Im November 1984 erschien in der ABC-Zeitung das Märchen „Der Feuerdrache Zion“: Zunächst „klein, beinahe winzig“ wächst der „Feuerdrache Zion“ unter der mildtätigen Fürsorge „der Kinder Palästinas“ heran. Ausgewachsen entpuppt sich das Tier sodann als undankbares und nimmersattes Monstrum, das seine arglosen Gönner um Land und Ernte bringt. Als Lehre aus ihrem Schicksal erklären die Kinder Palästinas, in Zukunft nie wieder einem Drachen zu vertrauen, „mag er auch noch so klein und hungrig sein. […] Ein Drache bleibt doch immer ein Drache!“
In dieser Parabel auf die israelische Vertreibung der Palästinenser schrumpfte der Nahostkonflikt zu einem weltgeschichtlichen Lehrstück über den unverbesserlich-negativen Charakter des jüdischen Volkes zusammen. Zur Illustration war dem Text ein Lindwurm zur Seite gestellt. Der Schwanz des Tieres hielt einen goldenen Berg umschlungen, bei dem es sich um den geraubten Ernteertrag der Kinder Palästinas handeln sollte. Diese ansonsten eher als Goldschatz interpretierbare Anhäufung besaß die markante Form eines mittelalterlichen Judenhuts. Das Antlitz des Monstrums war nahezu menschlich geraten, trug jedoch stereotype Züge angeblich jüdischer Physiognomie: angefangen von einer stark überproportionierten Nase, spitzen Ohren und einer spitzbartförmig zulaufenden Kinnpartie. Die zur Steigerung der Monstrosität beigegebenen Hörner und Vampirzähne entstellten das Drachenhaupt nicht halb so sehr wie das diabolische Lächeln, mit dem das Ungetüm auf seine flehenden Opfer herabblickte. Wie war es möglich, dass Mitte der 1980er-Jahre eine derart dreiste Kompilation antisemitischer Stereotype und Darstellungsmuster Eingang in die Kinderpresse eines Staates finden konnte, der sich selbst als antifaschistisches Bollwerk gegen Fremdenhass und Antisemitismus verstand?
Das System der Kinder- und Jugendpresse der DDR
Der gemeinsame Herausgeber aller Kinder- und Jugendzeitschriften der DDR war der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Sie alle erschienen in den Verlagen „Neues Leben“ und „Junge Welt“ und waren als mehr oder weniger unterhaltsame Vehikel der politisch-ideologischen Beeinflussung der Jugend konzipiert. Welche große Bedeutung die FDJ ihrem propagandistischen Erziehungsauftrag beimaß, ließ sich an den hohen Auflagenzahlen der Kinder- und Jugendpresse ablesen: Rein statistisch entfielen auf jedes Kind der DDR 3,5 Zeitschriften im Monat.
Das Programm war stringent nach Altersgruppen gegliedert und auf eine möglichst einheitliche und lückenlose Lesesozialisation hin ausgerichtet: Den Auftakt bildete die Vorschullektüre BUMMI, gefolgt von der ABC-Zeitung für Jungpioniere und Schüler der Klassenstufen eins bis drei. Als deren Äquivalent für das höhere Alterssegment der Thälmann-Pioniere (10 bis 13 Jahre) folgte die Trommel. Großer Beliebtheit erfreute sich die aufwendig gestaltete und regelmäßig mit reichen Bastelbeigaben aufgewertete „Frösi“. Abseits der eigentlichen Pionierpresse bildete sich, in Reaktion auf den für schädlich befundenen Einfluss westlicher Comics, seit Mitte der 1950er-Jahre eine eigene Sparte textbegleiteter Bildgeschichten heraus. Hierzu zählte neben der bis heute fortgeführten Kultreihe Mosaik auch das 1955 ins Leben gerufene Magazin ATZE.
