Als im Herbst 1969 Otto Kunkel (1918–1982) ans Podium schritt, verstummten die geladenen Gäste im Saal der Herbert Art Gallery and Museum in Coventry. Zur Eröffnung der Ausstellung „Der Mensch in seiner Welt“ führte der Leiter des Instituts für biologisch-anatomische Unterrichtsmittel und Anschauungsmaterialien im Dresdner Hygiene-Museum (DHM) aus:
„Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass mit der Nichtaufnahme der DDR in die WHO [Weltgesundheitsorganisation, C.S.] der Sache des Friedens und der Völkerverständigung nicht gedient werden kann. […] Es ist aber unser aufrichtigster Wunsch, mit unserer Ausstellung die internationale Zusammenarbeit zu fördern, für die die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch alle Staaten und ihre Aufnahme in alle Organisationen eine wichtige Voraussetzung ist. […] Das Deutsche Hygiene-Museum will Informationen und Anregungen für eine gesunde Lebensweise geben. Das ist unser Beitrag für die Sache der Gesundheit, für ein Leben in Glück und Frieden in der ganzen Welt.“ Zur Auflösung der Fußnote[1] Vor Kunkel hatten der dortige Museumsdirektor und der Oberbürgermeister der Stadt „die Freunde aus Dresden“ willkommen geheißen. Mit der Ausstellung gab sich das Hygiene-Museum weltmännisch, denn in der englischen Version – „Man and his world“ – war der Titel identisch mit dem der Weltausstellung 1967 in Montreal. So empfing das Dresdner Museum Ehren durch politische Honoratioren des NATO-Staates auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs.
Ausstellungstriptychon "Man and his world", 1969 (© Deutsches Hygiene-Museum)
Und genau auf eine solche internationale Anerkennung des Staates, den das Museum repräsentierte, zielte Kunkel ab. Zur Auflösung der Fußnote[2] Dafür setzte das in die Ausstellung einleitende Tafeltriptychon die Gleichrangigkeit beider Staaten – DDR und Vereinigtes Königreich – und ihrer Staatsoberhäupter ins Bild. Das Hygiene-Museum machte in Coventry Politik – mit der Forderung, sich und damit die DDR in die humanistische und damit vermeintlich unpolitische Fürsorge für die Gesundheit der Weltbevölkerung einreihen zu dürfen. Zur Auflösung der Fußnote[3]
Laut Kunkel hatte die DDR durch die Festschreibung des gleichen Rechts auf medizinische Betreuung und gesundheitlichen Schutz das universelle Menschenrecht auf Gesundheit realisiert, das das Ethos der Weltgesundheitsorganisation ausmachte und dessen Adaption die WHO als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft einforderte. Kunkel unterstrich in seiner Rede in Coventry, dass die zentrale Wert- und Zielorientierung der Weltgesundheitsorganisation mit der eines sozialistischen Gesundheitswesens übereinstimme: Globale Probleme der Weltgesundheit erzwängen konzertierte, technische und globale Maßnahmen einer Weltgesellschaft im humanistischen Dienste zum Wohl aller. Politische Lagerkämpfe hätten dahinter zurückzutreten. Zur Auflösung der Fußnote[4]
Das Hygiene-Museum setzte damit 1969 eine außenpolitische Strategie um, die vorrangig zum Ziel hatte, über vordiplomatische Beziehungen und die Aufnahme in internationale Organisationen oder (Fach-)Gesellschaften die internationale Anerkennung der DDR zu erreichen. Auf dem Gebiet des Gesundheitswesens war die Weltgesundheitsorganisation die Spezialorganisation der Vereinten Nationen (UNO), in die die DDR-Regierung aufgenommen werden wollte. Zur Auflösung der Fußnote[5]
Anerkennungspolitik mit Gesundheitsaufklärung
