der Prämisse, dass die in der NATO organisierten Bündnispartner ,,…ein gewisses Maß an deutscher Bewaffnung“ als Stärkung der Sicherheit Westeuropas ansehen würden. Doch es sollte noch bis zum Mai des Folgejahres dauern, bis die Alliierten Hohen Kommissare den Startschuss für eine offizielle Beschäftigung Adenauers mit sicherheitspolitischen Fragestellungen gaben. Bei der Berufung des Generals der Panzertruppe a.D. Gerhard Graf von Schwerin im Mai 1950 zu seinem Berater zeigte sich der Regierungschef an dem ,,geräuschlosen Aufbau einer Bundespolizei“ ebenso interessiert wie an einer Liste ,,ehemaliger Generäle, die er gelegentlich zu empfangen wünsche“. Die Dienststelle von Schwerin war im Bundeskanzleramt angesiedelt und erhielt den Tarnnamen Zentrale für Heimatdienst (ZfH) (nicht zu verwechseln mit der Bundeszentrale für Heimatdienst). Der Tarnname war notwendig, da zu dieser Zeit laut dem „Gesetz der Alliierten Hohen Kommission zur Ausschaltung des deutschen Militarismus“ Vorbereitungen zur Wiederbewaffnung Deutschlands untersagt waren. Außerdem sollte eine öffentliche Debatte über die Wiederbewaffnung vermieden werden.
Die ZfH sollte mit Blick auf mögliche innenpolitische Verwerfungen im Auftrag Adenauers Distanz zu denjenigen halten, die als Angehörige der Militärelite offenkundig das nationalsozialistische Unrechtsregime selbst in den Augen der damaligen Zeitgenossen besonders stark mitgetragen hatten. Von den Wünschen des Kanzlers ausgehend, entwarf Schwerin ohne Wissen des für Polizeifragen zuständigen Innenministers und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann Konzeptionen für eine mobile Bundespolizei. Hierbei waren der Kalte Krieg und die von Berater Schwerin angenommene sowjetische Bedrohung Gründe für eine militärische Aufrüstung Westdeutschlands, die seiner Auffassung nach im sicherheitspolitischen Interesse des Westens liegen sollte.
Zeitgleich gelang es der DDR-Führung mit der Einrichtung der ,,Hauptverwaltung für Ausbildung“ innerhalb des Innenministeriums ein zentrales Organ zur Führung der Bereitschaften zu etablieren.
Koreakrieg – Katalysator für die Sicherheitspolitik in Ost und West
Der Beginn des Koreakriegs am 25. Juni 1950 wirkte in beiden deutschen Staaten wie ein Katalysator. Der Krieg in Asien wurde als Beginn einer neuen globalen Systemkrise empfunden und löste gerade in Deutschland Befürchtungen vor einem Dritten Weltkrieg aus. Der US-Generalstab empfahl dem Präsidenten bereits 48 Stunden nach Kriegsbeginn die frühestmögliche Aufstellung westdeutscher Streitkräfte. Der Arbeitsstab „Schwerin“ hatte mit Genehmigung der Westalliierten zwischenzeitlich die alsbaldige Einberufung einer Expertenkommission unter dem Namen „Studienkommission für deutsche Sicherheitsfragen“ vorbereitet. Truppenführer und Generalstabsoffiziere der ehemaligen Wehrmacht wurden namentlich dem US-General George Hays vorgeschlagen. Dieser achtete darauf, dass die Personalauswahl trotz Kontinuität auf diejenigen Militärs fiel, die einen Neuanfang für die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte ermöglichen konnten.
Im Oktober 1950 traf sich die Expertengruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen Generalobersten Heinrich von Vietinghoff – offiziell als ,,Zusammenziehung der Versicherungsagenten“ bezeichnet – im Eifelkloster Himmerod. Zusätzlich zu den operativen Überlegungen zur Aufstellung von zwölf westdeutschen Heeresdivisionen mit Luftwaffen- und Marinekontingenten standen auch Themenfelder wie die Einordnung der künftigen Streitkräfte in die Demokratie sowie die Integration in das westliche Bündnis an. Im Gegensatz zu den ostdeutschen Planern, die einen Elitenwechsel auch im Militär anstrebten, sahen die westdeutschen Experten das Abitur als Mindestvoraussetzung für die Offizierslaufbahn an und setzten auf die für Westdeutschland typische personelle Kontinuität mit Blick auf eine Neuverwendung. Von den Westmächten wurde als Gegenleistung für den Militärbeitrag die volle Souveränität, militärische Gleichberechtigung und die Rehabilitierung deutscher Soldaten gefordert.
