Unter dem Titel "Das doppelte Stadtjubiläum - Die 750-Jahr-Feiern 1987 in Ost- und West-Berlin" fand am 8. September 2017 ein Workshop in der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße statt, veranstaltet von der Stiftung Berliner Mauer gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF).
Nach der Begrüßung durch GÜNTER SCHLUSCHE von der Stiftung Berliner Mauer führte HANNO HOCHMUTH vom ZZF in das Thema des Tages ein. Anhand der Bildmotive des Externer Link: Flyers zur Veranstaltung stellte er die beiden den Feiern des 750-jährigen Stadtjubiläums zugrundeliegenden Konzepte vor. Dabei stand das Bild der ersten Ausgrabungen der Fundamentreste entlang der Niederkirchnerstraße paradigmatisch für den kritischen Umgang mit der eigenen Stadtgeschichte, der die West-Berliner Feiern charakterisierte. Hier wurde neben dem Martin-Gropius-Bau, in dem die zentrale Ausstellung des Stadtjubiläums gezeigt wurde, ab Juli 1987 mit einem ersten provisorischen Pavillon auf die Zentrale der Geheimen Staatspolizei, den Sitz des Reichsführers SS und später des Reichssicherheitshauptamts hingewiesen. Das Bild, so Hochmuth, repräsentiere die dezidiert kritische Gesamtkonzeption des West-Berliner Feierkonzepts, welches in deutlicher Abkehr von den Feierlichkeiten zum 700sten Stadtjubiläum 1937 dezentrale und kritische Konzepte förderte. In einer auch öffentlichkeitswirksam kommunizierten Abkehr von einer militaristisch ausdeutbaren Parade mit Gleichschritt und Pomp sollten in diesem Stadtjubiläum auch Gegennarrative und alternative Geschichten zu Wort kommen. Statt für einen Umzug entschied man sich schließlich für einen Wasser-Korso auf der Spree.
Ganz anders feierte die Hauptstadt der DDR. Auf dem Flyer ist daher auch eine Szene der zentralen Parade am Alexanderplatz abgebildet. Auf dieser zeigten 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit etwa 300 szenischen Darstellungen Episoden der Berliner Stadtgeschichte und der DDR-Gegenwart. Auch der Mauerbau wurde thematisiert: Auf einem Wagen mit einer Nachbildung der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor posierten Veteranen des 13. August 1961. Das Motiv sollte die Erzählung der sich wirksam schützenden DDR festigen.
Waren die Feierlichkeiten, Projekte und Ausstellungen des Jahres 1987 im Westen durch Vielfalt und eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bestimmt, so war das Jubiläum in der Osthälfte der Stadt durch Gleichschritt und Pomp charakterisiert. In West-Berlin als lokales Ereignis gefeiert, wurde das Jubiläum der Hauptstadt in der DDR zu einem Staatsakt, in dem sich die DDR selbst feierte. Einer gemeinsamen Feier hatte man zuvor die Absage erteilt. Schließlich bildeten zwei Radrennen – die von West-Berlin startende Tour de France und die Friedensfahrt in Ost-Berlin – einen Höhepunkt der Systemkonkurrenz.
Und dennoch, so Hanno Hochmuth, lohne es sich, auch nach möglichen Annäherungen der beiden Stadthälften zu fragen. Entstanden womöglich insbesondere in diesem Jahr neue Gesprächskanäle und zeigten sich vielleicht in manchen Dingen und Projekten größere Gemeinsamkeiten, die auch heute noch zu einer vertiefenden Untersuchung einladen? So war in beiden Stadthälften eine neue Geschichtsversessenheit zu beobachten, erhielten die "Kieze" als Träger historischer Identität eine größere Bedeutung.
Abschließend stellte Hochmuth die drei den Workshop bestimmenden Leitfragen vor: Wie wurde Stadtgeschichte instrumentalisiert und inszeniert? Welche Impulse gab das Jubiläum für die Stadtentwicklung? Welchen Ort hat das Jubiläum in der Berliner Stadtgeschichte?