Schon seit 1949 hatte die DDR-Führung auf die WHO geschielt. Zur Auflösung der Fußnote[6] Aber erst gegen Ende der 1950er Jahre entdeckte das Regime die Aufnahme in die UNO und ihre Sonderorganisationen als Ziele einer Anerkennungspolitik, von der sich die SED-Führung auch innere Legitimitätseffekte erhoffte. Zur Auflösung der Fußnote[7] Das Ministerium für Gesundheitswesen gab schließlich dem Drängen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR nach und fing 1958 an, das am Hygiene-Museum bestehende WHO-Komitee als Beleg eines ernsten Beitrittswunsches der DDR zur Weltgesundheitsorganisation darzustellen. Zur Auflösung der Fußnote[8] Wie die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin und das Deutsche Rote Kreuz der DDR, die Vertreter in das WHO-Komitee entsandten, galt auch das Hygiene-Museum selbst als eine fachkundige Organisation, die sowohl parteipolitisch verlässlich war, als auch als eine Einrichtung präsentiert werden konnte, die vorrangig dem humanistischen Leitbild der Wissenschaft und der Medizin verpflichtet war. Zur Auflösung der Fußnote[9] Zur Galionsfigur machte man den Sozialhygieniker und Direktor der Akademie für Sozialhygiene, Arbeitshygiene und Ärztliche Fortbildung, Hermann Redetzky (1901–1978). Zur Auflösung der Fußnote[10]
Parallel zur Etablierung des WHO-Komitees am Hygiene-Museum in Dresden bemühten sich die Gesundheitspolitiker der DDR auch um die Aufnahme in die 1951 als internationales Koordinationsgremium der Gesundheitsaufklärung gegründete International Union for Health Education of the Public (IUHEP). Dessen Satzung sah vor, nur nicht-staatliche Akteure zuzulassen. Demzufolge wurde ein nationales Gremium benötigt, das wie ein zivilgesellschaftliches Gebilde wirkte. Dazu wurde 1961 das Komitee für gesunde Lebensführung und Gesundheitserziehung in der DDR (NKGE) gegründet, dem auch prompt die Aufnahme in die IUHEP gelang. Zur Auflösung der Fußnote[11]
Sowohl im WHO-Komitee als auch im NKGE waren Repräsentanten des Hygiene-Museums vertreten. Und in beiden Organen wurde das Dresdner Museum vor allem als ausführendes Organ gesehen, das mit seinen Ausstellungen und Lehrmitteln die Präsenz der DDR im Ausland stärken konnte. Vor diesem Hintergrund bestand das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten auf einer außenpolitischen Anleitung des Hygiene-Museums. Zur Auflösung der Fußnote[12]
Zum Ende der 1960er Jahre erreichte die Anerkennungspolitik der DDR schließlich ihren Höhepunkt. Zur Auflösung der Fußnote[13] Letztendlich hatte das SED-Regime mit der Aufnahme in die UNO und die WHO 1973 zwar Erfolg, die Maximallösung einer Anerkennung ohne deutsch-deutsche Einigung hatte man aber nicht erreicht. Zuerst mussten die Grundlagenverträge zwischen der Bundesrepublik und der DDR ratifiziert sein, dann erst war an die Aufnahme des sozialistischen Staates in die UNO und die WHO zu denken. Hier hatte sich die Bundesrepublik, konkret Willy Brandt, durchgesetzt und auch die WHO-Administration überzeugt, dass zuerst die deutschlandpolitischen Beziehungen geregelt werden müssten, damit man „nicht zuviel von den ‚querelles allemandes‘ in die Arbeit der internationalen Organisationen“ Zur Auflösung der Fußnote[14] überführe. Der französische Ausdruck für verbissene Streitereien in eigentlich banalen Fragen hatte sich in den 1960er Jahren längst zum Sprichwort für die deutschlandpolitischen Überempfindlichkeiten der Bundesrepublik und der DDR entwickelt, auf die international Rücksicht zu nehmen war.
„Man and his world“
Die Ausstellung des Hygiene-Museums „Man and his world“ kann beispielhaft dafür stehen, wie eine traditionsreiche „Menschen-Ausstellung“ Zur Auflösung der Fußnote[15] des Hygiene-Museums in diese Strategie der Außenpolitik der DDR um 1970 eingeflochten wurde. Solche Ausstellungen visualisierten sowohl Körper- und Gesundheitswissen als auch die vermeintlichen Vorzüge des sozialistischen Gesundheitsschutzes. Sie wurden nicht nur vor dem Hintergrund der „querelles allemandes“ präsentiert, sondern waren auch geprägt von der internationalen Zusammenarbeit.
