„Die Rosinenbomber kehren zurück“ – so textete Der Tagesspiegel am 20. November 2017. Sieben Jahrzehnte nach der Berliner Luftbrücke soll im Juni 2019 der „Big Lift“ der West-Alliierten noch einmal auf nostalgische Weise in Szene gesetzt werden. Mit Care-Paketen, Candy-Dropping und mit Schau-Flügen von mindestens vierzig jener DC-3- oder DC-4-Propellermaschinen, die die West-Alliierten für die Versorgung der Bevölkerung in ihren drei eingeschlossenen Berliner Sektoren einsetzten, soll diese historische Meisterleistung anschaulich gewürdigt werden. Der Mythos Luftbrücke, aufs Engste verbunden mit dem Flughafen Tempelhof, existiert auch heute noch. Er verblasst jedoch im Lauf der Zeit, wird von den Ereignissen der Friedlichen Revolution, der Deutschen Einheit und dem Ende des Kalten Krieges überlagert und ist gerade jüngeren oder zugewanderten Berlinerinnen und Berlinern oft nicht mehr gegenwärtig. Das geplante Reenactment des „Big Lift“ soll dazu beitragen, das Ereignis wieder im öffentlichen Gedächtnis zu verankern. Das Tempelhofer Flugfeld allerdings ist als Schauplatz für die Wiedersehens-Tour der „Rosinenbomber“ nicht mehr verfügbar. Im Jahr 2010 wurde es in einen Stadtpark umgewandelt und wird seitdem für vielfältige Freizeitaktivitäten genutzt.
Zur Vorgeschichte des jetzigen Flughafengebäudes
Auch wenn das Thema dieses Beitrags die Bedeutung des Flughafens für West-Berlin ist, soll die erstaunlich wenig bekannte Vorgeschichte kurz erwähnt werden. Gänzlich in Vergessenheit geraten scheint der Vorläufer, der in den Jahren 1924 bis 1929 auf dem Ostteil des Tempelhofer Feldes, in Verlängerung der Lilienthalstraße errichtete „Alte Hafen“. Die moderne, weltstädtische Anlage im Stil der Neuen Sachlichkeit entwickelte sich in kürzester Zeit zum „Luftkreuz Europas“ mit dem größten Passagieraufkommen aller europäischen Flughäfen. Von diesem hervorragenden Bau-Ensemble sind nur noch einige Bodenreste, Planungsunterlagen und eine Fülle interessanter Fotos vorhanden. Das jetzige, ab 1936 nach Plänen des Architekten Ernst Sagebiel errichtete „neue“ Flughafengebäude wiederum wird von einem Großteil der Berliner Bevölkerung bis heute nicht als nationalsozialistisches, von Hitler selbst für die zukünftige „Welthauptstadt“ bestimmtes Projekt wahrgenommen, sondern als genuin West-Berliner Bauwerk, dessen Geschichte erst mit dem Einzug der US-amerikanischen Alliierten und der Luftbrücke begonnen hat.
Tatsächlich weist die nach Hitlers Vorstellungen entworfene bauliche Anlage charakteristische Merkmale nationalsozialistischer Architektur auf.
Die Situation bei Kriegsende
Ende April 1945 erreichte die Rote Armee den Berliner Bezirk Tempelhof und nahm das Flughafengelände in Besitz. Soldaten brachten auf dem Dach des Empfangsgebäudes die Fahne der Sowjetunion an. Sie begannen mit der Sicherung und Instandsetzung des Gebäudes und nutzten das Areal für ihren Flugverkehr. Am 8. Mai landeten hier die Repräsentanten der West-Alliierten, Luftmarschall Tedder und General Lattre de Tassigny, begrüßt vom sowjetischen Oberkommandierenden Marschall Schukow, um im Offizierskasino Karlshorst, dem heutigen Deutsch-Russischen Museum, die Kapitulationsunterzeichnung der Spitze des deutschen Militärs formell entgegenzunehmen. Wenige Minuten nach ihnen landeten auch die deutschen Militärs in einem Flugzeug der US-Luftwaffe, das sie aus Flensburg abgeholt hatte.