Mit Blick auf bevorstehende Verhandlungen der Bundesrepublik galt es, dem Primat der Politik über das Militär zu entsprechen. Adenauer löste ebenfalls im Oktober 1950 die ZfH auf und setze den Zivilisten und Gewerkschafter Theodor Blank als „Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ ein. Auch das sogenannte Amt Blank war Teil des Bundeskanzleramtes.
Durch die Aufstellung des Bundesgrenzschutzes (BGS) im März 1951 gelang es Adenauer, einen 10.000 Mann umfassenden paramilitärisch organisierten Nukleus zu schaffen, der sich vor allem auf ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der Wehrmacht stützte und weitere Optionen offen hielt. Mit Gerhard Matzky stand ein ehemaliger General und kein Polizist an der Spitze des Verbands. Währenddessen formierte sich innerhalb und außerhalb des Parlaments der Widerstand gegen die Militärpläne Adenauers. Deren Ablehnung speiste sich aus verschiedenen Quellen: Sie reichte von einem grundsätzlichen Pazifismus als Antwort auf die nationalsozialistischen Verbrechen, über die Angst vor einem neuerlichen Weltkrieg bis hin zur Befürchtung vor allem von führenden Sozialdemokraten, dass eine Bewaffnung die deutsche Teilung für immer zementieren würde. Die Vorbehalte gingen – wenn auch unterschiedlich ausgeprägt – durch alle Parteien, Schichten und Altersgruppen der Bevölkerung und äußerten sich in allen Protestformen einer pluralistisch verfassten Gesellschaft.
Auch die UdSSR reagierte 1950 auf den Koreakrieg und gestattete der DDR mit dem heimlichen Aufbau einer ostdeutschen Luftwaffe in der „Zweigstelle Johannisthal“ zu beginnen. Im April 1952 erging in der DDR der plakative Auftrag Stalins an Pieck und Ulbricht, eine „Volksarmee ohne Geschrei“ aufzustellen. Damit war der offizielle Startschuss für die ostdeutschen Planer gegeben. Da die Bevölkerung die Wiederbewaffnung ablehnte, bestand ein Zielkonflikt zwischen Geheimhaltung und effizienter Umsetzung.
Bundesgrenzschutz und Kasernierte Volkspolizei als Planungsgrößen
Stalin hatte noch im März 1952 in einem in seiner tatsächlichen Bedeutung bis heute in der Geschichtswissenschaft umstrittenen Notentausch den westlichen Siegermächten sogar die Wiedervereinigung Deutschlands als Gegenleistung für dessen künftige Neutralität in Aussicht gestellt. Adenauer lehnte dies zu Gunsten seiner Politik der engen Westbindung ab. Danach hatte die Sowjetunion offensichtlich ihre gesamtdeutschen Ambitionen endgültig aufgegeben. Nun war die UdSSR an der Einbeziehung der DDR im Rahmen ihrer Sicherheitskonzeption interessiert. Die Zuführung von 361 sowjetischen Kampfpanzern und die Erlaubnis zur Aufstellung der Kasernierten Volkspolizei (KVP) als Vorläufer einer Armee im Juli 1952 belegten den Wandel. Dies interpretierte die SED-Führung als Bestandsgarantie für ihren Staat seitens der Besatzungsmacht. Der plötzliche Tod Stalins im März 1953 und die Niederschlagung des Volksaufstands in der DDR durch die Rote Armee stellte die Bemühungen der SED, sich als loyaler Partner anzubieten, erst einmal zurück. Die Rote Armee hatte die KVP während des Volksaufstands am 17. Juni 1953 lediglich in Alarmzustand versetzt und die Verfügungsgewalt über das Großgerät sowie die Munition nicht aus der Hand gegeben.
Im Westen hatte die neue US-Regierung unter Eisenhower im Rahmen ihrer New Look Strategy Adenauer während dessen Besuchs in Washington ihr Interesse an der Aufstellung westdeutscher Verbände signalisiert. Adenauers Wahlsieg im September 1953 gab auch seinem parlamentarisch umstrittenen Kurs der Westbindung neue Legitimation.