Seit Februar 1959 bestand eine Städtepartnerschaft zwischen Coventry und Dresden, die auf der erinnerungskulturellen Betonung der gemeinsamen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg aufbaute. Otto Kunkel hatte als Sekretär des entsprechenden Freundschaftskomitees Kontakte nach Coventry aufgebaut. 1965 hatte er bereits dessen Ausstellung „Leben in Dresden“ in die West Midlands begleitet, die über die Darstellungen des Alltags in der Stadt an der Elbe in erster Linie die Rekonstruktionsleistungen des sozialistischen Wieder- und Neuaufbaus veranschaulichte. Vier Jahre später kamen das Hygiene-Museum und die Abteilung Internationale Verbindungen des Ministeriums für Gesundheitswesen darin überein, diese Kontakte zu nutzen, um eine neue Ausstellung „zur Propagierung des sozialistischen Gesundheitsschutzes in kapitalistischen Industrieländern“ in England zu präsentieren. Über das Komitee und die Hilfe des Unterhausabgeordneten William Wilson (1918–2010, Labour), so Kunkel in seinem Reisebericht, sei es schließlich geglückt, die Dresdner Ausstellung gegen den Widerstand der konservativen Tories kostenfrei aufzubauen. Das sei als ein herausragender außenpolitischer Erfolg zu werten, da nicht nur gezeigt wurde, „welche großen Anstrengungen der sozialistische Staat auf dem Gebiet des Gesundheitswesens unternimmt“, sondern auch, weil die Staatsflagge der DDR gezeigt und West-Berlin als selbstständige politische Einheit bezeichnet werden konnte.“ Zur Auflösung der Fußnote[16]
Die Ausstellung „Man and his world“, die in Coventry rund 14.000 Besucher anlockte, war aus dem Objektportfolio des Hygiene-Museums zusammengestellt und ihr Text ins Englische übersetzt worden. Mithilfe von Bild- und Texttafeln, anatomischen Modellen aus Kunststoff, interaktiven Apparaten, Maschinen, mit denen bestimmte physiologische Phänomene wie die Zitterbewegung der Hand demonstriert werden konnten, Nachbildungen von durch Krankheit veränderten Körperteilen aus Wachs (Moulagen) sowie mit dem Schlüsselobjekt der „gläsernen Frau“ veranschaulichte „Man and his world“ zweierlei: ein anatomisches und physiologisches Grundwissen um den menschlichen Körper und die Bemühungen der DDR, dessen Gesundheit zu fördern. Zur Auflösung der Fußnote[17]
Die „gläserne Frau" in Paris 1958 (© picture alliance/akg-images)
Als narrative Klammer diente ein dialektisches Modell der Gesundheit: Zur Auflösung der Fußnote[18] Demnach resultierten Krankheiten aus der fehlenden Fähigkeit des Körpers, mit den beständigen Stimuli der Natur umzugehen. Krankheitsverhütende Interventionen seien durch Eingriffe in die miteinander in Wechselwirkung stehenden Umstände und Prozesse möglich. Auf der gesellschaftlichen Ebene habe die DDR, über die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft und des Gesundheitswesens, das Notwendige getan. Die Ausstellung ziele nun auf die individuelle Ebene, indem sie die Besucher motiviere, sich die präsentierten gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen anzueignen. Das hieße nicht nur, die individuelle Reaktionsfähigkeit auf die Reize der Umwelt zu verbessern, sondern aus einer gesellschaftlichen „Verantwortung heraus ein gesundes Leben zu führen.“ Darüber hinaus solle sich der Einzelne an einer gesundheitsgerechten Gestaltung seiner Welt beteiligen. Zur Auflösung der Fußnote[19]
Darin bestand nun die Werbebotschaft für die DDR, die das Hygiene-Museum 1969 in der Ausstellung in Coventry bebilderte. Zur Auflösung der Fußnote[20]