ATZE erschien monatlich in einer beständig hohen Auflage von etwa einer halben Million Exemplaren. Jedes Heft begann mit einer meist fünfseitigen Titelgeschichte. Die Zeichnungen stammten in der Regel aus der Feder von Günther Hain. Für die Texte war meist kein Geringer verantwortlich als der spätere Chefredakteur Wolfgang Altenburg. Fast ausnahmslos handelte es sich dabei um kindliche Helden- Abenteuergeschichten, deren Handlungen in historischen Kontexten wie der Russischen Revolution oder dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt waren. Mehrmals im Jahr entführte ATZE seine Leser allerdings auch an die Fronten des weltweit tobenden antiimperialistischen Widerstandskampfes und produzierte dabei eine Vielzahl von „Schwarz-weiß-Klischees in bunten Bildgeschichten.“
Die 1947 gegründete ABC-Zeitung erschien ab 1951 monatlich im Format eines 16 seitigen Magazins. Während der ersten beiden Jahrzehnte verharrte ihre jährliche Auflage zunächst bei durchschnittlich 300 000 Exemplaren. Zu Beginn der 1980er-Jahre überschritten die Absatzzahlen bereits die Schwelle von 800 000. Ihre höchste Jahresdurchschnittsauflage erreichte die ABC-Zeitung 1988: Ihr Absatzerfolg lag in diesem Jahr bei 936 600 Exemplaren.
Die „Trommel war 1948 zunächst noch unter dem Titel „Der junge Pionier“ ins Leben gerufen worden. Die 1958 vorgenommene Umbenennung erfolgte in Reminiszenz an das gleichnamige Organ der roten Jungpioniere in der Zeit von 1926 bis 1933. Am Ende der 1980er-Jahre erreichte das Blatt bereits eine durchschnittliche Auflagenzahl von mehr als 708 000 Exemplaren pro Woche, was nahezu einer Verdreifachung ihrer Startauflage von 1958 (243 000) gleichkam. Als Wochenzeitung war die Trommel darauf ausgerichtet, ihre Leserschaft mit aktuellen politischen Themenstellungen zu konfrontieren. Das Magazin war in dieser Eigenschaft überdeutlich als Hinführungsmedium in Richtung einer im Erwachsenenalter fortzuführenden Zeitungslektüre konzipiert. Der Vertrieb der beiden Pionierzeitungen erfolgte größtenteils direkt über die Schulen. Im Geist der Nachkriegszeit geboren, verstanden sich beide Blätter von Beginn an als erzieherische Werkzeuge „der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“. Als Erbe ihres einstigen Daseins als zunächst behelfsmäßige Lieferanten für „Unterrichtsmittel […] bei der Durchführung der demokratischen Schulreform“ waren die Inhalte beider Zeitschriften so gestaltet, dass sie unmittelbar als Materialfundus im Unterricht und in der nachmittäglichen Pionierarbeit Verwendung finden konnten. Von der Ursprungsmotivation, eine ideologisch vorgeschädigte Leserschaft zur „Abkehr vom faschistischen Ungeist“ erziehen zu wollen, blieb beiden Zeitungen bis 1989 das didaktische Selbstverständnis erhalten, positiv „auf die Bildung und Erziehung des Lesers einzuwirken, seinen Lerneifer zu stärken, seinen Charakter zu festigen und sein gutes Verhalten zu fördern“.
Auch die inhaltliche Struktur und Schwerpunktsetzung blieb über Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert: Neben heimatkundlichen Exkursen über die Schönheit der Natur und allerlei touristischen Anpreisungen ganzer Bezirke, einzelner Städte und deren Sehenswürdigkeiten sind es vor allem Rätsel, Mathematik-Olympiaden und Pionier-Sportwettkämpfe, die alljährlich im Takt des Schulkalenders wiederkehrten. Hinzu traten jeweils kindergerecht aufbereitete Inhalte staatlicher Propaganda. So luden beide Blätter Generationen von Kindern und Jugendlichen zu Ausflügen in die Kindheit und die späteren Schaffensphasen revolutionärer Anführer, gefallener Antifaschisten und späterer Staatslenker ein. Dieser ritualisierte Personenkult wiederholte sich anlässlich der Geburts- bzw. Todestage von Lenin, Thälmann und Pieck. Er war zentraler Bestandteil der nationalen Traditionspflege, die die Pionierpresse ihrer jungen Leserschaft angedeihen ließ, indem sie die antifaschistischen Gründungsmythen des SED-Staates kindergerecht reproduzierte und den übervollen Festtagskalender staatlicher Selbstbeweihräucherung zum eigentlichen Taktgeber ihrer Berichterstattung erhob.
„Bei uns und anderswo“ – Die Weltpolitik im Kinderformat
Die Erziehung zu internationaler Solidarität im Geiste des proletarischen Internationalismus gehörte zum Selbstverständnis aller Kinder- und Jugendzeitschriften der DDR. Sowohl die ABC-Zeitung als auch die Trommel unterhielten feste Rubriken für diese sehr spezielle Form außenpolitischer Berichterstattung und Weltwahrnehmung. Unter der Überschrift „Bei uns und anderswo“ bot jede Ausgabe der ABC-Zeitung Einblicke in den überwiegend als wenig beneidenswert beschriebenen Alltag von Kindern anderer Erdteile. Die Trommel widmete allein ein Viertel ihrer Berichterstattung der Außen- und Weltpolitik. Dabei wartete die Rubrik „Aus den Bruderländern“ nahezu ausschließlich mit technischen Fortschritten und industriellen Erfolgsgeschichten auf, wohingegen die wöchentlichen Berichte „Aus aller Welt“ und das „Geschehen im Westen“ sich lasen wie die nie endende Anklage sozialer Missstände kapitalistischer Gesellschaften. Darüber hinaus stand das Ressort der Außenpolitik ganz im Zeichen einer offensiv parteilichen und umso mehr selbstbezogenen Berichterstattung über die imperialistischen Verbrechen des Westens und den weltweiten Widerstands- und Befreiungskampf der Völker. In diesem Sinne waren auch die in Berichte, Reportagen und in fiktionale Formate gefassten Impressionen aus den jungen Nationalstaaten Afrikas und Asiens, aber auch aus Mittel- und Südamerika vor allem als weltpolitische Spiegelungen des eigenen Heimatkultes und der nationalen Identitätserziehung zu verstehen.
Der verordnete Internationalismus diente dabei vor allem in den ersten Jahrzehnten als Hilfskonstruktion, um die eigene Phantasmagorie außenpolitischer Souveränität und staatlicher Anerkennung publikumswirksam mit Leben zu füllen. Die zum Erziehungsziel erhobene Solidarität mit allen Schwachen dieser Welt ließ die DDR in den Augen der kindlichen Leserschaft im Glanz eines weltweit geachteten Fortschritts- und Friedensstaats erstrahlen, dessen humanitäre und technologische Unterstützung rund um den Globus mit dankbarer Bewunderung quittiert wurde. Die Adressaten der Solidarität wechselten mit den weltpolitischen Krisenherden und folgten der jeweiligen Himmelsrichtung, in der die DDR-Außenpolitik aktuell um staatliche Anerkennung und wirtschaftliche Zusammenarbeit buhlte.
Der Nahostkonflikt
Nachdem die DDR-Führung zum Ende der 1960er-Jahre in ihren offiziellen Stellungnahmen zum Nahost-Konflikt dazu übergegangen war, die eigene Verurteilung des israelischen Regierungshandelns mit immer nachdrücklicheren Bekundungen uneingeschränkter „Sympathie und Unterstützung für das arabische Volk von Palästina und dessen Kampf um seine unveräußerliche nationalen Rechte“ zu verbinden, schwenkten auch die Kinder- und Jugendmedien der DDR auf diese Linie ein. Dabei wurde der Konflikt mühelos in die zuvor etablierten Feindbildkonstruktionen eingewoben. Die Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israel geriet in diesen Darstellungen somit auch zum offenen Stellvertreterkonflikt beider deutscher Staaten. So wusste etwa das Magazin ATZE schon 1969 in der Rubrik „ATZE notiert“ zu berichten, dass „überall in der Welt, wo freiheitsliebende Völker überfallen, ausgeraubt und unterdrückt werden, […] Imperialisten, besonders die westdeutschen, am Werke“ seien. So würden z. B. „faschistische Offiziere aus Westdeutschland in Südvietnam, Israel, Portugal, Spanien, Griechenland und anderen Imperialistischen Staaten Söldner zur Unterdrückung der Völker“ ausbilden. Daneben zeichneten Pfeile auf einer Weltkarte nach, welch weltumspannendes Netz vermeintlich harmloser „Handelsbeziehungen, Hilfssendungen und Berater[tätigkeiten]“ die Bundesrepublik unterhielt, hinter denen sich in Wahrheit „Waffenlieferungen, Geldzuweisungen und [Militär-]Berater“ verbargen. Passend dazu hatten auf den ersten Seiten des Heftes bereits „500 westdeutsche Faschisten“ ihren Auftritt: Der im Kontext des angolanischen Befreiungskampfes angesiedelte Comic zeigte sie als Ausbilder marodierender „Kolonialsöldner“, denen sie beibrachten, „wie man foltert und Dörfer einäschert“.
Sechs Ausgaben später folgte ein erster ATZE-Comic zum Nahostkonflikt. Er zeigte die „von amerikanischen und westdeutschen Offizieren ausgebildete und von Imperialisten mit Milliarden Dollar und Westmark unterstützte Armee Israels“ bei ihrem „Überfall auf Abu-Zaabal“. Bei diesem Angriff auf das gleichnamige „Metallwerk […] in der Nähe des Suezkanals“ kommen „Bomben, Napalm und Raketen westdeutscher Produktion“ zum Einsatz. Zu den Überlebenden dieses Anschlags zählt auch der jugendliche Held der Geschichte: Hassan, der 1967 seine Eltern „auf der Flucht vor den Israelis“ verlor und angesichts der neuerlichen Aggression Israels erkennt, „daß es notwendig ist, die Heimat mit der Waffe zu schützen“.
In der Oktoberausgabe desselben Jahres folgte eine ausführliche Nachbereitung dieser Episode in Form einer „Zeittafel zu den Ereignissen im Nahen Osten“. In einem Dreischritt aus Staatsgründung, Suezkrise und Sechstagekrieg wurde der Nahostkonflikt rundheraus als das verbrecherische Werk „israelischer Imperialisten“ und „des „amerikanischen Monopolkapitals“ gebrandmarkt. Zudem erfuhren die jugendlichen Leser, dass Israels Entwicklung zu einem „aggressiven Staat“ erst mit massiver Unterstützung der „westdeutschen Regierung“ und westdeutscher „Konzernherren“ vonstattenging, die ihren israelischen Verbündeten „mit Milliarden D-Mark und modernen Waffen“ zur Seite standen. Zur abermaligen Verdeutlichung dieser unheilvollen Waffenbrüderschaft war der Chronologie eine Comiczeichnung beigefügt, die die Verladung westdeutscher Panzer unter israelischer Flagge zeigte. In einer Sprechblase prangten die Namen der Verantwortlichen: „Westdeutsche Reg. Mannesmann Thyssen Quandt Flick“. Die Bundesrepublik trat in all diesen Handlungen als NS-Nachfolgestaat und als eine von den USA und den Profitinteressen der eigenen Waffenindustrie gesteuerte Marionette in Erscheinung, wodurch das israelische Vorgehen bereits auf subtile Weise in die Nähe der deutschen NS-Verbrechen gerückt wurde.