Trotz zahlreicher Bombenangriffe war der Flughafenneubau weitgehend intakt geblieben. Der alte Flughafen hingegen wurde schwer beschädigt; auch die Baracken des Zwangsarbeiterlagers wurden fast vollständig zerstört. An der Neubau-Anlage waren kriegsbedingt viele Elemente der ursprünglichen Planung nicht mehr ausgeführt worden. Von der städtebaulichen Gesamtanlage wurde der Vorplatz mit den Rundbauten nur ansatzweise realisiert. Ungebaut blieb zudem die geplante Kaskaden-Architektur, die axial vom Vorplatz zum damals völkisch überhöhten Kreuzberg-Denkmal von Karl Friedrich Schinkel führen sollte. Unvollendet blieben auch die Treppentürme und die Dach-Tribünen, von denen aus mehr als 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer Schauübungen der Luftwaffe auf dem Flugfeld hätten sehen sollen.
Knapp zwei Monate nach Kriegsende bezogen US-amerikanische Truppen ihren Sektor in Berlin, zu dem auch der Bezirk Tempelhof gehörte. Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, übernahmen die US-Streitkräfte offiziell von den Sowjets ihren Sektor im Südwesten Berlins. Flughafen-Neubau und Flugfeld wurden zum streng kontrollierten Luftwaffenstützpunkt der US Army. Statt der Grasbahn, die für ihre schweren Maschinen nicht geeignet war, ließen die Amerikaner zunächst eine Start- und Landebahn aus Lochplatten anlegen.
Berlin-Blockade und Berliner Luftbrücke
Nachdem sich die vier Siegermächte nicht auf eine gemeinsame Währung als Basis für den Wiederaufbau der Besatzungszonen einigen konnten, zerbrach die Anti-Hitler-Koalition. Der Ost-West-Konflikt spitzte sich zu. Als die West-Alliierten am 23. Juni 1948 begannen, in ihren Sektoren die D-Mark einzuführen, sperrten sowjetische Truppen in der Nacht zum 24. Juni die Land- und Wasserwege in die West-Sektoren Berlins. Die West-Alliierten reagierten darauf mit der Entscheidung, die Versorgung per Flugzeug zu organisieren.
Zwischen dem 26. Juni 1948 und dem 6. Oktober 1949 transportieren Flugzeuge in 278.000 Einsätzen mehr als 2,3 Millionen Tonnen Fracht nach West-Berlin: Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs, Kohle, Maschinen, Ausrüstung, darunter auch für das Kraftwerk West. Alle zwei bis drei Minuten landete eine Maschine auf einem der drei Flughäfen. Auf dem Rückweg nahmen die Flugzeuge in West-Berlin hergestellte Produkte mit, Passagiere und auch Produktionsanlagen von Firmen, die ihren Standort verlagern wollten. Die Zuteilung der Lebensmittel und Güter pro Kopf war knapp bemessen. Mit Unterstützung von Verwandten, Freunden und Kollegen aus Ost-Berlin stockten die Berlinerinnen und Berliner – im Rahmen des „kleinen Grenzverkehrs“ – ihre Ration auf. Wer konnte, versorgte sich auf dem Schwarzmarkt. Die West-Berliner Bevölkerung stand mehrheitlich auf der Seite der Piloten. Blockade und Luftbrücke trugen wesentlich dazu bei, dass sie die westlichen Besatzungsmächte nun als Schutzmächte betrachteten.
Die Blockade West-Berlins war der erste Höhepunkt des Kalten Krieges. Die Sowjets beendeten sie nach schwierigen Verhandlungen offiziell am 12. Mai 1949. Die Luftbrücke lief noch bis in den Oktober mit bis zu 1000 Flügen pro Tag, um Vorräte anzulegen für den Fall weiterer Behinderungen im Berlin-Verkehr.
Dass die Luftbrücke auch unmittelbar mit dem Weiterleben von Juden nach dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung stand, ist nicht Teil der Luftbrückenlegende und heute weitgehend unbekannt. 5536 jüdische Männer, Frauen und Kinder flogen im Juli 1948 mit den Transportmaschinen von Tempelhof nach Frankfurt am Main. Berlin war seit Kriegsende Zwischenstation für Zehntausende jüdischer Flüchtlinge aus osteuropäischen Staaten, vor allem aus Polen.
