Als im Herbst 1969 Otto Kunkel (1918–1982) ans Podium schritt, verstummten die geladenen Gäste im Saal der Herbert Art Gallery and Museum in Coventry. Zur Eröffnung der Ausstellung „Der Mensch in seiner Welt“ führte der Leiter des Instituts für biologisch-anatomische Unterrichtsmittel und Anschauungsmaterialien im Dresdner Hygiene-Museum (DHM) aus:
„Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass mit der Nichtaufnahme der DDR in die WHO [Weltgesundheitsorganisation, C.S.] der Sache des Friedens und der Völkerverständigung nicht gedient werden kann. […] Es ist aber unser aufrichtigster Wunsch, mit unserer Ausstellung die internationale Zusammenarbeit zu fördern, für die die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch alle Staaten und ihre Aufnahme in alle Organisationen eine wichtige Voraussetzung ist. […] Das Deutsche Hygiene-Museum will Informationen und Anregungen für eine gesunde Lebensweise geben. Das ist unser Beitrag für die Sache der Gesundheit, für ein Leben in Glück und Frieden in der ganzen Welt.“
Und genau auf eine solche internationale Anerkennung des Staates, den das Museum repräsentierte, zielte Kunkel ab.
Laut Kunkel hatte die DDR durch die Festschreibung des gleichen Rechts auf medizinische Betreuung und gesundheitlichen Schutz das universelle Menschenrecht auf Gesundheit realisiert, das das Ethos der Weltgesundheitsorganisation ausmachte und dessen Adaption die WHO als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft einforderte. Kunkel unterstrich in seiner Rede in Coventry, dass die zentrale Wert- und Zielorientierung der Weltgesundheitsorganisation mit der eines sozialistischen Gesundheitswesens übereinstimme: Globale Probleme der Weltgesundheit erzwängen konzertierte, technische und globale Maßnahmen einer Weltgesellschaft im humanistischen Dienste zum Wohl aller. Politische Lagerkämpfe hätten dahinter zurückzutreten.
Das Hygiene-Museum setzte damit 1969 eine außenpolitische Strategie um, die vorrangig zum Ziel hatte, über vordiplomatische Beziehungen und die Aufnahme in internationale Organisationen oder (Fach-)Gesellschaften die internationale Anerkennung der DDR zu erreichen. Auf dem Gebiet des Gesundheitswesens war die Weltgesundheitsorganisation die Spezialorganisation der Vereinten Nationen (UNO), in die die DDR-Regierung aufgenommen werden wollte.
Anerkennungspolitik mit Gesundheitsaufklärung
Schon seit 1949 hatte die DDR-Führung auf die WHO geschielt.
Parallel zur Etablierung des WHO-Komitees am Hygiene-Museum in Dresden bemühten sich die Gesundheitspolitiker der DDR auch um die Aufnahme in die 1951 als internationales Koordinationsgremium der Gesundheitsaufklärung gegründete International Union for Health Education of the Public (IUHEP). Dessen Satzung sah vor, nur nicht-staatliche Akteure zuzulassen. Demzufolge wurde ein nationales Gremium benötigt, das wie ein zivilgesellschaftliches Gebilde wirkte. Dazu wurde 1961 das Komitee für gesunde Lebensführung und Gesundheitserziehung in der DDR (NKGE) gegründet, dem auch prompt die Aufnahme in die IUHEP gelang.
Sowohl im WHO-Komitee als auch im NKGE waren Repräsentanten des Hygiene-Museums vertreten. Und in beiden Organen wurde das Dresdner Museum vor allem als ausführendes Organ gesehen, das mit seinen Ausstellungen und Lehrmitteln die Präsenz der DDR im Ausland stärken konnte. Vor diesem Hintergrund bestand das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten auf einer außenpolitischen Anleitung des Hygiene-Museums.
Zum Ende der 1960er Jahre erreichte die Anerkennungspolitik der DDR schließlich ihren Höhepunkt.