Bereits im November entwickelte Wolf Graf Baudissin ausgehend von einer reflektierten und selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Wehrmacht und ihrer aktiven Einbindung in das menschenverachtende nationalsozialistische Unrechtssystem des ,,Dritten Reichs“ seine Konzeption des Staatsbürgers in Uniform. Damit und durch das Leitbild der Inneren Führung entstand ein Bild des Soldaten und der Armee in der Demokratie, an dem sich die Planer im Westen orientieren konnten.
Frankreich hatte versucht mit seiner Konzeption einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) seit 1952 Einfluss auf die westdeutsche Wiederbewaffnung zu gewinnen. Doch aufgrund des Drucks seiner Verbündeten Großbritannien und der USA konnte sich Frankreich der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO nicht mehr entziehen. Die Pariser Verträge gestatteten Westdeutschland im Oktober 1954 die Aufstellung von nationalen Streitkräften im Umfang von 500.000 Mann.
Im Dezember 1954 trat Ulbricht erstmals öffentlich mit der Forderung nach Schaffung nationaler Streitkräfte auf und erteilte – wohlwissend um die Stimmung in seiner Partei und der Bevölkerung – dem von ihm kritisierten ,,Pazifismus in Arbeiterklasse und den werktätigen Bauern“ eine in dieser Form ungewöhnlich klare Absage. Die Parteiführung legte zudem fest, dass sich zum 1. Mai 1955 40.000 jugendliche Parteimitglieder auf ,,freiwilliger Basis“ zur Ableistung ihres Dienstes in den bewaffneten Kräften verpflichten sollten.
Im Juni 1955 wurde aus dem „Amt Blank" das Bundesministerium für Verteidigung. Theodor Blank war der erste Bundesminister für Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland. Am 12. November 1955 – dem 200. Geburtstag des preußischen Militärreformers Gerhard von Scharnhorst – erhielten die ersten 101 Soldaten der westdeutschen Streitkräfte ihre Ernennungsurkunden, wenngleich erst der Übertritt von 9572 Beamten des Bundesgrenzschutzes zum 1. Juli 1956 das Planungsziel, drei Rumpfdivisionen aufzustellen, ermöglichen sollte. Am 1. April 1956 erhielten die westdeutschen Streitkräfte den Namen Bundeswehr.
In der DDR wurde die geschlossene Überführung der Kasernierten Volkspolizei in die Nationale Volksarmee (NVA) am 30. April 1956 begonnen und am 31. Dezember des gleichen Jahres planmäßig abgeschlossen, nachdem die Volkskammer einstimmig am 18. Januar 1956 den notwendigen Gesetzen zugestimmt hatte.
Versuch einer Bilanz
Die Sicherheitspolitik der DDR bot trotz ihrer Intransparenz und Widersprüche unter den Bedingungen einer alle Lebensbereiche durchdringenden und die Medien kontrollierenden Staatspartei nach außen hin ein Bild der Geschlossenheit. Dahingegen verstärkte sich im Westen die inner- und außerparlamentarische Ablehnung der Wiederbewaffnung, desto konkreter und öffentlicher derartige Planungen wurden. Seine Wiederwahlen verdankte der erste Bundeskanzler den Erfolgen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und seinem Charisma als verlässlicher Transatlantik- und Europapolitiker, der die Westbindung der jungen Bundesrepublik ausgestaltete. Gleichwohl wusste Adenauer den politischen Vorteil, den die Anerkennung als militärischer Bündnispartner der westalliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs der noch jungen Bundesrepublik bot, für die eigene Außenpolitik innerhalb der Logik des Kalten Krieges zu nutzen.
Für Pieck und Ulbricht bedeutete der Beitritt zum Warschauer Pakt ebenfalls eine unübersehbare Statuserhöhung innerhalb des Ostblocks. Dadurch eröffnete sich die Chance, den in der DDR durch die sozialistische Umgestaltung eingeleiteten gesamtgesellschaftlichen Elitenwechsel im Sinne der Staatspartei auch im Militärapparat durchzusetzen. Hatte die doppelte Staatsgründung des Jahres 1949 in den Augen vieler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen noch Züge eines Provisoriums getragen, bedeutete die Integration zweier deutscher Staaten in antagonistische Militärbündnisse hingegen die dauerhafte Teilung Deutschlands und Europas, bis zu deren Überwindung Jahrzehnte vergehen sollten.
Zitierweise: Frank Heinz Bauer, ,,Geräuschlos“ und ,,ohne Geschrei!“ – Sicherheitspolitik von 1949 bis 1956, in: Deutschland Archiv, 4.4.2019, Link: www.bpb.de/288677