Ein Mythos
Im Lauf der Jahre wurde die Luftbrücke zum Mythos. Sie galt als Beleg für die Zuverlässigkeit und Stärke der Schutzmacht USA, die auf den Durchhaltewillen der Bevölkerung angesichts kommunistischer Bedrohung bauen konnte, wie ihn Ernst Reuter am 9. September 1948 vor dem Reichstagsgebäude in seiner berühmten Rede beschworen hatte. Sie hatte den West-Berlinerinnen und -Berlinern die Gelegenheit gegeben, sich als „Vorposten der Freiheit“
1951 errichtete der Senat von West-Berlin als Zeichen der deutsch-amerikanischen Freundschaft, auch zum Gedenken an die Todesopfer der Flugunfälle, auf dem Platz der Luftbrücke das Luftbrückendenkmal nach einem Entwurf des Architekten Eduard Ludwig. Die 20 Meter hohe Betonskulptur, deren drei gebogene Rippen die drei Luftkorridore zwischen Berlin und den westlichen Besatzungszonen symbolisieren, war nicht unerwartet das erste monumentale Kunstwerk im West-Berliner Stadtraum. Das früheste West-Berliner Denkmal für die Opfer des NS-Regimes hingegen, ein kleiner steinerner Quader am Steinplatz, wurde 1953 nicht vom Land Berlin errichtet, sondern vom Bund der Verfolgten des Naziregimes.
Fluchtpunkt Tempelhof
Das unter dem Ansturm der Flüchtlinge 1950 von der Bundesregierung verabschiedete „Notaufnahmegesetz“ trat 1952 auch in West-Berlin in Kraft. Danach konnten 80 Prozent der hierher Zugewanderten in die Bundesrepublik ausgeflogen werden, wo sie auf verschiedene Flüchtlingslager verteilt wurden. Der Luftweg war die einzige unkontrollierte Verbindung in die Bundesrepublik; ein Transfer durch das DDR-Gebiet kam nicht in Frage. Bis zum Bau der Mauer 1961 sind so monatlich viele tausend Menschen mit dem Flugzeug von Tempelhof in eine neue Lebensphase gestartet.
Für eine andere Gruppe von Flüchtlingen war Tempelhof nicht Startpunkt, sondern Ziel: Zwischen 1963 und 1983 wurden 13 Flugzeugentführungen aus Ostmitteleuropa dokumentiert. Zeitungen berichteten sogar über knapp zwanzig erfolgreiche Fluchten aus Rumänien, Polen und der damaligen Tschechoslowakei.
Kinderluftbrücke
Mit der sogenannten Kinderluftbrücke flogen in den Jahren 1953 bis 1957 etwa 10.000 Kinder aus bedürftigen Familien in die Bundesrepublik zur Erholung bei Gasteltern oder in Kinderheimen. Hintergrund war die schwierige Nachkriegssituation in West-Berlin mit Wohnungsnot, Unterernährung und dem unablässigen Zustrom von Flüchtlingen. Die Kinderluftbrücke war ein humanitäres Hilfsprojekt, das insbesondere Kindern aus Flüchtlingsfamilien eine unbeschwerte Zeit gewähren sollte, zugleich aber auch ein Mittel der politischen Werbung im Kalten Krieg. Pressebilder von Abschieds- und Empfangszeremonien mit führenden Politikern und alliierten Offizieren sollten im In- und Ausland auf die besondere Problematik der Inselstadt aufmerksam machen. Unter dem Motto Kinderluftbrücke zogen die Initiatoren eine Verbindungslinie zur Luftbrücke von 1948/49, während der die Alliierten auch etwa 15.000 Kinder zur Erholung ausgeflogen hatten.