Laut Kunkel sei aber gerade die Rezeption des Teils, der sich mit den Vorzügen des sozialistischen Gesundheitswesens beschäftigte, gering gewesen. Nach seiner Rückkehr berichtete er, dass die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher sich vor allem auf die „Spiel- und Testapparate“ und die „gläserne Frau“ konzentriert habe. Obwohl dies zulasten der expliziten Propagandafunktion der Ausstellung gegangen sei, zog Kunkel ein positives Fazit, alleine aus dem Umstand der Ausstellung selbst: „Man and his word“ habe gezeigt, dass „wir auch in kapitalistischen und NATO-Ländern ausstellen können, wenn wir die richtigen Verbündeten finden.“ Zur Auflösung der Fußnote[21]
Menschen-Ausstellungen in der Welt
Kunkels positive Bewertung der Ausstellung überrascht kaum. Ein negatives Fazit hätte den Nutzen des Hygiene-Museums für das SED-Regime infrage gestellt – und damit auch die großzügige Reisefreiheit, die die politisch zuverlässigen Kader des Museums genossen. Schon kurz nach Kriegsende – 1949 – hatte das Hygiene-Museum wieder Ausstellungen ins Ausland verschickt. Zwar beschränkte die fehlende Anerkennung der DDR die Präsentationsmöglichkeiten, aber sein guter Ruf eröffnete dem Museum gute Chancen auf Ausstellungsbeteiligungen, insbesondere auf internationalen Messen. Zur Auflösung der Fußnote[22] Seit den wirtschaftlichen Krisen der späten 1910er und 1920er Jahre hatte der damalige Leiter des Museums, Georg Seiring (1883–1972), ein Geschäftsmodell etabliert, das die Produktion und den Verkauf von anatomischen Lehrmitteln im Gegenwartsmuseum verankerte. Zur Auflösung der Fußnote[23] Die eigene kommerzielle Tätigkeit hatte dem Museum als „Hygiene-Konzern“ Zur Auflösung der Fußnote[24] bis 1945 eine relative Unabhängigkeit gegenüber seinen primären Finanziers – der Stadt Dresden, dem Land Sachsen und der Reichsregierung – garantiert. Obwohl die Sowjetische Militäradministration (SMAD) bereits 1946 das entsprechende Vereinskonstrukt des Museums aufgelöst hatte, hielten auch die neuen Dienstherren des DHM im Ministerium für Gesundheitswesen der DDR (und seinen Vorgängerorganisationen) an dem potenziell lukrativen Geschäftsbereich der Lehrmittelproduktion und -distribution fest.
Auf dem internationalen Markt der anatomischen und biologischen Lehrmittel befand sich das Hygiene-Museum jedoch nicht alleine. Sein schärfster Konkurrent war das 1949 von Georg Seiring, dem ehemaligen DHM-Leiter, gegründete Deutsche Gesundheits-Museum (DGM) in Köln. Ende 1947 war Seiring aber formell wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen worden und siedelte in die westlichen Besatzungszonen über. Die Kölner Kopie des Dresdner Museums, die vergleichbare Exponate und Lehrmittel präsentierte, brachte die „querelles allemandes“ in das Feld der Gesundheits- und Lehrmittelausstellungen. Zur Auflösung der Fußnote[25]
Nachdem Kooperations- und Marktaufteilungsabsprachen zwischen DGM und DHM Mitte der 1950er Jahre gescheitert waren, drängte das ältere und prestigereichere Hygiene-Museum aus Dresden weltweit offensiv und erfolgreich in die Ausstellungshallen. Nach einigen symbolträchtigen Erfolgen gelang mit der Beteiligung an der 4. Konferenz der IUHEP im Mai 1959 in Düsseldorf schließlich der Coup: Den versammelten internationalen Gesundheitsaufklärern wurden nahezu alle Lehrmittel aus Dresden und zwei kleinere Ausstellungen gezeigt, die in der DDR als wenig propagandistisch und damit auch im westlichen Ausland als unverfänglich galten. Zur Auflösung der Fußnote[26] Die Bezichtigung der bundesrepublikanischen Vertreter, das Hygiene-Museum betreibe ausschließlich kommunistische Propaganda, verfing in der IUHEP nicht. Zur Auflösung der Fußnote[27] Die Beteuerungen aus Dresden, dass man zur unpolitischen und humanistischen Arbeit für die Gesundheit der Weltbevölkerung beitrage – sowie entsprechende Zahlungen für die Mitgliedschaft und die Ausstellungsmöglichkeit – hatte die Spitzen des internationalen Gremiums überzeugt. Zur Auflösung der Fußnote[28]