Inszenierung von Stadtgeschichte
Das erste Panel widmete sich eben jenem Thema der Inszenierung von Stadtgeschichte und wurde von DOMINIK KLEINEN aus Berlin mit seinem Vortrag Re-enactment als Risiko. Historische Festumzüge der 750-Jahr-Feiern in Ost- und West-Berlin" eingeleitet. Kleinen widmete sich intensiv der Form der Parade, also Praxis des Gehens, während andere zuschauen. Dabei ging er auf die Performanz der Parade in Ost-Berlin ein, auf die Wagen, die Verteilung historischer und gegenwartsbezogener Darstellungen und die Reaktionen der Zuschauer und der Ehrentribüne. Dies illustrierte er unter anderem an der Darstellung Friedrichs II. und der den Umzug begleitenden menschenleeren "Black Box" mit den Namen der Konzentrationslager, der eine längere Diskussionen um die adäquate Darstellung der jüngsten Geschichte und aufwendige Gegenentwürfe vorausgegangen waren. Kleinen ging zudem auf die Anteile des Umzuges ein, die sich einer vollständigen Kontrolle durch die Organisatoren entzogen. So waren Publikumsreaktionen nicht plan- und vorhersehbar.
CORNELIA KÜHN von der Humboldt-Universität zu Berlin widmete sich in dem anschließenden Vortrag "Vielfalt und Weltoffenheit bei der 750-Jahr-Feier in West-Berlin: Die Repräsentation der Stadt zwischen lokaler Partizipation und zentraler Lenkung" dem die Feiern in West-Berlin dominierenden Gegenwartsbezug. Diese standen unter dem Motto "Berlin. Stadt der Gegenwart", und die Organisatoren versuchten eine zukunftsweisende Perspektive in die Feiern zu integrieren. Die Darstellung Berlins als vielfältige Metropole dominierte daher die meisten Projekte. Dabei machten sich die Organisatoren die eigentlich hinderliche Tatsache zunutze, dass das historische Zentrum jenseits der Mauer lag und die westliche Stadthälfte insbesondere durch ihre Vielfalt an Stadtteilen und "Kiezen" gekennzeichnet ist. Von Anbeginn der Planungen an waren freie Träger und Geschichtswerkstätten eingeladen, dezentrale Projekte vorzuschlagen. Kühnen machte aber deutlich, dass – bei aller neuen Offenheit – die Organisatoren des Büros B750 unter dem Intendanten der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, versuchten, eine gewisse Kontrolle über die integrierten Gegennarrative zu behalten. So wurden die geförderten Projekte sorgfältig ausgesucht, der neue Pluralismus aber medienwirksam dargestellt.
Zuletzt ging Cornelia Kühn auf die Brüche in dieser Darstellung ein, die sich an den Protesten und Gegenveranstaltungen des Jubiläumsjahres zeigten.
Diese Brüche thematisierte auch ETTA GROTRIAN vom Jüdischen Museum Berlin, die in ihrem Vortrag "Rummel um runde Zahlen'. Die Berliner Geschichtswerkstatt und die 750-Jahr-Feier in West-Berlin" auf die Diskussionen innerhalb der Berliner Geschichtswerkstatt einging. Ihrer Darstellung nach war die Teilnahme der Geschichtswerkstätten an den Feiern und die Förderung durch Senat und durch Bundesmittel durchaus nicht unumstritten, befürchteten Mitglieder doch eine Beeinflussung der Inhalte. Die Geschichtswerkstätten waren explizit mit dem Anspruch angetreten, eine Geschichte von unten und keine Geschichte der Herrschenden zu schreiben. In der Förderung wurde eine Gefahr der Hierarchisierung und Fremdbestimmung vermutet. Grotrian zufolge war die Diskussion um die Teilnahme für das spätere Selbstverständnis der Initiativen von großer Bedeutung.