Flughafen der US Air Force und Zivilflughafen
Während der Luftbrücke entstanden in wenigen Monaten eine asphaltierte Landebahn und eine Startbahn, die Anflugbefeuerung und die Flugsicherheitszentrale mit Radarsystemen für die weitreichende Strecken- und die Anflugkontrolle. Bis zum Abzug der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs war der Flughafen Tempelhof Stützpunkt der US-amerikanischen Luftstreitkräfte. Gebäude und Gelände waren in die amerikanische Militärbasis und den Zivilflughafen geteilt.
1950 übergab der amerikanische Hohe Kommissar einen zunächst kleinen Teil des Flughafens an den West-Berliner Senat. Deutsche Piloten waren nicht zugelassen. Die West-Alliierten führten die Flüge durch – mit ihren Fluggesellschaften Pan American Airways (PAA), British European Airways (BEA) und Air France. Bald rangierte der Zivilflughafen Tempelhof vor Frankfurt am Main, Hamburg und Düsseldorf auf Platz eins der deutschen Flughäfen. Ab 1959 durfte die Berliner Flughafen Gesellschaft (BFG) die große Abfertigungshalle nutzen, den Vorhof und die angrenzenden Gebäude. Die östlich davon gelegenen Flächen waren bis zum Abzug der Alliierten im Jahr 1994 dem US-amerikanischen Army Aviation Detachment Berlin vorbehalten. Dazu gehörten auch viele Einrichtungen für die Versorgung, Freizeit und Unterhaltung der Soldaten, zum Beispiel Post und Bank, Bücherei und Läden, Sportstätten und das Kino Columbia Theater. Der US-genutzte Flughafenbereich öffnete sich für die begeisterten Berlinerinnen und Berliner nur einmal im Jahr zum „Tag der offenen Tür“.
Die Flugsicherheitszentrale blieb unter der Aufsicht der amerikanischen Luftstreitkräfte. Neben der Abwicklung des Flugverkehrs hatte die amerikanische Luftwaffe auch luftpolizeiliche Aufgaben. Außerdem gehörte die elektronische Aufklärung zu ihrem Einsatzbereich ebenso wie die Funkaufklärung der Luftstreitkräfte der Sowjetunion und der Staaten des Warschauer Paktes.
Tor zur Welt
Modenschau auf dem Flugfeld anlässlich der Eröffnung der direkten Fluglinie Berlin-Düsseldorf, 1954 (© picture alliance – akg-images, Foto: Gert Schütz)
Modenschau auf dem Flugfeld anlässlich der Eröffnung der direkten Fluglinie Berlin-Düsseldorf, 1954 (© picture alliance – akg-images, Foto: Gert Schütz)
Für die West-Berliner Bevölkerung war Tempelhof das Symbol für die unbehinderte Verbindung mit der Bundesrepublik und zugleich ihr von den US-Amerikanern garantiertes „Tor zur Welt“, Schauplatz für Auftritte der einfliegenden Prominenz aus Film, Mode, Pop und Politik. Die Insellage der Halbstadt und der besonders mühevolle Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ließen den Flughafen als Inbegriff großstädtischen Lebens erscheinen – mit repräsentativer Halle, modernem Design und internationaler Atmosphäre. Die Inszenierung des Einschwebens, das Öffnen der Flugzeugtür, das Hinabschreiten der Gangway, die Blitzlichtgewitter und die jubelnden Fans gaben der Nüchternheit des West-Berliner Alltags den oft vermissten weltstädtischen „Glamour“.
Im Brennpunkt des öffentlichen Interesses standen die prominenten Filmstars und Regisseure, die jährlich zur Berlinale anreisten, wie Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Geraldine Chaplin, Gary Grant, Gregory Peck, Maurice Chevalier und Eddie Constantine. Auf den Fotos jener Jahre ist das Who’s who der westlichen Filmwelt bei der Ankunft in Tempelhof versammelt.