Mit den Ausstellungen im Westen wurde das Dresdner Museum vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Direktive einer „außenpolitischen Offensiv-Politik“ Zur Auflösung der Fußnote[29] und vom Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung (ab 1967 Ministerium für Außenwirtschaft) den kommerziellen Interessen der DDR unterworfen. In der Bundesrepublik hingegen wurde klar, dass die deutschlandpolitische Strategie der Exklusion auf dem Feld der Gesundheitsaufklärung gescheitert war. Zur Auflösung der Fußnote[30]
Die außenpolitische „Offensiv-Politik“, die die staatliche Sorge um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zur Schau stellte, zielte nicht nur auf die Aufnahme in internationale Organisationen. Sie hatte auch die Kooperation mit Staaten zum Ziel, die im Zuge der Dekolonisierung entstanden waren. Das Hygiene-Museum sollte mithelfen, diesen Staaten zu zeigen, dass das sozialistische Modell der Moderne gegenüber dem des „Westens“ – nicht zuletzt wegen seiner Gesundheitsfürsorge – leistungsfähiger und moralisch überlegen sei. Zur Auflösung der Fußnote[31] Auch hier intensivierte das Hygiene-Museum seinen Einsatz ab Mitte der 1950er Jahre und setzte dieses Engagement bis 1989 fort. Das brachte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums beispielsweise 1953 nach China, 1954 nach Indonesien, 1955 nach Syrien und Vietnam, 1957 nach Ägypten und 1960/1961 nach Guinea, Burma und Ghana. Zur Auflösung der Fußnote[32] Mit erheblichem Aufwand passte das Hygiene-Museum seine Ausstellungen den lokalen Gegebenheiten inhaltlich und mit Blick auf die präsentierten Exponate an. Zur Auflösung der Fußnote[33] Der größte Erfolg gelang 1959 auf der Weltlandwirtschaftsausstellung in Neu-Delhi. Die Idee, das Spektrum transparenter Ganzkörpermodelle um landwirtschaftliche Nutztiere zu ergänzen, war nicht neu. Zur Auflösung der Fußnote[34] Aber erst 1956 gelang es schließlich, ein „gläsernes Pferd“ zu vollenden. In Indien jedoch, so schrieb der für technische Fragen zuständige Mitarbeiter des Hygiene-Museums, würde ein Pferd keine Aufmerksamkeit erregen, der „gläserne Mann“ sei mittlerweile bekannt und die „gläserne Frau“ aus religiösen Gründen nicht präsentabel. Aber eine Kuh könne vor Ort ein Spektakel werden. Zur Auflösung der Fußnote[35] Und so brachte das Hygiene-Museum drei Jahre später eine „gläserne Kuh“ nach Neu-Delhi. Dies war nicht nur eine Neuheit sondern auch ein Körpermodell, das ein Tier repräsentierte, welches vor Ort als heilig galt und dem der indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru die Ehre erwies – was fotografisch festgehalten werden musste.
Konkurrenz aus der Bundesrepublik
Auch das DGM in Köln setzte auf die Differenzierung seines „gläsernen Produktportfolios“. Doch es entstanden keine Modelle von Nutztieren, sondern Kleinmodelle (Homunkulus), Tänzerinnen und „gläserne Doggen“. Zur Auflösung der Fußnote[36] Die Idee, den transparenten Tiermodellen aus Dresden etwas Vergleichbares entgegenzusetzen, zum Beispiel ein „gläsernes Schwein“, wies das Museum zurück. Man wolle keine „sowjetzonalen Methoden“ kopieren, hieß es im Frühling 1961 zur Begründung. Zur Auflösung der Fußnote[37]