Die DDR dagegen zelebrierte ihre internationale Solidarität als eine konsequente Fortführung ihrer antifaschistischen Tradition. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf ein Porträt verwiesen, das die ABC-Zeitung 1974 der Malerin Doris Kahane widmete. Der ganzseitige Text schilderte zunächst das persönliche Verfolgungsschicksal der Künstlerin, die einst vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen war und dort Zeugin wurde, „wie die Faschisten dreihundert Kinder verschleppten, um sie zu ermorden“. Die Erinnerung an dieses Verbrechen wurde sogleich mit einer Mahnung für die Gegenwart verbunden: „Denn der Faschismus hat noch immer viele Gesichter. […] Heute geht es um die Kinder Chiles, Moçambiques und der arabischen Länder.“ Ohne Israel offen beim Namen zu nennen, wurde der jüdische Staat beiläufig zu einem direkten Nachfahren des deutschen Faschismus erklärt. Im Interesse dieser besonders perfiden antiisraelischen Stilfigur ging man großzügig über die Tatsache hinweg, dass es sich bei den mahnend in Erinnerung gerufenen Vernichtungstransporten um die Deportation jüdischer Kinder gehandelt hatte. Ebenso blieb unerwähnt, dass auch Doris Kahane selbst aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt worden war.
„Weinen ohne Tränen – Die Kinder Palästinas“
In nahezu jeder Ausgabe der Pionierpresse inszenierte sich die DDR-Staatsjugend als hilfsbereite Fürsprecherin aller Kinder, die weltweit unter den Verheerungen des Imperialismus zu leiden hatten. Dabei standen die gerade jeweils in den Mittelpunkt gerückten Adressaten der eigenen Solidarität stets pars pro toto für die Gesamtheit dieser globalen kindlichen Opfergemeinschaft. Stellvertretend für den sich in den 1970er-Jahren abzeichnenden Aufstieg der Kinder Palästinas in die erste Reihe dieser Freundschaftsriege stand die 1973 in der ABC-Zeitung erschienene Fotoserie „Warum Achmed weint“. Die Bilderfolge ergab ein Panoptikum weltweiten Kinderleids und verhieß: „jeder dieser kleinen Jungen könnte Achmed sein. […] Überall, wo noch Kapitalisten das Volk ausbeuten und Krieg führen, gibt es Achmeds.“ Ein Foto auf der Eingangsseite des Heftes zeigte „Die Genossen Erich Honecker und Yasser Arafat [… als] herzlich begrüßte Gäste in der Pionierrepublik Ernst Thälmann“.
In den folgenden Jahren waren wiederholt Kindergruppen aus Jordanien, Syrien und dem Libanon zu Gast in Pionierrepubliken und Ferienlagern der DDR und wurden jeweils zum Gegenstand breiterer Berichterstattung in ABC-Zeitung und Trommel. Die Schilderungen der gemeinsamen Ferienerlebnisse von Jungpionieren und ihren arabischen Freunden vergaßen nie zu erwähnen, welch großes Glück es für die Gäste bedeutete, ihren gefahrvollen Alltag in den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens kurzzeitig gegen die Annehmlichkeit sozialistischer Gastfreundschaft tauschen zu dürfen. Die eigene Leserschaft war angesichts dieser wenig subtilen Gegenüberstellung von Flüchtlings- und Ferienlagern überdeutlich dazu eingeladen, gemeinsam mit ihren Gästen zu erkennen: „Wie schön es ist in einem friedlichen Land. Wie gut es den Menschen geht, wenn sie nicht unterdrückt werden.“
Der Libanon-Krieg 1982
Eine Zäsur in der Berichterstattung markierte der Libanonkrieg. Bereits Israels Luftangriffe auf PLO-Quartiere in Beirut vom 17. Juni 1981 gaben den Startschuss zu einer monatelang nicht abreißenden Medienkampagne, die von einer massiv verschärften Tonlage gekennzeichnet war. Aus den Sommerlagern in der Pionierrepublik drangen nun nicht mehr nur schwärmerische Anhimmlungen der gastgebenden DDR. An ihre Stelle traten offene Anklagen an die Adresse der israelischen Aggressoren, die man allerdings größtenteils geschickt als Zeugenberichte und Einordnungen der zu Wort kommenden Opfer schilderte. Ein 1981 in der Trommel erschienener Bericht über bombenverhagelte Anreisestrapazen einer durch die „Genossen der PLO“ nur mit Mühe aus Beirut ausgeflogenen Kindergruppe ließ die Pionierrepublik am Werbellinsee nahezu selbst wie ein Flüchtlingslager erscheinen. Ein nebenstehend zur dringenden Lektüre empfohlener Kommentar des Redakteurs Thomas Wüsten ordnete das Geschehen als einen „brutaler und offener als je zuvor“ ausgeführten „Terrorangriff“ ein, mit dem Israel versuche, „das um seine Rechte kämpfende palästinensische Volk [zu] vernichten“.