Alle Vorträge des ersten Panels wurden durch KRIJN THIJS vom Amsterdamer Deutschlandinstitut anschließend kommentiert und miteinander verbunden.
Impulse für die Stadtentwicklung
Im zweiten Panel "Impulse für die Stadtentwicklung" moderiert von STEFANIE EISENHUTH von der Humboldt-Universität zu Berlin, beschrieb GÜNTHER SCHLUSCHE von der Stiftung Berliner Mauer zunächst seine auch durch persönliche Erfahrungen geprägte Sicht auf "Die Internationale Bauausstellung 1984/87 und die 750-Jahr-Feier in West-Berlin" und die von beiden Projekten ausgehenden Einflüsse auf die Stadtentwicklung. Die im Jubiläumsjahr 1987 präsentierte Ausstellung stellte nach Ansicht Schlusches einen Bruch mit der bis dato betriebenen Stadterweiterung an den Rändern Berlins dar. Mit der Hinwendung zur behutsamen Stadterneuerung rückte nun das "Wohnen in der Stadt" in den Mittelpunkt der Stadtplanung. Schlusche zufolge zeigten sich deutliche Konvergenzen in der Konzeption der Bauausstellung und des Jubiläumsjahres.
FLORIAN URBAN von der Glasgow School of Art stellte den Darstellungen Schlusches die Konzeptionen für Stadtentwicklung im Ostteil der Stadt gegenüber. In seinem Vortrag "Die Wiederentdeckung der Altstadt. Das Nikolaiviertel und die Husemannstraße in Ost-Berlin" bettete er die beiden Stadtentwicklungsprojekte des Jubiläumsjahres im Ostteil Berlins in ihren historischen Kontext ein. So sei das Nikolaiviertel keine Rekonstruktion, sondern eine Konstruktion einer sichtbar historischen Stadt. Die DDR habe in diesen Projekten globale Bezugsrahmen aufgenommen und mit einer eigenen Prägung umgesetzt. Dabei zeige sich eine für das Jubiläumsjahr charakteristische Sehnsucht nach Geschichte. Mit der Atmosphäre einer historischen Stadt sollten gewünschte Bilder und Assoziationen geschaffen werden. Kritisch merkte Urban an, dass die Stadterneuerungsprojekte in letzter Konsequenz eine nach der deutschen Einheit deutlich werdende Umstrukturierung der Wohnbevölkerung und die Gentrifizierung zentraler Räume vorausnahmen.
Dieses Panel wurde durch den früheren Berliner Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur THOMAS FLIERL kommentiert – auch aus dem Blickwinkel seiner Erfahrungen aus der Mitarbeit im DDR-Kulturministerium von 1987 bis 1990.
Vortrag und Podiumsdiskussion: Feierkonkurrenz
Der Workshop wurde mit einer Abendveranstaltung abgerundet, auf der zunächst KRIJN THIJS vom Deutschlandinstitut in Amsterdam einem nun erweiterten Publikum von einer
Das Abschlusspodium mit JÜRGEN KARWELAT, Jurist und Mitbegründer der "Dampfergruppe" der Berliner Geschichtswerkstatt, dem Ost-Berliner Publizisten und Architekturkritiker WOLFGANG KIL und KRIJN THIJS unter Moderation von HANNO HOCHMUTH summierte erneut die wesentlichen Erkenntnisse des gesamten Workshops und fragte abschließend nach der Konzeption der möglicherweise zum 800sten Stadtjubiläum zu erwartenden Feiern. Workshop und Abendveranstaltung boten einen insgesamt sehr guten Einblick in die Möglichkeiten, deutsch-deutsche Geschichte an dem "Ort" des Stadtjubiläums zu beschreiben.
Zitierweise: Clemens Maier-Wolthausen, Bericht zum Workshop "Das doppelte Stadtjubiläum - Die 750-Jahr-Feiern 1987 in Ost- und West-Berlin", in: Deutschland Archiv, 14.9.2017, Link: www.bpb.de/256082