Den Wettbewerb um Ausstellungs- und Präsentationsmöglichkeiten in den neuen Staaten nahm das Kölner Museum rasch an, agierte jedoch deutlich defensiver. Vor allem ging es darum, Unterstützung zu sammeln, um potenzielle Präsenzen des Hygiene-Museums zu unterbinden, zumeist mit dem Mittel der Diskreditierung. Zur Auflösung der Fußnote[38] Eigene Ausstellungen versuchte man jedoch genauso zu bewerkstelligen. So brachte das DGM nach zähem Ringen um Unterstützung vonseiten des Auswärtigen Amtes 1957 einen „gläsernen Homunkulus“ nach Brasilien. Im selben Jahr wurden dem Kaiser von Abessinien, Haile Selassie, zwei „gläserne“ Figuren nach einer Ausstellung in Addis Abeba geschenkt. Zur Auflösung der Fußnote[39] 1963 versuchte das Auswärtige Amt, die Cylonesische Gesellschaft für Tuberkulose-Bekämpfung davon zu überzeugen, die „gläserne“ Figur des DGM anstelle der des Hygiene-Museums zu übernehmen. Zur Auflösung der Fußnote[40] 1964 wiederholte sich dies im Irak. Doch der Direktor des anatomischen Instituts der Universität Bagdad erteilte den Bitten des Auswärtigen Amtes eine Absage: Weil solche Exponate und Lehrmittel unpolitisch seien, nehme man gerne Geschenke von beiden deutschen Museen entgegen. Zur Auflösung der Fußnote[41] Und von 1961 bis 1963 beteiligte sich das Gesundheits-Museum mit einer Ausstellung zum Körperbau und zur Alltagshygiene mit einem „gläsernen Torso“ an einer aus 28 Lastkraftwagen bestehenden Tour bundesrepublikanischer Aussteller durch Zimbabwe, Malawi, Tansania, Ruanda, Burundi, Uganda und Kenia – eine ganze „gläserne“ Figur hatte nicht in den Wagen gepasst. In Rücksprache mit dem heutigen Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg hatte man in Köln einen Lastwagen konstruiert, der in ein paar Schritten zu einer Ausstellung aus- und umgebaut werden konnte. Mithilfe der Visualisierung von Verhütungsmöglichkeiten der „Afrikakrankheiten“ (Kwashiorkor, Amöbenruhr, Schlafkrankheit, Malaria) sollte der Wagen die Leistungsfähigkeit und selbstlose Hilfsbereitschaft der Bundesrepublik in Sachen gesundheitlicher Fürsorge dokumentieren. Zur Auflösung der Fußnote[42]
Fazit
Die Ausstellungstätigkeit der beiden deutschen Museen war kein Selbstzweck, auch wenn sie unter dem Deckmantel der unpolitischen Sorge um die Gesundheit präsentiert wurde. Die Expertise der Häuser in Köln und Dresden bestand darin, Körper- und Gesundheitswissen mit gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen zu verschmelzen und diese Legierung zu visualisieren. Damit bestand eine politische Dimension insofern, als Ordnungen von Körpern und Gesellschaften in der Veranschaulichung miteinander verbunden wurden: In Lehrmitteln, Exponaten und Ausstellungen wurden Vorstellungen von körperlicher Gesundheit und gesellschaftlicher Ordnung in Deckung und zum Ausdruck gebracht. Die Gesundheitsaufklärung des Hygiene-Museums bebilderte die gesellschaftlichen Bemühungen der DDR zur Verbesserung der Volksgesundheit sowie ihre Wissensgrundlage. Das Museum nutzte seine Ausstellungen, um das System der DDR als humanistischere Sozialordnung darzustellen. Der Wettbewerb um die Geltung als moralisch überlegene Ordnung spielte sich auf internationalen Messen und Großausstellungen ab. Und fast immer waren „gläserne“ Figuren dabei. Um die Generosität der DDR zu unterstreichen, wurden sie in allen Ecken der Welt gerne als Staatsgeschenke zurückgelassen – wie dies auch das DGM tat. Eine Figur des ostdeutschen Hygiene-Museums ging 1974 bezeichnenderweise als Willkommensgeschenk der DDR an die WHO in Genf. Zur Auflösung der Fußnote[43]
Mit den Visualisierungen der Gesundheitsaufklärung ließ sich hervorragend Politik für beide deutschen Staaten machen. Im Zweifelsfall konnte man sich aber immer auf das vermeintlich Unpolitische und Positive der Bemühungen um Gesundheit zurückfallen lassen. Genau dieses Oszillieren charakterisiert die (deutsch-)deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Kalten Krieg.
Zitierweise: Christian Sammer, Politik des Unpolitischen. Gesundheitsaufklärung im Global Humanitarian Regime, in: Deutschland Archiv, 25.01.2018, Link: www.bpb.de/263389