Das 25. internationale Sommerlager der Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“ geriet vor dem Hintergrund der Ereignisse des Jahres 1982 zu einer Weltbühne rührender Solidarität und Anklage: „Als Shadir am Eröffnungstag des Lagers die Fahne der PLO auf die Freilichtbühne trug, standen Kinder aus 40 Ländern auf. Beifall umbrauste ihn. Shadir, überwältigt von der internationalen Solidarität, weinte.“ Nur zwei Trommel-Ausgaben später kam Shadirs Begleiter Khalid zu Wort und klagte „die Israelis wegen grausamen Völkermordes an“ und verpflichtete sich feierlich dazu, „als Offizier der PLO für [… seine] freie Heimat Palästina und für eine glückliche Kindheit in einer Welt des Friedens, für Völkerfreundschaft und antiimperialistische Solidarität [zu] kämpfen“. Die Antworten der deutschen Pioniere klangen kaum weniger entschlossen: Auch sie forderten ein Ende des „israelischen Terrors“, beließen es aber beim erklärten Vorsatz, nach Beendigung der Ferien „gemeinsam gegen die unmenschliche Aggression Israels“ zu protestieren und zugunsten ihrer palästinensischen Freunde „Altstoffe sammeln“ zu wollen.
„Wie die Greueltaten der Faschisten“
Unter den wöchentlich auf Seite zwei platzierten Kurzmeldungen zur Außenpolitik fand sich zwischen 1981 und 1983 nahezu in jeder Trommel-Ausgabe ein Hinweis auf den „Terror Israels“. Wahlweise war dabei von „Terrorangriffen“, Luftterror", „Terrorurteilen“ und besonders oft von „Besatzerterror“ die Rede. Zu den angeprangerten „Verbrechen Israels“ zählte etwa der Granatenbeschuss von Wohngebieten, der Einsatz von „Giftgas“ sowie der heimtückische Abwurf als „Spielzeug getarnte[r] Bomben“.
Analog zur Berichterstattung in den Erwachsenenmedien der DDR gingen auch die Autoren der Trommel im Sommer 1982 verstärkt dazu über, direkte Parallelen zwischen der israelischen Aggression und den Verbrechen der Nationalsozialisten zu ziehen. So warf man Israel vor, einen „Ausrottungsfeldzug“ oder sogar „einen totalen Vernichtungsfeldzug“ gegen das palästinensische Volk zu führen. Jede seiner territorialen Expansionen bedeutete demnach nur einen weiteren „Schritt zum ‚Großisrael‘, von dem die Zionisten […] träumen“.