Die Entscheidung für Tegel
Die technische, touristische und vor allem die politische Entwicklung brachte Tempelhof aber an seine Grenzen. Bereits 1960 landete Air France mit der „Caravelle“ wegen der längeren Piste auf dem Flughafen Tegel. Die dreistrahlige Boeing 727 der PAA und die zweistrahlige BAC 1-11 der BEA flogen weiterhin Tempelhof an. Als sich Düsenmaschinen auch für Urlaubsflüge durchsetzten, zogen die Charterunternehmen um nach Tegel, wo 1974 der Hauptterminal einer neuen Flughafenanlage eröffnet wurde. 1962 hatte der West-Berliner Senat unter dem Eindruck des Mauerbaus den Ausbau des Feldflughafens zum „Düsenhafen“ beschlossen. Im selben Jahr hatte die Bundesregierung erstmals Berlin-Flüge mit rund 30 Millionen DM subventioniert. Von 1961 bis 1963 war die Zahl der Flugreisen von und nach Berlin um 50 Prozent gestiegen.
Das Transitabkommen zwischen dem Berliner Senat und der Regierung der DDR brachte ab 1972 ein Ende der schikanösen Kontrollen auf den Transitstrecken durch die DDR. Jetzt wurden die preiswerteren Auto- und Bahnfahrten wieder attraktiv. Die Fluggastzahlen brachen ein; statt der erwarteten sieben mussten nur etwa vier Millionen Reisende befördert werden. PAN AM und BEA zogen auch mit ihren Linienflügen nach Tegel um. Technische Neuerungen, Umweltbelastungen und die Abhängigkeit des Berlinverkehrs von der politischen Lage brachten 1975 erstmals das Aus für den Innenstadtflughafen. Die Möglichkeit eines Volksentscheids gab es für Berlin damals noch nicht. Die Presse diskutierte die damalige Entscheidung intensiv. Für Tegel sprachen demnach das gesunkene Passagieraufkommen (Der Spiegel) und die Lärmschutzmaßnahmen (Die Zeit) und die Bild-Zeitung konstatierte: „Tempelhof macht dicht: Bier in Strömen, Hammel am Spieß“.
Vom Zivilflughafen Tempelhof starteten weiterhin Lufttaxis und Shuttledienste, ab 1985 auch Linienflüge nach Paderborn, später dann nach Dortmund und zu weiteren Zielen. Mit der Deutschen Einheit wurde 1990 – erstmals nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – die Lufthoheit an die deutschen Behörden übergeben. Die Fluggastzahlen im Berlin-Verkehr stiegen erneut sprunghaft; die große Empfangshalle füllte sich wieder mit Leben. Im August 1993 zog nach 48 Jahren militärischer und geheimdienstlicher Präsenz die amerikanische Luftwaffe ab; 1994 löste die US-Armee auch die in Tempelhof stationierte Hubschrauber-Staffel auf. Der letzte Helikopter verließ den Flughafen in Richtung AlliiertenMuseum.
Neue Pläne für Tempelhof
Die kritischen Stimmen gegen den Flugbetrieb in der Innenstadt mehrten sich. Überlegungen zu einem neuen Luftverkehrskonzept mündeten 1996 in dem gemeinsamen Beschluss von Bund, Land Brandenburg und Land Berlin, Schönefeld zum Standort des einzigen internationalen Verkehrsflughafens der Region Berlin-Brandenburg zu entwickeln und die Flughäfen Tempelhof und Tegel endgültig zu schließen.
Ein Volksentscheid am 27. April 2008 über die Offenhaltung Tempelhofs, bei dem das notwendige Quorum von 25 Prozent nicht erreicht wurde, konnte die Entwidmung des Flughafens nicht verhindern.
Während des Verfahrens zum Volksentscheid 2008 hatte Infratest dimap im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg und der Berliner Morgenpost zwei repräsentative Befragungen durchgeführt, eine parallel zur Vorbereitung des Volksbegehrens, die zweite direkt vor dem Volksentscheid. Letztere ergab ein anderes Bild als die öffentliche Debatte. Zur Frage nach den Motiven derer, die die Offenhaltung befürworteten, kam das Institut zu folgendem Ergebnis: „Emotionale und historische Gründe bestimmen die Entscheidung zugunsten Tempelhofs vor allem im Westteil der Stadt (58 Prozent) sowie bei älteren Berlinern (61 Prozent)“, bei weiblichen Wahlberechtigten (mit 60 Prozent) deutlich stärker als bei männlichen (49 Prozent).