„Man and his world“
Die Ausstellung des Hygiene-Museums „Man and his world“ kann beispielhaft dafür stehen, wie eine traditionsreiche „Menschen-Ausstellung“
Seit Februar 1959 bestand eine Städtepartnerschaft zwischen Coventry und Dresden, die auf der erinnerungskulturellen Betonung der gemeinsamen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg aufbaute. Otto Kunkel hatte als Sekretär des entsprechenden Freundschaftskomitees Kontakte nach Coventry aufgebaut. 1965 hatte er bereits dessen Ausstellung „Leben in Dresden“ in die West Midlands begleitet, die über die Darstellungen des Alltags in der Stadt an der Elbe in erster Linie die Rekonstruktionsleistungen des sozialistischen Wieder- und Neuaufbaus veranschaulichte. Vier Jahre später kamen das Hygiene-Museum und die Abteilung Internationale Verbindungen des Ministeriums für Gesundheitswesen darin überein, diese Kontakte zu nutzen, um eine neue Ausstellung „zur Propagierung des sozialistischen Gesundheitsschutzes in kapitalistischen Industrieländern“ in England zu präsentieren. Über das Komitee und die Hilfe des Unterhausabgeordneten William Wilson (1918–2010, Labour), so Kunkel in seinem Reisebericht, sei es schließlich geglückt, die Dresdner Ausstellung gegen den Widerstand der konservativen Tories kostenfrei aufzubauen. Das sei als ein herausragender außenpolitischer Erfolg zu werten, da nicht nur gezeigt wurde, „welche großen Anstrengungen der sozialistische Staat auf dem Gebiet des Gesundheitswesens unternimmt“, sondern auch, weil die Staatsflagge der DDR gezeigt und West-Berlin als selbstständige politische Einheit bezeichnet werden konnte.“
Die Ausstellung „Man and his world“, die in Coventry rund 14.000 Besucher anlockte, war aus dem Objektportfolio des Hygiene-Museums zusammengestellt und ihr Text ins Englische übersetzt worden. Mithilfe von Bild- und Texttafeln, anatomischen Modellen aus Kunststoff, interaktiven Apparaten, Maschinen, mit denen bestimmte physiologische Phänomene wie die Zitterbewegung der Hand demonstriert werden konnten, Nachbildungen von durch Krankheit veränderten Körperteilen aus Wachs (Moulagen) sowie mit dem Schlüsselobjekt der „gläsernen Frau“ veranschaulichte „Man and his world“ zweierlei: ein anatomisches und physiologisches Grundwissen um den menschlichen Körper und die Bemühungen der DDR, dessen Gesundheit zu fördern.
Die „gläserne Frau" in Paris 1958 (© picture alliance/akg-images)
Die „gläserne Frau" in Paris 1958 (© picture alliance/akg-images)
Als narrative Klammer diente ein dialektisches Modell der Gesundheit:
Darin bestand nun die Werbebotschaft für die DDR, die das Hygiene-Museum 1969 in der Ausstellung in Coventry bebilderte.
Laut Kunkel sei aber gerade die Rezeption des Teils, der sich mit den Vorzügen des sozialistischen Gesundheitswesens beschäftigte, gering gewesen. Nach seiner Rückkehr berichtete er, dass die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher sich vor allem auf die „Spiel- und Testapparate“ und die „gläserne Frau“ konzentriert habe. Obwohl dies zulasten der expliziten Propagandafunktion der Ausstellung gegangen sei, zog Kunkel ein positives Fazit, alleine aus dem Umstand der Ausstellung selbst: „Man and his word“ habe gezeigt, dass „wir auch in kapitalistischen und NATO-Ländern ausstellen können, wenn wir die richtigen Verbündeten finden.“
Menschen-Ausstellungen in der Welt
Kunkels positive Bewertung der Ausstellung überrascht kaum. Ein negatives Fazit hätte den Nutzen des Hygiene-Museums für das SED-Regime infrage gestellt – und damit auch die großzügige Reisefreiheit, die die politisch zuverlässigen Kader des Museums genossen. Schon kurz nach Kriegsende – 1949 – hatte das Hygiene-Museum wieder Ausstellungen ins Ausland verschickt. Zwar beschränkte die fehlende Anerkennung der DDR die Präsentationsmöglichkeiten, aber sein guter Ruf eröffnete dem Museum gute Chancen auf Ausstellungsbeteiligungen, insbesondere auf internationalen Messen.
Auf dem internationalen Markt der anatomischen und biologischen Lehrmittel befand sich das Hygiene-Museum jedoch nicht alleine. Sein schärfster Konkurrent war das 1949 von Georg Seiring, dem ehemaligen DHM-Leiter, gegründete Deutsche Gesundheits-Museum (DGM) in Köln. Ende 1947 war Seiring aber formell wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen worden und siedelte in die westlichen Besatzungszonen über. Die Kölner Kopie des Dresdner Museums, die vergleichbare Exponate und Lehrmittel präsentierte, brachte die „querelles allemandes“ in das Feld der Gesundheits- und Lehrmittelausstellungen.
Nachdem Kooperations- und Marktaufteilungsabsprachen zwischen DGM und DHM Mitte der 1950er Jahre gescheitert waren, drängte das ältere und prestigereichere Hygiene-Museum aus Dresden weltweit offensiv und erfolgreich in die Ausstellungshallen. Nach einigen symbolträchtigen Erfolgen gelang mit der Beteiligung an der 4. Konferenz der IUHEP im Mai 1959 in Düsseldorf schließlich der Coup: Den versammelten internationalen Gesundheitsaufklärern wurden nahezu alle Lehrmittel aus Dresden und zwei kleinere Ausstellungen gezeigt, die in der DDR als wenig propagandistisch und damit auch im westlichen Ausland als unverfänglich galten.
Mit den Ausstellungen im Westen wurde das Dresdner Museum vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Direktive einer „außenpolitischen Offensiv-Politik“
Die außenpolitische „Offensiv-Politik“, die die staatliche Sorge um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zur Schau stellte, zielte nicht nur auf die Aufnahme in internationale Organisationen. Sie hatte auch die Kooperation mit Staaten zum Ziel, die im Zuge der Dekolonisierung entstanden waren. Das Hygiene-Museum sollte mithelfen, diesen Staaten zu zeigen, dass das sozialistische Modell der Moderne gegenüber dem des „Westens“ – nicht zuletzt wegen seiner Gesundheitsfürsorge – leistungsfähiger und moralisch überlegen sei.
Konkurrenz aus der Bundesrepublik
Auch das DGM in Köln setzte auf die Differenzierung seines „gläsernen Produktportfolios“. Doch es entstanden keine Modelle von Nutztieren, sondern Kleinmodelle (Homunkulus), Tänzerinnen und „gläserne Doggen“.
Den Wettbewerb um Ausstellungs- und Präsentationsmöglichkeiten in den neuen Staaten nahm das Kölner Museum rasch an, agierte jedoch deutlich defensiver. Vor allem ging es darum, Unterstützung zu sammeln, um potenzielle Präsenzen des Hygiene-Museums zu unterbinden, zumeist mit dem Mittel der Diskreditierung.
Fazit
Die Ausstellungstätigkeit der beiden deutschen Museen war kein Selbstzweck, auch wenn sie unter dem Deckmantel der unpolitischen Sorge um die Gesundheit präsentiert wurde. Die Expertise der Häuser in Köln und Dresden bestand darin, Körper- und Gesundheitswissen mit gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen zu verschmelzen und diese Legierung zu visualisieren. Damit bestand eine politische Dimension insofern, als Ordnungen von Körpern und Gesellschaften in der Veranschaulichung miteinander verbunden wurden: In Lehrmitteln, Exponaten und Ausstellungen wurden Vorstellungen von körperlicher Gesundheit und gesellschaftlicher Ordnung in Deckung und zum Ausdruck gebracht. Die Gesundheitsaufklärung des Hygiene-Museums bebilderte die gesellschaftlichen Bemühungen der DDR zur Verbesserung der Volksgesundheit sowie ihre Wissensgrundlage. Das Museum nutzte seine Ausstellungen, um das System der DDR als humanistischere Sozialordnung darzustellen. Der Wettbewerb um die Geltung als moralisch überlegene Ordnung spielte sich auf internationalen Messen und Großausstellungen ab. Und fast immer waren „gläserne“ Figuren dabei. Um die Generosität der DDR zu unterstreichen, wurden sie in allen Ecken der Welt gerne als Staatsgeschenke zurückgelassen – wie dies auch das DGM tat. Eine Figur des ostdeutschen Hygiene-Museums ging 1974 bezeichnenderweise als Willkommensgeschenk der DDR an die WHO in Genf.
Mit den Visualisierungen der Gesundheitsaufklärung ließ sich hervorragend Politik für beide deutschen Staaten machen. Im Zweifelsfall konnte man sich aber immer auf das vermeintlich Unpolitische und Positive der Bemühungen um Gesundheit zurückfallen lassen. Genau dieses Oszillieren charakterisiert die (deutsch-)deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Kalten Krieg.
Zitierweise: Christian Sammer, Politik des Unpolitischen. Gesundheitsaufklärung im Global Humanitarian Regime, in: Deutschland Archiv, 25.01.2018, Link: www.bpb.de/263389