Die Anpassung an den allgemeinen Medientenor brachte die verstärkte Verwendung antizionistischer Worthülsen mit sich, die man den Kindern in mitgelieferten Glossaren zu erläutern versuchte. In der Trommel war hierfür die Rubrik „Ihr fragt“ und vor allem das sogenannte „Polit(!)Handbuch [sic!]“ zuständig. Der mit diesen beiden Rubriken inszenierte Austausch mit der eigenen Leserschaft bot sowohl Raum zur biografischen Würdigung Yasser Arafats als auch zur Definition, was unter einer „Aggression“ oder den „Golanhöhen“ zu verstehen sei. Die begriffliche Nachschulung zur Frage „Was ist Zionismus?“ verriet, dass es sich hierbei ursprünglich um „eine Bewegung innerhalb der jüdischen Bourgeoisie“ gehandelt habe, deren „Brutalität“ sich heute in der Politik Israels ausdrücke.
Direkte Gleichsetzungen mit den „Greueltaten der Faschisten“ nahm das Blatt hingegen zunächst nur in Form von Zitaten vor, die man der sowjetischen Berichterstattung entnahm. So traute man sich zunächst nur gemeinsam mit der „Prawda“ von einem „Völkermord“ zu sprechen, in dessen Verlauf „friedliche Einwohner […] mit Giftstoffen ausgeräuchert und in Konzentrationslager getrieben“ würden. Zur Ausschmückung dieser schiefen historischen Analogie hieß es: „Das ‚Groß-Israel‘ wird mit den gleichen Methoden errichtet wie auch das ‚Groß-Deutschland‘ des von den Völkern verfluchten ‚Dritten Reiches‘, und zwar durch Aggression und territoriale Eroberung auf Kosten der Knochen und des Blutes anderer Völker.“ Auch auf die Massaker von Sabra und Schatila reagierte die „Trommel" zunächst mit der Übernahme einer Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS. Der von christlichen libanesischen Milizen – unter Nichteingreifen der israelischen Armee – verübte Massenmord an palästinensischen Flüchtlingen wurde darin als eine abscheuliche „Bluttat Israels“ gegeißelt und in eine Reihe mit der „Massenvernichtung von Menschen in Babi Jar“ gestellt: „Was Israel auf libanesischem Boden betreibt, ist Völkermord. Das Ziel ist die Vernichtung der Palästinenser als Nation.“
In der Ausgabe der nächsten Woche ließ die Trommel eine Sonderseite zu den „abscheulichen Verbrechen Israels an den Palästinensern und Libanesen“ folgen. Der Leitartikel kam einer nur geringfügig abgemilderten stilistischen Nachahmung der sowjetischen Berichterstattung gleich: Abermals war von einem „Massenmord nach faschistischer Manier“ die Rede, der es verdiene „in einer Reihe mit den schrecklichsten Grausamkeiten an der Menschheit [zu] stehen“. Bei Weitem wirkmächtiger als der Text war eine Fotomontage, die, mittig platziert, etwa die Hälfte der Seite einnahm. Unter der Überschrift „Stoppt ihre Mörder!“ war in der oberen Bildhälfte das Doppelporträt zweier arabischer Jungen zu sehen. Darunter schloss eine äußerst schonungslose Aufnahme eines Leichenbergs an, bei dem es sich – der Bildzusammenstellung folgend – unmissverständlich nur um die letzte Ruhestätte der beiden ermordeten Kinder handeln konnte. Das Bild und der Text gaben den Opfern ein Gesicht und dem „Kindermörder Israel“ seinen Namen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der größte Teil der Trommel-Leserschaft die über Jahre in der Pionierpresse inszenierte Freundschaft mit den Kindern Palästinas allenfalls auf abstrakte Weise nachvollzog, bedarf es dennoch keiner allzu großen Fantasie, um sich vorzustellen, welch nachwirkenden Effekt es hervorrufen musste, die langjährigen Subjekte der eigenen Solidarität und kindlichen Identifikation nun plötzlich nach „faschistischer Manier“ ermordet zu sehen.
Hier können Sie den Interner Link: zweiten Teil des Artikels lesen.
Dieser Beitrag von Christian Gaubert entstammt dem Buch: Wolfgang Benz (Hrsg.), Antisemitismus in der DDR - Manifestationen und Folgen des Feindbildes Israel, erschienen 2018 im Metropol Verlag.