Doppelte Erinnerung
Kinder warten auf das Flugzeug der Luftbrücke, das an kleinen Fallschirmen befestigte Süßigkeiten abwarf, 1948 (© picture-alliance / akg-images)
Kinder warten auf das Flugzeug der Luftbrücke, das an kleinen Fallschirmen befestigte Süßigkeiten abwarf, 1948 (© picture-alliance / akg-images)
Was hat es auf sich mit dem „Mythos Tempelhof“ und wie hat er sich im Lauf der Zeit verändert? Mythenbildend war in erster Linie die Berliner Luftbrücke, in der Tempelhof – nicht zuletzt durch ausgezeichnete PR-Strategien „der Amerikaner“, durch seine Innenstadtlage und Größe – als Hauptflughafen rezipiert und durch das Luftbrückendenkmal bestätigt wurde. Die Erinnerung an die Luftbrücke stand bis in die 1960er Jahre vor allem für den Kampf gegen die kommunistische „Macht der Finsternis“.
Der Flughafen Tempelhof verband zudem die sich nur langsam von den Kriegszerstörungen erholende Stadt mit den Westzonen und dem Rest der Welt. Er ermöglichte die Teilhabe der West-Berliner Bevölkerung am internationalen „Flair“ und stand für die Hoffnung der Stadt, wieder Metropole zu werden. Die Teilung Berlins, politische Unsicherheit, Insellage, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Wegfall der Absatzmärkte im Umland, Verlagerung von Produktionen und Unternehmenssitzen in die Bundesrepublik, wachsende Abhängigkeit von Subventionen und schließlich der Mauerbau zeichneten das Bild einer eher schwachen Großstadt. Im Spannungsverhältnis zwischen Bedeutungsverlust und dem Bemühen, Glanz zu schaffen, diente der Flughafen als Transmissionsriemen und Projektionsfläche gleichermaßen.
Der Mythos West-Berlins als „Vorposten der Freiheit“, weitergetragen von vielen, die sich mit tiefen Gefühlen an den Mauerbau 1961 und an John F. Kennedys Auftritt vor dem Rathaus Schöneberg 1963 erinnern, blieb allerdings auf Dauer nicht unhinterfragt. Ab den 1960er Jahren wurde die in der Luftbrücke verkörperte Erfolgsgeschichte der deutsch-amerikanischen Freundschaft zunächst von den USA im Zuge ihrer „Politik inszenatorischer Détente“ zurückhaltender zelebriert.
Die im Rahmen der Entwicklung und Vermarktung des Areals propagierte „Tempelhofer Freiheit“ stieß auf vehemente Ablehnung und wurde stillschweigend zurückgenommen. Bürgergruppen hatten immer stärker auf die NS-Vergangenheit des Ortes aufmerksam gemacht und an die Massenkundgebungen Hitlers zum 1. Mai, an das KZ Columbia, an Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit erinnert. Der „Mythos Tempelhof“ hatte die Rolle des Flughafens in der NS-Zeit lange überdeckt. Die Amerikaner hatten mit der Übernahme des Areals, mit der Luftbrücken-Aktion und mit ihrer jahrzehntelangen Präsenz den historischen Ort gewissermaßen umcodiert und neu interpretiert. Nachdem der Flughafen seine Funktion endgültig verloren hat, kann diese Umcodierung rückgängig gemacht werden. Dies geschieht seit einigen Jahren. Insbesondere jüngere und auswärtige Besucherinnen und Besucher betrachten die Vielschichtigkeit des Ortes als sein herausragendes Merkmal. Im Fokus steht die Geschichte des Flughafens in den beiden Etappen, die die gegenwärtige Erinnerungskultur prägen: Nationalsozialismus sowie SED-Diktatur und Kalter Krieg. Tatsächlich ist Tempelhof ein Ort der doppelten Erinnerung. Wie seine Geschichte im Spannungsfeld von Repression und Freiheit vor Ort vermittelt werden kann, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Stefanie Endlich und Monica Geyler-von Bernus, Flughafen Tempelhof – Berlins „Tor zur Welt“ im Kalten Krieg, in: Deutschland Archiv, 16.2.2018, Link: www.bpb.de/264109
Ergänzend:
Sven Goldmann: