Der antifaschistische Anspruch der DDR hätte zu einer veränderten Homosexuellenpolitik getaugt. Denn schon in der Weimarer Republik waren die Vorgängerparteien der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) – die Sozialdemokratische und die Kommunistische Partei Deutschlands – für die Abschaffung des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches eingetreten, der das Instrument der Kriminalisierung und Verfolgung der Homosexuellen war und während der Zeit des Nationalsozialismus noch verschärft wurde.
Umgang mit Homosexualität in der frühen DDR
In den 1950er Jahren setzte sich vor allem ein Mann für die Abschaffung des Paragrafen 175 ein: Rudolf Klimmer, Psychiater und in der NS-Zeit Opfer des Paragrafen 175.
Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 ging es der SED vorrangig darum, ihre Macht zu sichern. Auch der Paragraf 175 wurde abermals gegen missliebige Männer angewandt, wie beispielsweise gegen den DDR-Justizminister Max Fechner. Dieser wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, später jedoch vollständig rehabilitiert.
Fehlende Öffentlichkeit: Schwul-lesbisches Leben nach dem 17. Juni
In diesem Klima war kein Platz für Schwule und Lesben. Die Agrarwissenschaftlerin und lesbische Aktivistin Ursula Sillge spricht davon, dass es in den 1950er Jahren in Ost-Berlin und Dresden je eine Kneipe für Lesben gegeben habe.
Die DDR war praktisch ein Land ohne öffentliche Orte für Homosexuelle. Das Klima war geprägt von medialer Verunglimpfung, staatlicher Überwachung und polizeilicher Verfolgung, ähnlich der Situation in der UdSSR.
In der Bundesrepublik hingegen war die Kommunikation innerhalb einer Szene anhand eigenständiger Publikationen seit Ende der 1960er Jahre möglich. Zwar wurden bestehende Zeitschriften wiederholt verboten,
Dieser Situation geschuldet nutzte man öffentliche Plätze, um in Kontakt zu treten: Öffentliche Toiletten, sogenannte Klappen, wurden zu Treffpunkten, Parks zu potenziellen Partnerbörsen. Diese Orte sind für Berlin
Rechtlich änderte sich die Lage 1968 mit dem neuen DDR-Strafgesetzbuch, in dem der Paragraf 175 durch den Paragrafen 151 ersetzt wurde. Fortan war Homosexualität zwischen Erwachsenen nicht mehr strafbar. Der homosexuelle Kontakt zu Jugendlichen wurde allerdings weiterhin unter Strafe gestellt, erstmals nun auch bei Frauen. Allerdings nutzten die DDR-Medien diese Verbesserung der Rechtslage nicht, das im Vergleich zur Bundesrepublik fortschrittlichere Handeln hervorzuheben und an die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung zu erinnern. Das Stigma blieb. Erst in den 1980er Jahren finden sich Berichte in der Presse, die die Änderung der Gesetzeslage für Homosexuelle 1968 explizit thematisieren.
Homosexualität in Wissenschaft und Forschung
Ab Ende der 1960er Jahre nahm sich die Wissenschaft des Themas Homosexualität an, allerdings mit eindeutigem Ziel. So glaubte der Endokrinologe Günter Dörner beweisen zu können, dass Homosexualität im Kindesalter mit der Verabreichung von Hormonen verhindert werden könne. Diese Forschungen fanden ein positives Presseecho.
Erst Mitte der 1980er Jahre fand langsam ein öffentliches und nachweisbares Umdenken statt. Dies zeigte sich in den Ratgebern zur Sexualität für Erwachsene. So wurde 1977 Homosexualität im Aufklärungsbuch „Mann und Frau intim“ als eine von mehreren Möglichkeiten menschlicher Sexualität dargestellt.
DDR-weit gab es von 1985 bis 1990 drei interdisziplinäre Workshops an verschiedenen Universitäten mit dem Fokus auf homosexuellen Emanzipationsbewegungen.
Schwul-lesbische Akteure in der DDR zwischen 1973 und 1989
Ermutigt durch den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ des Regisseurs Rosa von Praunheim, der 1973 von der ARD ausgestrahlt und auch in Ostdeutschland geschaut wurde, bildeten sich schwul-lesbische Gruppen, wie die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin (HIB). Die HIB wollte nach innen eine Art familiäre Struktur außerhalb der Subkultur bieten sowie die Öffentlichkeit in der DDR über Homosexualität und Homosexuelle informieren und aufklären. Ziel war es, nach dem Vorbild der Bürgerrechtsgruppen in der Bundesrepublik zu arbeiten. Der Absicht, Öffentlichkeit herzustellen, verpflichtet nahm die Gruppe 1973 mit dem Plakat „Wir Homosexuelle der Hauptstadt begrüßen die Teilnehmer der X. Weltfestspiele und sind für den Sozialismus“ an den Weltfestspielen der Jugend teil. 1974 gab es erstmals einen Vortrag zum Thema Homosexualität in der Berliner Stadtbibliothek.
Vielleicht gerade wegen dieses erfolgreichen, aber nicht staatlich gelenkten, gesellschaftlichen Engagements verweigerte das Innenministerium der HIB 1976 die Zulassung als Verein. In der Folge zogen sich die Lesben aus der HIB zurück und gründeten eine Frauengruppe um die bereits erwähnte Aktivistin Ursula Sillge, die via „Buschfunk“ das erste DDR-weite Lesben-Treffen im Gutshaus des Transvestiten Lothar Berfelde, alias Charlotte von Mahlsdorf, organisierte.
Im Februar 1982 fand in der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg eine Tagung zum Thema „Ein Plädoyer gegen tiefsitzende Vorurteile – Homosexuelle und Heterosexuelle in der Gesellschaft“ statt.
1988/89 kam es zur Gründung von schwul-lesbischen Gruppen bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und in Klubhäusern. In Leipzig nannte man sich „RosaLinde“, in Dresden „Gerede“. Ziel war es, ein schwul-lesbisches Engagement außerhalb der Kirche zu initiieren. Man versuchte auch, Parteimitglieder in bestehende Organisationen einzuschleusen oder dort angeschlossene Genossen für die SED-Ziele zu instrumentalisieren, beispielsweise im Sonntags-Club.
Um die Schwulen- und Lesbenbewegung international zu positionieren, durften sämtliche Mitglieder der Gruppe „Courage“, sowie drei aus allen kirchlichen Arbeitskreisen Homosexualität, 1989 zur internationalen Konferenz der International Lesbian and Gay Association (ILGA) in Wien reisen.
Das Verhältnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zur schwul-lesbischen Szene in der DDR
Die Vorurteile gegenüber der sich etablierenden Schwulen- und Lesbenbewegung waren weit verbreitet. Dies lässt sich an einem Beispiel zeigen: Der Ost-Berliner Magistrat gab 1983 an der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität eine Dissertation als „vertrauliche Dienstsache“ in Auftrag, die Personengruppen identifizieren sollte, „die als kriminalitätsverdächtig und in ihren Haltungen begünstigend für Asozialität in Erscheinung treten können“. Für den Autor stand außer Zweifel, dass darunter auch die „die große Gruppe der Homosexuellen“ fiel.
Folgt man den Ausführungen von prominenten Zeitzeugen, hat das MfS mit seiner Arbeit gegenüber der Schwulen- und Lesbenbewegung nichts Wesentliches erreicht. Die Schwulen- und Lesbenbewegung arbeitete sogar offen. Niemand versuchte zu kontrollieren, ob neue Leute vom MfS in die Gruppen geschickt worden waren, obwohl man davon ausgehen musste, dass das MfS die Gruppen durch Inoffizielle Mitarbeiter (IM) beobachten ließ. Durch dieses Verhalten sollte die Staatssicherheit an Ziele und Forderungen der Gruppen gelangen und wurde zum Teil sogar über Veranstaltungen informiert. Warum? In den Gruppen hoffte man auf eine Verbesserung der Politik für Homosexuelle. Bei einer angenommenen Anzahl von etwa 400 IM hatten Stasi und Partei durchaus Einblicke in die Wünsche und Ziele, doch führte dies nicht zur erwünschten Kursänderung.
Die normierte Gesellschaft der DDR und ihr Effekt auf das Leben Homosexueller
Die erste umfassende Umfrage zur Homosexualität in der DDR von 1990/91 stammt von dem zu diesem Zeitpunkt schon teilweise aufgelösten Zentralinstitut für Jugendforschung.
In der DDR waren Ehe und Familie die gegebene Norm. Laut Umfrage hatten zu Beginn der 1990er Jahre von den über 30-Jährigen 49 Prozent der Lesben und 42 Prozent der Schwulen Ehe-Erfahrungen. Elf Prozent der Lesben und zwölf Prozent der Schwulen waren zum Zeitpunkt der Befragung sogar in heterosexueller Variante verheiratet. In der Gruppe der über 30-Jährigen hatten 40 Prozent der befragten Schwulen und 53 Prozent der Lesben eigene Kinder.
Das sind Hinweise darauf, dass noch zu Beginn der 1990er Jahre, trotz der schärferen Gesetze, der gesellschaftliche Druck zur Anpassung für Homosexuelle in der Bundesrepublik geringer war als in der formierten Gesellschaft der DDR – 20 Jahre nach der Entschärfung des Paragrafen 175 und mehr als ein Jahr nach der Abschaffung des Paragrafen 151.
In der DDR wurde der Paragraf 151 im Jahr 1988 gestrichen, daher galt im wiedervereinigten Deutschland zweierlei Recht. 1994 kam es im Rahmen der Rechtsangleichung dazu, dass aufgrund der bestehenden Straflosigkeit im Osten auch in den „alten Bundesländern“ der Paragraf 175 abgeschafft wurde.
Fazit
In der DDR war die Situation der Schwulen und Lesben zunächst sowohl von den Auswirkungen der Verfolgungen und der Rechtsprechung der NS-Zeit, als auch den Impulsen der ersten Homosexuellenbewegung und deren Kampf für die Abschaffung des Paragrafen 175 in der Weimarer Republik geprägt. In Hinblick auf Verurteilungen in den 1950er und 1960er Jahren war die Situation in der DDR moderater als in der Bundesrepublik. Auch war die DDR in der Entwicklung des Rechts fortschrittlicher als die Bundesrepublik, da sie männliche Homosexualität 1968 zunächst weniger stark kriminalisierte und die entsprechende Sonderregelung 1988 ganz strich.
Trotz dieser juristischen Veränderungen war die DDR in vielerlei Hinsicht homophob. Man gestand Homosexuellen bis in die 1980er Jahre weder eigene Lokale, Vereinsgründungen oder Zeitschriften zu. Selbst Papierkontingente für Flugblätter wurden staatlicherseits nicht genehmigt. In Hinblick auf Öffentlichkeit und eigene Räume waren Schwule und Lesben schlechter gestellt als im Kaiserreich und der Bundesrepublik ab Ende der 1960er Jahre. Unterrichtsmaterialien stellten Homosexualität teils negativ oder pathologisch dar. Wissenschaftliche Forschungen zur Verhinderung von Homosexualität fanden positive Resonanz in den Medien. Die Staatssicherheit überwachte Homosexuelle und ihre Gruppen noch in den 1980er Jahren. Man stellte Analogien zwischen Homosexualität und Kriminalität her. Dies hatte deutliche Effekte auf eine negative Wahrnehmung von Homosexualität in der Bevölkerung und auf die Selbstwahrnehmung der Betroffenen.
Die sich in der DDR formierende Emanzipationsbewegung war durch dieselbe Filmproduktion beeinflusst wie die der Bundesrepublik und suchte sich auch später ihre Vorbilder im Westen. Solche aus der frühen Geschichte der UdSSR, wo die Strafbarkeit für Homosexualität – zwischen 1917 und 1934 – abgeschafft worden war, wurden nicht genutzt.
Anders als im Westen sind verblüffend viele Akteurinnen und Akteure auch Chronisten der Geschichte der Schwulen und Lesben der DDR, die inzwischen besser erforscht und detaillierter dargestellt ist als die der Bundesrepublik. Die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität in der DDR 1988 ebnete den Weg zur Streichung des Paragrafen 175 sechs Jahre später im wiedervereinigten Deutschland.
Zitierweise: Christian Könne, Schwule und Lesben in der DDR und der Umgang des SED-Staates mit Homosexualität, in: Deutschland Archiv, 28.2.2018, Link: www.bpb.de/265466